Foto: H. Kaiser, www.ruhrnachrichten.de

Was im Karneval passiert, bleibt im Karneval – so sagt man. Für Silvester in Köln gilt solches seit zwei Jahren auf keinen Fall. An Silvester wird in Köln seit zwei Jahren traditionell die Baseline für „Deutschlands Lied des Jahres“ gespielt. Die „Nacht von Köln“ war es, die den Grundton der Debatte im Jahr 2016 vorgab und immer, wenn jemand die Lage als besonders rosig und die Massenintegration für „über den Berg“ erklärte, erklang das „Remember, remember, the last of December“ und die Engelschöre verstummten. Nur langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass da einige Dinge wirklich ziemlich schief gelaufen waren mit der Völkerwanderung und dass es eben nicht die Schwarzseherin Kassandra von Troja war, die man für die verkorkste Situation verantwortlich machen konnte, auch wenn viele sie in Gestalt der AfD bei jeder Gelegenheit am liebsten an den Haaren durch die Stadt gezogen hätte. 2016 sollte alles anders werden. Man muss aber kein Prophet sein um zu erkennen, dass es diesmal ein Wort sein wird, das uns als Base-Line das ganze Jahr 2017 hindurch begleiten wird.

Um das unliebsame Totalversagen der Willkommenskultur in Köln 2015 ein für alle Mal als Einzelfall abkanzeln zu können, traf man Vorbereitungen für die Wiederholung ein Jahr später. Fürsorglich gestaltete man ein staatliches Kulturprogramm, das alle genießen durften, die nach der unerlässlichen Eingangskontrolle die Lust am Feiern noch nicht verloren hatten, bespaßte sie mit Lichtprojektionen cooler Worte auf der Domplatte, wie man sie ja sonst auch von jeder stinknormalen Silvesterfeier kennt. Na gut, mit etwas mehr Niveau natürlich! Die Besucher sollten schon merken, dass es hier nicht darum ging, sich sinnlos die Lampe zu begießen, sondern dass es galt, der Welt ein Zeichen der friedefreudeeierkuchigen Normalität aus Deutschland zu senden – wenn die ganze Welt zuschaut, geben wir uns immer Mühe. Was für eine Gelegenheit, mitfühlende und bedeutungsschwere Worte aus Licht zu zaubern. Ja, die Deutschen haben Stil, selbst wenn sich ihre Landsleute in einem Freilichtkäfig zum Affen machen. Aber, komm, geschenkt! Der Staat kümmert sich um uns – und da es heutzutage unzumutbar geworden ist, eine große Veranstaltung einfach so privaten Veranstaltern zu überlassen, helfen Papa Staat und Mama Merkel gern aus. Und schränken ein. Versteht man ja! Kein Feuerwerk, keine Flaschen, die als Wurfgeschosse benutzt werden könnten. Das war zwar früher nie ein großes Thema, aber wer erinnert sich schon noch, wie es früher einmal war… wir blicken nach vorn!

Die Polizei war vorbereitet und zahlreich aufgestellt. Reserven gab es, die im Notfall schnell an die Front den Ort des Geschehens geführt werden konnten, die Bundespolizei hielt die Bahn im Auge, man war tief gestaffelt und tiefenentspannt. Und das wollen wir doch mal festhalten: unsere Polizistinnen und Polizisten haben’s wirklich drauf! Chapeau, ganz ehrlich! Dabei gab es im Vorfeld nicht wenige Stimmen, die nach dem Motto „der Blitz schlägt nirgends zweimal ein“ davon ausgingen, dass sich die Gefahrenlage in diesem Jahr an ganz anderer und unerwarteter Stelle manifestieren könne – und die Polizei hatte dieses mulmige Gefühl sicher auch, als sie starke Kräfte in den Großstädten zusammenzog. Doch dann, out oft the blue, ballte sich wider Erwarten doch eine Gewitterwolke genau an dem Ort zusammen, wo der Blitz vor genau einem Jahr schon einmal zuschlug. Man könnte denken – wenn das nicht als rassistisch abzulehnen wäre – dass unsere Gäste nicht den Hauch einer Ahnung davon haben, was ihren Gastgebern seit einem Jahr so alles im Kopf herumgeht, oder dass es ihnen ziemlich egal ist, was ihre Gastgeber so denken. Ich weiss nicht, was schlimmer wäre, denn beides bedeutet gleichzeitig, dass wir keine Ahnung haben, was so alles in den Köpfen unserer Gäste vorgeht – oder das wir dies lieber nicht so genau wissen wollen. Auch hier weiss ich nicht, was mich mehr erschrecken würde.

Da die Kölner Polizei offensichtlich entweder nicht über „embedded Journalists“ verfügt, oder der Objektivität der schreibenden Zunft seit dem letzten Jahr nicht so recht traut, macht sie die Öffentlichkeitsarbeit gleich vor Ort selbst. Was Trump kann, kann ein deutscher Polizeibeamter schon lange, dachte man, und zwitscherte los.

