Wir leben in einer Zeit der geradezu epidemischen Verbreitung von Symbolen sowie deren politischer Aufladung und Instrumentalisierung. Bundestagsabgeordnete der SPD tragen weiße Blusen anlässlich 100 Jahre Frauenwahlrecht, Demonstranten in Europa und den USA tragen rosa Mützen als Protest gegen Donald Trump, gelbe Westen dürfte der Französische Präsident noch in seinen Albträumen sehen und neuerdings tragen deutsche Justizministerinnen mit EU-Ambitionen dunkelblaue Hoodies samt EU-Logo mit Sternausfall um…ja um was eigentlich auszusagen? „Wer in der Kreativszene was auf sich und sein politisch aufgeklärtes Image hält, der besitzt so einen Pulli“ meint die Welt. Aufgeklärtes Image also und Frau Barley hält sich offenbar für kreativ. Dem EUnify-Pulli fehlt nämlich ein Stern, es sind nicht zwölf, sondern nur elf. Die Briten sind raus. De facto noch nicht ganz und vielleicht sogar nie richtig, moralisch sind sie abgeschrieben von „Generation EU-Identität“ denn sie haben gezweifelt am Weg der EU und nun wirft man ihnen schnell noch ein paar verlogene Krokodilstränen hinterher.

Nachverhandlungen werde es nicht geben, meint Barley, was bedeutet, die EU hält an allen Punkten fest, die im vom Unterhaus abgelehnten Trennungs-Vertrag fixiert sind. Etwas anderes gibt’s nicht. Verschiebung des Austrittstermins? Ja, gern, aber nur, wenn die Briten was anzubieten haben. Haben sie aber nicht. Das Unterhaus hat klar entschieden, den Vertragskompromiss, den May aus Brüssel mitbrachte, für unannehmbar zu halten.

Die EU der 28, deren Fahne noch 12 Sterne zierten, wird zur EU der 27 und die Berliner Künstler von „Souvenir“ streichen einen Stern. Man könnte jetzt auch Englisch als EU-Amtssprache wegfallen lassen – die Iren sind mit Gälisch ja ausreichend repräsentiert – und die Noten „G“ und „B“ aus der Partitur der EU-Hymne streichen. Gut, dass Beethoven das nicht hören müsste, aber der war ja am Ende seines Lebens ohnehin taub. Noch tauber sind heute nur Politiker wie Barley, die im FDJ-Blau vor Kameras treten und den Briten nochmal so richtig eine einschenken oder Politiker wie Kramp-Karrenbauer, Habeck, Baerbock, Röttgen und Nahles, die der „Times“ einen Brief schrieben, in dem sie den Briten mitteilen, dass „keine Entscheidung unumkehrbar“ sei. Nicht übermütig werden, liebe Leser, das gilt natürlich nur für den britischen Wählerwillen, nicht jedoch für Atomausstieg, Energiewende oder Dieselfahrverbote!

Brief der „german friends“ an die „Times“

Der Brief muss zweieinhalb Jahre unterwegs gewesen sein, denn er kommt reichlich spät für die Gegner des Brexit. Als das Referendum 2016 anstand, ließen sich deutsche Spitzenpolitiker nicht blicken, denn man war sich über den Ausgang des Referendums mindestens so gewiss, wie darüber, dass Hillary Clinton US-Präsidentin werden würde.

Es ist ein seltsamer Brief, der Inhalt jedoch keineswegs überheblich oder drohend, sondern angemessen sorgenvoll und konziliant. Aber eben zu spät, oder, was noch schlimmer wäre, voller Hinterlist. Doch wir wollen mal nicht annehmen, die Unterzeichner möchten als „Latspell“ im tolkienschen Sinne vergiftete Ratschläge geben, sondern schätzen die Briten tatsächlich und erkennen, welche Katastrophe der EU-Austritt der Briten für uns alle wäre. Ob für die Briten selbst, ist dabei alles andere als ausgemacht. Das erkennt man schon daran, dass sich in unseren ÖR-Medien offenbar alle einig darüber sind, dass dies übel enden wird und dass es vor allem die Briten sein werden, die darunter zu leiden haben.

