Soll ich über Fußball schreiben? Ich wage es nicht, mich als Alle-vier-Jahre-Gelegenheitszuschauer sachlich über sportliche Aspekte dieses Spiels zu äußern. Ich weiß nichts oder doch nur sehr wenig über die Zusammensetzung der aktuellen Nationalmannschaft, gestehe aber, dass meine ganz persönlichen Maßstäbe an WM-Turniere noch aus einer besseren Zeit, nämlich dem Jahr 2014 stammen, als die DFB-Elf gegen Brasilien und dann im Finale gegen Argentinien Leistungen gezeigt hatte, die sie meiner Meinung nach seitdem nie wieder erreichte.

Ich kann mich hingegen an kein Spiel erinnern, das 2018 in Russland gespielt wurde. Gut möglich, dass ich gar keins gesehen habe, möglich auch, dass mein Gedächtnis es wie einen schlechten Geruch im Fahrstuhl nicht abgespeichert hat. Vier Jahre später sitzen wir nun da, mit Glühwein in der Hand und bangem Blick auf die Inflation, statt im Sommer kurz vor Weihnachten und es will einfach keine Stimmung aufkommen bei der WM im Gas(t)land Katar.

Lassen wir den Ausgang des Spiels gegen Japan mal beiseite, dazu kann ich sowieso nichts sagen, weil ich es nicht gesehen habe. Japan ist aber kein Fußballzwerg und die „Demütigung“ an sich sollte für uns leichter zu verkraften sein als für Argentinien, das gegen Saudi-Arabien verlor, wie zu lesen war. Sarkastischer Einschub: die Japaner haben keine Angst vor der Kernkraft – klar, dass wir gegen die keinen Stich sehen!

Fußball? Nebensache!

Doch Fußball ist ohnehin längst Nebensache und die geballte mediale Aufmerksamkeit richtete sich auf ein kleines Stück One-Love-Stoff, dass man zeigen, dann nicht zeigen, dann vereinzelt zeigen, dann wieder nicht zeigen wollte/durfte/konnte. (Nicht zutreffendes bitte streichen, noch korrekt gendern, dann kann das raus.)

Mich machen Deutsche mit einem übersteigerten Faible für Armbinden immer etwas nervös. Meist bedeuten diese Stöffchen gleichzeitig „ich weiß, was richtig ist“, „leg dich nicht mit mir an“, „ich gehöre dazu“ und „frag mich endlich, was ich dich lehren will“, ohne dass dem moralischen Anspruch in jüngster Zeit jedoch Nachdruck verliehen wurde – zumindest im Ausland! Letzteres kann man als Fortschritt werten, auch wenn dieser schnurstracks in  Richtung Lächerlichkeit abbiegt. Das Vorzeigen von derlei Fähnchen ist ja längst nicht mehr der Ruf zur Schlacht, sondern schon der Sieg an sich! Errungen durch Definition und Selbstermächtigung und stets gegen einen stummen oder zur Gegenwehr mindestens nicht aufgelegten Feind. Die Losungen und Winkelemente werden ausgeteilt und das ganze Jahr ist erster Mai nach Art der DDR. Für Klima und LGBTQ: seid bereit…immer bereit!

Doch so wenig sich das Klima darum schert, ob ein Auto auf der Avus fährt oder im Standgas vor Klebekindern blubbert, so egal ist dem Emir von Katar und der Religion, auf die er sich beruft, was der Kapitän einer deutschen Fußballmannschaft am Arm trägt. Womit wir bei einem der vielen Kerne des Problemgranatapfels wären: den Trägern der Botschaft. Wer von einem Manuel Neuer, der sein ganzes Leben lang nichts anderes erfolgreich tut, als sich zwischen zwei Metallpfosten hin und her zu werfen, erwartet, einen politisch-religiös aufgeladenen Feldzug der westlich-überspannten Moderne gegen eine theokratisch-absolutistische Monarchie zu führen, dem sitzt die Armbinde wohl etwas zu straff über Augen und Ohren. Überhaupt auf die Idee zu kommen, Fußballer als Litfaßsäulen für Ziele zu verwenden, an denen die zuständige Politik seit Jahrzehnten in Serie selbst scheitert, ist die Bankrotterklärung einer impotenten Politik, die den enteierten Sport mit sich in die Tiefe zieht.

Legt man die Schauplätze Katar und Europa gedanklich mal nebeneinander, wird die Scheinheiligkeit deutlich sichtbar.

