Unter den Reaktionen auf meine garstige kleine Satire zum Gesinnungszwang beim Kaffeekauf war auch ein Lebenszeichen der Moralkeulenschwinger selbst. Genauer gesagt deren Reaktion auf die Anfrage eines Lesers, was man bei SUEDHANG mit dieser offensichtlichen Gesinnungshuberei bezwecke. Auch soll man ja, wie der römische Rechtsgrundsatz im Titel nahelegt, auch die andere Seite hören. Ich werde den Mailverlauf hier nicht komplett im Wortlaut wiedergeben, der Inhalt lässt jedoch interessante Schlüsse zur Motivation bei SUEDHANG zu und führt uns stracks zum Kernproblem unserer gesellschaftlichen Spaltung. Aber der Reihe nach.

Die Frage nach dem Sinn, den Kauf von Kaffee mit einer Gesinnungsprüfung zu verbinden, beantwortet SUEDHANG mit dem empfundenen Drang, ein schnelles „Zeichen zu setzten“. Angesichts dessen, was gerade passiert sei. Motto: es ist besser, schnell irgendwas zu tun, als gar nichts zu tun. Als Letztbegründung verlinkte SUEDHANG den Correctiv-Artikel, als sei damit bereits alles bewiesen, erklärt und gerechtfertigt. „Passiert“ war aber in der Retrospektive lediglich ein privates Treffen, welches Correctiv belauschte, um es dann durch allerlei Insinuationen und Andeutungen inhaltlich wie örtlich in den Vorhof der Hölle zu framen. Interessanterweise sind sämtliche rechtlichen Konsequenzen aus diesem Treffen in Form von Unterlassungserklärungen oder Klagen gegen die „Journalisten“ von Correctiv gerichtet, nicht jedoch gegen die belauschten Teilnehmer. Rein formal protestieren die Baristas bei SUEDHANG also gegen jene, deren Grundrechte durch die Aktion von Correctiv verletzt wurden und sie glauben den Darstellungen derer, die diese Rechte verletzten. Und zwar mit Anschuldigungen und Gleichsetzungen, die für meine Begriffe an Verleumdung grenzen.

Gerüchte, Hörensagen, von Schauspielern dramatisierte und vorsichtshalber mit reichlich Disclaimern versehene Wortprotokolle ersetzten zum Zweck der allgemeinen Empörung also den Beweis, den unverfälschten Audiomitschnitt, das Gerichtsurteil. Übrigens nur in solchen Fällen. Als die Hamas am 7. Oktober voller Stolz ihren losgelassenen Hass an 1.200 israelischen Bürgern ausließ, war das „Zeichen setzte“ hierzulande deutlich verhaltener. Fast sofort drehte man das „Nie wieder ist jetzt“ gegen den vermeintlichen inneren Feind, den Nazi, der es irgendwie geschafft habe, seinen Modus Operandi von 1945 bis ins Jahr 2024 zu tragen. „Hass ist keine Meinung“ richtet sich in Deutschland immer auf die zu verhindernde Wiederholung der Vergangenheit, um bloß nicht in die Gegenwart gucken zu müssen. Aber vielleicht tue ich SUEDHANG hier auch unrecht und habe übersehen, dass der Kaffeekauf dort auch mal an eine klare Abgrenzung zu den terroristischen Zielen des Islamismus der Hamas und ihrer Vorfeld-NGOs in Deutschland gekoppelt war. Das zumindest wäre ein Zeichen mit „skin in the game“, wie Salman Rushdie wohl sagen würde, und nicht so billig zu haben wie das Zeichen setzen „gegen rechts“.

