Einen Schritt zurück zu treten, um sich ein größeres Bild von der Lage zu machen ist etwas, dass uns Deutschen oft schwerfällt. Warum auch sollte man die Perspektive anderer einnehmen, wenn deutsche Moral und Weltsicht doch völlig ausreichen, um der Menschheit den Weg in die Zukunft zu weisen. Sie wissen schon: die Umwelt, das Klima und der ganze Rest. Verzicht soll es sein und die Deutschen müssen mit gutem Beispiel voran gehen. Nicht gerade die Funktionäre der grünen Jugend oder die Freitagsaktivisten, die Deutschen im Allgemeinen sollen dies tun. Kein Fleisch, kein Flug, nur Flaschenpfand.

Gerade bin ich im alten Europa unterwegs. Also im wirklich alten Europa, nicht in jenem Teil nach der Definition von George W. Bush, sondern dem historisch alten Teil, in Prag. Geht man hier auf den Hradschin, über die Karlsbrücke oder durch die Altstadt bis zum Rathaus, ist die mit Abstand meistgesprochene Sprache (nach Tschechisch) Mandarin. Daran ist natürlich nichts Schlechtes! Erstens sei es jedem Chinesen gegönnt, sich die goldene Stadt anzusehen und zweitens genießen die Tschechen zu Recht und mit viel Geschick (wenn auch mit oft mangelnder Gelassenheit) die Vorzüge der Marktwirtschaft, indem sie jede nur erdenkliche Art von Geschäft mit ihren neuen Gästen machen. Die ganze Stadt ist eine einzige mittelalterliche Kostümshow und wen kümmert es schon, dass hinter den Fassaden und Sehenswürdigkeiten mehr Replik als Artefakt steckt! Die Gäste aus Peking oder Shanghai wollen Mittelalter sehen und das bekommen sie hier. Selbst die Porträtmaler auf der Karlsbrücke verhandeln auf Mandarin mit ihrer Kundschaft.

Ein Blick auf die asiatischen Besucher weist diese als überdurchschnittlich jung aus. Es ist also längst nicht mehr so wie noch in den 90er Jahren, als Japaner oder Taiwaner ihren knappen Jahresurlaub für eine Europareise opferten und dann im Schweinsgalopp durch die europäischen Länder hasteten. Viele der Chinesen, die man heute in Prag sieht, sind kaum volljährig und das Geld für die Reise stammt mit Sicherheit eher von Eltern und Verwandten, als aus eigener Tasche. Andere reisen mit Kindern, Eltern und Schwiegereltern an und verbringen einen kostspieligen Familienurlaub zu acht hier. Auch von Hektik ist keine Spur mehr. Man trifft tagelang dieselben Gruppen, die in aller Ruhe durch die Stadt flanieren. Man ist länger hier und kennt keine Eile. Moderne Smartphones sind speichergewaltige Biester, da sind acht Tage Prag-Selfie-Marathon locker drin und man hat ja noch Renren und Weibo für den sofortigen Upload.

Allein das Reiseverhalten der Chinesen zeigt schon, wie groß und solvent der chinesische Mittelstand mittlerweile geworden ist. Führte die Reise, die Jan-Malte und Frederike-Luise zum bestandenen Abi von den Großeltern erhielten, noch auf Kurzstrecke nach Paris, Rom oder London, fliegt Chinas Jugend heute viele tausend Kilometer ins schrullige Europa, um verbeulte Ritterrüstungen und habsburgische Folterkammern zu besichtigen.

Don’t stop us now!

In diesem Moment wurde mir eines nochmal sehr deutlich. Nämlich, dass die Chinesen damit nicht aufhören werden, ganz gleich, was Luisa Neubauer, Doktor Greta oder Kerosin-Kathi predigen. Denn während die Deutschen sich den Kurztrip nach Barcelona oder Rom verkneifen sollen um lieber klimaneutral durch die Rhön zu wandern und bei der Freitagsdemo demnächst vielleicht vegane Häppchen gereicht werden, bestellen chinesische Touristen im „Svejk“ Schweinshaxe mit Meerrettich und Senf um sich anschließend in offenen Oldtimern und nur zum Spaß durch die Stadt kutschieren zu lassen. Ihre Zahl ist Legion und es spielt keine Rolle, ob meine Landsleute sich für das moralische Gegengewicht halten und mit Verzicht kasteien. Selbst wenn unsere Verhaltensanpassung einen Unterschied im Promillbereich machen würde, käme aus Peking und Shanghai nur ein lächelndes „Xièxiè“*, weil man dort dank deutschen Verzichts den neu errungenen Lebensstil zwei Stunden länger pflegen könnte.

