Beleidigung als StraftatbestandZu allen Zeiten gab es Gesetzesänderungen, die bewusst unter dem Radar der veröffentlichen Meinung erfolgen. So wurde etwa die Todesstrafe in der DDR recht stillschweigend im Jahr 1987 abgeschafft, als die SED-Granden verblüfft feststellen mussten, wie Gorbatschows Perestroika in der sowjetischen Provinz kurzen Prozess mit korrupten Viertelfürsten machte. Da passte man das Strafgesetz der DDR besser vorsorglich an, falls man selbst mal etwas Gnade brauchen konnte. Auch im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik gab es gerade eben eine Änderung, die ich – vorsichtig ausgedrückt – für bemerkenswert halte. Da ich jedoch juristischer Laie bin, sollten meine Schlussfolgerungen ‚cum grano salis‘ betrachtet werden, obwohl es an der Absicht, die hinter der Gesetzesänderung steht, gar keinen Zweifel geben kann.

Protestierer aller Länder, artikuliert euch

Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht dazu neige, wüste Beschimpfungen auszustoßen. Meine Waffe im gegenwärtigen politischen „Winter of Discontent“ ist eher das Florett. Vielleicht blieb ich deshalb bisher von Klagen wegen Verleumdung oder übler Nachrede verschont, wobei dies natürlich auch der mangelnden Relevanz meiner Artikel und geringer Reichweite geschuldet sein kann. Die einzige Ausnahme beruhte auf der dreisten Fälschung eines meiner Artikel und die Anzeige wegen Volksverhetzung gegen mich wurde wegen Gegenstandslosigkeit (§170 Abs. 2 StPO) eingestellt.

Nun lesen und erfahren wir, dass am 3.4.2021 eine Änderung in §188 StGB in Kraft trat. Es kann natürlich sein, dass ich die Debatte darüber einfach übersehen habe – man ist ja in Corona- und Lockdownzeiten mit anderem beschäftigt – und vielleicht habe ich auch die wütenden Proteste gegen die Änderung auf den Straßen nur nicht mitbekommen. Vielleicht gab es aber auch einfach keine, weil das Thema als zu klein, zu unbedeutend und zu weit weg von der Lebensrealität der meisten Menschen betrachtet wurde. Dabei wurde die Schlinge um den Hals der Meinungsfreiheit gerade wieder etwas enger gezogen.

§188 beschreibt, regelt und sanktioniert „Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens“. Strafbewehrt ist (oder besser: war) dies mit drei Monaten bis zu fünf Jahren Haftstrafe. Nach meinem plebejischem Rechtsverständnis basieren üble Nachrede und Verleumdung stets auf Tatsachenbehauptungen, die schlicht falsch und erlogen sind. Von so etwas sollte man sich in der Tat fernhalten. Wenn mir jedoch – wie weiter oben erwähnt – ein Text geklaut und in übelster Weise verfälscht wird, kann man dies sicher als Verleumdung betrachten. Schließlich legt man mir auf diese Weise Worte in den Mund, die ich nie gesagt, geschrieben oder gemeint hatte. So etwas sollte man natürlich auch mit dem Wort von Politikern nicht machen. Soweit, so sachlich und logisch.

Beleidigung: Politiker sind nun etwas gleicher

In der Neufassung von §188 StGB heißt es nun: „Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigungen, üble Nachrede und Verleumdung“ – die Beleidigung wurde also in den Rang des Straftatbestands in politischen Auseinandersetzungen erhoben! Nicht dass wir uns hier falsch verstehen: Tatbestand hat die Beleidigung in Deutschland schon sehr lange. Jedoch als allgemeine Strafnorm gegen die Versetzung der persönlichen Ehre (§185). Weiter im Text (1) heißt es nun:

„Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine Beleidigung (§ 185) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. 2 Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene.“

Wortlaut von §188 StBG vor und nach der Änderung

Die Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben soll also entscheidend sein. Es geht folglich um Amt und Mandat, nicht nur um die Person. Hieß es in zivilisierten Debatten früher „werde nicht persönlich“, soll nun zusätzlich gelten „werde nicht politisch“. Es handelt sich bei der Gesetzesänderung meiner Meinung nach um eine zusätzliche Schutzschicht gegen Kritik. Mandatsträger, die ja zudem eine gewisse Immunität genießen, entrücken also auf eine übergeordnete Ebene der Unverletzlichkeit. Nicht nur die Personen, auch ihre Taten (bei Politikern bestehen die Taten nunmal aus Worten) sind nun unverletzlich.