Dass man sich mit letzterem auf Nummer sicher wähnte, zeigt die Spontanität, mit der man allerorts Haltung annahm. Und wie falsch kann man schon liegen, wenn Medien, Kunst, Regierung und Wirtschaft wie gleichgeschaltet (um nicht zu sagen gebündelt wie die Ruten römischer Liktoren) in dieselbe Richtung marschieren? Wer stellt sich schon der Macht des Schwarms in den Weg. Selbst wenn man schlussendlich daneben liegt oder einem Popanz hinterhergerannt ist, erteilt der Sog der Massen die perfekte Absolution von Schuld. Das kennen wir übrigens aus dem Zusammenhang des deutschen Faschismus sehr gut. Das eigene Mitläufertum relativierend hieß es dann gern sinngemäß „Klar, das war alles falsch. Aber es haben ja alle mitgemacht. Also konnte man ja nichts machen“. Doch ist es stets das kleine Fischlein, das den Schwarm ausmacht.

Für SUEDHANG war das gesetzte „Zeichen“ leider nicht gründlich überlegt und gar nicht so billig wie erwartet, denn sonst stünde es ja noch auf der Webseite. Wenn man sich durch Ausgrenzung so exponiert, geht man ja davon aus, einem gesellschaftlichen Minimalkonsens zu folgen, der unwidersprochen überall heftiges Nicken und gereckte Daumen auslöst. Gegen Nazis? Na klar sind wir gegen Nazis! Wer denn nicht? In keiner Sekunde ging SUEDHANG jedoch davon aus, dass diese Nazis auch nur in die Nähe dieses Ladens kommen würde. Nazis und Kaffee? Der bis ins Absurde gesteigerte Vorwurf gegen die neue „Wannseekonferenz“ ist ja, man wolle „alle Ausländer“ aus dem Land schaffen und durch Grenzkontrollen auch noch den internationalen Handel beenden. Offenbar ist kein Vorwurf zu absurd, um nicht als „Argument der Stunde“ gegen die Schwarmopposition herhalten zu müssen.

Es gab offenbar ordentlich Gegenwind und der Tübinger Kaffeeladen sah Handlungs- und Erklärungsbedarf. Man selbst wolle das „Spiel der Ausgrenzung nicht spielen“ und änderte den Ursprungstext:

„Hiermit erkläre ich, dass ich mich von rechtem Gedankengut distanziere. Insbesondere hege ich keinerlei Sympathien für die AfD und ihr nahestehende Gruppierungen.“

nach eigener Darstellung wie folgt ab:

„Hiermit bestätige ich, dass ich mich zu den Werten der Verfassung und des Grundgesetzes bekenne. Das rechtsradikale Konzept der Remigration lehne ich ab.“

Diese Version war offenbar nur sehr kurz online. Ich habe sie nie gesehen und verlasse mich hier auf die Darstellung von SUEDHANG in der E-Mail. Ob das denn nun weniger kontrovers sei, wollte man wissen. Offen gesagt, nein. Das ist fast noch schlimmer und war wohl auch deshalb nur sehr kurzlebig. SUEDHANG irrt sich nämlich wie so viele Aktivisten dieser Tage gewissermaßen in den Sphären der Rechtssysteme. Das Grundgesetz enthält neben einigen weiter hinten stehenden Regeln zur politischen Ausgestaltung unserer Demokratie vor allem die ausformulierten Abwehrrechte jedes Bürgers gegen den Staat, nicht umgekehrt. Ganz dünnes Eis auch deshalb, weil es rechtlich keine Möglichkeit gibt, die Wirkung des Grundgesetzes auf den Verbreitungsraum des Internets auszuweiten. Warum sollte sich ein Hotelier in Oslo, der bei SUEDHANG seinen Kaffee kauft, zum deutschen Grundgesetz bekennen?

Keineswegs ist das Grundgesetz als Kodex zu betrachten, auf den Kunden eines Kaffeeladens verpflichtet werden können. Es sind nicht die Bürger, sondern die deutschen Politiker, insbesondere die Amtsträger der Regierung, die Eide auf das Grundgesetz leisten müssen. Das Grundgesetz diktiert ihnen in die Arbeitsplatzbeschreibung, wovon sie gefälligst die Finger zu lassen haben. Die Gegenstände, um die sich die private Veranstaltung in Potsdam wohl maßgeblich drehte, sind aber ausgerechnet die Folge verletzter Amtseide unserer Politiker.

