Die Bundesregierung feiert, dass die Corona-Warn-App schon 9,6 Millionen Mal heruntergeladen wurde*, dabei wären fast 50 Millionen aktive Apps nötig, um den gewünschten Durchsatz in der Bevölkerung zu erreichen. Ich halte es für ausgeschlossen, dass zu den „Early Adoptern“ noch nennenswert welche hinzukommen, falls das Vorhandensein der App nicht zur Pflicht erhoben wird und ich gehe davon aus, dass dies auch den Machern der App und den Politikern von Anfang an klar war. — Schnitt — Am 16. Juni stellte sich Digitalstaatsministerin Dorothee Bär vor die Kameras und erklärte, Wir arbeiten kontinuierlich daran, um das System […] auch mal auf etwas Anderes anwenden zu können“. — Schnitt — Am 19. Juni erklärte Udo Pollmer seinen Zuschauern auf YouTube, wie in unserer Gesellschaft Angst instrumentalisiert und Angstforschung als politisches Instrument verwendet wird. — Schnitt —

Diese drei Ereignisse habe ich nachfolgend zu einer kleinen Geschichte verbunden, die Sie, liebe Leser, bitte nicht allzu ernst nehmen sollten. Denn ich will hier keine Verschwörung skizzieren. Alle Verbindungen, die nachfolgend zwischen den Aspekten gezogen werden, entspringen allein meiner Phantasie. Sehen sie den Text also nicht als Analyse, sondern eher als Fragment eines Drehbuches, wenn schon nicht für einen Tatort, so vielleicht für ein Prequel für „Die Tribute von Panem“.

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Es war einmal

Es begab sich in einem fernen Land, vor unserer Zeit, dass eine Seuche grassierte, die eigentlich keine war. Also die Krankheit war für manche schon sehr schlimm und es starben Menschen daran, meist starben sie aber an ganz anderen Dingen, selbst wenn man die Krankheit bei ihnen nachgewiesen hatte. Doch da es kein Heilmittel gegen die Krankheit gab und die Medien des Landes in den düstersten Farben malten, wie schrecklich die Krankheit sei, blieben die Menschen in ihren Häusern und fürchteten sich. Voller Furcht saßen sie vor ihren Radios, wo allmorgendlich die Zahlen der Toten verlesen wurden, sahen alle fünf Minuten auf ihre Händies, wo die neuesten Meldungen über die Gefährlichkeit der Krankheit aufpoppten und abends saßen sie vor ihren Fernsehgeräten und sahen Talkshows, in denen sie erfuhren, dass alles sogar noch viel schlimmer sei, als tagsüber gemeldet wurde.

Die Regierung merkte, dass es sich so sehr viel leichter regierte und man allerlei Gesetze widerspruchslos durchsetzen und endlos Schulden machen konnte, weil die Menschen einfach angstvoll in ihren Häusern blieben. Doch die Menschen hatten nicht nur Angst, sie hatten auch Hunger. Sie gingen also wieder hinaus, gingen zur Arbeit und in die Supermärkte, trafen wieder Freunde und Familie und die Angst ließ allmählich nach, weil sie auch morgens das Radio nicht mehr einschalteten, die Nachrichten-Apps deinstallierten und Talkshows mieden. Und kamen sie zu Gruppen zusammen, machten sie sich gegenseitig Mut und die nützliche Angst, die die Menschen klein und gefügig macht, verschwand wie Nebel in der Mittagssonne.

Weil nach einigen Monaten die vielen schlimmen Prophezeiungen nicht eingetreten waren, stand zudem die Glaubwürdigkeit der Regierung auf dem Spiel. Die Leute murrten, weil sie lange nicht arbeiten konnten und ihre Geschäfte ruiniert waren. Die Regierung beteuerte, dass alles nur deshalb nicht so schlimm gekommen sei, weil die Menschen zu Hause geblieben und ihren Anweisungen gefolgt waren und das alles doch noch schlimm enden werde, wenn sich die Menschen nicht sofort wieder an die Anweisungen hielten. Doch es nützte nichts, die Menschen vertrauten der Regierung des Landes nicht mehr.

