Das ZDF sendete am 25.9. eine Dokumentation (Ewiger Aufruhr – Die Geschichte des Nahost-Konflikts (Spiegel TV 2011), die mir bisher entgangen war. Nun gut, ich lerne ja immer gern etwas dazu und vielleicht gibt es ja mit vier Jahren Abstand eine andere, interessante Sicht auf die Probleme im Nahen Osten. Psst, es geht los…

„Seit Generationen stehen sich die Kontrahenten unversöhnlich gegenüber…“ und weil es sich bei Konflikten im Allgemeinen und im „Heiligen Land“ im Besonderen so anbietet „…es gilt das biblische Prinzip ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘…“. Und dann, langsam und mit sanfter, geübter Stimme aus dem Off kommt Volker Perthes, seines Zeichens Politologe, mit geballtem Wissen ins Bild: „Ein Konflikt, der so lange anhält, wird natürlich ideologisch überhöht und er wird auch religiös überhöht. Und wir sehen das auf den beiden Seiten. Wir haben nationalistische Extremismen, wir haben religiöse Extremismen, die das Land selber zum Teil heiligen und religiös überhöhen und den ganzen Konflikt darstellen als einen Konflikt zwischen Judentum und Islam, zwischen Islam und dem Rest, zwischen dem Westen und dem Islam, zischen dem Judentum und dem Antisemitismus der Welt, also eine ganze Menge von Überhöhungen sie letztlich alle ignorieren, es geht um eines: Ums Land.“

Ach!

Das war’s dann mit Erkenntnisgewinn, eigentlich kann ich abschalten. Mal wieder schafft es ein „Nahostexperte“ bereits im Intro, Sachverstand anzutäuschen um mit dem letzten Halbsatz alle Fragen vom Tisch zu wischen und den Konflikt auf einen Begriff zu reduzieren, mit dem der Deutsche Zuschauer etwas anfangen kann. Kriege werden gefälligst um Land geführt, basta! Das haben wir auch immer selbst so gemacht, das kennen wir, so war es immer, so muss es auch sein.

Juden gegen Muslime, Schiiten gehen Sunniten, Hutus gegen Tutsi, Farc-Rebellen gegen kolumbianische Regierung, Protestanten gegen Katholiken… alles Konflikte um Land, die höchstens mal auf irgendeiner Meta-Ebene überhöht wurden. Volker Perthes erklärt mir die Konflikte der Welt. Es gibt nur zu wenig Land, sonst wär nämlich alles bestens. Blöde Meta-Ebene aber auch!

Ginge es wirklich um Land in diesem Konflikt, müssten die Bewohner von Gaza seit Jahren aus dem feiern nicht mehr heraus kommen. Seit 2005 ist der kleine Küstenstreifen „judenrein“, das Land gehört den Arabern. Ein Etappensieg? Aber wohin soll die Reise gehen? Die Hamas sagt: „Wir werden die Juden als Feinde betrachten, selbst wenn sie uns Palästina zurück geben. Weil sie Ungläubige sind!“.  Und das war noch eine der diplomatischeren Aussagen. Der Ball landete dummerweise auf der Meta-Ebene. Echt schwer, ihn da wieder runter zu bekommen und die Hamas ist uns da leider nicht behilflich. Was sollen die Israelis also geben, nachdem sie den Palästinensern „das Land“ gegeben haben? Die Hamas meint: Ihr Leben! Soweit hatte Volker Perthes den Konflikt wohl noch nicht analysiert, wir dürfen also weiter gespannt sein.

Ich bin ja eher der Meinung, dass man den Menschen zuhören und sich genau merken sollte, was sie sagen. Bis zum Gegenbeweis durch die Tat gilt das Wort. Wenn also ein iranischer Präsident sagt, Israel müsse von der Landkarte verschwinden, unterstelle ich ihm nicht, er würde „rhetorisch überzeichnen“ und er verlege seinen Diskurs auf eine „Metaebene“. Wenn eine Gruppe durchgeknallter Krimineller mordend und vergewaltigend durch die Wüste zieht, von sich behauptet, einen direkten Draht zu Allah zu haben und sich Islamischer Staat nennt, stelle ich mich nicht schützend vor sie und behaupte, das hätte „mit dem Islam nichts zu tun“ und der Islam werde „missbraucht“. Wer bin ich, dass ich einem Muslim sagen kann, seine Interpretation des Koran wäre falsch und ich würde es besser wissen?* Wenn die Hamas das Geld, was die internationale Gemeinschaft für humanitäre Zwecke und die Entwicklung des Gaza-Streifens spendet, für Waffen, Tunnel und Terror ausgibt, rede ich nicht von „durch Israel unterdrückten und gedemütigten Palästinensern“. Und schon gar nicht unterstelle ich der Hamas, nur Land zu wollen, wenn sie davon spricht, alle Juden zu töten.

