Expertise ist etwas, um das in Deutschland gern und hitzig gestritten wird. Schließlich sind wir ein Land von 80 Millionen Bundestrainern. Doch in alltäglichen Dingen hören wir gern auf den Rat von selbsternannten Experten. Die Wetterfee erklärt uns den Wind von morgen, die Wirtschaftsweisen sagen uns, wie gut es uns gehen wird und wenn Bundespräsident und Kanzlerin zu Weihnachten und zum Jahreswechsel zu uns sprechen, wissen wir, worauf wir stolz sein dürfen. Nahostexperten, Nahverkehrsexperten, Technikexperten, Finanzexperten, Energiewendeexperten…egal. Experten werden kommen und Pflaster auflegen, wenn dumme Normalbürger zweifeln oder Nachrichten aus Quellen beziehen, die einfach nicht zur allgemeinen Doktrinen passen wollen. Aber manchmal ist man echt gekniffen, wenn man sich von Experten in ein Thema führen lässt. Man bekommt keinen Überblick, hält die Thematik für irrelevant und wendet sich gelangweilt ab. Jeder Physiker, dem zu einem bahnbrechenden Experiment in der Quantenmechanik ein paar Millionen Euro zum Glück fehlen, wird ein Lied davon singen können. „Sex sells“ und Grundlagenforschung ist für Lieschen Müller so gar nicht sexy! Praktiker in Soziologie oder Religion kennen dieses Problem eher nicht, die Empathie fliegt ihnen förmlich zu. Dafür müssen sie ihr Terrain umso stärker gegen Quereinsteiger verteidigen, die sich weniger um das heiliges Expertentum und dessen Abgrenzungen zum Pöbel sorgen, als vielmehr um die tatsächlichen Gegebenheiten im menschlichen Zusammenleben kümmern und sich fragen: Was hat das alles zu bedeuten?

Tief in ihrer Expertenehre verletzt fühlt sich denn auch Lamya Kaddor, als sie über die ARD-Reportage „Moscheereport“ auf Facebook schreibt: Wieso kann ein bisher geschätzter Journalist nicht 13 Moscheen besuchen und von seinen Eindrücken berichten und die Analyse dieser Ergebnisse Fachleuten überlassen? Soweit mir bekannt, ist Herr Schreiber kein Islamwissenschaftler, kein Sozialforscher und kein Islamischer Religionspädagoge. Mit welcher Expertise bewertet er diese Ergebnisse? Aus seinen Erfahrungen, das reicht zumindest für eine narrative Reportage. Aber es reicht nicht, um zu wissen, wie Moscheedidaktik funktioniert, es reicht nicht, um Islamische Strömungen zu kennen, es reicht nicht, um soziologische Prozesse zu beurteilen. Wieso hat man keinen einzigen muslimischen Theologen, Religionspädagogen, Soziologen befragt, der für eine sachliche Herangehensweise an dieses wichtige Thema steht?

Na was haben wir denn da? Eine selbsternannte Islamwissenschaftlerin moniert, dass ein Journalist ihr den Schneid abkauft?  Oder ist es die Tatsache, dass ein deutscher Journalist, der ausschaut wie Ken aus der Barbie-Werbung und dummerweise perfekt Arabisch spricht, Milljöh-Berichte abliefert, wie man sie in Deutschland eher von Günter Wallraff kennt? Zur Erinnerung: Constantin Schreiber ist in Syrien aufgewachsen, spricht also fließend Arabisch und hat bereits für arabische TV-Sender gearbeitet, bevor er bei der ARD anheuerte. Für seinen „Moscheereport“ und sein aktuelles Buch besuchte er verschiedene Moscheen in Deutschland sprach mit Besuchern und Imamen und stellte fest, dass sein bekanntes Gesicht dafür sorgte, dass der Zuckerguss aus Harmonie und Frieden noch ein wenig dicker wurde, als er angenommen hatte. Bis er in cognito kam oder Mitarbeiter schickte. Dann war die Rede der Imame nicht mehr so harmoniebesoffen, dann war Integration plötzlich Sünde, westlicher Lebensstil abzulehnen und der Islam erschien plötzlich sehr viel weniger um Frieden bemüht.

Was Frau Kaddor jedoch so zornig macht ist die Tatsache, dass sie nicht konsultiert wurde. Niemand wollte wissen, wie sie als Pädagogin und Islamkennerin über das denkt, was Constantin Schreiber in seinen Recherchen herausgefunden hat. Niemand fragte sie, welchen Filter man einsetzen solle, um das gesehene und erlebte richtig und möglichst positiv zu interpretieren. Kaddor spricht Schreiber „Moscheedidaktik“ ab und man möchte aufspringen und fragen, was diese Didaktik taugt, wenn selbst fünf Schüler von Frau Kaddor sich dem IS in Syrien und Irak angeschlossen haben.

