Es hat nicht lang gedauert, bis unsere Qualitätsmedien umschalteten: von „Labours Aufholjagd“ am Donnerstag über die Schockstarre nach 22 Uhr Greenwich Time bis zu den neu erwachten staatstragenden Bedenken am Morgen danach. Wer den ganzen Donnerstag frei von Nachrichten verbracht hat und erst am Freitag wieder in den monodirektionalen Strom einbog, musste den Eindruck gewinnen, die Briten hätten nicht etwa ein Parlament gewählt, sondern stattdessen ihren EU-Austritt auf unbestimmte Zeit verschoben. Am 1.2.2020 nämlich, wenn (wie jeder weiß, der den Wahlausgang verfolgt hat) die Briten die EU verlassen haben werden – und wofür kann man Futur II sicherer verwenden –, steht ihnen nach Meinung zahlreicher Bedenkenträger in Ämtern und Medien die eigentliche Brexit-Hürde erst noch bevor. Denn es müsse ja noch die vereinbarte Zeit bis zum Dezember 2020 genutzt werden, um das finale, endgültige und allumfassende Abkommen mit der EU über dies und das und den ganzen Rest abzuschließen.
Bis dahin bleibe ohnehin alles wie bisher und den „echten Brexit“, also den im Dezember 2020, den werde es wohl nicht so schnell geben. Wenn überhaupt jemals! Das Mercosur-Abkommen habe ja auch 20 Jahre gebraucht…! Zu komplex sei die zu verhandelnde Materie, zu kurz die Zeit. Und da Boris Johnson ohnehin ein Lügner und Betrüger sei, werde er wohl, ohne mit der Wimper zu zucken seine Versprechen vergessen und in Brüssel um eine Verlängerung der Verhandlungen bitten – und somit Großbritannien bis zum Santktnimmerleinstag ein verstörtes, verhuschtes Anhängsel der EU bleiben. Nimm das, Albion! Warum vertraust du dein Schicksal auch deinen gewählten Politikern an, statt deutschen Medienstrolchen und Berufseuropäern wie es sein sollte!
Was für ein Unfug, was für ein unwürdiges mediales Spiel! Die versammelte Journallie verbeißt sich hier in denselben Stock, an dem schon die amerikanischen Demokraten seit drei Jahren hängen, weil sie die nach einer vergeigten Wahl veränderten Gegebenheiten einfach nicht auf den Schirm bekommen.
Brexit: Keine Verlängerung, kein Aufschub
Denn es wird keine weitere Verschiebung des Brexit geben. Es gibt auch kein „Hard Brexit“ Schreckgespenst mehr, das im Dezember 2020 lauert. Im Dezember 2020 wird der Brexit bereits seit zehn Monaten Geschichte sein. Drops gelutscht, Kater gekämmt, aus die Maus. Es gilt der Deal, den Johnson mit der EU ausgehandelt hat, was insbesondere den Status Nordirlands und Grenzkontrollen innerhalb der irischen Insel betrifft. Für alles andere gibt es zunächst und bis etwas Besseres verhandelt wurde den Reset auf einen Status, mit dem die halbe Welt ihre Handelsbeziehungen regelt: WTO-Standards! Die gelten nämlich automatisch.
Es ist gewissermaßen wie mit einem deutschen Energielieferanten: wenn sie ihren alten Vertrag kündigen und noch keinen neuen Vertrag haben, springt ihr lokaler Grundversorger ein. Hungerrevolten sind in London also nicht zu erwarten, was sicher nicht alle Medienschaffenden in Deutschland freuen wird. Die Vorstellung, es könne außerhalb von EU-Richtlinien, Sowjet Ratsbeschlüssen und Proporz-Regeln ein Seelenheil geben, rauscht den Brüsseler Bürokraten und ihren Presse-Souffleuren leider gar nicht erst durch die Rübe. Und dies obwohl die EU selbst mit eben dieser Hälfte der Welt nach eben diesen WTO-Regeln munter Handel treibt.
Doch zurück zu den Bedenkenträgern bei DLF und Co. Wie sollen die Briten ihren Arbeitsmarkt regeln, wenn sie kein Freizügigkeitsabkommen mit der EU haben? Was ist mit dem Markt für Dienstleistungen? Den Fischereirechten? … Es scheint, als betrachte man in Köln, Berlin und Brüssel all diese Aspekte soeben zum aller ersten Mal und frage sich voller Bangen, was wohl aus den armen Insulanern werden soll, wenn die Brüsseler Bürokratie sie nicht mehr beim Atmen unterstützt. Ein Leben ohne europäische Union mag ja vielleicht möglich sein, aber es ist doch sicher sinnlos!
