Es gibt politische Symbolik, die nicht viel kostet, aber beim Wähler gut ankommt. Oft handelt es sich nur um Gesten, für die einfach die Zeit gekommen ist und die einen Schlussstrich unter oft Jahrhunderte alte Grabenkämpfe ziehen oder eine längst überfällige Anerkennung nachholen. Die katholische Kirche ging diesen Schritt beispielsweise 1992 mit der Rehabilitierung von Galileo Galilei, ganze 350 Jahre nach dessen Tod. Man nutze das Jubiläum also gewissermaßen für eine zerknirschte Entschuldigung für Unrecht und Verfolgung. Und Jubiläen bieten sich für sowas natürlich an. So war es denn auch der 100. Jahrestag von „19A“, dem 19. Verfassungszusatz der Verfassung der Vereinigten Staaten, in welchem das allgemeine Frauenwahlrecht in den USA eingeführt wurde, der Anlass zu einem ähnlichen Schritt gab.

Susan B. Anthony

Es war nämlich Susan B. Anthony, eine 1820 in Massachusetts geborene und aus einer Quäker-Familie stammende Frau, die 1872 verhaftet wurde, weil sie in ihrer Heimatstadt Rochester NY gewählt hatte. Es kam zu einem Gerichtsverfahren, in welchem sie zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, die zu zahlen sie sich weigerte. Anthony gehört zusammen mit Elizabeth Cady Stanton und Lucretia Mott zu den frühesten und wichtigsten Frauenrechtlerinnen in den USA und es besteht kein Zweifel, dass ihre Arbeit für die Verabschiedung von „19A“ im Jahr 1920 maßgeblich war – der Verfassungszusatz trägt sogar ihren Namen. Anthony starb 1906, durfte den Erfolg ihres Kampfes also nicht mehr erleben. Doch das ist nur die Vorgeschichte einer Posse, die im Jahr 2020 und damit am 100. Geburtstag des Frauenwahlrechts in den USA spielt.

Donald J. Trump

In dem sicheren Gespür, durch alles was er unternimmt oder unterlässt, berührt oder ignoriert, Herzklabaster bei seinen Gegnern auszulösen, entschloss sich Trump nämlich, Susan B. Anthony anlässlich des „19A“ Jubiläums zu begnadigen. Trumps Frage „Warum hat so lange gedauert?“ kann und will ihm niemand beantworten. Ehemalige Mitarbeiter von Bush und Obama stellten lediglich fest, dass in deren Amtszeiten niemand auch nur auf die Idee gekommen war. Mit den Worten „Ich war so überrascht, dass es noch nie zuvor gemacht wurde“ kündigte Trump schließlich den Schritt an, am 18.8. unterzeichnete er das Dokument und es kam, was kommen musste: eine Welle der Empörung.

Man kann sich nun streiten, ob die Empörung sich tatsächlich am Gradenakt als solchem oder doch nur an der Person des Präsidenten entzündete. Ich nehme aber mal frech an, dass eine Präsidentin Clinton für solch eine Idee in Hymnen besungen worden wäre. Man hätte davon gesprochen, wie sich „ein Kreis schließt“ und in einer hollywoodreifen Animation hätte Anthonys blasser Geist aus dem Grab den Staffelstab der Gerechtigkeit an Clinton weitergereicht. Hosiannah! Kam aber anders, wie wir wissen.

Doch nicht nur bei CNN, sondern überall im vermeintlich „woken“ Lager kann man nicht verwinden, dass es ausgerechnet und von allen Teufeln nun Trump war, der die Idee hatte. Und keiner hat’s geahnt! Dabei hatte der Präsident Susan B. Anthony bereits auf seiner Liste der zu ehrenden Personen für den neuen „Garten der Helden“, als er im Juli eine Rede vor der Kulisse des Mount Rushmore hielt. Doch nicht nur die deutsche Presse war wohl zu sehr damit beschäftigt, „Berichten“ nachzugehen, in denen die „Träume“ Trumps Gegenstand ernsthafter Erörterungen waren. Warum aber kam zum Beispiel Nancy Pelosi nicht auf die Idee, Susan B. Anthonys Begnadigung anlässlich 100 Jahren Frauenwahlrecht in den Staaten von Trump zu fordern? Na gut, die Frage beantwortet sich von selbst: seit dreieinhalb Jahren ist Wahlkampf und niemand will, dass Trump etwas tun, was zurecht und gut begründet von ihm gefordert wird – er könnte ja gut dastehen.