Da kamen die Berater der Regierung auf eine Idee. Sie versprachen, für einen Batzen Gold ein kleines Programm entwickeln zu lassen, welches dann die Aufgabe übernehmen würde, für das richtige Maß an Angst zu sorgen. Denn die Menschen des Landes waren auch sehr technikverliebt und vertrauten ihren kleinen Händies fast grenzenlos. Und selbst wenn die Menschen misstrauisch wären, weil ihnen das kleine Programm von der Regierung geschenkt würde, würden ein paar Millionen es sicher freiwillig installieren.

Gesagt, getan. Das Programm funktionierte etwa so: Jedes Händie generierte sich beim Start des Programms einen eindeutigen, anonymen Ident-Code, welchen es bei Begegnungen jedem anderen Händie schickte, auf dem das Programm ebenfalls aktiv war. So sammelt jedes Händie ID-Codes ein und speichert diese. Wurde jemand positiv auf die Krankheit getestet und gab das Ergebnis in sein Händie ein, wird dessen ID auf „rot“ gesetzt und alle informiert, denen diese ID bei einer Begegnung übermittelt wurde.

Die Menschen des Landes fühlten sich jetzt noch sicherer, denn nun hatten sie ja das kleine Programm auf ihren Händies, wenn auch nur wenige. Da es jetzt aber auch nur noch sehr wenige Krankheitsfälle gab, legten die Menschen ihre Ängste noch schneller ab, was die Regierung unter Rechtfertigungsdruck brachte, schließlich hatte man den Menschen immer mit einer „zweiten Welle“ gedroht, die einfach nicht anrollen wollte, oder behauptet, man stünde erst am Anfang der Krise. Hatte die Regierung also wieder einmal gelogen?

Doch die hatte ja nun das kleine Programm auf den Händies von Millionen Menschen und was die nicht ahnten: man hatte beim Download des Programms in dem Speicher, in dem die ID’s anderer Händies gesammelt wurden, bereits einige ID’s abgelegt, die man bei Bedarf aktivieren konnte. Weil diese ID’s nicht zum Code des Programms gehörten, sondern simulierte Nutzerdaten waren, konnten die misstrauischen Alchemisten vom CCC nichts verdächtiges an dem kleinen Programm der Regierung entdecken.

Diese ID’s gehörten jedoch zu Händies, die in einem Safe im Keller des Königs lagen. Zehn hinterlegte Nummern aus zehn Nummerkreisen a 1.000 genügten, um im Bedarfsfall eine mehrstufige Infektionswelle simulieren zu können, denn wer das Programm auf seinem Händie hatte, konnte nicht nachvollziehen, woher die Warnung kam, die ihn soeben weg von einer regierungskritischen Demo oder einem gesichtsmaskenlosen Stadtbummel zurück ins Haus jagte.

Im Radio am Morgen, in Pushmeldungen am Tage und in Talkshows am Abend beschuldigten die Politiker nun diejenigen, verantwortlich für den erneuten Ausbruch der Krankheit zu sein, die sich unsolidarisch verhalten hatten und das wichtige Programm nicht auf ihren Händies hatten. Und so holten sich immer mehr Menschen das Programm auf ihre Händies, um solidarisch zu sein, bis schließlich alle Menschen das Programm nutzten und es fürderhin ängstlicher denn je vermieden, sich zu Gruppen zu gesellen oder mit der Familie zu treffen, immer in Erwartung, das eigene Händie könne bei jeder Begegnung roten Alarm auslösen.

Doch dann, nach der vierten Welle und dem totalen ökonomischen Zusammenbruch des Landes und der völligen sozialen Vereinsamung der Menschen, erinnerte sich längst niemand mehr daran, dass die Digitalitätsministerin des Landes einst sagte, man könne das System auch mal für was anderes verwenden. Das Kollektiv fing die gebrochenen Menschen auf, der Staat sorgte für deren nur noch minimale Bedürfnisse und jedes Jahr ging der König im März, wenn es die Menschen wieder ins Freie und in Gesellschaft trieb, zum Tresor in seinem Keller, um eine, zwei oder dreitausend ID’s auf „rot“ zu stellen, bis die Menschen des fernen Landes verlernt hatten was es heißt, sein Leben frei und eigenverantwortlich zu gestalten und zu akzeptieren, dass man nicht jedes Risiko durch eine Warnung, einen Appell oder ein kleines Programm abschalten kann.

