Vom 20.-24.11.2017 sendete der Deutschlandfunk eine fünf Teile umfassende Radio-Doku mit der Überschrift „Gewalt in Malmö“ (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5) und es darf als Meisterstück der Vernebelung gelten, so lang und umfangreich über zerschlagenes Porzellan zu reden, ohne den verursachenden Elefanten auch nur beim Namen zu nennen. Fünf Tage musste ich deshalb warten, bis ich diesen Artikel endlich beenden konnte. Dabei ist mir das Warten schon am ersten Tag unendlich schwergefallen. Die Autoren wollten einfach nicht mit der Wahrheit heraus, dass nämlich eine grandios gescheiterte „Willkommenskultur“ Schweden genau dorthin gebracht hat, wo es heute ist: in gewissen Schwierigkeiten. Dieses „um den heißen Brei herum reden“ in „Gewalt in Malmö“ ist also beabsichtigt und meine Hoffnung, in der letzten Folge werde man alle Fragezeichen mit einem Knall auflösen – es werde gewissermaßen einen „Lost“-Moment geben – schwand von Tag zu Tag. Wenn es einen solchen Moment am heutigen letzten Sendetag gab, dann war es einer aus der Kategorie „Lost in Translation“.

Malmö hat kein Gewaltproblem, sondern ein Migrationsproblem

Diesen Fakt laut auszusprechen, verbieten sich nicht allein die Macher der Sendung, das haben sie sich auch von vielen Einwohnern Malmös abgeschaut. Dabei genügt bereits ein Blick in die Zuwanderungsstatistik der vergangenen Jahre und auf die Lage der Stadt, um hier deutliche Effekte zu vermuten. Die Suche nach den Begriffen „Migration“ oder „Integration“ bringt in allen fünf Skripten zur Sendung keinen einzigen Treffer. Was wir stattdessen wie aus dem Lehrbuch lesen und hören, ist die Antwort auf die Frage, wie man mit einem destruktiven Elefanten im Haus lebt, wie man Sozialarbeiter die von ihm verursachten Scherben beseitigen lässt, man die Opfer seines ungestümen Temperaments betrauert, die Enge im Raum beklagt, jedoch dabei die Anwesenheit des Elefanten selbst ignoriert und stattdessen so tut, als sei er gar nicht da. Schweden, dieses durch und durch pazifistische Land, dessen letzte militärisch der Selbstverteidigung zuzuordnende Aktion es war, einen Marschall von Frankreich im Jahr 1818 zu seinem König zu machen, dieses erzfriedliche Land zeigt sich wild entschlossen, seinen anerzogenen und tradierten Pazifismus im Geiste auch dann noch zu pflegen, wenn ihm in der Realität schon die Kugeln um die Ohren fliegen. Man begreift nur langsam, dass man auch dann im Feuer umkommen kann, wenn man den Brand ignoriert.

Ausweichen, leugnen, umdefinieren

Wenn man den ersten Teil der Doku hört, kommt man zu dem Schluss, Malmö sei inzwischen zu einem Hot-Spot rechtsextremistischer NSU-Franchiser verkommen, die dort gezielt Schweden mit arabischen Namen ermorden. Auch Ahmed, 16, ist eines der Opfer. „Die Familie ist aus dem Irak weggezogen, nach Schweden, in ein Land, das eigentlich sicherer sein sollte. Stattdessen sind sie mit ihrem Kind von dem Tod in den Tod gezogen.“ Ahmeds Cousin Housam klärt die Reporterin auf, dass es überall Waffen gäbe und schon Jugendliche Waffen tragen. Dass es diese Waffen nicht bei IKEA gibt und die Träger nicht Sven, Lars oder gar Uwe heißen, darf angenommen werden. Housams Wunsch Ich will, dass die Politiker erkennen, dass sie in der Sicherheitsfrage gescheitert sind“ wird aber wohl nicht in Erfüllung gehen. Die Polizei, die angesichts der Mordserie der letzten Jahre auf eine beachtliche Aufklärungsrate von null Prozent verweisen kann, geht jedenfalls davon aus, die Kugeln, die Ahmed töteten, seien sicher für jemand anderes bestimmt gewesen, was die Autoren zu einem „zur falschen Zeit am falschen Ort“-Euphemismus greifen ließ. Mal fällt das Brot auf die Butterseite, mal treffen dich eben Kugeln, die nur falsch adressiert waren. Shit happens! Auch und gerade in Schweden.