  • Im Stadion in Katar zeigt Ministerin Nancy Faeser (dank diplomatischer Immunität) die symbolisch aufgeladene Armbinde und Solidarität, in Deutschland löst sie jedoch kurz vorher den „Expertenkreis Politischer Islam“ auf, der sich mit den extremistischen und für Europa nicht tolerierbaren Auswüchsen eben jenes homophoben Islam beschäftigt, dem die Faesernancy in Katar fashionmäßig aber mal so richtig die Leviten gelesen hat.
  • Die ARD wettert über die fürchterlichen Arbeitsbedingungen in Katar und beklagt (zurecht) die mangelhaften Menschenrechte in Katar. Im Studio – und so unsichtbar wie nutzlos für homosexuelle Kataris – unterstützen die Moderatoren „the current thing“ und tragen Armbinden. Andererseits geben die öffentlich-rechtlichen Millionen Gebührenzahlereuros für die Übertragungsrechte eines Spektakels aus, das sie so sehr kritisieren.
  • Ministerin Baerbock betont die Bedeutung von Menschenrechten für den Fußball in Katar, während Minister Habeck von derselben Partei ausdrücklich nicht an die Menschenrechte dachte, als er in Katar um jenes Gas bettelte, welches am Ende die gar nicht so menschenrechtsfreundlichen Chinesen durch einem Vertrag mit 27 Jahren Laufzeit bekommen.

Bei allem, was die deutsche Politik derzeit tut, steht sie gleichzeitig auf Gas und Bremse und wie wir in der Fahrschule gelernt haben, gewinnt bei diesem Spiel immer die Bremse. Und die Bremsspur sieht wie folgt aus:

  • In Katar verbessert sich nichts in der rechtlichen Stellung Homosexueller, während sich deren Lage wegen des sich ausbreitenden und von Faesers Innenministerium ignorierten Islamismus in Deutschland verschlechtert.
  • Gas aus Katar gibt’s für Deutschland nur in für Campingflaschen üblichen Mengen.
  • Die Zuschauer von ARD und ZDF boykottieren lautstark, genervt und frustriert das, was sie eigentlich schon vor Jahren bezahlt haben.

Eine klassische Lose-Lose-Lose-Situation für Deutschland. Aber es wurde viel Luft bewegt, die Empörung goss sich in viele Zeilen, die Stimmen der Kommentatoren zitterten vor Pathos und Solidarität und das gute Gefühl, selbst beim Verlieren an allen Fronten noch das Richtige zu tun und Vorbild (für wen eigentlich) zu sein, entschädigt für den kübelweise verteilten Spott der ganzen Welt, die japanischen Memes, das frierend in gekühlte Stadien blicken, den lauwarmen Glühwein und die nächste Strom- und Heizkostenrechnung.

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7 Kommentare

  1. @Rolf
    Warum denn nicht den Karl? Also daran scheiterst du und auch Curtis Yarvin (Mencius Moldbug) doch. Ihr scheitert am Konkreten. Ihr werdet keinen „aufgeklärten Herrscher“ auswählen und, mehr noch, es gibt keine aufgeklärten Herrscher, weil niemand alles überblickt. Karl Lauterbach ist Arzt mit Spezialisierung auf Virologie und hat einen Doktor in Ökonomie von der Universität Harvard. Wer, wenn nicht er, hat mit allem recht, wenn es um die Führung der Volkswirtschaft durch die Pandemie geht?

    Und die Antwort: Fast jeder noch eher als er!

    Und du bringst wieder die alte Leier mit den schlechten Zeiten, die schon ihre starken Männer irgendwann hervorbringen. Also ein heruntergewirtschaftetes Volk unter Karl dem noch Größeren werde sich schon vom „Nutzvieh“ weg entwickeln. Beantworte mir doch mal die Frage, wo im gottverlassenen Afrika das passiert ist? Im vorkolonialen Amerika wurde nicht mal das Rad erfunden. Wo im gottverdammten präcolumbianischen Amerika ist denn diese von dir als selbstverständlich angenommene Entwicklung eingetreten? Wo ist sowas in Zentralasien passiert? Wo in Indien? Wo im vorkolonialen China? Ich sehe Slum, Slum und Slum und genau einen Weg, der bislang davon weggeführt hat.

    Und natürlich ist die Erfahrung von einem Weg keine Begründung für die Ablehnung anderer Wege. Aber dann sollten es schon auch mal neue Vorschläge sein. Wenn du oder Curtis Yarvin kommen und sagen, ‚Wenn wir noch einmal ein Alleinherrschaftsmodell wie in Nordkorea probieren, wird es ganz, ganz, ganz bestimmt aber diesmal…‘ dann ist es kein Wunder, dass die Leute zornig werden. Komm mit was Neuem!

    Auch Pinochet hatte seine Macht zugunsten einer von ihm ausgearbeiteten demokratischen Verfassung abgegeben. Auch Pinochet war offenbar nicht so erleuchtet wie Curtis Yarvin.