Fast schon lustig ist in der Formulierung von SUEDHANG natürlich die Wendung „der Verfassung und des Grundgesetzes“, was natürlich gleich jene auf den Plan ruft, die bemängeln, dass wir immer noch keine Verfassung hätten, obwohl das Grundgesetz uns doch empfiehlt, es durch eine solche zu ersetzen. Ich halte die Begriffe „Verfassung“ und „Grundgesetz“ für wesensgleich, der Rest sind semantische Spitzfindigkeiten. Außerdem möge man bitte ins Kalkül ziehen, welche Kräfte heute an einer neuen Verfassung mitschreiben (oder kleben) würden und ob uns das Ergebnis wirklich besser dienen würde als unser gutes altes Grundgesetz.

Doch ich schweife ab. Zurück nach Tübingen, zum Anhören der anderen Seite und der Frage, welche Art von politischem Bekenntnis man als Inhaber eines Kaffeeladens von seinen Kunden fordern kann. Die verblüffende Antwort lautet: keines. Was nicht bedeutet, dass sie es nicht versuchen dürfen. Aber dann steht man eben mit seinen Vorwürfen, Unterstellungen und auf kriminellen Aktivitäten unbekannter dritter basierenden „Erkenntnissen zu rechtsradikalen Konzepten“ ebenso in der Produkthaftung wie für den Kaffee, den man verkauft. Vertrauen ist nun aber ein Gut, dessen Verschwendung man – Grenzen offen oder geschlossen – nicht mit Importen ausgleichen kann.

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14 Kommentare

  1. Ich hör auch gerne die andere Seite und die wähnen sich in einem Momentum, das sie nicht haben. Die Insolvenzen und der Frust haben Momentum. Besonders gestört war Jana Hensels ZEIT-Artikel, in dem sie sich als Massenmensch entblödete. Es gibt genau einen legitimen Ort für diese Art von Herden-Dopaminrausch und das ist der Zuschauerblock beim Sport.
    https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-01/proteste-afd-demokratische-mitte

    Zweitens stellen die Linken fest, dass Konservative bei den medialen Gruselaktionen immer aus Angst irgendetwas Dummes einräumen. Wer nicht bereit ist zu sagen, dass auch Millionen wieder gehen können, lädt dazu ein, ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Man muss nicht „vertreiben“, damit Leute zu ihren Familien zurückgehen, wo sie ja auch Urlaub machen. Es gibt Möglichkeiten, den Rechtsschutz für Nicht-Staatsbürger punktuell zurückzustutzen, Arbeitgeber und Vermieter von Ausreisepflichtigen zu bestrafen und Sozialleistungen zu streichen. Zudem können noch Umzugshilfen geschaffen werden. Ich glaub nicht, dass man in Afrika irgendwelche Ländereien aufkaufen muss, aber grundsätzlich gibt es wohl viele total gewaltlose Vorschläge, die diskutiert werden müssen. Wer beim Wort „millionenfach“ zuckt, hat schon verloren. Sie kommen ja auch millionenfach. Und Frau Faeser muss wissen, dass sie uns auch nicht mit einem Pässeregen vor vollendete Tatsachen stellen kann. Das hat nichts mit Blut und Boden zu tun, sondern damit, dass sich Linke aufführen wie Sau.