Morde geschehen, Überfälle werden verübt…der Passiv sitzt perfekt

„…und wer nach Süd-Schweden zieht, träumt von einem besseren Leben“. Ob sich diese Aussage als Malmös Werbeslogan an die Nordschweden oder an die Einwohner von Kabul richtet, erfährt der Hörer nicht. Die Empörung der Einwohner Malmös über die Gewalt in ihrer Stadt hingegen wird überlagert von einem Fatalismus, wie es ihn derzeit wohl nur in Schweden gibt. Allein folgenden Satz aus dem Mund eines Polizisten zu hören, finde ich nur schwer erträglich:

„Hier wurde ein junger Kerl erschossen. Im vergangenen Sommer. Zwei Typen auf einem Moped kamen mit einer Automatik-Waffe, einer Pistole. Und er stand hier mit seinen Kumpels. Er hat einer Gang angehört. Er war also kriminell. Aber er war ein sehr netter Kerl. Fröhlich und munter. Aber offenbar war er in irgendeinen Konflikt verwickelt.“

Also Gang-Mitglied und kriminell geht schon in Ordnung, solange man ein „netter Kerl“ ist. Was hier zu vernehmen ist, klingt in meinen Ohren nach „Stockholm-Syndrom“ und bedingungsloser Kapitulation. Denn auch der Polizist Mats Svensson aus der Doku weiß in Wirklichkeit sehr genau, wo der Elefant steht. Deshalb lenkt er die Aufmerksamkeit schnell auf andere Dinge:

„Es sind nicht nur die Morde. Auch die Grenzkontrollen zu Dänemark, die wegen der Flüchtlingskrise eingeführt wurden, zehren an den Kräften.“

Kann man Dänen nicht trauen?

Von da ist es nur noch ein halber Gedanke bis zur Feststellung, die Öresundbrücke hätte seit dem Jahr 2000 die Kriminalität ins friedliche Schweden gebracht, in dem die meisten Polizisten früher unbewaffnet nach Parksündern und Rabattenpinklern fahndeten, anstatt sich mit den aus Dänemark importierten Gewaltverbrechern herumzuschlagen. Ich hoffe, die schwedische Regierung schickt ihre Polizisten mittlerweile wenigstens bewaffnet auf die Straße und übertreibt es nicht mit der Frauenquote. Svensson weiter:

„Was wir heute in Malmö erleben, ist eine Konsequenz daraus, dass die Polizei organisierte Banden vor einigen Jahren zerschlagen hat. Die meisten Anführer sitzen im Gefängnis. Dann entstand ein Machtvakuum. Jetzt kämpfen junge Kerle mit Waffen um die Macht.“

Auch in diesem Satz steckt eine Kapitulation und eine Selbstanklage. Denn hätte man die Banden nicht „zerschlagen“, könnte man heute wohl mit deren „vernünftigen“ Anführern darüber verhandeln, wie sich kriminelle Banden das Zusammenleben in Schweden unter professionellen Gesichtspunkten – eventuell Abtretung des halben Königreichs – vorstellen. Das Machtvakuum, das bei der „Zerschlagung der Banden“ entstanden war, konnte der Staat offenbar nicht füllen und seine Vertreter schwelgen in Erinnerungen an die gute alte Zeit, wie hierzulande manchenorts die Polizei inoffiziell nicht glücklich darüber ist, dass gewisse Rockerbanden ihre Gebiete an libanesisch/kurdisch/arabische Familienclans verloren haben. Ach, was waren das noch für paradiesische Zeiten, in denen es die Polizei in Deutschland nur mit den Rockern und die in Schweden nur mit besoffenen Finnen zu tun hatte…

Mehr Aktionismus, mehr Puderzucker

Die Polizei, so die Autoren, wisse genau, wer diese Kriminellen seien: 205 junge Menschen, Durchschnittsalter 22, gemeinsam 1779-mal verurteilt. Das scheinen offenbar die einzigen Merkmale zu sein, die die Täter verbindet. Und weil die Politik es nicht schafft, das „Jung sein“ zu verbieten, verschärfte man in Schweden eben die Waffengesetze. Das hatte indes genauso viel Sinn und Einfluss auf die „jungen Menschen“, wie die Antwort der deutschen Kanzlerin auf die Frage von Journalisten, was sie zu der gestiegenen Zahl von Sexualdelikten begehenden Migranten sage: Das sei ja in Deutschland verboten, bauernregelt es aus der Kanzlerin – nur in Schweden ist man mit der Realitätsverleugnung noch etwas weiter. Auch dort versucht die Politik, von ihrem Totalversagen bei der Migration abzulenken, wenn es etwa heißt:  „Es fehlt an Personal in der Stadt, auch weil die Grenzen nach Dänemark gesichert werden müssen.“ – der letzte dänisch-schwedische Krieg ist über 200 Jahre her. Man schaut in Schweden zwar in die richtige Richtung, zielt aber eindeutig zu hoch. Die Dänen sind nämlich nicht das Problem – wohl aber die Tatsache, dass Malmö am oberen Ende der Nahrungskette liegt, die eine Migrationskette ist. Zudem mag man es im Land von Knut und Midsommer überhaupt nicht, wenn ausländische Medien die Situation in Schweden als bedenklich empfinden und dem entsprechend bezeichnen. „No-Go-Areas“, so Schwedens Polizeichef Eliason, sei ein Begriff aus der Millitärsprache! So etwas gebe es in Schweden nicht, sagt auch der Faktenfinder der Tagesschau. Damit hat er natürlich Recht! Eine No-Go-Area ist ein Gebiet, das Zivilisten nicht betreten dürfen – in manche schwedischen „Utsatta område“ (exponierte Bereiche) traut sich auch die Polizei nicht mehr so ohne weiteres hinein, von Zivilisten, die ihr Knäckebrot schon länger in Schweden knabbern, ganz zu schweigen. Das ist natürlich etwas ganz Anderes als eine „No-Go-Area“ und selbst diese folkloristisch-exponierten „Gebiete, in denen es Gewalt auf der Straße gibt, die auch Unbeteiligte bedrohe, in denen offen mit Drogen gehandelt werde und wo es eine weit verbreitete negative Haltung gegenüber gesellschaftlichen Strukturen gebe“, erfahren mit den särskilt utsatta område“ (besonderen Umständen ausgesetzte Gebiete) noch eine klitzekleine Steigerung.