    Die Notwendigkeit für Propaganda entfällt nur in demokratischen Systemen. Du hast in jeder Diktatur non-stop Beschallung mit Müll. Du kannst im afrikanischen Dreck hocken und musst dir beim Wasserholen immer noch dummes Geschwätz von der Ausbeutung des weißen Mannes und von der Wirkung traditioneller Medizin gegen AIDS usw. anhören. Wenn mit der Informationskontrolle der einfachen Bevölkerung der Zweck für Propaganda wegfiele, warum machen denn alle Alleinherrscher genau das und deutlich krasser als hier? Warum gibt es Yuche? Warum lässt Putin überall ein „Z“ hinschmieren?

    Ich will mehr Wahlämter und ich will Parteinamen von den Stimmzetteln entfernt sehen, damit sich nicht nur Wähler durchsetzen, die Zeichen für Umweltschutz oder Zeichen für soziale Gerechtigkeit setzen wollen. Das sind neue Vorschläge. Ständig die „Guck, ich brech ein Taboo“-Nummer mit entweder wieeeeeder die Alleinherrschaft oder schon wieder den Sozialismus vorzuschlagen, ist keine neue Idee.

    Davon abgesehen scheinen die meisten – und da bist du und Curtis Yarvin nicht die einzigen – offenbar nicht zu raffen, dass man Lösungswege und Freiheit leichter wegräumt als neu erringt. Das ist wie das Sprengen der Kraftwerke. Das ist leicht. Eine günstige Energieversorgung zu etablieren ist schwer. Freiheit und damit Lösungspfade für aktuelle und zukünftige Probleme zu zerstören ist leicht. Einen Sozialkonsens wieder zur Debattenkultur und zum Ausgleich berechtigter Interessen aufzubauen ist schwierig.

  2. @Ben Goldstein: Besten Dank für Ihre Ausführungen. Wahrscheinlich haben Sie Recht; Neuer und seine Anhänger denken wohl so unterkomplex, wie Sie es beschreiben. Dennoch bleibt es paradox: Dieselben Leute, die sonst jedes Wort auf die Goldwaage legen, weil es ja ‚historisch belastet‘ sein könnte, haben kein Problem damit, ein derart ambivalentes Symbol wie die Regenbogenfahne durch die Gegend zu tragen. Ein typisches Beispiel für die kognitive Dissonanz der ‚Guten‘.

  3. Mich würde ja auch einmal interessieren, was genau Neuer & Co mit einer Regenbogen- oder Sonstwas-Binde eigentlich propagieren wollen. Sind sie Anhänger der Menschenexperimente eines John Money? Wie stehen sie zur Gender Identity Clinic in Tavistock? Befürworten sie die divers-sexuelle Früherziehung in Kindergärten und Grundschulen? – Nie erfährt man hierzu Genaueres. Stattdessen werden nur vage, wohlfeile Parolen verbreitet. Das ist ungefähr so, als würde ich die (wohl wenig kontroverse) Botschaft verbreiten, dass es allen Menschen gut gehen sollte, und mir zu diesem Zweck eine Binde mit Hammer und Sichel umbinden.

    • Nichts. Das ist ja des Rätsels Lösung. Man würde auch Affenlaute gegen Dürre machen oder sich knien gegen Rassismus. Es ist eine heidnische Religion. Es geht um Rituale und Symbolik.

      Es wurde schon viel zu der sozialen Funktion dieser vermeintlichen Tugendsignale gesagt. Im Moment hab ich aber noch einen schlimmeren Verdacht. Was ist, wenn viele Menschen gar nicht anders denken können? Was wäre, wenn Waschlappen und Christbaumdimmung immer adäquate Handlungen wären, weil alle, also ALLE, Handlungen immer rein symbolisch sind? Was ist, wenn viele Leute grundsätzlich nicht in Quantitäten und Konsequenzen denken können, sondern nur in Ritualen und Zeichen?

      Wie wir alle wissen, ist Ihre Hammer-und-Sichel-Binden-Idee ja nicht mal weit hergeholt. Man macht da was für lieb. Feminismus ist was für Frauen. Pazifismus ist was für Frieden. Regenbogenflaggen sind was für Schwule. Windräder sind was für Klima. Tofu ist was für Tierwohl. Tampons auf Herrentoiletten sind was für Transsexuelle. Zu einem gewissen Maß kann der Mensch auch gar nicht anders. Denn oft genug ist die Gesamtstrecke nicht überschaubar und man weiß nicht, ob eine Handlung etwas bringt, aber man macht mal. Wir kommunizieren ja auch über den allgemeinen Wahnsinn in der Hoffnung, dass sich daraus ein Lösungsweg bahnt. Vielversprechend ist so etwas wie Bloggen und Reden nicht. Es ist hart an der Grenze zur reinen Symbolik. Allerdings geht es doch noch leicht darüber hinaus.

