beton-bentoBlog-Formate haben Hochkonjunktur. Die FAZ hat ihren Don Alphonso, die Welt hat Henryk M. Broder – der Spiegel hat nur Jakob Augstein geerbt. Letzterer genügte selbst dann nicht, als man immer mehr Blogger-Ähnliche Autoren auf SPON unter der Rubrik „Meinung“ zusammenfasste – zumal man sich dort auch den Luxus eines Jan Fleischhauer leistet, dessen Aussagen so gar nicht in die übliche Spiegel-Agenda passen. Spiegel und Spiegel-Online gehen die Leser von der Stange, das ist besonders tragisch, weil es die jungen Leser sind, die keine Erinnerung an die journalistischen Glanzzeiten des Blattes mehr haben und so nicht aus Gewohnheit und Nostalgie Leser bleiben. Der Spiegel musste jünger werden!

Es werde bento

Ausschließlich Web-Format, Mobil-First (das Lesen an Desktop-Computern ist eine Zumutung) und jugendgerechte Themen bzw. das, was die Redaktion dafür hält. Das ist bento. Dazu kommt ein netter Zweitverwertungseffekt, weil man die bento -Artikel gern auch auf SPON wiederfindet. Immer mehr und häufiger bedient sich SPON so im eigenen Haus und spart Zeit und Geld – Qualität leider auch.

Ich bin SPON-Leser der ersten Stunde, als der Online-Auftritt noch wie ein Designunfall aussah, man aber inhaltlich noch meist von Qualitätsjournalismus sprechen konnte. Beides hat sich verändert, das eine zum Besseren, das andere leider nicht. Seit der bento-Werdung der political correctness verlässt der Spiegel jedoch endgültig den Pfad des Journalismus und begibt sich hinab in meine niederen Gefilde: das Meinungsbloggen und Andere-Meinungen-Zerpflücken.

Auf meiner eigenen Bog-Seite steht deutlich lesbar der Warnhinweis „Meinung, und zwar ausschließlich meine eigene!“ geschrieben. Die bento-Autoren hingegen wedeln mit Presseausweisen und verbreiten ihre Meinungen als unumstößliche Wahrheiten, was zu üblen Vorfällen von Antisemitismus, Verdrehung von Aussagen und gefühlter Besserwisserei führt. Erstmals wurde ich auf bento aufmerksam, als dort ein Interview mit Chaya Tal zu lesen war, einer quirligen, polyglotten Jüdin aus St. Petersburg, die heute in einem Wohncontainer auf einem Hügel in Samaria lebt. Das war schon eine sehr verkürzende Beschreibung Chayas. Bento jedoch konnte das noch deutlich kürzer: Ein Friedenshindernis sei Chaya. Punkt. Der dazugehörige Artikel strotze nur so vor Lügen, Antisemitismus, Verdrehungen und „Gib’s endlich zu, Jude“-Formulierungen, dass es in seiner veröffentlichten Fassung mühelos den Julius-Streicher-Gedächtnispreis gewonnen hätte, würde ein solcher vergeben*.

Seither versuche ich, bento-Artikel zu meiden, weil sie mir körperlich Schmerzen bereiten. Aber da ich auch SPON immer weniger besuche, fällt das kaum ins Gewicht. Es trifft einen wie ein Hammerschlag, wenn man dann doch mal wieder einen bento-Artikel liest, der sich mal nicht um Themen wie „Warum wir öfter Sex mit Freunden haben sollten“, „Dinge, die Du wissen musst, wenn…“ oder „Quiz: Wie isländisch bist du?“ drehen. Denn Politik gibt’s auch auf bento. In kleinen Dosen und natürlich mit der „richtigen“ Temperatur und dem „richtigen“ Geschmack.

Rechtsaußen, rechtsdraußen und Klickneid

Juliane Marie Schreiber, bento-Autorin, kommt in ihrem Artikel „Diesen Bullshit von Rechtsaußen können wir so nicht stehen lassen gleich zur Sache. Anabel Schunke hat für ihren Artikel, den bento „rechtsaußen“ verortet, auf „Huffington Post“ und „Tichys Einblick“ über 18.000 Likes erhalten, das kann Frau Schreiber so nicht stehen lassen – oder ertragen. Die eigenen 100 Likes auf die billige Retourkutsche lassen Klickneid vermuten. Aber worüber regt sich Frau Schreiber eigentlich so sehr auf? Anabel Schunke kündigt der Bundesrepublik Deutschland die Gefolgschaft und schreibt über die Gründe – ungeheuerlich!