    Für mich wären bei den Aussagen von Correct!v auch Verleumdungen dabei, aber Marco Gallina von Tichys Einblick hat noch ein Fettnäpfchen entdeckt, das er einfach nicht umstolpern konnte. Abschieben kann man freilich nur Leute, die nicht Staatsbürger sind. Schon deswegen ist der Begriff der Deportation von den Medien zynisch verwendet worden, denn Deportationen finden aus der Heimat in die Fremde statt – und nicht andersherum.
    https://www.tichyseinblick.de/feuilleton/medien/ard-kontraste-desinformation-correctiv/

    Das Wort „Deportation“ ist seit Jahrzehnten in dieser Sprache reserviert für den Transport von Menschen, die ermordet werden sollten. Weder die Richtung noch die Staatsbürgerschaft spielen eine Rolle. Das Wort wird nicht zynisch verwendet, sondern falsch. Sie lücken nicht. Sie pinocchiopressen nicht. Sie lügen. Sie „insinuieren“ keine Absicht zur ethnischen Säuberung. Sie sagen klipp und klar, dass diese Absicht in Potsdam besprochen wurde. Deportationen! Deeee-por-ta-tionen!

    Tja, dann kann man halt keine Anzeige erstatten. Wenn einem eh nur unterstellt wurde, irgendwas mit falscher Richtung machen zu wollen statt einen Massenmord zu beabsichtigen, dann kann das wegen Geringfügigkeit auch gleich eingestellt werden. Toll, Marco! Offenbar bin ich der Einzige, der findet, dass sich die Linken mit ihrem Jeder-ist-ein-Nazi-Zirkus nicht nur ein bisschen daneben benehmen. Ich muss die „liberale“ Islamversteherin Lamya Kaddor mal fragen. Vielleicht hieß „Hände abhacken“ die ganze Zeit schon „lieb zureden“ und „Faschismus“ lediglich „will Steuern senken“. Da dachte ich, dass im Zuge eines frenetischen Massenwahns der Rechtsstaat immer mehr kippt, der Arbeitsmarkt stagniert (jeder hat was gesagt, was ihm böse ausgelegt werden kann) und die Gewaltbereitschaft zunimmt, aber in Wahrheit war ich wohl doch nur zu blöd, einfache Worte richtig zu verstehen.

    Drittens kommt man im Sturm linken Wahnsinns gar nicht dazu, die andere Seite sachlich zu kritisieren oder den wahren Kern der Schmähungen zu klären. Martin Sellner war ein Neonazi und wurde für eine Hakenkreuzschmiererei verurteilt. Das ist Jahrzehnte her. Zweifelsohne hat er Kontakte gehalten, hat sich aber ausgibig inhaltlich distanziert. Ich halte ihn für total ungefährlich und seine Frau für integer. Sie hat absolut keine rassistische Vergangenheit.

    Keine totalitäre Bewegung kann sich heimlich formen. Zu den Opa-Entlastungsmythen gehört die vollkommen ahistorische Vorstellung, dass die Nazis subtil waren. Das waren sie NICHT! Der Aufbau des linksgrünen Autoritarismus läuft ja auch nicht gerade auf leisen Pfoten. Das läuft nie so.

    Heute ist Sellner, der fließend englisch und französisch spricht, mit einer Amerikanerin verheiratet. Wenn ich mich nicht irre, hassen echte Neonazis Amerikaner und sind keine Frankophilen.

    Mario Müller, ein Besucher des Treffens in Potsdam und Freund von Sellner, wurde noch 2017 wegen Körperverletzung gegen einen Polizisten verurteilt.
    https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/17/geheimtreffen-in-potsdam-afd-mitarbeiter-bruestet-sich-mit-gewalt/
    Das ist nicht seine erste Verurteilung wegen Körperverletzung. Dem muss man vielleicht schon mal auf den Zahn fühlen. Die „Identitären“ hatten diese albernen akrobatischen Aktionen. Ich kann mir vorstellen, dass in diesem Rahmen bei Überraschungen allerhand außer Kontrolle geriet. 2017 verbreitete Müller meines Wissens keine Naziideologie mehr in der Öffentlichkeit (und mutmaßlich auch nicht mehr privat). Gefährliche Körperverletzung – nicht zu verwechseln mit schwerer – ist alles, bei dem Gegenstände als potentielle Waffen irgendwie im Spiel sind. Müller trug Schutzhelm, Stock und Pfefferspray. Genaueres erfährt man wohl nur, wenn man den angegriffenen Polizisten und/oder Müller befragt.