      Was ist, wenn ein beträchtlicher Anteil der Menschen aber gar nicht anders denken kann? Dann muss man Führungspositionen mit Menschen besetzen, die Handlungen und Folgen in Verbindung bringen können. Das ist ein kleinerer Pool als man meint.

      • Ich glaube ein zentrales Problem ist die Einfachheit mit der man seine Gehirnfurze verbreiten kann. Ich habe gerade im Kommentarbereich des anderen Artikels Stockhiebe für politische Äußerungen aus Fahrlässigkeit oder unlauteren Absichten vorgeschlagen, und glaube, dass es tatsächlich ein Lösungsansatz wäre, aus Blödheit, Fahrlässigkeit, Böswilligkeit heraus getätigte Äußerungen streng zu bestrafen. Womöglich sogar jede beliebige politische Äußerung, weil man sonst nur das Problem nur verlagert, und sich dann Sekten um die Definition von Blödheit, Fahrlässigkeit, Böswilligkeit herum bilden würden..

        Die Nullhypothese dazu wäre, dass Menschengruppen, die verbotene oder geächtete Äußerungen tätigen, sich im Schnitt nicht besser mit ihrer Thematik auskennen, als der Rest. Man müsste also schauen, ob der durchschnittliche Holocaustleugner mehr übers Holocaust weiß, als der Bevölkerungsdurchschnitt, der durchschnittliche Rassist mehr über Rassenunterschiede, der durchschnittliche Klimaleugner mehr übers Klima, und so weiter.

        Sofern an dieser These etwas dran ist, hätte man in der Despotie den bestmöglichen politischen Diskurs, und je mehr man diesen öffnet, desto schlechter wird er.

        Ist aber auch nur ein Hirnfurz, mit dem ich mein Karma belastet habe.

        • Wieso denn Karl? Meinst Du, der Karl hätte sich under feudalen Bedingungen, umgeben von Kriegsadel, halten können?

          Abgesehen davon ist das egal. Eine politisch entrechtete Bevölkerung, deren einziges Mittel um sich Gehör zu verschaffen der Terrorismus ist, würde unfähige Führer schon umbringen, sofern diese aufmucken, wenn die Bevölkerung nicht bereits vollends zum Nutzvieh runtergezüchtet wurde. Und falls sie’s wurde, ists schon gut, wenn sie von solchen wie dem Karl gequält wird. Das schafft nur Anreize, um sich wieder vom Nutzvieh weg zu entwickeln.

          Ich bin nicht sicher, ob das Argument durchkam, weshalb ich es für einen möglichen Vorteil halten würde, politische Sprache komplett zu verbieten. Der Punkt ist, dass dadurch eine Qualitätssicherung einträte, weil niemand, den das ganze überhaupt nicht interessiert, oder dem die Fähigkeiten dazu fehlen, oder der nichts zu sagen hat, motiviert wäre, die ganzen Opfer zu bringen, und gleichzeitig die intellektuellen Fähigkeiten hätte, um langfristig als politischer Verbrecher zu bestehen. Diese ganzen „Woken“ wären also mit einem Schlag weg. Ebenso die Wutboomer, Ökoboomer, Sozialboomer, Humanboomer, und auch der Rest dieser ganzen dialytischen Mischpoke. Keiner von denen würde mehr als einmal Stockhiebe nach asiatischem Vorbild kassieren wollen, und keiner von denen wäre nicht zu blöd, um sich Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Was bliebe wären Terroristen und jene, die herausragend genug sind, um entweder als politischer Verbrecher zu bestehen, oder vom Despoten als ausnahmsweise interessant oder nützlich empfunden zu werden. Angesichts dessen, dass es dann egal wäre, was die Bevölkerung denkt, würde die Notwendigkeit von Propaganda wegfallen, und dieser die Leute ständig verrückt machende Medienapparat würde dadurch seiner Existenzberechtigung beraubt werden.

          Und plopp, schon wär das ganze Idiotengebrabbel weg, und die Utopie wäre da.

          Ein weiterer Punkt, den Du berücksichtigen solltest, ist, dass die ganzen politischen Theorien, denen Du anhängst, in einer Umgebung formuliert worden sind, in der Despotie die Norm war, und in der politische Rechte kaum existierten, insbesondere keine Allgemeinen. Du scheinst also etwas gut zu finden, das den von mir angestrebten Bedingungen entstanden ist, aber zunehmen die Früchte abzulehnen, die es hervorbringt, seitdem es sich durchgesetzt hat.

          Also: Yay Despotie

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