Die Debatte um den chinesischen Ballon über den USA ist sowohl unterhaltend als auch vielsagend. Am liebsten würde man den Vorfall noch Donald Trump in die Schuhe schieben, aber das funktioniert irgendwie dann doch nicht mehr.

Am 28. Januar tauchte er über Alaska auf. Da hatte er den Pazifik, die Aleuten und St Lawrence Island schon hinter sich. Weiter ging die Reise quer durch Alaska und Kanada, bevor der Ballon schließlich über Montana auftauchte. Und weil die US-Armee in Montana mehrere Stützpunkte hat, auf denen atomare Langstreckenraketen stationiert sind, fand das nicht mehr jeder lustig. Was ist das für ein Ding, das da gut sichtbar, rund und weiß am Himmel steht? Ein Ballon, das war schnell klar. Aber was für einer?

Die Chinesen meldeten sich und erklärten, es handele sich um einen friedlichen Wetterballon, der wegen technischer Schwierigkeiten nur etwas vom Kurs abgekommen sei, das Pentagon – aufgeschreckt von Reaktionen der Öffentlichkeit – entschied, es könne ja auch der Spionage dienen. Der Ballon flog mittlerweile so tief, dass er Gegenstand in Funksprüchen von Piloten wurde. „Ist das dieser chinesische Spionageballon?“ fragte ein Pilot. Der Fluglotse antwortete: „Kein Kommentar.“

Als Präsident Biden unterrichtet wurde, forderte er den Abschuss. Allerdings überzeugten ihn seine Militärs, noch etwas zu warten. Der Ballon stelle keine akute Gefahr dar, und aus Sicherheitsgründen wolle man ihn besser nicht über Land abschießen. Die Trümmer könnten jemanden verletzen. In Montana! Wo es mehr Hirsche und Bären als Menschen gibt. Stimmt die chinesische Aussage mit dem Defekt, hatte man nun noch über 3.000 km Flug auf ungewisser Route bis zur Abschussstelle an der Küste von North Carolina vor sich. Die Abwägung betraf also weniger die Sicherheit der Bürger als vielmehr den Wunsch, die fast 30 Meter große Gondel unter dem Ballon möglichst unbeschädigt untersuchen zu können. Der Abschuss erfolgte schließlich eine Woche und einen Ozean zu spät über dem Atlantik und in 18 Kilometer Höhe, die Bergung der Trümmer stellte in 14 Metern Wassertiefe kein Problem dar.

… auf ihrem Weg zum Horizont

China ist natürlich empört! Um ein friedliches Luftschiff habe es sich gehandelt, und die USA hätten kein Recht, es einfach mit Gewalt vom Himmel zu holen. Doch die Lufthoheit eines jeden Landes erstreckt sich bis in 60 km Höhe. Erst darüber, und zwar bis 100 km, beginnt eine Grauzone, die international nicht wirklich geregelt ist. Ab 100 km hört jede Luftfahrt auf, wir sprechen von Raumfahrt, und die Hoheitsrechte von Staaten enden. China gab an, den Ballon nicht steuern zu können und hat offenbar im Vorfeld auch nicht um Überflugerlaubnis ersucht. Und da der Ballon unbemannt war, lag es durchaus im Ermessen der USA, ihn abzuschießen. So weit, so klar.

Das wirklich Peinliche ist jedoch, dass der Ballon so lange ungestört über US-Hoheitsgewässer und quer durch Kanada und die USA fliegen konnte. Überhaupt befasste sich die Politik erst mit dem Teil, als sich die Meldungen über Sichtungen samt Fotos des Ballons häuften. Jetzt musste man etwas Aktionistisches tun, wie stünde man sonst da! Besonders in Bezug zur Vorgängerregierung von Donald Trump, der sich auf TruthSocial schon über die Schlafmützen rund um Biden lustig machte. Der „Spy Balloon“ wurde zum politischen Ärgernis, egal ob er einer war, oder nicht.

hielt man für Ufos aus dem All …

Bei uns, so hörte man aus dem Trump-Lager, war die nationale Sicherheit in besseren Händen. Uns wäre so ein riesiges Ding nicht durchgerutscht! Oder doch? Ein „hochrangiger Regierungsbeamter“ erzählte CNN, dass bereits unter Trump drei mutmaßliche chinesische Spionageballons über den USA unterwegs waren. Umgehend meldeten sich mehrere hohe Amtsträger der Trump-Administration zu Wort: John Ratcliffe (ehemaliger Geheimdienstdirektor), Mark Esper (ehemaliger Verteidigungsminister) und Mike Pompeo, der ehemalige Außenminister. Alle drei widersprachen heftig. Esper wörtlich: „Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals jemand in mein Büro gekommen ist oder dass ich irgendwo gelesen hätte, dass die Chinesen einen Überwachungsballon über den Vereinigten Staaten haben“. Außerdem hätte doch sicher die Presse darüber berichtet, oder? Warum wusste bis heute niemand von diesen drei anderen Vorfällen?