Eine Beleidigung spielt sich zudem auf der Ebene der Empfindungen ab und ist keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Meinung. Für die Frage, was eine Beleidigung ist, sind folglich die Gefühle des Adressaten entscheidend. Wenn für den einen ein „Idiot!“ die Grenze darstellt, kann für den nächsten ein „Guten Morgen“ das Fass schon zum Überlaufen bringen. Bisher war der Gesetzgeber der Meinung, dass sich Personen, die wie Politiker in die Öffentlichkeit drängen, sich ein etwas dickeres Fell zulegen und sehr genau zwischen persönlicher Beleidigung und politischem Widerspruch unterscheiden müssen. Das ist nun anders.

Welche Missbilligung politischer Entscheidungen künftig noch als berechtigte Kritik und welche als strafrelevante Beleidigung gelten, sollen also Gerichte entscheiden. Dort sind natürlich alle Menschen gleich, aber dank des veränderten §188 StGB sind Politiker seit dem 3.4.2021 etwas gleicher. Wir dürfen gespannt sein, ob und wie diese Änderung des StGB die Rechtspraxis beeinflussen und das „begeisterte“ Winken der Plebs am Wegesrand der Politik verstärken wird.

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9 Kommentare

  1. Klagen werden die fast immer schenken, sonst würde sich alles als Wahrheit herausstellen, evt. kommt noch was hinzu. Schon klar, daß z. B. Kohl gg. div. Autoren nicht klagte. Bücher mit seiner Kriminalität wurden veröffentlicht, nix passierte!

  2. „Alte Kommunisten-Fettel“ zu einer fülligen, griesgrämigen Dame, die momentan an der Macht ist, wäre dann eine Beleidigung, aber „Alte Nazi-Schlampe“ zu einer hochverehrten Dame der Schwefelpartei wäre dann eine Tatsachenschilderung ? …je nach gusto (meint: Parteibuch) ?

  3. Quod licet jovi, non licet bovi. Wir haben ohnehin schon den Zustand erreicht, in dem eigentlich alles illegal ist. Wenn alles verboten ist, dann ist auch alles erlaubt, jedenfalls den Autoritarismusgeschmeidigen. Die Abweichler werden bestraft. Ich warte eigentlich eh nur noch auf die Gefängnisstrafe, die früher oder später kommen wird, egal wie nett ich bin. Bislang schützt mich meine Irrelavanz und Erfolglosigkeit. Knast soll ja gut für die Muckis sein.

  4. dat is doch nur neue Munition für Frau President und Männin Chebli. Erleichtert ganz ungemein das Verklagen. Mimöschen und Schneeflöcken lassen grüßen.

    • Andererseits darf nun auch niemand mehr die Politiker der AfD wie gewohnt als Nazis bezeichnen, nein? Weil Beleidigung… hmmm.
      Und darf man denn die Politiker der SED-Linken als Kommunisten bezeichnen? Womöglich sehen die das als Lob. Also, darf man die loben?

      • Genau! Die Sache hat zwei Seiten. Man sehe sich nur mal die Kommentare auf Reitschuster an. Andererseits wird aber auch heftig ausgeteilt. Nazischlampe ist nur ein Beispiel.
        Ich will die neue Regelung nicht in Bausch und Bogen verdammen, aber ich fürchte, sie wird wieder einseitig ausgelegt. Auf alles, was nicht RRG ist, darf hemmungslos eingedroschen werden, während „Mimöschen und Schneeflöckchen“ (tolle Formulierung Renz!) mit dem Kadi drohen können.

      • Falls jemandem diese Feinheiten zu hoch werden, ist es schließlich immer noch erlaubt, die Wähler der AfD als Nazis zu beschimpfen – für die als Privatpersonen gilt der Schutz verletzter Gefühle stellvertretend fürs verleumdetwerden nämlich nicht.

  5. Wie war das doch gleich mit dem: “ Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“ ?
    Und ist die „Nazischlampe“ dann strafbewehrt und nicht mehr freie Meinungsäußerung oder gelten dann im Zweifelsfall verschiedene Auslegungen, je nachdem wer was zu wem sagt?
    Und einige sollten besonders aufpassen, eine Einladung zu einer Tasse Kaffee kann dann ganz schnell vor Gericht enden.

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