Vorhang auf, der Nafri!

Aber wie man’s macht, isses falsch! Es sei ja ganz nett, dass die Polizei in Armeestärke über Veranstaltungen wache, aber sie soll doch bitte nicht solche abkürzenden und ehrabschneidenden Begriffe für (nur) potenzielle Tätergruppen verwenden! Und wenn sie dies doch tut, dann doch bitte nicht auch noch über Twitter verbreiten! Wir wollen davon nichts wissen, unser pazifistisches Selbstbild könnte Schaden nehmen. Oder etwas kürzer: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Niemand stellte die Frage, warum es für die Gruppe „Nordafrikanischer Intensivtäter“ überhaupt eine Abkürzung gibt. Warum entsteht eine sprachliche Abkürzung überhaupt? Ganz einfach, aus Bequemlichkeit und Häufigkeit der Verwendung und neuerdings auch aus der Notwendigkeit heraus, jeden noch so sperrigen Begriff auch noch ausgerechnet in der 140-Zeichen-Maschine Twitter unterbringen zu müssen. Es scheint aber zumindest nicht abwegig, dass die Polizei auf Großveranstaltungen wie in Köln eben von genau der Gruppe der Nafris die Tendenz zu gewissen strafbaren Handlungen erwartet. Wer bin ich, dass ich der Polizei erklären wollte, wie sie ihre Arbeit zu verstehen und effektiv durchzuführen hat? Und wer oder was sind bitte die Kritiker, die dies nun versuchten?

Das „böse Wort“ ist in der Welt. In einer Welt, in der es außer Nafris auch Ostfriesen, Ossis, Azubis, Schulschwänzer, MuFs und andere Gruppen gibt. Das Wort ist nicht schön, weil das, was es umschreibt, nicht angenehm ist. Der Tweet der Polizei war sicher unglücklich. Er war nötig, weil die Tatsache der „Ansammlung“ der „Nafris“ ohnehin entdeckt und angeprangert worden wäre. #Vertuschung und #Verharmlosung wären anderenfalls die Twitter-Trendbegriffe am Neujahrstag gewesen. Ohne dies zu beabsichtigen, hat die Kölner Polizei dem Land einen großen Dienst erwiesen. Sie hat versehentlich ausgesprochen, dass hinter dem, was uns gern als „die wahren Fakten“ präsentiert wird, gewisse kriminelle Tendenzen gewisser Kreise längst einen großen Teil der täglichen Arbeit der Polizei bestimmen. Sei es durch entmutigende Ermittlungen, weil die Täter schneller wieder auf freiem Fuß sind, als man „Integrationsunwillig“ sagen kann. Sei es dadurch, dass dort, wo früher ein Streifenwagen genügte, heute ein Mannschaftswagen vorfahren muss, damit die Beamten das tun können, wozu sie eigentlich verpflichtet sind: dem Gewaltmonopol des Staates und dessen Schutzauftrag den Bürgern gegenüber Geltung zu verschaffen. Auch präventiv, wie Köln 2016 gezeigt hat – übrigens etwas, an das wir uns werden gewöhnen müssen. Ein Blick in die USA kann uns eine ungefähre Vorstellung davon geben, was uns erwarten könnte.

Die Diskussion über internen und externen Gebrauch des Wortes „Nafri“ ist aber meiner Meinung nach so sinnvoll, wie wenn man darüber diskutieren würde, ob ein Furz nur dann Furz heißen darf, wenn ihn jemand riecht.

Die Willkommenskultur befand sich im September 2015 auf einer Erdnahen Umlaufbahn, der Sonne der Verzückung ganz nah – aber ebenso sicher in Vorbereitung auf den freien Fall:

Wolke 7: September-Dezember 2015, Probleme leugnen, Fachkräfte willkommen heißen, Rentenkassenmilchmädchenrechungen anstellen, Geschenke auspacken
Wolke 5: 2.1.2016 – 19.12.2016, Probleme vereinzeln, Differenzieren, Schuld auf die AfD abwälzen
Wolke 3: 20.12.2016 – 31.12.2016, von der Realität kalt erwischt werden, im geheimen Maßnahmen ergreifen, von denen besser niemand erfahren sollte
Wolke 1: ab 1.1.2017, sich lautstark über die geheimen Maßnahmen erregen, sauberen Sprachgebrauch anregen, vielleicht später ein genderkorrektes Ersatzwort finden (NafriX, der Nafri und die Natritete), das Wort positiv besetzen (sind wir nicht alle ein bisschen Nafri), diskutieren, wie mit schwullesbischqueeren Nafris umzugehen ist. Wie lange können wir uns auf Wolke 1 halten?

Wäre es nicht besser, Zeit zu sparen und gleich zur Erde zurück zu finden?

Boden der Erkenntnis: Hamlet, erster Akt, vierte Szene „Etwas ist faul im Staate [Deutschland]“

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