Und wenn sie nicht hungers gestorben sind, starren sie noch heute auf ihre Händies und jeden misstrauisch an, der dies nicht tut.

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Nachtrag

Die Story hat leider einen Schwachpunkt, den ich nicht auflösen konnte. Man kann schließlich nicht in jedem Handy dieselben ID’s ablegen, weil dann zu viele gleichzeitig Alarm schlagen würden, was unglaubwürdig wäre. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie man hinreichend viele und unterschiedliche Zusammenstellungen von „gefälschten“ ID’s in verschiedenen Häufigkeiten zusammen mit der App ausrollen könnte, ohne dass die Betreiber der App-Stores, also Apple und Google, dies bemerken würden. Es sei denn – und hier würden wir uns tatsächlich auf das Gebiet der Verschwörung begeben – die Tech-Riesen spielten mit, was ich mindestens für abwegig halte, egal was ich sonst von diesen Riesen denken mag. Vielleicht haben meine Leser ja eine Idee, wie der Plot noch zu retten ist, damit ich bei der Deutschen Filmförderung oder in Hollywood mit meinem Drehbuch doch noch ordentlich Kasse machen kann.

* Wie oft die App anschließend gleich wieder gelöscht wurde, kann die Statistik nicht sagen.

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10 Kommentare

  1. Hallo Herr Letsch,

    technisch gäbe es da etliche Möglichkeiten. Neben der von Matt Frepp beschriebenen könnte man die App bspw. einfach über die Updatefunktionalität der App-Stores um die gewünschte Funktionalität erweitern. Der CCC hat ja nur die ursprüngliche Version getestet, ob solche Tests nach jedem Update wiederholt werden, ist zumindest fraglich.
    Am unauffälligsten und kaum bis garnicht nachzuweisen wäre aber in der Tat das oben beschriebene Szenario. Da sich elektromagnetische Wellen anders ausbreiten als Viren reicht es prinzipiell ja schon, eine einzige präparierte Bluetooth-Quelle an einer größeren Kreuzung zu deponieren, um alle Verkehrsteilnehmer, die diesen Bereich betreten bzw befahren, als „infiziert“ zu markieren.
    Es hinterfragt ja jetzt schon kaum jemand, wie ein Virus durch geschlossene Autoscheiben oder Mauern gelangen soll, was Bluetooth problemlos schafft. Man kann sich ja testweise den Spass machen und bspw vor einem Mehrfamilienhaus prüfen, wieviele Bluetooth-Geräte in Reichweite sind, auch wenn man dabei keinen einzigen Menschen zu sehen bekommt.

    Vielen Dank für Ihre Webseite und die besten Grüße!

  2. Hallo Roger, ich finde das Exposé für den Corona Thriller gar nicht schlecht. Und über Logikfehler würde ich mir keine Gedanken machen. Sind Bond Filme logisch? Na also. Misch noch ein wenig Drama, Action und Kawumm rein dann kauft es Hollywood. Ein gut aussehender Held wäre auch nicht schlecht.
    Aber Spaß beiseite. Braucht die Regierung die App um eine zweite Welle zu faken? Ich glaube nicht. Es würden einfach per Medien und Internet neue Infektionszahlen veröffentlicht und fertig. Wer will und kann das überprüfen? Und dass die App nicht auf Rot umspringt, tja Glück gehabt und keinem Infizierten begegnet.
    Viel bedenklicher finde ich die Idee solch eine App für etwas Anderes zu nutzen. Auf einer Demo gewesen und neben einem Rechten oder Aluhutträger gestanden? Pech gehabt, mit den Konsequenzen musst du leben.