Oder anders herum: was soll nur aus dem Brüsseler Weltbedeutungsanspruch werden, wenn in Sichtweite ein Land nicht mehr nach der Gemeinschaftspfeife tanzt? Der Brexit mag nun zwar entschieden sein, aber lasst ihn uns unter allen Umständen medial in die Unendlichkeit verlängern. Denn niemand geht so ganz, wie man so sagt. Darum traure, bettle und verhandle einfach weiter. Solange die EU definiert, was den Briten fehlen muss, wird der Ärmelkanal nicht breiter. Nur weiter die Tatsachen ignorieren und hinter jeder durchschrittenen Tür hastig eine weitere aufbauen.
Wie tief kann man eigentlich noch sinken? Come on, EU! Gain Dignity! Man sagt nicht „piss off“ und hängt dann am Bein des Ex-Partners, weil der vor dem Verlassen des gemeinsamen Hauses noch die Spülmaschine ausräumen soll. Ende Januar liegt der Schlüssel unter der Fußmatte und fertig. Die dann zu führenden Verhandlungen haben nicht mehr das Ob und Wenn des Brexit zum Gegenstand, sondern Art und Umfang der Zusammenarbeit danach.
Zwischenfrage: warum wurden die angeblich so knappen Fristen für die Verhandlungen zum künftigen Verhältnis zwischen London und Brüssel vertraglich überhaupt fixiert, wenn jetzt schon und noch vor dem Austrittstermin festzustehen scheint, dass sie nicht einzuhalten sind? Und warum erfährt der erstaunte Leser erst jetzt davon? Ist es nicht vielmehr so, dass hier versucht wird, die Mitgliedschaft der Briten durch Wortgirlanden bis in die Unendlichkeit zu verlängern? Ich vermute, das würde Brüssel gut passen: die Briten zahlen ja bis Dezember noch, sitzen aber nur noch am Katzentisch. Warum nicht jetzt schon mal die Verlängerung dieses angenehmen Provisoriums ins Spiel bringen?
Abwarten
Doch es nützt natürlich alles nichts, auch DLF, Spiegel und N-TV werden abwarten müssen, was die Verhandlungen ergeben, die nach dem Brexit stattfinden werden. Möglicherweise wird man sich in bestimmten Punkten überhaupt nicht einigen können, während andere Punkte unstrittig sind. Die EU betont gern, dass man ein Handelsabkommen nur in Kombination mit Personenfreizügigkeit erhalten könne – aber das ist eine Lüge. Wären Kombinationen in Stein gemeißelt, würde es etwa mit China, Kanada oder den USA überhaupt keine Handelsabkommen geben. Keines dieser Länder (und auch sonst keines außerhalb der EU) lässt sich aus Brüssel vorschreiben, wie es etwa seine Einwanderungsgesetze ausgestalten soll.
Aber vielleicht werden Verhandlungen ab Februar sogar EU-untypisch schnell über die Bühne gehen. Denn das Druckmittel „irische Grenze“ ist vom Tisch, der Austritt vollzogen und die EU nur noch eine Ärmelkanalbreite von einem potenziellen Steuerparadies entfernt. Drohende Macht- und Steuerverluste wirken bekanntlich beflügelnd, besonders im Vergleich mit dem in demokratischen Wahlen geäußerten Volkswillen.
Gute Separatisten, schlechte Separatisten
Es kann und darf kein Heil geben jenseits der EU und deshalb schrecken wohlmeinende Europäer auch nicht davor zurück, die Separatismus-Karte zu spielen. Von der „Wiedervereinigung Irlands“ ist heute wieder viel zu lesen und zu hören in Deutschland, auch die Schotten hätten London bei der Unterhauswahl ein „klares Signal“ in Richtung Unabhängigkeit gesandt und Wales strebe ebenfalls danach. Was für ein erbärmliches Geplapper! Aber gut, spielen wir die Sache kurz durch und vergessen für einen Moment, dass die EU den zahlreichen separatistischen Bewegungen in anderen Mitgliedsstaaten alles andere als wohlgesinnt ist. Den Katalanen etwa machte man schnell klar, dass sie im Fall ihrer Unabhängigkeit von Madrid nicht damit rechnen können, die EU-Mitgliedschaft quasi als Erbe behalten zu dürfen. Kämen aus Brüssel wohl andere Rauchzeichen, wenn Spanien aus der EU austreten wollte? Sehr wahrscheinlich.