Darauf muss man aber nichts geben und die Briten gucken ja auch kein ZDF, sind also ohnehin nicht ausreichend „informiert“. Aber das waren sie ja angeblich schon vor dem Referendum nicht, weshalb sie sich für den Brexit entschieden. Problematisch für uns wird es indes mit Sicherheit, weil wir, also der im weitesten Sinne merkantile Nord-Block, eine wichtige Sperrminorität verlieren und es nicht einmal Überlegungen dazu gibt, dies zu reparieren. Wie sollte dies auch geschehen, denn eine Regeländerung in der EU kann nur einstimmig erfolgen. Länder wie Italien, Spanien, Portugal oder Frankreich haben aber logischerweise gar kein Interesse daran. Geht man von den nationalen Interessen aus – was legitim ist und außer von Deutschland auch überall so gehandhabt wird – ist das auch niemandem vorzuwerfen.

Oberflächliches Geplapper

Es wird jedoch nicht der „legendary black humor“ sein, den wir vermissen werden, oder das „ale after work“, wie der Brief der „German friends“ an oberflächlichen Details festmachen will. Die Unterzeichner des Briefes zeigen denselben Mangel an Tiefenanalyse wie die Verteidiger des Euro, die dessen Zweck und Wert daran messen, dass man im Urlaub keine Währungen mehr umtauschen müsse. Alles oberflächliche, irrelevante Kleinigkeiten, derer wir auch nicht verlustig gehen werden. Denn wir werden auch weiterhin Monty Python sehen und Ale trinken können, daran wird sich überhaupt nichts ändern.

Was der Brief nicht erwähnt, wiegt weitaus schwerer. Es werden nämlich viel mehr diplomatisches Geschick, die kulturelle Brücke nach Amerika und die ausgesprochen sachliche und kritische Politik sowie ein tief verankertes, gesundes Misstrauen gegenüber Bevormundung, Einmischung und das Beharren auf die Einhaltung der Subsidiarität sein, die wir nach dem Weggang der Briten gerade in Deutschland noch schmerzlich vermissen werden. „Unsere Tür wird immer offen stehen“ höhnt der Brief – aber eben nur in eine Richtung, wie bei Fallen und Canossaden üblich. Die Tür nach draußen ist verschlossen wie eh und je und wehe dem, der der Schwelle zu nahe kommt!

Ich würde mir wirklich wünschen, der Brexit könnte noch einmal abgewendet werden. Aber das könnte nur dann ein Happy-End sein, wenn die EU, welche die Briten verlassen wollen, nicht dieselbe EU ist, in der sie erhobenen Hauptes bleiben könnten. Ich sehe aber nicht, dass sich an den Gründen des Austritts irgend etwas geändert hätte oder dass man in Brüssel den Bedenken der Briten in irgendeiner Weise Rechnung trägt – und man hat auch nicht vor, dies zu tun. Ein Großbritannien, dass buchstäblich fünf Minuten vor Zwölf entschiede, dass es den Scheidungsantrag zurückzieht, würde geradezu dazu einladen, seine Interessen auch in Zukunft nicht sonderlich ernst zu nehmen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man, wenn eine einvernehmliche Scheidung nicht zustande kommt, ein einvernehmliches Zusammenleben einfach so fortsetzen kann.

Esperanto für die Hymne

Apropos EU-Hymne, deren Partitur natürlich intakt bleiben wird. Bekanntlich ist der letzte Satz von Beethovens 9. Sinfonie nur als Instrumentalstück offizieller Teil der EU-Symbolik. Schillers „Ode an die Freude“ gehört nicht dazu, ebenso wenig andere Texte in anderen Ländern. 2012, als der Weg der EU in Richtung der „Vereinigten Staaten von Europa“ noch vorgezeichnet schien, gab es eine Bürger-Initiative, einen einheitlichen Hymnentext in Esperanto durchzusetzen. Der Versuch scheiterte zwar, inhaltlich zeigte er jedoch exemplarisch, wie realitätsfern und abgehoben die Brüsseler Agenda mittlerweile geworden ist.