Man möchte fragen, was Frau Kaddor all die Jahre getan hat und wie es sein kann, dass in Moscheen in Deutschland heute noch solche Botschaften verbreitet werden und wir von ihr nie dergleichen erfahren haben und wozu es all die Dialogforen und Islamkonferenzen eigentlich gibt. Wo war all die Expertise von Frau Kaddor, ihre Islamwissenschaft, ihr Pädagogischer Weitblick und Sozialforschung, wenn es eines arabisch-sprachigen deutschen Journalisten bedurfte, um ans Licht zu bringen, was bisher als rassistisches Vorurteil galt: die gigantischen Anpassungsprobleme des Islam in Bezug auf eine freiheitliche westliche Demokratie.

Schreiber ist wie das Kind aus Andersens „Des Kaisers neue Kleider“, dass den stolzierenden kaiserlichen Gockel der Nacktheit zeiht, während sich dessen Lakaien bemühen, die Eleganz des Gewands zu preisen, das den Kaiser gar vorzüglich kleide. Allesamt Experten. Experten der Beschwichtigung und der Lüge, des Schmeichelns und der vorteilhaften Prophezeiung, des „Später, später…wird schon, wird schon“ und „Islam heißt Frieden“ – wenn da nicht solche Leute wie Schneider wären, die einfach das machen, was sie als Journalisten eigentlich auch tun sollten: Genau hinschauen, mitschreiben, berichten – auch voller Empathie aber nicht von ihr getrieben.

Ich möchte auch in Zukunft nicht erst einen Koran-Exegeten konsultieren müssen, um mir ein Urteil über eine Sache bilden zu dürfen, die mich direkt und unmittelbar betrifft. Deshalb halte ich mich auch zukünftig im Zweifel eher an die Beobachtungen von Menschen, deren Urteil und Sozialisierung eher der meinen entspricht, als einer selbsternannten Expertin zu vertrauen, deren Absichten mir so suspekt und zutiefst egoistisch erscheinen wie die von Frau Kaddor. Denn wenn der Islam, der in deutschen Moscheen gepredigt wird, von wohlmeidenden Exegeten vom Schlage Kaddors weichgewaschen und übersetzt werden muss, bevor ich von diesen Worten Kenntnis erhalten darf, ist er wohl kaum vereinbar mit der heiligen Schrift, die hierzulande für alle gilt: dem Grundgesetz.

Und als Antwort auf ihre Frage, Frau Kaddor, warum man die Beantwortung der Frage nach der Gefährlichkeit einer Moschee nicht den Experten überlässt, möchte ich ihnen eine einfache Gegenfrage stellen: Welchen Experten denn?

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7 Kommentare

  1. Es ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden, der sich die Mühe macht und den Koran zunächst einmal liest. Sich Literatur dazu beschafft, Konferenzen zum Thema besucht usw. usf. und vor allem mit gläubigen Muslimen das Gespräch sucht. Das, was dabei für Einsichten gewonnen werden, das alles sollte nicht zählen, nur weil Frau Kaddor nicht um grünes Licht gebeten wurde?

    „Ich möchte auch in Zukunft nicht erst einen Koran-Exegeten konsultieren müssen, um mir ein Urteil über eine Sache bilden zu dürfen, die mich direkt und unmittelbar betrifft.“

    In der Vergangenheit waren mir vor allem die kirchlichen Islamexperten aufgefallen, die im Rausch nach Gemeinsamkeiten die Gefahren schlechtweg nicht sehen konnten. Sprach man anders als sie, war man schnell jemand, der die holde Eintracht störte – dieses Erfahrungen sind jetzt bald 10 Jahre alt. Inwzischen weiß ich, wer sich mit seiner Anbiederei geirrt hat und zwar gewaltig.

  2. „Islam heißt Frieden.“ Es ist die Friedhofsruhe, die am Ende der Tage einkehren wird, wenn das Haus des Friedens das Haus des Krieges liquidiert hat. Wir müssen uns dringend unseren romantischen Friedensbegriff abschminken! Gemeint ist eine unbarmherzige Friedensordnung, deren Modell die Pax Romana ist. In der Endzeit sind Diskussionen und Demokratie unnötig, da ohnehin die Wahrheit in der Hand der religiösen Autorität und ihrer Schergen ist. Ein mattes Abbild jener glänzenden Aussichten sehen wir heute schon in Riad und Teheran.

  3. Frau Kaddor erlebte ich auf mehreren Veranstaltungen live. Ihre „Auslegung“ des Islam hält keiner rationalen Überprüfung stand. Kein Wunder dass fünf ihrer Schüler in den Dschihad zogen. Die fingen ganz einfach an selbst zu denken, da sie europäisch-abendländisch zum selbständigen Denken erzogen wurden und die Schwachstellen vom Geschwätz von Frau Kaddor erkannten. Eigentlich müsste sie die Selbsteinsicht haben, dass sie gescheitert ist, aber nichts dergleichen. Wenn in einer Firma auf dem freien Markt soviel Mist rauskommt, dann scheitert die Firma, Frau Kaddor wird aber weiterhin finanziell gepampert.

