Ich bin so froh und erleichtert, dass sie offenbar doch „eine von uns“ ist, die Greta. Mit „eine von uns“ meine ich natürlich nicht Aktivisten und Klimaretter oder deren verleumdetes Gegenteil, ich meine die große, ja überwiegende Mehrheit der Menschheit, für die das tägliche Leben einen permanenten Kompromiss darstellt. Ein Kompromiss zwischen dem Willen zur Revolution und dem inneren Schweinehund, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Zweifel und Gewissheit, zwischen Monats- und Geldende. Denn wer kennt das nicht: man möchte die paar Meter zu Fuß gehen und nur weil es regnet, nimmt man das Auto. Oder dieses letzte Stück Schokolade, die aufgeschobene Hausarbeit, die unnötige Flugreise, die zwei Grad zu warme Heizung, der zweite Löffel Zucker im Kaffee…sie wissen, was ich meine und können die Aufzählung durch persönliche Mikro-Korruptionen jederzeit ergänzen.

Man wollte ja stark bleiben, aber man konnte einfach nicht anders, als schwach zu werden – und hat gute Gründe dafür. Wir alle wissen doch, dass eine „dringende Notwendigkeit“ dem edlen Ziel manchmal im Weg stehen kann, was natürlich weder das edle Ziel, noch die edle Absicht beschmutzt. Hauptsache ist doch, das die anderen durchhalten, jeder andere brav seine Steuern zahlt und sonst keiner CO2 emittiert. How dare you, das anzuzweifeln!

Auch bei Greta Thunberg hat das eiserne Prinzip, CO2-frei unterwegs sein zu wollen, gerade einen Kampf verloren – und zwar den gegen die eigene Eitelkeit, auf der COP-Konferenz in Madrid eben dieses eiserne Prinzip mit scharfen Worten einzufordern. Sie ist eben „eine von uns“, die von der Schokolade nicht lassen kann, auch wenn sie vorgibt, diese nur widerwillig herunter zu würgen. Ihr verzweifelter Versuch, noch schnell über den Atlantik zurück nach Europa zu kommen, ließ sie Kompromisse machen. Wurde der Dieselgenerator der „Malizia“ für die Hinreise noch medienwirksam versiegelt, auf das kein CO2-Molekül daraus entwische, ist das auf der „La Vagabonde“, die Greta jetzt über den Atlantik schippert, nicht möglich.

Die beiden Dieselmotoren, die der Katamaran an Bord hat, werden gebraucht, und sei es nur, um die Batterien hin und wieder aufzuladen, denn Jahreszeit und Nordatlantik sorgen für geringe Ernte aus den Solarmodulen. Auch der Propan-Herd läuft mit Kohlenwasserstoffen und pustet CO2 aus und es gibt statt eines Eimers elektrische Toiletten an Bord. Man merkt, dass das Boot nicht für Greta, sondern für solvente Segler gebaut wurde, welche On-Shore-Annehmlichkeiten gern mit auf weite Fahrt nehmen möchten.

Ein Blick hinter die Kulissen eines solchen Segelabenteuers könnte Greta aber wichtige Rückschlüsse auf das Leben aller Menschen liefern, für die Selbiges nicht eine von staatlichen Organen bereitete anstrengungslose Ebene ist. Denn Segler sind die wahrhaftigsten und gleichzeitig unpolitischsten Umweltschützer, die man sich denken kann. Besonders dann, wenn sie Langstrecke fahren und noch dazu auf ihren Booten leben wie die beiden australischen Segler Elayna und Riley mit ihrem Katamaran La Vagabonde. Ich sagte Segler, nicht Superjacht-Besitzer mit Crew und Heli an Bord.

Die Prepper auf La Vagabond

Segler sind Prepper, was natürlich schon verdächtig ist. Aber wer eine dreiwöchige Atlantik-Überquerung macht, muss auf Lieferando verzichten. Da hilft nur Planung und Vorbereitung. Nachlieferungen aller Art sind technisch ausgeschlossen. Auch der ehrliche und pragmatische Umgang von Seglern mit „erneuerbaren Energien“ aus Sonne und Wind ist geradezu vorbildlich: man hat so viel Solarpaneele wie nur möglich an Bord, und die La Vagabonde auch einen kleinen, einst von der Werft spendierten Watt&Sea-Generator, aber eben auch den nötigen teuren Batteriespeicher.