Esperanto wäre nämlich sehr passend gewesen: Eine synthetische Sprache, die niemandes Muttersprache ist, nur von ca. 10.000 Menschen gesprochen und verstanden wird und aus mehrheitsfähigen, demokratisch ermittelten Lehensworten besteht, deren Bedeutung in den Muttersprachen oft eine andere ist. Eine Kopfgeburt mit theoretisch bestechender Logik, die an der Realität scheitert, weil diese sich der Theorie einfach nicht beugen will. Die „fertigen“ Vereinigten Staaten von Europa wäre das Esperanto unter den Staaten – ein abgehobenes, künstliches, unverständliches Elitenprojekt. Ein solches Empire hatten die Briten schon mal. Aber auf deren langfristig schlechten Erfahrungen mit Bedeutungs-Überdehnungen beim Regieren eines Vielvölker-Staatsgebildes verzichten wir nun ja ebenfalls.

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4 Kommentare

  1. Barley ist eine Remoaner, auch als Remaniac bekannt.

    Jedenfalls ist der Text wieder super geworden. Die Anspielungen an die ganzen Narzissmen der EU haben Erinnerungen geweckt. Man hat fast schon vergessen, dass man schon immer die textfreie Hymne, den Pendlerzirkus, den Übersetzungsmarathon in den Institutionen, das Gekasper um Standorte und Dokumentsprachen und dergleichen irre bescheuert fand. Der neue totalitäre Ton aus Brüssel hatte das alles verdeckt.

    Jedenfalls habe ich einen Kompromiss für die Lingua Franca, die sowohl zur Hymne als auch für offizielle Dokumente in Zukunft benutzt werden kann, damit wirklich niemand sich übervorteilt fühlt: Arabisch. Und um die ganzen Naysayer zu beschwichtigen, die eine Bevorzugung der Araber fürchten, sei gesagt, dass ich natürlich das Arabisch des 7. Jahrhunderts meine. Das versteht eh kein Mensch und ist damit bestens geeignet politische Intentionen vor dem Bürger zu entkommunizieren bis die Tatsachen vollendet sind. Frau Barley ist dafür, Söder zeigt sich kompromissbereit, Robert Habeck sieht darin eine Chance und Christian Lindner nickt, als hätte er zugehört.

    • Ich kannte das Wort Ramoaner nicht und habe deshalb nachgeschaut.
      Sehr interessant.
      Ja, Barley ist eine Remoaner, wie auch viele Abgeordnete der Labour Party.
      Vielen Dank für diese Erweiterung meines Horizonts.

  2. Lieber Roger, danke für den aufschluß-und humorreichen Beitrag. Ich selbst bin auch gespalten. Einerseits gönne ich der internationalsozialistischen EU den Kinnhaken, andererseits wäre die mächtige Stimme des UK im „Nordverbund“ der EU wichtig gewesen.
    Schlußendlich glaube ich, dass mittelfristig die „Camembert-Währung“ (R.Baader) mit Pauken und Trompeten im Orkus versinkt, keine Kunstwährung hatte in der Geschichte Bestand. Und beruhigend ( oder besorgniserregend, je nach dem) ist, dass Koryphäen wie Baader, Otte, Müller und Bandulet das ähnlich sehen. Die Briten und auch der EU-RGW werden selbst einen harten Brexit überstehen. Und zum gegenseitigen Warenaustausch braucht man weder Euro noch EU. Das machen die Schweizer und die Norweger vor. Also doch besser weg, oder? Grüße.

    • Das machen v.a. die Chinesen vor. Die Behauptung, dass der ganze Handel zusammenklappt, nur weil die Briten nicht mehr Befehlsempfenger Brüsseler Richtlinien sind, war schon immer absurd. Ich geh sogar soweit zu sagen, dass die EU und der UK jederzeit auch ohne Absprachen die Zölle aufheben können, ohne dass jemand in der Welthandelsorganisation etwas dagegen unternehmen würde. Und dann fordern Zölle nicht zwangsläufig ein strenges Kontrollregime. Das kann man auch locker angehen. Die ganzen Einwände sind übertrieben. Die ZEIT behauptete sogar mal, dass den Briten jetzt der Salat ausginge und dass die Flutlotsen durchdrehen und die Flieger am Boden blieben. Alles Quatsch.

      Komischerweise sieht man beim Ökostrom keine Gefahr für Chaos und Ausfälle. Da wird einfach gemacht. Die paar Brexit-Abstimmungen, die wirklich nötig sind in den relevanten Bereichen, wurden in den letzten zwei Jahren auch vorbereitet. Und die EU wird auch rapide wieder Finanzdienstleistungen aus London lizenzieren oder, gottseibeiunsundbehüteuns, die Chose deregulieren.

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