    Noch etwas zu der Auslegung von Frau Kaddor, wo ich mit ihr verbal zusammenkrachte. Sie redete vom Machotum muslimischer Jugendlicher. Ich erklärte ihr den Unterschied zwischen Macho und Pascha und dass sie den falschen Ausdruck benützen würde und sie von Pascha reden müsse. Ich erklärte ihr, dass ich in meiner Freizeit meist mit Lations/Latinas zusammenkomme und ein Macho jemand sei, der die Frauen anhimmle, verehre und bewundere und sich deshalb wie ein Pfau aufblähe und den starken Mann heraushänge um ihr zu imponieren. Die Latina sei aber viel zu selbstbewusst, dass sie sich von ihm unterdrücken lasse. Im Gegenteil, ein bekanntes lateinamerikanisches Sprichwort sagt, wobei eine Frau auf ihren Hintern deutet „Damit erobere ich die ganze Welt“. Anders sei es bei dem muslimischen Pascha, der Frauen eigentlich verachte, so wie es auch im Koran stehe demnach Frauen eine Stufen niedriger sind, er sich permanent von der Frau bedienen lasse, sie kontrolliere und die Ehre der Familie – sprich Jungfräulichkeit – kontrolliere.

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    @ Ursula Prem

    Volle Zustimmung zum Unterschied zwischen Expertise, Gutachten und Expertenwissen.

    Im Übrigen braucht man keine Soziologen wie Kaddor schreibt, denn die sind in der Regel nicht die Lösung des Problems, sondern ein erheblicher Teil des Problems. Und zu „Islamischer Religionspädagoge“ die braucht man auch nicht, wenn sie die Homepage der FH Ludwigsburg anschauen, was die lernen, ist pure Ideologie, da bin ich fachkundiger. Das tollste war bei einem Vortrag der Kaddor folgendes: Als ich kam, war der ganze Saal voll und mir wurde ein Platz zugewiesen. Daraufhin keifte ein Koptuchdame daneben der Platz wäre besetzt (was im Nachhinein nicht stimmte) und ich eigentlich schon aufgestanden war und weggehen wollte. Allerdings wurde ich in einem sehr energischen Ton von einer Person nebenan angeherrscht, ich solle mich setzen, was ich dann auch zögerlich tat. Nachher stellte sich heraus, dass es eine muslimische Religionslehrerin war, welche nicht neben einem Kuffar sitzen wollte.

  4. Wenn sich die Dinge zuspitzen, heißt: irgendetwas kritisch dargestellt, kommentiert oder berichtet wird, ist die Solidarität der Muslime untereinander immer stärker, als die der…s.o.
    Lange Jahre habe ich daran geglaubt, die Bruchlinien der kommenden, immer stärker werdenden, Konflikte der Kulturen, könnten innerhalb des Islam zumindest diskutiert werden – und das seit den 80ern. Diese Illusion habe ich jetzt nicht mehr. Es wird zu meinen Lebzeiten keine Liberalisierung geben. Die kritischen Geister des Islam werden sterben, widerrufen oder still sein. Wer gehört nicht dazu: Lamya Kaddort.

  5. Wieso hat man keinen einzigen muslimischen Theologen, Religionspädagogen, Soziologen befragt, der für eine sachliche Herangehensweise an dieses wichtige Thema steht?

    Weil se hanebüchen dumm ist den Bock zum Gärtner zu machen!

    Wohlan…

  6. Der politische Islam ist für jeden Laien verständlich, und kann von jedem Laien einfach durchschaut werden. Unter „Islam“ verstehe ich das was in der Trilogie aus Koran, Sira und den Hadithen steht. Unter „politisch“ verstehe ich die Aussage, die nicht das Verhältnis des Gläubigen zu seinem Gott betreffen, sondern uns Nichtgläubigen betreffen. Beim Islam ist hier vor allem die Scharia zu nennen, wie überhaupt die sogenannten „Ungläubigen“ (Kuffar) überhaupt das Hauptthema im Islam sind. Hier sind die Aussagen in den islamischen Schriften eindeutig, sagen wir grob, Kuffar sind lebensunwerte Untermenschen. Ebenso ist das „Vorbild“ Mohammeds eindeutig, wie er mit „Ungläubigen“ umgegangen ist. Aus Sicht eines „Ungläubigen“ kann ich durchaus klarstellen, dass ich das nicht will.

  7. Wenn jemand den Begriff »Expertise« in den Raum wirft und damit seiner Forderung nach der Konsultation von Spezialisten mit akademisch geweihtem Geheimwissen Nachdruck verleiht, dann lockt dies immer ein breites Grinsen bei mir hervor. Schon die Verwendung dieses Begriffs in der Bedeutung von »Expertenwissen« ist ja grundfalsch, bedeutet das Wort »Expertise« in der deutschen Sprache doch schlicht und einfach »Gutachten«. Was Frau Kaddor wohl meinte, ist das »Expertentum« oder eben »Expertenwissen«. Wer in dieser Weise mit der Sprache umgeht, verwechselt vielleicht ja auch Koryphäe mit Konifere oder hat sonstige Probleme mit dem Aufbringen der notwendigen Gedankenschärfe, um Probleme wie die aktuell vorliegenden überhaupt zu durchdringen.

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