    Darüber hinaus hatte er wohl mal die Adresse eines Kronzeugen im Umkreis der Antifa-Gewalttäterin Lina E. an irgendwelche Leute weitergegeben, die den dann zusammenschlugen, damit er aussagt. Er streitet ab, das beabsichtigt zu haben, und die Ermittlungsbehörden scheinen ihn auch nicht zu verdächtigen.

    Ali Utlu berichtete von rassistischen Anfeindungen, als er sich um eine AfD-Mitgliedschaft bemühte.
    https://www.derwesten.de/politik/afd-ali-utlu-beitritt-partei-a-id300735191.html

    Der WDR hat neulich eine Doku mit einigen sehenswerten Interviews zusammengestellt, in der ein Deutsch-Iraner die gleiche Erfahrung schildert, als er zwei schwarze Damen anmelden wollte.
    https://www.ardmediathek.de/video/dokumentation-und-reportage/wir-waren-in-der-afd-aussteiger-berichten/das-erste/Y3JpZDovL21kci5kZS9zZW5kdW5nLzI4MTA2MC8yMDI0MDExODIyNTAvcmVwb3J0YWdlLWRva3UtaW0tZXJzdGVuLTM1Ng
    Denkbar in dem Zusammenhang ist durchaus auch der V-Mann-Effekt. Wie das NPD-Verbotsverfahren zeigte sind diese Akteure nicht sonderlich koordiniert und haben eine geldwerte Anreizstruktur ihr Milieu zu stabilisieren, zu erweitern und schriller werden zu lassen. Freundschaften versanden, Ehen zerbrechen, aber die Leute, die mit Zackenschere und Glitzerstift ihre Reichsausweise basteln, werden mehr. Auffallend ist, dass offenbar gerade Neuzugänge harsch angefeindet werden. Der Deutsch-Iraner selbst wurde nicht antagonisiert. Erst als er weitere Leute ins Boot holen wollte, wurde er zum Ziel.

    In der gleichen Doku erklärt Franziska Schreiber auch, dass Lucke und Petry Busse organisierten, um sich wechselseitig auf dem Parteitag zu überrumpeln. Die Debattenkultur in der AfD ist also so unproduktiv wie in den anderen Parteien und man muss sich über die Inhalte nicht wundern. Ich glaub, dass Höcke auch eher so eine Strippenziehertyp ist und nicht braun. Daran stören sich die Leute. Inhaltlich hat er aus meiner Sicht auch einen Knacks, aber einen anderen. Der schwarze Kern der AfD und dem Reichsbürgerzirkus ist vermutlich, dass der erste Weltkrieg nicht aufgearbeitet wurde. In den Schulen wird typischerweise nicht gut erklärt, dass Österreich-Ungarn, unterstützt vom Kaiserreich, den vermutlich in kleinem Kreis geplanten Anschlag auf Franz Ferdinand absichtsvoll hocheskaliert hat und die Mittelmächte es lange Zeit in der Hand gehabt hatten, die Bremse zu ziehen. Stattdessen wird wohl eher zur „Entschuldigung“ der Nachkriegsordnung zwischen guten und bösen Bündnissen unterschieden und einen Personenkult um Bismarck betrieben, was alle Schüler verwirrt zurücklässt. Und das ist der Ruß um Höcke. All das, was Linke einem stattdessen auf den Tisch legen, entpuppt sich bislang als harmlos.