Zudem kann man bei Flaute oder für Hafenmanöver die beiden Verbrennungsmotoren anwerfen, weshalb man nicht ohne volle Dieseltanks ins Ungewisse fährt. Man geht eben immer auf „Nummer sicher“ und während es der durchschnittlichen Landratte recht schwer fallen wird, den exakten Energiebedarf seines Haushalts zu einem bestimmten Zeitpunkt zu nennen, gibt ihnen ein Langfahrsegler auch noch Auskunft darüber, wie hoch der Strombedarf einer Pumpe beim Einschalten ist und wie hoch im normalen Betrieb.

Ein Segelboot, gerade wenn es ein modernes ist, gleicht einer „Off-Grid-Insel“, deren Bewohner Verbraucher, Kraftwerksbetreiber und Netzanbieter in Personalunion sind. Dass selbst High-Tech-Kats wie La Vagabond nicht ohne Dieselmotor auskommen, wenn sie in annehmbarer und berechenbarer Zeit von A nach B wollen, sollte Fossile-Fuel-Abstinenzlern wie Greta eigentlich zu denken geben. Aber hier könnte ja auch die deutsche Energiewende noch etwas über den Kontakt zur harten Realität lernen, was sie nicht tut.

Leben auf See – ein Experiment

Alles rostet, besonders das, was nach Herstellerangaben nicht rosten kann. Seetage lassen sich oft nur mit Wartungsroutinen vergleichen, Segel reißen, Leinen verschleißen, die Fische beißen meist nicht. Ölwechsel, Impellergehexel und „das war gestern noch dicht“ – der Wartungsaufwand in Salzwasser schwimmender Lebensräume ist wohl um den Faktor zehn höher und energieintensiver als an Land. Die Entscheidung, sich an Bord eines Segelbootes ausgerechnet aus dem Grund zu begeben, möglichst „naturbelassen“ und CO2-vegan von A nach B zu kommen, ist deshalb das Unsinnigste, was man sich nur vorstellen kann. Seglerleben ist Frontierland, Wagenburg gegen die Elemente, gegen Rott und Schmelz, ist Materialerprobung und Chemielabor, nicht erst, wenn man den Hafen verlässt.

Der Segler nimmt jede Waffe der Zivilisation gegen die Unbill der Natur mit auf die Reise, derer er habhaft werden kann und wird mit atemberaubenden Sonnenauf- und -untergängen entlohnt, wenn ihn die Begeisterung nicht verlässt – und wen könnte die verlassen, wenn man einmal vom Segeln infiziert wurde. Denn bleibt man mit dem Schiff im Hafen, rufen die Seepocken „abandoned ship“ und siedeln illegal, ja, geradezu militant am Unterwasserschiff. Dagegen hilft: Chemie.

Chemie, gegen die Glyphosat sich wie Hustensaft ausnimmt und Weltrettern wie Greta sicher Tränen in die Augen treiben würden, dächten sie je darüber nach. Also Leinen los, denn morgen könnte sich das Wetterfenster schließen! Mit anderen Worten: menschliche Technologie steht gegen die Unbarmherzigkeit der Natur und der Segler lächelt im Bestreben, das Ganze nach einem Lebensstil voller Leichtigkeit und Schönheit aussehen zu lassen – heute oft auf YouTube. Häufig ist das Leben auf See dann auch wunderschön. Die Regel ist aber Arbeit, Arbeit, Verzweiflung, Frustration und noch mehr Arbeit.

La Vagabonde – im Luxus reist es sich leichter

Zugegeben, auf einem relativ neuen Schiff wie der 45 Fuß Outremer „La Vagabonde“, auf dem Greta nun über den Nordatlantik schüsselt, um bei einer Politiker-Konferenz dabei zu sein, ist noch nicht so arg in Bedrängnis, dass man von einem tagtäglichen Überlebenskampf sprechen könnte. Die beiden Australier sind Teil einer Langzeit-Outremer-Imagekampagne und dürften, wenn man den Gerüchten glauben darf, ihr Millionen-Dollar-Boot sehr günstig erhalten haben. Die französische Werft versprach sich vom Deal mit den beiden populären YouTubern vor zwei Jahren sicher nicht zu Unrecht einen Imagegewinn. Ich werfe das auch niemandem vor, selbst wenn es in der Seglerszene einiges Naserümpfen gab. La Vagabonde betreibt jedoch unumstritten den weltweit erfolgreichsten Segler-Influencer-Kanal auf YouTube, Instagram und der Crowdfunding-Plattform „Patreon“. Ob Greta das weiß?

