imageEs gibt Menschen, an deren Äußerungen hat man sich gewöhnt, weil man sie beinahe täglich hört oder liest. Und es gibt Menschen, die wie aus der Zeit gefallen wirken, wenn sie sich nach längerer medialer Abwesenheit wieder ins Bewusstsein der Leser und Zuhörer drängen. So geschehen am 5.10.2016 in einem Interview des Deutschlandfunks mit Friedrich Nowottny, dem früheren Intendanten des WDR, einem Urgestein der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland. Es ging um die Causa Böhmermann und die Gewichtung der Entscheidung der Mainzer Staatsanwaltschaft, das Verfahren wegen Beleidigung gegen Böhmermann einzustellen.

Denn froh ist er nicht über die Einstellung des Verfahrens, der Herr Nowottny. Und er blickt entsetzt nach Dresden, wo am 3. Oktober Volkes freches Gelümmel den erhabenen Staatsakt zur deutschen Einheit mit Buh-Rufen und schlimmeren Äußerungen gestört hatte. Böhmermann macht offensichtlich Schule und wenn in diesem Land schon niedere Volksgewächse aus Dunkeldeutschland die Stimmen gegen die von ihnen selbst gewählten Staatslenker erheben dürfen, ohne dass Staatsanwaltschaften und Richter von der Kette gelassen werden…ja, wo kommen wir denn da hin!

Aber zurück zu Böhmermann, der nun ja wohl seiner „gerechten Strafe“ entgeht. Friedrich Nowottny ist der Meinung, die Meinungsfreiheit befinde sich „…in einem permanenten Prüfungsprozess. Denn jeder versucht, irgendwann mal seine Meinung aus dem Rahmen fallen zu lassen, in dem normalerweise Meinungen gesagt werden können.“

Wer aber nimmt diese Prüfung vor? „Normalerweise wird ja in Redaktionen nicht ein einsamer Kabarettist oder was oder Satiriker frei laufen gelassen. Man hat ja Redakteure und verantwortliche Menschen, die für ihr Gehalt auch Verantwortung tragen müssen, auch für Schmähgedichte, die vor der Sendung darüber schauen und mit dem Autor reden. So kenne ich das jedenfalls aus meiner journalistischen Vergangenheit. Das ist da offenbar nicht so gewesen.“

Ich mag mich irren, Herr Nowottny, aber die Unterstellung, man können einen Satiriker nicht „einfach frei laufen“ lassen und müsse ihm verantwortungsvolle Menschen an die Seite stellen, die vor der Sendung „drüber schauen“, klingt in meinen Ohren nach knallharter Zensur unter dem Deckmantel der Fürsorge. Und so etwas hatten Sie damals beim WDR? Interessant!

Völlig unverständlich für Herrn Nowottny ist aber, dass die Kanzlerin für ihre Entscheidung in der Öffentlichkeit gescholten wurde, das Verfahren überhaupt zuzulassen.

„Die Kanzlerin hat als die Bürgerin Merkel gesprochen. Das tut sie eigentlich ganz, ganz selten.“

Das Problem ist aber, dass sich vielleicht die Bürgerin Merkel beleidigt fühlte, aber es am Ende doch die Kanzlerin Merkel war, die der Klage Gewicht verlieh, nicht die Privatperson. Dieses Detail vergaß Herr Nowottny zu erwähnen, ebenso fehlte die Definition, wo die Kanzlerin aufhört und die Privatperson beginnt. Stattdessen schlägt Nowottny den Bogen nach Dresden, wo er den Demonstranten vorwirft, nicht wenigstens „…einen Hauch von zivilisatorischem Umgang miteinander im Auge zu behalten.“

Doch dann kommt ein sehr heller Moment der Ursachenforschung.

„Woran liegt es, dass es Pegida gibt? Woran liegt es, dass die rechte Flanke der Bundesrepublik frei und offen und für jedermann zugänglich ist und ein Ton einreißt in der politischen Auseinandersetzung, der in den Jahren vor 1933 in der von Hitler so genannten Kampfzeit üblich schien. Woran liegt das? – Darüber sollte man sich Gedanken machen.“

Ob die Politik von Frau Merkel (der Kanzlerin, nicht der Privatperson) damit ursächlich im Zusammenhang stehen könnte? Herr Nowottny gibt gleich die Antworten.