Nach dem Zerfall des osmanischen Reiches und im Ergebnis zweier Weltkriege und des Endes zweier weiterer kolonialer Supermächte (Großbritannien und Frankreich) sind in der Levante und Arabien viele Staaten entstanden (in Afrika übrigens auch). Einige davon erhielten wie Israel ihre Grenzen am Verhandlungstisch und mit Lineal und Karte. Seltsamerweise gab es nie Konflikte über die Grenzen zwischen Jordanien und Syrien, Syrien und Irak oder Saudi Arabien und Jordanien. Es regte sich auch kaum jemand darüber auf, dass die Familie Saud nach einem Aufstand die Kontrolle über die heiligen Stätten Mekka und Medina von der Familie Hussein übernahm, die jetzt Jordanien regiert. Was ist also so besonders an dem kleinen Streifen Land zwischen Tiberias und Elat? War es besonders fruchtbar, gab es Öl, Gas oder Gold dort? Nein, aber es waren Juden die es wagten, dort schon immer zu leben, später dort Land zu kaufen und schließlich in größerer Zahl dahin auszuwandern und auch noch die Frechheit besaßen, dort einen Staat zu gründen. Das die wenigen verbliebenen Juden Europas nach dem Holocaust keine Lust hatten, in Mecklenburg oder Bayern einen Staat zu gründen, selbst wenn man ihnen dies angeboten hätte, wer kann es ihnen verdenken? Als die 600.000 Bewohner Israels sofort nach Gründung ihres Staates von allen Nachbarn mit Krieg überzogen wurden und diesen gewannen, welches Ziel hatten dann wohl weitere jüdische Auswanderer aus aller Welt? Als die Juden 1948 aus den arabischen Nachbarländern und dem Maghreb vertrieben wurden, wo sollten sie hin? Als der Antisemitismus in der Sowjetunion immer schlimmer wurde und die Aussiedlung erlaubt wurde, wohin zog es die russischen Juden wohl dann?

Israels Existenz ist das Ergebnis des weltweiten, mörderischen, latenten und jahrhundertealtem Antisemitismus und gleichzeitig der Beweis für dessen fundamentale Falschheit. Es geht also nicht um Land in dem Konflikt, es geht um die Tatsache dass die bloße Existenz eines jüdischen Staates die gesamte islamische Ideologie, stellenweise sogar Aussagen im Koran selbst ad absurdum führt. Aus tiefstem Herzen (aber ganz im Stillen) wird sich so mancher islamische Gelehrte wünschen, Mohammed hätte sich einen anderen Ort als ausgerechnet Jerusalem ausgesucht, von dem aus er im Traum zu seiner Himmelfahrt aufbrach, dann könnte man den ganzen Konflikt jetzt ignorieren. Glaubt heute wirklich noch jemand, das Schicksal der Menschen in Palästina und Israel (muslimische, jüdische, christliche und alle anderen auch) interessiert die Machthaber in Istanbul, Kairo, Damaskus, Teheran oder Riad auch nur im Mindesten? Es geht nicht um Land, Herr Perthes. Und liebes Spiegel-TV-Team: Wie wäre es mal mit einer aktuellen, korrigierenden Dokumentation? Ein Standpunkt muss ja kein Stehpunkt sein.

 

* Ich sehe schon die empörten Gesichter und höre „das kann er doch so nicht sagen“. Doch, kann ich. Mehr sogar, ich empöre mich jetzt auch: Ich bin entsetzt darüber, dass die Kreuzzüge des 11.-13. Jahrhunderts immer mit dem Christentum in Verbindung gebracht werden. Das Christentum hat NICHTS mit den Kreuzzügen zu tun! Die Kreuzfahrer haben das Christentum missbraucht, denn das Christentum ist die Religion des Friedens! Christus sagt, man soll seine Feinde lieben, welchen Sinn hätte es gemacht, sie zu töten?  q.d.e.

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