Die Juliane von bento würde ja darüber hinwegsehen, aber ihr Bipolares Weltbild wurde empfindlich gestört! Anabel Schunke ist nämlich jung und hat Abitur, ist gebildet und Großstädterin! Rechtspopulisten (die erkennt bento selbstredend stets zuverlässig) sind für bento nämlich alt, ungebildet und kommen direkt vom Rübenacker in Hintertupfingen. Und dann sowas: Gebildete junge Menschen, die auch noch Modelformat haben, schwimmen nicht auf dem SPON/bento-Mainstream mit und verweigern sich der political correctness: „Ich muss gar nix!“, titelt die neu ernannte „Rechtspopulistin“ Anabel Schunke.

bento arbeitet sich Punkt für Punkt an den persönlichen Gefühlen von Schunke ab. Nicht ein Aspekt ihres Artikels kann man auch nur als Meinung stehen lassen, alles kommt vor Gericht – und Schreiber ist Zeuge, Staatsanwalt und Richter in einer Person. Anabel Schunke hat das Gefühl, dass in Deutschland etwas grundsätzlich schief läuft? Dann stimmt eben mit ihrem Gefühl etwas nicht! Schunke hat Angst? Irrational! Schunke meint, die millionenfache Aufnahme muslimischer Flüchtlinge gefährde liberale westliche Werte? Alles Lüge!

Der Führer ist tot, es lebe die Meinungsführerschaft

bento verwendet seit seiner Byte-Werdung viel Zeit auf, seinen Lesern zu beweisen, dass bestimmt Meinungen falsch und unvertretbar sind. Gern werden dazu „falsche Meinungen“ mit Labeln versehen, die dem Leser eigenes Denken ersparen sollen, weil „gute Menschen“ nur ungern ihre Hände in die geistigen Abgründe der dreißiger und vierziger Jahre stecken, aus denen diese Label stammen. Letztlich betreibt bento aber nichts anderes als die Unterdrückung und Diffamierung Andersdenkender. Mit Fakten zur Untermauerung der vermeintlich richtigen bento-Meinung kann man zwar auch nicht aufwarten, man fühlt sich aber moralisch so überlegen, dass dies keine Rolle zu spielen scheint.

Man muss nicht mit Anabel Schunkes wütendem Kommentar übereinstimmen, aber es ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, wenn man ihre Meinung einfach als irrelevant und falsch abbürstet und versucht, sie in eine Ecke zu stellen, in die sie sicher nicht gehört. Der Versuch von bento und Schreiber, Meinungen in „Richtig“ und „Falsch“ zu teilen, führt zwangsläufig zur Meinungsmonokultur – und die muss nicht immer gleich so offensichtlich in die Irre laufen, wie in der Zeit des Faschismus. Auch die Nazis gaben sich zunächst das scheinbar harmlose Etikett „Sozialistisch“, bevor sie in Richtung Krieg und Völkermord abbogen. Gefahr droht unserer Demokratie heute leider nicht nur von dumpfen Naziglatzen ohne Hauptschulabschluss, sondern aus mehreren Richtungen, die alle eines gemeinsam haben: Die Gewissheit, stets auf der richtigen Seite der reinen Wahrheit Nektar zu saugen. Ich bin ehrlich froh, nicht über derlei stumpfe Gewissheit zu verfügen, stets im Recht zu sein.

Der nächste Faschismus, der Europa und die Welt ins Chaos stürzen könnte, wird sagen: „Ich bin der Antifaschismus“. Wir sollten bento gut im Auge behalten.

 

* Eigentlich eine gute Idee, diesen Preis auszuloben. Die Oscars haben die goldene Himbeere, der Grimme-Preis braucht auch einen Gegenpart.

