Deutschland befindet sich im Krieg, und zwar in Afghanistan. Seit Jahren schon. Die zweitgrößte Gruppe von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, ist die der Afghanen. Diese Afghanen fliehen also gewissermaßen aus ihrem Land, in dem deutsche Soldaten für sie Sicherheit schaffen. Sie fliehen organisiert und übertreten die deutsche Grenze in einer Art und Weise, die weder vom Völkerrecht, noch vom Asylrecht gedeckt ist. Man könnte die Art der Ankunft aufgrund der Grenzverletzungen juristisch als offen feindselig betrachten. Traut sich natürlich keiner.

Spinnt man den Faden weiter, kommt man zu neuen, ungeahnten Möglichkeiten der asynchronen Kriegsführung: Wenn Land A in Land B Krieg gegen die Feinde (C) von Land B führt, kommen die Einwohner von Land B nach Land A und fordern dort Asyl. Zynische Millitärstrategen wissen, dass es effektiver ist, einen gegnerischen Soldaten zu verletzten als ihn zu töten. Denn der Verletzte braucht Hilfe, bekommt diese auch und bindet so eigene Kräfte. Die Menschen aus B machen also in Land A gewissermaßen die Arbeit von C. Eine klassische lose-lose-win-Situation.

Aber die Bundesregierung sieht natürlich keine militärische Dimension in der aktuellen Völkerwanderung. Es ist ja nicht so, dass unsere Unfähigkeit, unsere Staatsgrenze angemessen zu schützen und unsere Ignoranz zu dem aktuellen Zustand geführt haben. Wir brechen ja nicht fahrlässig europäisches Recht, sondern tun das aus Güte und weil wir das so wollen! Es ist nur unsere und der Kanzlerin Hilfsbereitschaft und unser christlich geprägtes Mitgefühl, das uns gerade unter täglich tausenden Neuankömmlingen ächzen lässt. Oder etwa nicht?

Betroffenheit ist umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung

Wenn eine Armee in ein Land mit fremder Sprache und Kultur kommt –  egal ob eingeladen oder nicht – braucht sie Hilfe von Leuten, die sich mit beidem auskennen. Die Bundeswehr nennt diese zivilen Mitarbeiter, die als Dolmetscher, Kontakter oder Küchenhilfe für sie in Afghanistan arbeiten schlicht Ortskräfte. Nun ist der durchschnittliche Taliban von seiner Religion und Sozialisierung nicht mit ausreichend Toleranz ausgestattet, um diese Menschen in Ruhe zu lassen, wenn die Bundeswehr Afghanistan verlässt. Deshalb hat Deutschland den „Ortskräften“ die Möglichkeit eingeräumt, gewissermaßen auf dem kurzen Dienstweg, Asyl zu erhalten. Theoretisch!

Praktisch schaut Deutschland aber sehr genau hin und legt individuell fest, wie hoch die Gefährdungslage der ehemaligen Ortskräfte einzuschätzen ist. Die Anerkennungsquote liegt bei 40%. Die restlichen 60% sollen den Taliban also klar machen, dass sie gar nicht so sehr mit den Feinden aus dem Westen kollaboriert haben. Nur „ein klein wenig“ halt. Für die Taliban aber immer noch genug, um jeden der Helfer samt deren Familien „ein klein wenig“ zu ermorden.

Das alles findet nicht in der Öffentlichkeit statt. Die Antragsteller kommen auch nicht in Tausendergruppen über die grüne Grenze aus Österreich sondern stellen sich brav und ordentlich „deutsch“ in Kabul beim Standortservice an, um dort ihren Antrag zu stellen. Wen juckt‘s, wenn von denen ein paar mehr oder weniger sterben, solche Petitessen am anderen Ende der Welt sorgen doch nicht für Schluckauf bei der deutschen Politik! Fairerweise muss man sagen, dass es die Bundeswehrsoldaten, die Seite an Seite mit den Ortskräften arbeiteten, kämpften und auch starben sehr wohl interessiert. Die Veteranen nehmen das gerade selbst in die Hand, organisieren Hilfe und Patenschaften um ihre afghanischen Helfer außer Gefahr zu bringen. Eigentlich ist das aber eine genuin staatliche Aufgabe! Aber warum soll man Menschen helfen, die man kennt und die sich als zuverlässig erwiesen haben, wenn man im Flüchtlingsstrom so viele Überraschungen erleben kann!

Deutschland handelt nur, wenn man es dazu zwingt!

Wir halten keine Konflikte mehr aus! Das ganze Land ist wie von einem dicken Hefeteig aus Konsens bedeckt. Wenn die Hitze an manchen Stellen so stark wird, dass die Kruste aufbricht, reagiert die Regierung mit Fassungslosigkeit, polemischen Ausfällen und Ausgrenzung – dabei war sie es doch, die den Ofen auf 200° gestellt hat und immer noch Grad um Grad drauflegt.  Politische Gestaltung findet seit langem nicht mehr statt. Jede Rede von Gabriel oder Merkel aus den letzten Jahren klingt, als würde sie auf einem Parteitag gehalten – und zwar nicht auf dem gleichen, sondern demselben! Man redet abends den Sonnenuntergang herbei und im Herbst die Blätter von den Bäumen. „Die Sonne scheint/der Himmel lacht/die Regierung hat‘s gemacht!“ Am Ende ist eben alles, wie es eben ist. Demokratie besteht in Deutschland derzeit zu 99% aus Sachzwängen und diese wählen nicht und werden nicht gewählt, weil sie alternativlos sind. Sachzwänge führten zur Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, dieselben dann zum sofortigen Ausstieg aus der Kernkraft. Sachzwänge ließen uns bis 2013 kaum Flüchtlinge aufnehmen, als sich die Flüchtlinge selbst zu uns auf den Weg machten, können wir plötzlich keine mehr ablehnen. Sachzwänge verhindern, dass wir unsere Grenzen schützen können und exakt dieselben lassen uns hoffen, dass dies in der Türkei machbar ist. Wir haben keine Standpunkte mehr und deshalb auch nichts mehr zu verteidigen.

Aber die Situation hat auch ein gutes, wenn auch anarchisches Element. Die Lethargie lässt nach, der Hefeteig hat Risse, die Empörung wächst, die Bereitschaft, abweichende Meinungen zu vertreten auch. Es ist in letzter Zeit oft das Wort „wir“ zu hören. Aber der Kontext schafft die Bedeutung! Merkels „Wir schaffen das“ sagt eigentlich „Ihr schafft das schon“. Nicht nur auf hetzerischen Pegida-Demos hört man immer häufiger „Wir sind das Volk“ – und das klingt eher nach „Hört auf euch einzureden, ihr handeltet in unserem Interesse“.

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