Für Schottland, Wales und Nordirland bedeutet der Brexit, dass sie genau wie England am 31. Januar 2020 die EU verlassen werden. Unabhängigkeitsbestrebungen hin oder her. Es wird keine weiteren Referenden geben bis dahin und es ist auch ausgeschlossen, dass die EU-Mitgliedschaft für Teile Großbritanniens erhalten bleibt oder „ruht“. Raus heißt raus. Ich will hier nicht bewerten, wie gut oder schlecht etwa die Abspaltung von Schottland wäre, das ist eine Angelegenheit, die die Briten unter sich ausmachen müssen. Ich stelle nur fest, dass so etwas ein langer Prozess ist, denn die Teile Großbritannien sind weit enger miteinander verzahnt als die Mitgliedsstaaten der EU (zum Glück noch). Erst bei vollendeter Unabhängigkeit und einer glaubhaften Konsolidierung könnte überhaupt erst der Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt werden.
Auch Schottland müsste den ganzen, quälend langen Beitrittsprozess durchlaufen, wie jeder andere Beitrittskandidat vorher. Jedes einzelne Kapitel, Abkürzung ausgeschlossen. Auch vor der Unabhängigkeit mit den Verhandlungen zu starten ist unmöglich, denn jede Art territorialer Konflikt schließt die EU-Mitgliedschaft aus (so sagen wir es zum Beispiel den Türken und der Ukraine). Es könnte amüsant sein zu beobachten, wie sich die EU für die Unterstützung separatistischen Gelüste vor dem UN-Sicherheitsrat zum Beispiel vor Russland rechtfertigen würde, das die EU für die Unterstützung der Separatisten im Donbass und auf der Krim verurteilte. Ein Schelm, wer da Doppelstandards am Werk sieht.
Das Gerede vom Zerfall Großbritanniens ist also nichts anderes, als für die „Lösung EU“ schnellstmöglich neue Probleme zu finden und den Briten zum Abschied entweder noch einen Tritt zu verpassen, oder sich für die folgenden Verhandlungen ein gewisses Erpressungspotenzial zu erhalten, indem man etwa Schottland und Nordirland mit Versprechungen dazu bewegen möchte, die Seiten zu wechseln. Ob dies wirklich im Interesse der Schotten oder Iren sein kann oder hier voller Zynismus ein „Vereintes Europa“ durch das Auseinanderreißen europäischer Staaten gebaut werden soll, mag der Leser selbst beurteilen.
Fazit
Ich will ehrlich sein, auch ich bedaure sehr, dass die Briten die EU verlassen, kann aber sehr gut verstehen, warum sie aus dieser EU nur noch raus wollten. Das letzte Bisschen Überzeugungsarbeit dürfte das gigantische Geld- und Industrievernichtungsprogramm „Green Deal“ geleistet haben, das die soeben ernannte Kommissionspräsidentin von der Leyen vorgestellt hat. So viel Protektionismus und Abschottung ist selbst für die EU eine völlig neue Qualität.
Jede Veränderung der EU geht heute in Richtung Zentralismus, Gigantomanie und Selbstüberschätzung. Mit den Briten hat nun das wichtigste Land den Club verlassen, das für einen anderen, einen realistischeren Weg stand. Die noch verbleibenden Länder, die sich dem Brüsseler Größenwahn in den Weg stellen könnten, sind entweder zu klein, um gehört zu werden, zu feige wie Deutschland oder bereiten sich wie die Visegrad-Staaten bereits auf „Plan B“ vor.
Es mag seltsam klingen, aber ich glaube, dass sich der Euro durch den Brexit noch ein wenig Zeit erkauft hat. Die Anwesenheit der dann unabhängigen Briten mit ihrem Pfund könnte disziplinierend wirken und auch den immer ungenierteren Griff in die Tasche der Bürger abschwächen. Vielleicht ist das aber auch mehr Hoffnung als Gewissheit.
Für die EU wie wir sie kennen, die sich immer tiefer ins Leben jedes einzelnen Europäers schraubt, dürfte der Brexit aber der erste Sargnagel sein. Schon heute würden die Wähler EU-weit so gut wie jedes Referendum über die weitere Vertiefung und den Umbau zur Transfer- und Schulden-Union ihren Politikern um die Ohren hauen, was übrigens der Grund dafür ist, dass man solche Referenden nirgends durchführt. Die Akzeptanz des politischen Wasserkopfes EU ist nur erkauft. Erkauft mit Ämtern und Apanagen, mit Subventionen und Bestechungen, kurz: mit viel Steuergeld.
Was die EU zusammenhalten wird, wenn das Geld knapp oder der Euro implodiert ist, weiß niemand. Die „Idee eines geeinten Europas“ vielleicht? Eine schöne Idee, gewiss, aber sie zahlt nicht die Miete. Die Frage jedenfalls, ob man für diese schöne Idee die Brüsseler Bürokraten überhaupt braucht, stellen sich nicht nur die Briten.