Aber Naserümpfen muss man sich eben leisten können und genau hier setzt Gretas Kompromiss an. Rileys gut bezahlte Tätigkeit auf australischen Ölbohrplattformen setzte das Projekt „La Vagabonde“ vor einigen Jahren erst in Gang, das energieintensive Streaming eines Hochglanz-YouTube-Lebens mit möglichst vielen Bildern der attraktiven Elayna machte das Projekt La Vagabond bekannt, die Spenden gut verdienender Paten mit entsprechendem CO2-Footprint rund um den Erdball hielten das Projekt am Leben und die beiden Dieselmotoren in den Hecks des Katamarans auch in Flauten am Laufen. Das Leben an Bord dieses Cruising-Cats unterscheidet sich in Sachen CO2-Footprint kein Bisschen von dem, welches Langstrecken-Luisa und Kerosin-Kathi führen – und Greta ist nun Teil dieses schönen, freien aber in Bezug zu ihrem kompromisslosen Postulat geradezu heuchlerischen Lebens. Sie ist nun eine von uns.

Sie hat ihre Glaubwürdigkeit gegenüber ihren Freitagsjüngern aufs Spiel gesetzt, um großkopferten Politikern, NGO-Bossen und Weltregierungsherbeiträumern in Madrid entgegen brüllen zu können, sie würden ihr die Kindheit stehlen. Ich hingegen würde jederzeit mit ihr tauschen, Nordatlantikwetter hin oder her. Auch die Kinder, die im Kongo die Mineralien aus dem Boden holen, die wir hier in Europa für die energetische Weltrettung brauchen, hätten wohl gegen zwei Transatlantikreisen mit Vollpension innerhalb eines halben Jahres nichts einzuwenden. Es gibt weiß Gott schlimmere Schicksale als das Gretas.

Gretas COP-Taxi befindet sich derzeit in den unruhigen Wettern des Nordatlantik, mit denen im Herbst nicht zu spaßen ist. Ich wünsche ihr und der Crew alles Gute für die Überfahrt, ganz ehrlich. Und allen Kritikern und Puristen, die nun die Messer wetzen und Greta wegen der kompromittierenden Umgebung auf einem Luxus-Cruiser mit Komfort und Dieselmotoren angreifen sei gesagt: willkommen im Club, liebe Greta, willkommen im Club der Realisten und vom realen Leben Kompromittierten. Im Club der Vielflieger, Dieselfahrer, Propanverbrenner und CO2-Erzeuger. Gewiss, man wollte das „Gute“. Aber es ging halt nicht anders.

Das Leben hatte andere Pläne, ich verstehe das gut, Greta. Aber unter diesem Aspekt werden wir auch Deine künftigen Reden betrachten. Ich vermute und hoffe, Deine Wortwahl wird künftig vorsichtiger sein, jetzt, da Du das Leben und die Kompromisse kennst, die es fordert.

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11 Kommentare

  1. Ca 30 Herbst/Winter Nordatlantikreisen habe ich hinter mir. Da gab es auch mal eine mit ruhigerem Wetter. Ansonsten wohnte Rasmus immer an Deck. Allerdings hatte die Schiffe, die ich als Reiseleiter fuhr, so um die 200m Länge zwischen den Loten. Das werden lustige 3 Wochen. Wohlan…

  2. Ich kommentiere auch keine Gretel-Artikel außer: „Issinichsüüüüß!?“.
    Ein lecker Mädche mit Idealen, völlig normal, das irgendwann von der Realität auf den Boden zurückgeholt wird. Sie kann sich ihr Leben ja nach ihren Idealen ausrichten, so gut es eben geht. Tu ich auch.

    Die Abgeschmacktheit bei dieser ganzen Gretelei sind die ENN-SCHI-OHS, der Presse-Heip, die Halbwahrheiten, die Heuchler, die Machtstrategen und nicht zuletzt deren Vormund. How dare you!!!!

  3. Linksgrüne Ideologie trifft mal wieder die Wirklichkeit. Leider ist die Hoffnung, die heilige Jungfrau werde sich in ihren Auftritten nun mäßigen, wohl unrealistisch: Fanatikern und vor allem deren Strippenziehern sind Glauben und Ideologie ungleich wichtiger als Realität. Greta ist nicht einfach nur eine engagierte Klima-Aktivistin, sondern auch und vor allem ein Produkt des politischen Marketings. Die Leute hinter dem Hype verfolgen für sich kapitalistische Ziele (= finanzielle Gewinne), aber für alle anderen streben sie den Ökosozialismus an. Leider mit teilweise schon beachtlichen „Erfolgen“, s. https://justpaste.it/5g2b6 und die weiter führenden Verweise.