Die Klimakatastrophe wurde vorerst abgesagt für Prag. Ein heftiges Unwetter zog am Donnerstag über die Stadt und sie steht noch. Prag hat die Junihitze und hat auch den Hagel überstanden. Genau wie den 30-jährigen Krieg, die Pest, den Nationalsozialismus und den Kommunismus. Die Stadt roch nach Zwiebeln und Zimt dieser Tage, Kneipen und Brücken waren voller Gäste und die Straßen voller deutscher Dieselautos. Statt unter feinem Staub hat die Stadt eher unter grobem Kopfsteinpflaster zu leiden, man muss halt Prioritäten setzen. Die Kinder gehen hier Freitags anscheinend völlig geräuschlos zur Schule und sollte Doktor Greta eines Tages nach Prag kommen, wird man sie hoffentlich nicht aus dem Fenster werfen wie andere Überbringer unwillkommener Nachrichten. Denn es findet sich kein Misthaufen mehr unter dem Fenster in der Prager Burg und auf den Ausbruch eines europäischen Klimakrieges können wir angesichts der allgemeinen Hysterie nun wirklich verzichten!

* Danke!

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10 Kommentare

  1. In der Tat ist ein deutsches Problem die permanente moralische Aufladung. Auch die kleinste Lebensäußerung muss durch Hypermoral unangreifbar gemacht werden. Nicht dass jemand auf den Gedanken käme anders zu leben, zu denken und vor allem zu predigen als wir.

    Vorbedingung dafür ist die abgrundtiefe Ahnungslosigkeit von fremden Kulturen. Skandinavier oder Holländer wechseln mit Leichtigkeit die Sprachen und die Länder. Der Deutsche kommt über sein Oettinger-Englisch und den Sangria-Eimer nicht hinaus.

    Die deutsche Arbeitshypothese ist, dass eigentlich alle so ticken wie wir. Und wenn sie es nicht tun, liegt das entweder an einem bösen kapitalistischen Präsidenten oder daran, dass den Armen bisher keiner das Grundgesetz und die Baderegeln in Comicform gezeigt hat. Aber die abgehalfterte deutsche Supernanny – grün, kinderlos, verhärmt – schafft diese Bekehrung an zwei halben Nachmittagen.

    Völlig unvorstellbar ist für ihn, dass der Franzose gerne mit der Kernkraft lebt und der Italiener gerne mit der Mafia, dass der Pole aus Überzeugung in die Kirche geht und der Grieche mit Leidenschaft den Staat betrügt. Lieber würde der Deutsche alle Nachbarn aus „seinem“ Europa rausschmeißen. Dafür schimpft er sie Rosinenpicker und überschwemmt sie mit Defizitverfahren.

    Hatten wir schon mal. Nur bei den Mitteln haben aus der Vergangenheit gelernt: Panzer sind nicht gut für das Klima.

  2. Wie herrlich unaufgeregt und frei von jeder Hysterie kommt dieser Artikel daher. Anscheinend gibt es außer in Deutschland noch Leute, die meinen, der Planet befindet sich im Gleichgewicht, die Luft ist bestimmt saubererer als in den 30ger Jahren, man kann wieder im Rhein baden, und die Lebenserwartung wächst ständig. Leider gibt es hierzulande viel zu wenig davon!

  3. Ja China ist nicht mehr das rückständige Land früherer Jahre und es wird sich auf dem Marsch weiter nach Vorn auch nicht aufhalten lassen. Weder von Deutschland noch von der EU oder den USA. Und China wird seinen Energiehunger auch nicht mit PVA oder WKA stillen wollen sondern vor allen Dingen mit konventionellen Kraftwerken.

    • …und das Ganze finanzieren die deutschen Steuerzahler noch mit zuletzt 630 Millionen Euro pro Jahr…

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