Einwohnerzahlen:
Schottland: 5,424,800
UK: 67,545,757
Bruttosozialprodukt:
Schottland: $237 Milliarden USD
UK: 2.825 Milliarden USD
Don’t let the door hit your back!
Wie es scheint, ist der englische Wähler doch etwas klüger und freiheitlicher als der deutsche. Während sich die deutschen Kälber seit Jahren immer wieder ihre Metzger, sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene, selber wählen, ist es den Engländern gelungen, diesen Schlächtern zu entkommen. Die Engländer haben sich von dem Joch dieser monströsen und undemokratischen EU befreit. Ein Sieg der Vernunft. Da,können die Mainstream-Medien noch so barmen, Der Brexit wird kommen. Die Schotten und Nordiren werden es sich sicher noch wohl überlegen, ob sie sich in das diktatorische Nest EU legen wollen. Eine EU, die in ihrer links-ideologischen Verblendung nicht die Kraft aufbrachte, sich in einer Weise zu reformieren, die es den Mitgliedstaaten leichter gemacht hätte, in diesem Verein zu bleiben.
Ein Sieg der „Populisten“? Ja, wobei der negative Unterton, der dieses Wort begleitet, fehl am Platz ist. Er ist einer der vielen von den Linken negativ besetzten Begriffe, um damit Andersdenkende zu diffamieren. Man kann tatsächlich nur hoffen, dass das britische Parlament den Brexit mit Johnson durchzieht. Nun hat der Mainstream nach den USA mit der Wahl von Trump, auch in Europa mit der Wahl von Johnson, einen Dämpfer bekommen. Das dürfte den transatlantischen Strippenziehern um Soros und Genossen nicht schmecken. Wieder ist gegen ihre Machenschaften und Einflüsse eine Wahl anders gelaufen, als sie es mit viel Geld, Repressionen und dem Polit/Medien-Kartell erzwingen wollten. Entweder besinnt man sich in Brüssel jetzt, was man angesichts des dort implantierten Personals kaum für möglich hält, oder die Briten finden Nachahmer. Der Freiheit und Demokratie würde das sicher guttun. Und den europäischen Bürgern auch. Er erlebt ja mit der Klima-Hysterie, wass Merkel Brüssel ihm an Lasten aufhalsen.
Tu felix Britannia!
Danke fürs verständige Betrachten einer politischen Landschaft, die unterm Mehltau der Bürokratie zu ersticken droht. Tatsächlich bilden sich doch – ganz allmählich, zu allmählich für meine geschundenen Erwartungen an Demokratie – Resistenzen; in Deutschland ist leider wenig davon zu sehen. Vielleicht springen ja ein paar einschlägige Gene über den Kanal…
Saubere Analyse. Danke fuer soviel Sachverstand und Mut.
Das Einzige was Europa retten wird ist eine Stärkung der Nationalstaaten, die wieder auf Augenhöhe miteinander verhandeln um die wichtigen Probleme. Sei es Euro, Migration und leider, die unsägliche Klimadebatte, die eigentlich keine ist. Solange die Staaten der EU gegängelt werden wird es kein vereinigtes Europa gegen, auch wenn es sicher viele Vorteile hat in einer globalisierten Welt. Aber man sollte den einzelnen Staaten ihre Identität lassen mit all ihren Vor- und Nachteilen. Europa und die dazugehörigen Länder brauchen keine nichtdemokratische Kommission die meint den Menschen bis ins Detail alles vorzuschreiben. Was wir brauchen sind Diplomaten die ihr Geschäft auch verstehen und keine Adminstratoren. Die haben die jeweiligen Länder zuhauf.
Glückwunsch Großbritannien. Aber wir haben weiter das Nachsehen und müssen nach der Pfeife der Merkelisten tanzen.
Die Antwort eines jeden kann nur sein:
Dienst nach Vorschrift, Sand ins Getriebe und das mit vollen Händen.
Macht diese Flaschen lächerlich. Das beginnt bei jeder Gemeinde und führt irgendwann zu Mr. Bean made by Brüssel. Schlagt sie mit ihren eigenen bürokratischen Waffen.
Sehr schön deutlich werden Hochmut und Dummheit der Deutschen. „Wir“ machen der Welt vor, was moralisch richtig und gut für sie ist,
Nach der TAGESTHEMEN Miosga erweckt mich dieser Artikel wieder zum Leben.
Immer wieder erfrischend. Ja Deutschland, dass sich nicht traut…… Ich wünsche den Briten viel Glück auf ihrem Weg.
Sehr schöne Analyse und Bewertung.
Stimme voll und ganz zu.
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