  4. Ganz ohne Greta-Häme: Diese Seefahrerei könnte bei ihr tatsächlich für eine Art Erdung sorgen – durch eine Konfrontation mit ganz fundamentalen Aspekten der Realität. Als 16-(oder 17?)-jährige hat sie natürlich das Recht auf die Irrungen und Wirrungen eines jugendlichen Heißsporns, der sich quasi durch das Prinzip „Trial and error“ erst langsam einer realistische(re)n Weltsicht annähert.

    Und tun wir doch bitte alle mal nicht so, als wären wir in dem Alter nicht auch (auf die eine oder andere Weise) so gewesen! Uns hat halt nur niemand auf internationale Konferenzen eingeladen.

    Was mich mal interessieren würde @Roger Letsch: Haben Sie selbst praktische Erfahrungen mit dem Segeln? Der Text lässt das ein bisschen durchscheinen. Vielleicht sind Sie aber auch einfach nur ein guter Schriftsteller, der sich in jede beliebige Wirklichkeit hineindenken kann 🙂

  5. Nicht dass ich einem behinderten Menschen etwas böses wünsche. Aber so ein Notfall würde den Traum der lieben Natur schnell platzen lassen. Die existentielle Frage, ob man sich von einem Diesel Stinker retten läßt oder lieber Klima freundlich ersäuft, würde die Realität schnell zurückbringen.

  6. Alles klug reflektiert, aber warum solche Schreibung (Ottokravieh)?
    „…, diese nur widerwillig herunter zu würgen, …“
    „… noch medienwirksam versiegelt, auf d a s kein CO2-Molekül daraus entw i s c h e, …
    … kein B isschen von dem, welches …

  7. Luxusjugend, Luxusprobleme. Gepäppelt und gepampert von Geburt an. Aufgewachsen mit der in Stein gemeißelten Sicherheit, lediglich Rechte, nur keine PFLICHTEN innezuhaben. „Gut sein“ als Prophezeiung, immerwährend. Gleichheit, Gerechtigkeit. Und natürlich „Antikapitalismus“. Denn der Kapitalismus ist böse. Er emittiert CO-2, das It-Gift für Öko-It-Görls. Wobei es gewissermaßen gar keinen Kapitalismus mehr gibt, dessen ausgesaugte Reste treibt gerade der ökosozialsozialistische Wind durch die leeren, dunklen Gassen des ehemaligen „Westens“. Die neue Frohe Botschaft: „Wir müssen. Wir brauchen. How dare you“. Hochzeiten für 99,9 % Baerbeck-Habock. Schwarzgrüne Erlösungsphantasien. What ever it takes. Kurz und knapp: Entweder setzt sich die Marktwirtschaft deutscher Prägung, die wir einst als erfolgreich kannten, durch oder es gewinnt die Allianz aus angloamerikanischem Turboglobalismus und sozialistischen, stalinistischen, kulturmarxistischen Weltenrettern. Noch ist es Tag, da rühre sich der Mann,
    Die Nacht tritt ein, wo niemand wirken kann. J.W. Goethe. Als wir noch Dichter und Denker waren.

    • > Kurz und knapp: Entweder setzt sich die Marktwirtschaft deutscher Prägung, die wir einst als erfolgreich kannten, durch oder es gewinnt die Allianz aus angloamerikanischem Turboglobalismus und sozialistischen, stalinistischen, kulturmarxistischen Weltenrettern.

      Die Marktwirtschaft deutscher Prägung war schon immer ein gemischtes System aus sozialistischen und kapitalistischen Elementen, bei denen die sozialistischen Elemente ganz klar das Sagen haben. Schon im Grundgesetz steht „Eigentum verpflichtet“. Sogenannter „Turboglobalismus“ ergibt sich aus Einschränkungen des Kapitalismus, und ist keine Folge dessen.

      Würde man im Westen sämtliche Regulierungen, die Produktionsprozesse verteuern, oder den Markteintritt erschweren, abschaffen, könnte der Westen mit China konkurrieren, und Industrien hätten keinen Anreiz mehr, nach China abzuwandern. Dies lässt sich jedoch nicht mit dem „sozial(istisch)en“ Grundgedanken in Einklang bringen, und ist in einer liberalen Demokratie auch nicht möglich, da sich Mehrheiten mittels Umverteilung und Gesetzgebung kaufen lassen.

      Wie weit wir in diesem Bezug fortgeschritten sind, zeigt, dass ein offen kommunistisches Land konkurrenzfähiger ist, als die angeblich kapitalistischen Länder im Westen.

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