 

Nachtrag

„Warum regen Sie sich so über diese Teenie-Zeitung auf, wo große, wichtige Zeitungen auch nicht anders schreiben?“ – ganz einfach: Weil es kaum gut enden wird, wenn wir dem absaufenden Spiegel ausgerechnet bei der „Meinungsbildung“ der Jugend vertrauen. Jahrzehntelang schon ist auch der Beruf des Lehrers nicht gerade ein Traumjob. Schlechte Reputation, schlechte Bezahlung, enge Vorgaben, schlechte Ausstattung der Schulen. Das Ergebnis ist unser verkorkstes Bildungssystem, in dem eben leider nicht unbedingt die Besten arbeiten. Gerade ein Medium, das ein Haus wie der Spiegel gezielt an die Jugend richtet, muss von anderer Qualität sein. Wer sich schon von frühester Jugend daran gewöhnt, dass andere ihm sagen, was er zu „meinen“ hat, ist für die Demokratie nicht mehr zu gebrauchen. Nicht aktiv jedenfalls.

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5 Kommentare

  1. Es gibt doch nichts Grauenhafteres als diese Indoktrinierungsversuche die sich als hipper Jugend-Journalismus tarnen, nicht verkaufen sondern tarnen, eben wie Bento, der Gipfel der ideologischen Einseitigkeit ! Schön der Jugend ins Hirn blasen was man gefälligst zu denken hat, was Gut und Schlecht ist und formen. Wirklich ekelhaft.
    In den Kommentarspalten gab es natürlich zu 90% nur Kritik, aber immer konstruktiv – oft waren Autoren einfach schockierend inkompetent und zu Recherche kaum fähig, oft wurde nur ein passendes Weltbild gestrickt, bar aller Fakten.
    Da die kein Mittel dagegen hatten (zu argumentieren waren die nicht in der Lage, trotz plumpen Versuchen und Ansätzen) mussten die Überforderten die Kommentarfunktion schließen. Wie gesagt es gab dort weder „Hatespeech“ noch richtige Trollereien, von politisch wirklich fragwürdigen Dingen oder Rassismus ganz zu schweigen.. Aber wahrscheinlich wird genau das deren Alibi-Grund sein wenn man nachfragt, da bin ich sicher.

  2. Das ist wirklich traurige Entwicklung die der Spiegel da nimmt. War Jahrzehnte mein absoluter Favorit.

    Noch trauriger ist jedoch, dass die gleiche Entwicklung auch andere Medien durchmachen … zum Beispiel der Deutschlandfunk. Höre ich Gesine Dornblüt, Sabine Adler oder Joachim Kellermann tun deren einseitige Anti-Putin Beiträge derart weh, dass ich meistausschalten muss.

    Beim Spiegel kann man auf Alternativen ausweichen, achgut.com, rolandtichy … , beim Radio geht’s nicht

  3. Ein Ansatz, der vielleicht die massive Aufmerksamkeit erklärt, die offensichtlich so schlicht und polarisiert denkende ‚politisch Korrekte‘ erfahren, könnte sein, dass diese ‚Neuen Linken‘, die zwar gegen alles irgendwie vermeintlich Rechte sind, ansonsten aber den Neoliberalismus mit der Muttermilch aufgesogen haben und völlig unkritisch stehen lassen, besagt: Diese neuen Jungpioniere der oppositionslosen BRD-Blockparteien sind ganz einfach die billigen Wadenbeisser für die teils auch medienbesitzenden Ultrareichen und übernehmen heute genau jene Rolle, die zu Zeiten des Feudalismus einst die Kirche übernahm. Das Volk wird klein und mit Einschüchterung auf Linie gehalten, der Adel tut derweil völlig ungestört, was ihm beliebt. Es ist nur immer wieder erstaunlich, dass solche Menschen nicht bemerken, wie sehr sie ganz einfach zu ihrem eigenen Vorteil handeln, und sich dabei auch noch moralisch integer vorkommen.

  4. Schön das nicht nur mir auffällt wie sich dieses Nachrichtenmagazin sowohl Online als auch in Papier so Stück für Stück in ein Propagandablatt wandelt.Neutrale Berichterstattung,Fakten,verschiedene Ansichten….das wird immer weniger.Da ich so etwas nicht unterstütze habe ich das getan was am meisten weh tut: Mein über ein Jahrzehnt bestehendes Abonnement gekündigt!

  5. Sie haben ja so recht. Ich bekomme regelmässig Wutanfälle über die Beiträge von bento. Die lesen sich meist wie Stücke des alten DDR-Kabaretts. Ich frage mich, ob es keine Erwachsenen bei SPON gibt, die auf das Geschreibe dieser Kinder mal ein Auge haben.

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