    • „Der schwarze Kern der AfD und dem Reichsbürgerzirkus ist vermutlich, dass der erste Weltkrieg nicht aufgearbeitet wurde“ (Ben). Was die Reichsbürger betrifft, mag das so sein. Aber wen interessieren die schon außer ein paar politischen Romantikern (das Wort „Durchgeknallte“ verkneife ich mir) und Frau Faeser, die einen Sündenbock braucht, der die Fähigkeit eines Bocks (zuzustoßen) schon aus Altersgründen verloren hat. Auch dieser Sellner interessiert mich nicht. Reichsbürger und Identiäre haben schlicht keine Relevanz im aktuellen politischen Konzert. Sie dienen den Linken – insbesondere dem sog. Verfassungsschutz und dem Innenministerium – nur als nützliche Idioten, um die AfD, die wirklich politischen Einfluß hat, mit ihnen zu konnotieren. Und da sind wir bei Höcke, der ja nun echt die Chance hat, reale Macht zu gewinnen. Herauszukriegen, wie dieser Mann wirklich tickt, ist nicht einfach. Das Internet ist voll von Zitaten, die von linksradikalen Wort-Guerillas („Zentrum für politische Schönheit“ usw.) erfunden sind, die nirgendwo außer in derem darknet zu finden sind. Aber auch jenes, was Höcke nachweislich gesagt hat, haut mich nicht vom Hocker. Es ist die Sprache, die Art, wie er sich ausdrückt, die mich immer wieder an (echte) Extremisten erinnert: Mitunter an rechte („völkisch“, „Schande“….), mitunder an linke (seine sozialpopulistischen Äußerungen, sein einfältiges Wirtschaftsverständnis) und häufig an beide. Wenn ich es richtig sehe ist er strammer Antiamerikaner und Feind „der Wallstreet“; und da nehmen sich (echte) Rechtsextreme und Kommunisten ja bekanntlich nicht viel. Auch wenn ich beim Googeln keine explizit judenfeindliche Äußerung von Höcke gefunden habe: Ich habe noch keinen kennengelernt, der gegen „die internationale Finanzoligarchie“ wettert und Freund der Juden ist. Oder des Staates Israel. Und ich glaube, daß es eher das ist, was Höcke speziell und die AfD in ihrer Gesamtheit, angreifbar macht. Und nicht ihr Verhältnis zu Bismarck oder zum 1. Weltkrieg. Das Problem der AfD ist, daß das, was sie im Osten stark macht – ihr latenter, teils offener Antiamerikanismus, ihre Rußlandorientierung, ihr antiwestlicher Komplex – im Westen schwach, für viele der bürgerlichen Mitte unwählbar, macht. Weil sie im Osten anschlußfähig an die künftige LINKE (Wagenknecht) ist (von der viele ihrer Wähler im Osten auch übergewechselt sind) ist sie nur begrenzt kompatibel mit jenem Teil der AfD, der sich (vorwiegend im Westen) eher als die neue, die wahre CDU sieht. Ich bin gespannt, wie Maaßen sich positionieren wird. Wenn er der Versuchung widersteht, sich bei den eher antiwestlichen Kreisen der AfD anzubiedern (um sein Wählerpotential aufzupäppeln), wenn er sich nicht vom Verfassungsschutz mit dem Ziel, ihn als politische Konkurrenz auszuschalten, unterwandern läßt oder gar schlicht von der Regierung (derzeit im Panikmodus) ins Gefängnis gesteckt wird, könnte es etwas werden mit einer neuen bürgerlichen Partei.

      • Höcke hat auch keine Machtoption, also, wenn wir nicht das Amt des Ministerpräsidenten eines Bundeslandes zum Pharaonen aufpeppen. Der würde schon keine Wahl gegen Weidel oder Wagenknecht gewinnen. Sein Gequassel ist auch so eine unglaubliche Dünnbrettborerei hinter dämlichem Jargon. Ich kann dem nicht lange zuhören. Das wäre auch Zeitverschwendung.

