Herr Augstein spricht vom Neuanfang in Griechenland

Heute las ich Ihre SPON-Kolumne, Herr Augstein. Und ich denke, Sie liegen diesmal daneben.

Ein Ergebnis des zweiten Weltkrieges und der Nazizeit ist für manche eine Art singulärer Weltrekord, den selbstverständlich Deutschland eingestellt hat und der für alle Zeiten unerreichbar bleiben muss. Die meisten Toten, die größte Schuld, der perfekte Genozid, das schlimmste Grauen. Das ist der Maßstab, an dem sich alles Elend dieser Welt messen lassen muss! Da bestehen wir `drauf! Verglichen mit dem, was Deutschland angerichtet hat, ist alles andere nur eine Lappalie! Die Hamas greift Israel mit Raketen an? Unsere V1 war treffsicherer!  Korruption und Schuldenwirtschaft in Griechenland? Wir waren schlimmer! Griechische Reeder bezahlen ihre Steuern nicht? Ach was, deutsche Soldaten haben halb Europa ermordet!

Aber gut, bleiben wir bei ihrem Vergleich Herr Augstein, schauen wir uns die Lage in Griechenland an und vergleichen sie mit der in Deutschland nach WWII. Der erste Unterschied der uns auffällt – und wahrscheinlich ist es der wichtigste – ist, dass Deutschland nach dem Krieg ein besetztes Land war, ein geteiltes und verkleinertes noch dazu. Auch wenn es den einen oder anderen unbelehrbaren Nazi gab (und gibt) und sich viele um ihre gerechte Strafe herumdrückten war doch die Einsicht, dass da in den letzten 12 Jahren etwas gehörig und unglaublich schief gelaufen war, was man schwerlich jemand anderem in die Schuhe schieben konnte, bei den meisten vorhanden. In Griechenland war diese Einsicht höchstens kurz aufgeflackert, dann hatte man wieder ein bequemeres Feindbild. Die Deutschen eignen sich aufgrund ihrer historischen Qualifikation bestens dafür und Frau Merkel ist ja auch aus ihrem Heimatland Satire gewohnt.

Zweitens gab es in Deutschland so etwas wie eine „Stunde Null“. In Griechenland wurden dagegen für viele die Uhren nicht einmal angehalten, während andere sich heute nicht mal mehr eine Uhr leisten können. Mit dieser Stunde Null ging in Deutschland auch ein politischer Kollaps einher. Das alte System hatte ausgedient, die Ideologie war endgültig diskreditiert und das Wort  „Mitläufer“, das treffend die große Mehrheit der Deutschen kennzeichnete, konnte auch als „Profiteur“ gedeutet werden. Man hatte sich eingerichtet im System, guckte weg wenn man das Elend der Juden sah oder fragte lieber nicht nach, wenn über Nacht Menschen verschwanden. Deshalb nahm man es den zurückkehrenden Emigranten auch so übel, „abgehauen“ zu sein. Diese hatten das System nämlich durchschaut und beschlossen, nicht Opfer und auch nicht Teil des Systems zu werden.

Nun geht es in Griechenland ja nicht um Mord und Krieg, sondern „nur“ um Geld. Aber bis heute tun die meisten Griechen so, als ginge sie die Jahrzehnte lange Kredit-Orgie nichts an! Man fragt sich schon, wer sich in diesem System eingerichtet hat, wer davon profitierte. Nur die Oligarchen? Jeder wusste, dass die keine Steuern zahlen. Das Geld musste also woanders her kommen. Und überhaupt, der „Staat“, der Steuern haben will: Was macht der überhaupt damit? Der verschwendet es doch sowieso nur für die Politiker und deren Günstlinge! Jeder wusste das, weil jeder eine Cousine oder einen Neffen hatte, der nur deshalb eine Stelle in der Stadtverwaltung oder einer andern Behörde oder staatlichen Firma bekam, weil er die richtigen Leute kannte oder unterstütze. Vitamin B eben. Das gibt es zwar überall, aber in Griechenland war es besonders ausgeprägt. Und nun erwarten die Griechen von eben diesem Staat, den sie als korrupt kennen und dem sie misstrauen, dass er die Rettung hinbekommt? Dieser Staat, der seit 30 Jahren 1 Euro einnimmt und 1,20 Euro ausgibt und dies geschickt zu verschleiern verstand soll es nun richten? Es ist immer noch unausgesprochen und nicht in den Köpfen angekommen: Jeder Grieche hat mitgemacht! Jeder irgendwie davon profitiert. Jeder hatte das System Flakelaki verinnerlicht und angewendet. Vielleicht widerwillig, vielleicht schimpfend. Aber wenn man einen Vorteil davon hatte, nahm man den mit. Auch das ist ein menschlicher Zug, aber eben ein verhängnisvoller. Es bleibt zu hoffen, dass der Besen des Herrn Tzipras aus einem festeren Material gemacht ist, als der seiner Vorgänger.

Wer Hunger hat, denkt nicht ans kochen, sondern ans essen

Wut und Verzweiflung der Griechen sind menschlich und verständlich. Aber die Wut geht an die falsche Adresse.  Man kann nicht einerseits von Europa im allgemeinen und Deutschland im besonderen Hilfe und Geld erwarten und den Helfen andererseits vorwerfen, sich unberechtigterweise in Griechenlands innere Angelegenheiten einzumischen. Weder Frau Merkel noch Herr Schäuble wetzen die Messer und überlegen sich in ihrem geheimen Bunker, wie sie die Griechen bestrafen oder plattmachen können. Solche Vorwürfe sind einfach albern. Wenn man ehrlich ist muss man beiden zugestehen (und das tue ich nicht gern), dass sie versuchen, im Interesse Deutschland zu handeln, was in diesem Fall bedeutet, finanziellen Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.  Dafür wurden sie gewählt, das steht in ihren Stellenbeschreibungen so drin. Das schaffen sie nicht immer und die jüngste Geldschwemme der EZB zeigt überdeutlich, dass es eben doch nicht immer nach den Deutschen geht in der EU.

Die richtige Adresse der griechischen Wut wäre zunächst mal die eigene, man darf da natürlich graduell differenzieren. Dann muss man an die griechischen politischen und wirtschaftlichen Eliten adressieren. Es muss ja nicht so weit gehen wie in Paris 1789 – aber mit sehr viel weniger sollte man sich nicht zufrieden geben.

Eine weitere Adresse für Kritik sind Brüssel und Straßburg. Die praktische Umsetzung des Euro und der kaum unterdrückte Größenwahn haben dazu geführt, dass die unterschiedlichen Stärken und Schwächen der einzelnen Länder das System fast zerreißen. Und anstatt endlich entsprechende Regularien einzurichten hält man am Status Quo fest als gäbe es die Probleme gar nicht.

PS: Ich hoffe ja, ich bin sachlich geblieben, Herr Augstein. Sachlicher jedenfalls als Sie in Ihrer SPON-Kolumne. Besonders die Bezeichnung „Amerika-Freundin Merkel“, der in dem Zusammenhang leider wie „Griechenland-Feindin Merkel“ klingt, nehme ich Ihnen übel. Vor allem weil sie mich nötigen, ausgerechnet für Frau Merkel Partei zu ergreifen!

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