„Das Parlament ist ja im Gegensatz zu den Aufbaujahren der Bundesrepublik richtig zahm geworden. In den Jahren nach 1948 war das Parlament eine Stätte parlamentarische harte Auseinandersetzung, die gelegentlich weit über die Üblichkeit des Umgangs miteinander hinausgegangen sind, und jetzt reißt wiederum ein Ton ein – das verdanken wir den Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus Sachsen und anderen Teilen der Republik und jenen, die Gewalt gegen Flüchtlinge ansetzen. Der Ton ist heute ein ganz anderer, er hat sich völlig verlagert.“

Das klang schon fast nach Dunkeldeutschlandvorwurf, aber nur fast. Kurze Zeit später erklärt Nowottny denn auch richtig, warum der Osten der Republik so viel lauter ist, als der Westen, auch wenn er den Kausalzusammenhang mit unserer aktuellen Bundesregierung nicht sehen mag. Auf die Frage, ob sich dieser harte Ton denn auch mal wieder ändern werde, sagt er:

„Diesen Ton kann man nicht „par ordre du mufti“, den kann man nicht von oben herab als nicht existent befehlen. Das ist eine Sache, die auch damit zusammenhängt, dass die Ratlosigkeit der Menschen nicht aufgefangen wird. Wie sollte sie auch, denn es ist ja nicht ganz einfach, ein Bürger der ehemaligen DDR zu sein, der alles hinter sich hat, was man hinter sich haben kann nach der Wiedervereinigung. Das ist schwierig!“

Lieber Herr Nowottny, dieser Satz hätte nicht Ihr letzter, sondern Ihr erster sein sollen! Und er hätte genügt! Stattdessen träumen Sie von vergangenen Zeiten, als Satire noch nicht „frei laufen“ durfte und es wenn schon keine Zensur, so doch die „Schere im Kopf“ oder „verantwortungsvolle Redakteure“ gab, die heikle Fernsehmomente zu vermeiden halfen. Und richtig, unsere Parlamente waren weniger zahm früher – und weniger gleichgeschaltet, möchte ich hinzufügen. Aber pöbelnde Menschen, die nicht am Dialog mit den Politikern interessiert sind, die sie aus guten Gründen am liebsten sofort absetzen würden, gab es zu allen Zeiten.

Beleidigungen, Eier, Farbbeutel, Torten und Ohrfeigen fanden schon immer ihren Weg in Politikergesichter, so unpassend und ehrabschneidend das auch sein mag. Fragen Sie Kohl, Lafontaine, Wagenknecht oder Kiesinger. Auch die Dünnhäutigkeit der geschmähten Politiker ist kein Phänomen von heute. Die verbalen Ausraster eines Strauß oder Kiesinger waren aber um keinen Deut schlimmer oder besser als die Bitte von Claudia Roth vom 3. Oktober 2016, der Herr möge Hirn vom Himmel werfen und die pöbelnden Demonstranten treffen. Wer als Politiker Bewunderung sucht, hätte besser Popstar werden sollen. Wer Buh-Rufe nicht ertragen kann, muss seine Politik ändern.

Als die Parteiführung der SED in Erich’s Lampenladen auf 40 Jahre DDR anstießen, brüllte draußen das lümmelhafte Volk in großer Zahl und Lautstärke. Für einen Dialog war es da längst zu spät. Selbst die Tatsache, dass es bis zuletzt „verantwortungsvolle Redakteure“ beim DDR-Fernsehen gab, konnte den Untergang nicht verhindern.

Vielleicht wäre es ja für die verantwortlichen Politiker der Bundesrepublik an der Zeit, sich nicht nur zum Feiern in Dresden blicken zu lassen und Herr Nowottny muss leider noch drei Jahre warten, bis er die 90 erreicht hat und seine Äußerungen dadurch wie die von Peter Scholl-Latour durch die Wolkendecke der Kritik stoßen und sakrosankt werden.

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2 Kommentare

  1. Ich ahnte es immer schon: der Mann wäre doch besser Stadionsprecher in der Bielefelder Radrennbahn geblieben ( war er tatsächlich – kein Scherz!), anstatt politischer Journalist zu werden.

  2. Ja der Herr Nowottny, nicht nur als Intendant eine Legende, sondern beim WDR auch berüchtigt für seinen Nepotismus. Schaffte er es doch seiner hochschwangeren Tochter, trotz mangelnder Qualifikation, eine Festanstellung als Redakteurin beim WDR zu vermitteln. Zwei Wochen nach Dienstantritt verabschiedete sie sich dann in den wohlverdienten Mutterschaftsurlaub. Vielleicht hatte Herr Böhmermann ja eine ähnlich qualifizierte Redakteurin an seiner Seite.

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