Grund: man habe die Ballons erst entdeckt, nachdem die Trump-Regierung nicht mehr im Amt war! Die Frage von John Bolton, Trumps ehemaligem Sicherheitsberater, ob die Biden-Regierung eine Zeitmaschine erfunden habe, blieb unbeantwortet. Die Biden-Regierung sei jedoch bereit, „ehemalige Trump-Beamte über neu entdeckte Informationen zu informieren, dass China während ihrer Amtszeit Spionageballons in den US-Luftraum geschickt hat.“

Fliegerstaffel … hinterher …

War das vielleicht als Kaninchentrick gedacht, um von eigenem Versagen abzulenken und Trump auch für diese Sache noch die Schuld in die Schuhe zu zaubern? Doch wenn es stimmt, dass es solche Vorfälle schon früher gab, würde das Auftauchen dieses Ballons und die Tatsache, dass er so lange ungehindert seines Weges ziehen konnte, alles nur noch schlimmer machen. Man hätte ja noch viel alarmierter sein und das Ding spätestens über Alaska vom Himmel holen müssen, oder?

Oder – und jetzt lassen wir mal die Fantasie sprießen – die genannten drei Ballons flogen, anders als der letzte, nicht bei 18 km, sondern wie beabsichtigt in ca. 40 km Höhe, damit so hoch, dass die Entdeckungsgefahr durch zufällige Beobachtungen äußerst gering war. Möglich, dass das Pentagon die Gefahr durch Spionage nicht als wirklich hoch einschätzte. Möglich auch, dass es sich tatsächlich um Wetterballons handelte und China es einfach nur nicht für nötig hielt, die USA zu informieren. Man ist dort der Meinung, in 40 km Höhe könne man überall tun und lassen, was man wolle. Ich erinnere nur daran, dass Peking die ausgebrannten Stufen seiner „Langer Marsch“ Raketen bis heute unkontrolliert abstürzen lässt und jedes Mal die halbe Welt damit rechnen muss, dass ihr Teile auf den Kopf fallen. Doch weil man in Peking ein „Nein“ ohnehin nie akzeptieren würde, fragte man erst gar nicht um Erlaubnis – egal für was.

Das Erschreckende an diesem Szenario wäre jedoch, dass sich das US-Militär offenbar entschieden hatte, Präsident Trump und sein Team nicht zu unterrichten. Warum? Fürchtete man, Trump würde die Dinger sofort abschießen lassen? Aber das tat Biden letztlich auch. Oder war dies Teil des Plans, den „Orange Man“ wo es nur ging auflaufen zu lassen, alles zu verschleppen, passiv Widerstand zu leisten und die wirklich wichtigen Dinge vom gut geölten „Deep State“ erledigen zu lassen? Wir wissen es natürlich nicht. Ebenso wenig, ob der Ballon am Ende nicht doch der Meteorologie diente, zumal man Spionage heute per Satellit mit deutlich höherer Zuverlässigkeit erledigen kann und dies auch tut.

99 Jahre Krieg?

Aber es gibt auch andere Erklärungen. Was, wenn Peking lediglich testen wollte, wie einsatzbereit die Amerikaner gerade sind? Was, wenn man wissen wollte, wie weit man gerade gehen kann und ob sich vielleicht sogar Rückschlüsse auf das Schutzversprechen ziehen lassen, welches die USA vor langer Zeit Taiwan gaben? Peking lässt jedenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, sich die renitente Insel vor seiner Küste so schnell wie möglich wieder unter den Nagel reißen zu wollen. Biden hielt gerade erst seine jährliche State-Of-The-Union-Rede und kündigte an, Chinas Streben eindämmen zu wollen. Er brüllte geradezu, als es um China ging und trug ziemlich dick auf.

Aber auch die Chinesen können zwischen den Zeilen lesen, und was da steht, ermutigt sie womöglich. Biden sprach wie immer viel von künftigen Erfolgen und erwähnte ausdrücklich und lobend Bau einer ganzen Reihe von Chipfabriken, die Intel bei Columbus (Ohio) errichtet. Man übersieht leicht, dass Intel diese Investition nur deshalb in den USA tätigt, weil Taiwan als wichtigster Standort für alle Markt- und Technologieführer auszufallen droht, sollte China die Insel überfallen oder auch nur eine See- und Luftblockade verhängen. So geschehen für kurze Zeit im letzten Jahr, als Nancy Pelosi Taiwan einen Besuch abstattete und die chinesische Staatsführung einen Tobsuchtsanfall bekam. Bei dieser Gelegenheit flogen noch ganz andere Sachen durch den Luftraum der Insel als Ballons. Bei dem, was Xi Jinping für seinen Luftraum hält, versteht er nämlich keinen Spaß, und es darf bezweifelt werden, dass ein amerikanischer Ballon – ganz gleich von welcher Art seine Nutzlast ist – auch nur in die Nähe der chinesischen Küste gekommen wäre.

Übrigens: Auf die Frage eines Reporters, warum China den Ballon überhaupt erst startete und in die USA fliegen ließ, antwortete Biden schlicht: „Weil sie die Chinesen sind.“ Trump hätte die Presse für solche Äußerungen noch Rassismus attestiert. Bei Biden geht das aber in Ordnung. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass es wirklich nicht nur ein Wetterballon war, denn das wäre blamabel. Aber da wird sich schon was finden. Wie sagte doch Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan zur nachträglichen Entdeckung der Ballone während der Trump-Ära so schön: „Unsere Fähigkeit, Dinge zu erkennen, die die Trump-Administration nicht erkennen konnte, haben sich verbessert.“

Zuerst erschienen auf achgut.com

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