  3. Ist doch kein Problem, Herr Letsch: Sie müssen nur bei den hypothetischen „Test-IDs“ ein bisschen kreativ sein. Manche davon werden auf alle Handys installiert, manche nur auf 10%, manche nur in definierten Regionen usw. Schon kann man jedes beliebige Szenario vom nie ganz verschwindenden sporadischen Infektionsgeschehen über einen lokalen Ausbruch bis hin zu einer allgemeinen tsunamiförmigen zweiten Welle durchspielen.

    Ich selbst werde mich dieser App verweigern. Nicht, weil ich an ein derartiges Szenario glaube. Aber selbst, wenn diese App im Moment noch der in Programmcode gegossene Altruismus schlechthin sein sollte: Die Politik wird es mit der Zeit schon zielgerichtet zu nutzen verstehen, wenn es sich durchgesetzt hat.

    Aber ich befürchte, diese App wird sich durchsetzen. Spätestens, wenn man eine Pokemon-ähnliche Spielmöglichkeit hinzufügt oder payback-Punkte darüber verteilt. Dann wird das Offensichtliche gerne übersehen. Genau, wie gerne übersehen wird, dass bei den tollen Lockerungen der Coronabestimmungen die bestehenden Einschränkungen einfach nur durchdekliniert und dabei immer kleinteiliger und engmaschiger gemacht werden.

  4. Ich hab kein Händie, hatte nie eins, will keins, brauchte nie eins und und brauch auch jetzrt keins.
    Was ist mir mir?
    Ich seh‘ all die ?§$%& in Bus und S-Bahn wischen und/oder wie einst die Dorfdeppen laufend vor sich hin ins Leere sprechend.
    Was ist mit denen?

    Wer ist normal, ich oder die?

    (Vielleicht nur ’ne Altersfrage? …oder gar eine Frage der Bildung? Intelligenz?)

  5. Hmm…
    Mit den gängigen Corona-Antikörper-Tests, die versuchen mit einer falch-positiven Inzidenz von 5% und einer falsch-negativen von 15% etwas zu finden, das von vornherein eine Prävalenz von 2-3% hat, braucht man verwirrende Daten nicht gerade zu simulieren.
    Eine Möglichkeit sehe ich trotzdem: Nachdem ich nicht weiß, wie die App eigentlich auf einen falsch-positiven Test reagiert – kann man sie „zurückstellen“ und alle Kontakt-IDs bekommen dann eine Entwarnung? – oder ob es die Möglichkeit gibt, negative Tests einzugeben (andere fotografieren ihr Mittagessen: es gibt bestimmt Leute die das tun würden, einfach weil sie es können) – könnte man natürlich so und so oft ein zu einer „echten ID“ gehöriges negatives Testergebnis auf (falsch) positiv umfälschen. Huppala, Ihre Wurstfinger beim Bedienfehler auch immer! Bis der negativ getestete (Sausage-)Digital Native den „Bedienfehler“ bemerkt, sind die Warnungen vor der roten ID erstmal versandt und sorgen für den nötigen Red Scare.

    Zum Virus selbst: die erste große Infektionswelle ist seit Anfang April vorbei, Hitze scheint dem Coronavirus zuzusetzen – also wäre es durchaus sinnvoll eigentlich gerade jetzt bis auf Seniorenheime und ähnliches weitestgehend wieder alles aufzumachen (vielleicht mit allgemein sinnvollen Appellen wie dem erst länger als zwei Wochen nach dem großen Fußballspiel die 100jährige Uroma zu besuchen), um bis zum Herbst genug Summenimmunität bei Jungen und Gesunden aufzubauen dass die zweite Welle vielleicht gar nicht erst kommt. Wenn das fehlschlägt, baut man so vielleicht wenigstens ein kleines finanzielles Polster (auch volkswirtschaftlich), um den Herbst-Corona-Sturm besser aussitzen zu können.

  6. och ganz einfach. Der König schickt bei Bedarf 20 Hofschranzen los, jeder hat auf seinem Händy eine rote Nummer. Die tummeln sich ein paar Stunden in Fussgängerzonen, in Stadparks, in Einkaufszentren und in Fussballstadien. Sollte genügen. Viel Glück in Hollywood! 🙂

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