        Ich denke, dass sein Schtick aus seiner Sicht darin besteht, die linke Empöreritis abstumpfen zu wollen, indem er Worte benutzt, die historische Laien mit der Nazizeit in Verbindung bringen, obwohl sie vorher und hinterher schon benutzt wurden. Aus meiner Sicht ist er damit total gescheitert. Kubitschek geht mir auch auf den Zeiger mit seiner Neuauflage des Wortes „rechts“. Das ist halt verbrannt. Ich will nicht über die „demokratische Rechte“ reden. Man kann sich Adenauerist oder was auch immer nennen. Don’t die on the wrong hill! Dämlich! Und Sellner versucht „patriotisch“ aufzupeppen. Als gäb es keine echten Anliegen. Ich halte die alle für kindisch und ohne signifikante Machtoption.

        Ich meine schon, dass der Höcke sich vom ersten Weltkrieg zurück in die Kaiserzeit die Geschichte versucht hat zu erschließen. Es ist nicht so wichtig. Es gibt da auf jeden Fall so eine Verstocktheit gegenüber dem Westen, der mit dieser willkürlichen Entente-Mittelmächte-Erklärung zu tun haben scheint. Die dockt natürlich an an den SED-NATO-plus-Amerikahass.

        Ich kann mich noch vage an eine Kontroverse erinnern, um deren Verlauf ich nicht mehr weiß. Aber im Zuge dessen schrieb Alexander Wendt Artikel, die erklärten, dass das Kaiserreich natürlich nicht einfach nur eine Diktatur war und sich der Simplizissimus einiges herausnehmen durfte. Das ist natürlich richtig. Aber da gab es entsprechend ein hin- und her zwischen Linken und irgendwelcher anderer Gruppen, um das Thema.

        Das führt jetzt etwas zu weit, aber dabei ging vielleicht schon unter, dass Ende des 19. Jahrhunderts Nietzsche, Oscar Wilde und Dostojewski einen pechschwarzen, nihilistischen Strang in der Oberschicht ihrer Länder entdeckten und davor warnten. Da war einerseits diese enorme kulturelle wissenschaftliche Blüte und absehbar aber auch ein kompletter Verlust des moralischen Kompasses. Wenn dann das Verständnis von „richtig“ und „falsch“ nur noch auf „richtige und falsche Freunde und Verbündete“ eingedampft wird, rutscht man in die Hölle auf Erden. Und das ist auch der Grund, weshalb diese Leute Putins Ukrainekrieg so schmallippig mit Paragrafenreiterei verurteilen (wenn überhaupt). Andere Wertmaßstäbe haben sie nicht.

  2. Wer bitteschön ist „correctiv“?…. Egal, das eigentliche Problem ist ja der deutsche Journalismus an sich,
    hier wird nicht mehr recherschiert, sondern nur noch gegooglet. Es ist somit der Fachkräftemangel in den
    Redaktionen der uns zu schaffen macht. Ich finde diesen Gesinnungsjournalismus einfach zum Ko….

  3. Hab die sinnvolle Regel in der Grundschule in den Fifties gelernt:
    Wenn man auch „welches“ oder „jenes“ sagen kann, immer DAS mit einem s.

  4. Es ist immer ein grosses Vergnügen – wenn dies Wort auch nicht so recht zum hier behandelten Thema passen will -, Sie zu lesen, und ich weiss, hochgeschätzter Herr Letsch, dass das Folgende eine Petitesse ist, aber „es ist das kleine Fischlein, das“ (und nicht dass). Ein so bis ins Detail exzellenter Artikel/Beitrag hat das Recht auf einwandfreie Grammatik ! Nichts für ungut !

    • Sie haben völlig recht! Ich ich muss eingestehen, dass dies mein orthografischer Kryptonid ist. Wobei ich darauf bestehe, dieses Problem nie gehabt zu haben, als dass noch daß geschrieben wurde. Ich ändere das natürlich gern ab.

      • Kryptonit, das

        😀

        Ich bin aber auch mit den Comics um Clark Kent und Co. aufgewachsen, alles gut.

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