Keine Gnade für Gnade!

Trumps Überrumpelung war so vollständig, dass seinen Kritikern nichts Besseres einfiel, als zu behaupten, Anthony hätte die Begnadigung „absolut nicht gewollt“, Anthony wollte verurteilt werden! Das stimmt für 1872. Doch zuallererst wollte sie, dass Frauen wählen dürfen. Die Verurteilung war Mittel zum Zweck der Öffentlichkeitswirksamkeit. Ein friedliches Mittel noch dazu, etwas, dass angesichts von mehr als 80 Nächten „friedlicher Proteste“ mit Waffengewalt in Portland heute scheinbar völlig unbekannt ist. Gegen Trumps Symbolpolitik sein, aber nachts mit „I can’t breathe“ T-Shirt zum Plündern bei Gucci und Nike in die City gehen.

Wenn aber das Wahlrecht erlangt wurde, wozu dann noch an Anthonys Verurteilung festhalten? Gibt es etwa Bestrebungen, Frauen das Wahlrecht zu entziehen, wenn diese das Kreuz an der „falschen“ Stelle machen? Jetzt bloß nicht auf dumme Gedanken kommen, liebe Demokraten!

Zwar räumen auch die Kritiker der Begnadigung kleinlaut ein, dass Anthony sich im Prozess „schuldig“ bekannte und somit eine Begnadigung schon irgendwie die einzige Art formaljuristischer Anerkennung damaliger Ungerechtigkeit sei. Außerdem nahm sie ja tatsächlich ein natürliches Recht in Anspruch, welches ihr die Verfassung damals noch vorenthielt. Doch wenn sie sich auch zu Lebzeiten über die Begnadigung gefreut hätte, orakeln die Trump-Hasser, wäre sie nun doch tot und möge in Frieden gelassen werden. Zumindest von Trump!

Gerechtigkeit über veraltetes Recht

Sind sie nicht rührend, diese Anti-Trump-Absolutisten? Da brüllen sie bei jeder Gelegenheit nach „Gerechtigkeit“, halten sich für bevollmächtigte Anwälte aller nur denkbaren Marginalisierten und Unterdrückten und wenn für eines ihrer Vorbilder dank später exekutiver Einsicht die Gerechtigkeit über veraltetes Recht siegt – und sei es auch nur symbolisch – sind sie nicht in der Lage, das als positives Momentum zu akzeptieren und zu nutzen, weil ihnen die Hand nicht passt, welche die Gnade gewähren darf.

Stattdessen nur Gejammer und Mutmaßungen. Anthony habe die Verurteilung wie eine Auszeichnung getragen und diese würde Trump ihr durch die Begnadigung nun wegnehmen! Das ist in etwa so absurd, als wehre sich die katholische Kirche gegen eine Heiligsprechung eines Märtyrers mit der Begründung, das entwerte dessen Opfer, statt es anzuerkennen. Denn genau das ist am 18.8.2020 im Blauen Raum des Weißen Hauses geschehen: Anerkennung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

So stinksauer gewisse politische Kreise in den Staaten mal wieder auf Trump waren, so unmöglich war es auch gewissen politischen Blättern in Deutschland, diesen Schachzug des Gottseibeiuns einfach nur als das zu nehmen, was er war: eine freundliche Geste, die Trump nichts kostete, ihm aber vielleicht Stimmen bringt. Vom aufgeregten weil überrumpelten Geschnatter seiner Gegner ganz zu schweigen. Überraschend zurückhaltend war noch der Spiegel, der sich jeder abschätzigen Wertung enthielt und nur die nüchternen Informationen lieferte. Um 0:14 Uhr, damit bloß niemand auf die Idee kam, es könne sich um eine wichtige Nachricht handeln, die nennenswert oft gelesen werden soll. Die Süddeutsche konnte sich jedoch nicht verkneifen, ihre Buchstabensuppe der Anerkennung kräftig zu versalzen:

„Aber Trump und die sture Bürgerrechtlerin Susan B. Anthony passen nicht zusammen, laute, starke Frauen sind ja nicht so sein Fall. Eigentlich ist es fast eine Beleidigung – denn Susan B. Anthony trug ihre Verurteilung wie eine Medaille. Bei ihrer Verhaftung bestand sie auf Handschellen, dann ging sie bis zum Prozess als Rednerin auf Tournee, und vor Gericht hielt sie eine lange Rede, bei der es dem Richter nicht gelang, sie zu unterbrechen. Und über das alles schrieb sie natürlich ein Buch – denn sie war unendlich stolz auf das, was sie getan hatte.
Verurteilt wurde sie übrigens zu einer Geldstrafe, die sie nie bezahlt hat. Der 19. Zusatz zur Verfassung wird bis heute „Susan B. Anthony-Amendment“ genannt – das hätte ihr sicher besser gefallen als eine Begnadigung.“

Tja, nun hat sie beides: den Namen von 19A und die Begnadigung. Was die SZ wie eine missglückte Kuppelei zwischen Grab und Golfplatz erscheinen lassen möchte, offenbart nur einmal mehr die Ahnungslosigkeit deutscher Journalisten bezüglich der Kraft von politischen Symbolen und Gesten, wenn sie einer von ihnen gehassten Person wie Trump entspringen. Auch die SZ beteiligt sich lieber am „Geistertreffen mit Susan“ und glaubt, Willen und Ideen Anthonys durch die eigenen Filterblase pressen zu dürfen. Trump würde man wegen der „Beleidigung durch Begnadigung“ am liebsten auf die Wiese bestellen und verlangen, er solle statt einer Begnadigung lieber Anthonys Strafmaß von $100 auf $1.000 erhöhen, denn das sei es doch, was er wirklich wolle, er, der mit starken Frauen nicht klar komme, weshalb er sich die wohl tougheste davon gleich mal als Pressesprecherin ins Weiße Haus geholt hat.

Doch auch wenn es einige nicht wahr haben wollen, ich denke, Anthony würde die Begnadigung sehr wohl gefallen. Nicht weil Trump Republikaner ist und Anthony ihre „illegale“ Stimme für die Republikaner abgab, sondern weil all die Spötter und Missversteher so tun, als hätte Anthony Trump oder einen seiner Amtsvorgänger um die Begnadigung gebeten. Das hätte sie natürlich nie getan, da bin ich mir sicher.

Doch hier liegt die Sache nun mal anders: die Begnadigung wurde ihr bedingungslos vom Präsidenten gewährt – wenn auch erst 114 Jahre nach ihrem Tod und 100 Jahre, nach dem ihre Bewegung endlich erfolgreich wurde. Dieser Kampf wurde gewonnen, zumindest in den USA. Es ist eine gute Idee, jene zu ehren und zu rehabilitieren, die ihn führten – und sei es auch manchmal nur durch eine posthume Begnadigung. Eine Beleidigung ist es hingegen, darüber in abfälliger Weise in der Süddeutschen lesen zu müssen.

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4 Kommentare

  1. Wenn Herr Trump „behaupten“ würde, dass 2 mal 2 = 4 sei, dann würden die zitierten Medien sicher behaupten das Ergebnis betrage 5. 😉

  2. Es könnte ja passieren, das Trump womöglich Snowden begnadigt. Müssten ihn dann die Dems anklagen, oder müsste er in Moskau bleiben – aus Prinzip?
    Wäre das endlich ein Beweis für die Trump – Putin Connection?

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