Lost in Translation

Erst im letzten Teil der Sendung gestattet man sich eine kurze Sequenz, die dem eigentlichen Problem Malmös, um das sich die Autoren bisher gedrückt hatten, etwas näherkommt.

„32 Prozent der 330.000 Malmöer sind im Ausland geboren, weitere zwölf Prozent haben Eltern, die nicht in Schweden geboren sind. 178 Nationen sind vertreten.“ Wobei unbeantwortet bleibt, ob eher die Finnen, die Dänen, die Polen, die Japaner oder die Schweizer dazu neigen, ganze Stadtteile Malmös in „särskilt utsatta område“ zu verwandeln. Was das angeht, bleibt auch für die Autorin Victoria Reith bis zuletzt im Ungewissen. Genau wie die seit 63 Jahren in Malmö lebende Alli: „Überwiegend sind es ja Einwanderer, die sowas machen. Das sehen Sie ja selbst. Alli ist wütend, aber sie relativiert auf Nachfrage. Nicht alle Einwanderer seien für die neue Unsicherheit verantwortlich.“

Gut, dass da nochmal nachgefragt wurde! Generalverdacht drohte! Aber es stimmt natürlich: Die Finnen, die Dänen, die Polen, die Japaner und die Schweizer dürfen wir an dieser Stelle wohl vom Generalverdacht ausnehmen. Und geschätzte weitere 100 Nationalitäten sicher auch.

Fazit

Der Bericht „Gewalt in Malmö“ geht an den tatsächlichen Ursachen für die Probleme unseres nördlichen Nachbarn jedenfalls in traumwandlerischer Sicherheit vorbei. Und selbst der linkstickende Mainstream in Deutschland schaut leicht besorgt auf das schwedische Modell des Wohlfahrtsstaates, denn dort zeichnen sich die Brüche durch die Masseneinwanderung der letzten Jahre noch stärker ab, als in Deutschland – und das aus zwei Gründen. Erstens war die schwedische Bevölkerung sehr viel homogener als die in Deutschland. Zweitens hat ein Wohlfahrtsstaat sogar noch einiges mehr „zu bieten“, als ein Sozialstaat wie der unsere.

Wenn das eigene Blut auf den Teppich tropft ist nicht die Zeit, sich über die Farbe des Teppichs oder die Wirksamkeit von Teppichreiniger zu unterhalten – man muss das Messer aus der Wunde ziehen und hoffen, dass der Patient die Behandlung überlebt. Oder, um im Bild mit dem Elefanten zu bleiben: es ist überlebenswichtig, ihn zu erkennen und zu benennen.

Foto: Thomas Max Müller  / pixelio.de

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3 Kommentare

  1. wow, das Video müsste ich direkt zu einem fb-Post verlinken, wo ich vor zwei Tagen drübergestolpert bin

    eine äußerst mutige Frau hat ganz zivilcouragiert eingegriffen, als zwei (?) Polizistinnen (wieviele Polizisten und welchen Geschlechts habe ich mit nicht gemerkt) einen Pakistaner vollkommen grundlos nach seinem Pass oder Ausweis gefragt hatten

    als ich es wagte, anzumerken, wo denn die ganzen couragierten Menschen waren, als im Mai in Tulln eine 15jährige von Asylwerbern vergewaltigt worden ist und im dritten Wiener Bezirk (dort wohnt offenbar auch zufälligerweise diese couragierte Frau) ein Armenier, nachdem er seit Oktober 2017 mindestens 4 Frauen bis vor ihre Wohnungstür gefolgt und sie belästigt hat, sich im November nach einer Fotofahndung gestellt hatte, fielen natürlich alle über mich her

    hetzerisch, rassistisch, ja sogar sexistisch, das sei ich, und natürlich passierten die meisten Sexualverbrechen zu Hause, das ich mir bitteschön zu merken habe (interessant auch deswegen, weil mir der gute Herr, der mir diese Statistik um die Ohren geknallt hat, mir whataboutism vorgeworfen hat – ein Wort, das ich überhaupt noch nie gehört hatte)

    vielleicht hätte ich den Namen Johannes Schütz in die Runde werfen sollen, da hätten die Damen und Herren genug Stoff für Zivilcourage
    dieser Mann schreibt nämlich gerade an einem Buch über das Sachwalterunwesen in Wien, wo seit Jahrzehnten Menschen entrechtet und enteignet werden, dieses System kostete nämlich wirklich Leben

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