Während die Meinungsforscher, die vor der Wahl hochtourig im Leerlauf drehten, nun seltsam kleinlaut geworden sind, schrauben sich nach der Wahl von Trump die Journalisten weiter in ungeahnte Höhen. „Angriff auf die Globalisierung“ oder „Warum man sich für Trump schämen muss“ (FAZ), „Schwarmintelligenz, Schwarmdummheit“ (Tagesspiegel), „Es geht nicht um „wir“ gegen „die“. Es geht um uns“ (bento), „Die Welt unter Trump – so könnte 2017 werden“ und „American Psycho“ (SPON). Man könnte den Verdacht haben, hier soll „die Angst instrumentalisiert werden“, obwohl für sowas in Deutschland doch die Rechtspopulisten zuständig sind. Womöglich denkt man in den Redaktionen, solange unsere Regierung noch nicht von offener Parteinahme in einem Wahlkampf eines befreundeten Landes auf „business as usual“ umgeschaltet hat, kann man die alten Stereotype ruhig noch etwas weiterverwenden – man hatte sich ja auch schon so daran gewöhnt und der Leser gruselt sich doch so gern. Also steinmeiert es gewaltig im Blätterwald und bei solcher sinnbefreiten Tätigkeit darf Jakob Augstein natürlich nicht fehlen und deshalb pustet er das Laub mal nach links und mal nach rechts.

„Trump ist kein Demokrat. Er ist ein Faschist. Trumps Sieg ist der letzte Beweis dafür, dass die liberale Demokratie in einer existenziellen Krise ist. Sie droht den Kampf mit dem Kapitalismus zu verlieren.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Augstein „liberal“ sagt, aber „sozialistisch“ meint – diese Begriffsverwechslung zieht sich wie ein roter Faden durch seine Artikel. Es wird derzeit viel Schindluder getrieben mit dem Begriff „liberal“. Da es derzeit keine wirklich sichtbare Partei in Deutschland gibt, die diese politische Grundeinstellung glaubhaft vertritt, schreibt sich einfach jeder dieses putzige Wörtchen auf die Fahne, ohne dabei jedoch die Ideen von Locke, Mill und Smith zu verinnerlichen. Man übersetzt „liberal“ gern als „frei“ und das kann leider alles Mögliche bedeuten. Zum Beispiel „frei von anderen Meinungen“, „frei von Widerspruch“ oder „frei von Fehlern“. Die Gesellschaft müsse sich laut Augstein klar in Richtung Bevormundung durch selbsternannte systemkonforme Eliten bewegen. Hin zu Regulierung, Vorschrift und Umverteilung. Doch der sozialistische Silberstreif, den Augstein am Horizont leuchten sah, war in Wirklichkeit nur die Haartolle von Donald Trump. So ein Pech aber auch!

„Trumps Sprache, seine Frisur, seine Gesten, der ganze Mann – eine lächerliche Figur. Aber wer sich Aufnahmen von Benito Mussolini ansieht, wird auch ihn für eine lächerliche Figur halten. Vom „Führer“ nicht zu sprechen.“

Echt jetzt? Wie spießig muss man sein, um sich derart am Äußeren eines Menschen abzuarbeiten? Auf Halbsätze der Art „…und wie der schon aussieht…!“ folgte noch nie eine fundierte inhaltliche Kritik. Allerdings kommen aus derselben Richtung häufiger Kritik bezüglich Trumps oberflächlichem Geschmack in Bezug auf Frauen. Stellt man beide Vorwürfe nebeneinander, wird es oberflächlich bis peinlich für den Kritiker. Das können Sie doch besser, Herr Augstein!

„Viel zu viele Journalisten und Politiker haben ihren Frieden damit gemacht, dass die Kräfte des Kapitalismus die Demokratie in den vergangenen dreißig Jahren beständig erodiert haben. Viel zu viele haben Partei bezogen und sich auf die Seite der Gewinner geschlagen. Das anschwellende Murren der Verlierer haben sie nicht gehört.“

Vor diese Aussagen gehört ein Doppelpunkt und vor dem Doppelpunkt sollte stehen „Augstein über Augstein“! Nur eine kleine Korrektur hätte ich. Nicht der Kapitalismus nagt an der Demokratie. Es ist der Sozialismus, weil der in einer Demokratie nun mal nicht funktionieren kann. Deshalb schafft er sie ab, wo auch immer er die Macht ergreift und mit der Meinungsfreiheit fängt er jedes mal an. Der Kapitalismus kommt mit fast jeder Regierungsform irgendwie klar – seine besten Tage erlebt er aber dort, wo es Demokratie gibt. Vergleicht man zum Beispiel die Volkswirtschaften Deutschlands und Russlands unter diesem Aspekt, erkennt man dies leicht.

„Man sollte von den Machtlosen keine Verantwortung erwarten, wenn sich die Mächtigen verantwortungslos verhalten. Nach dem Versagen der liberalen Demokratie blüht uns nun ein autoritäres Zeitalter. Trump, Putin, Erdogan, Netanyahu, bald Le Pen – diese Leute werden sich alle gut verstehen.“

Alle vier Jahre, Herr Augstein, sind eben diese Machtlosen die Mächtigen, wenn sie in Massen ihre Stimme bei Wahlen so abgeben, wie es ihre eigene Meinung ihnen empfiehlt. Dies zum Versagen der Demokratie umzudeuten, weil Ihnen das Ergebnis nicht passt, ist eine Frechheit. Und diese Aufzählung, meine Güte! Wenn es gilt, die Schurken dieser Welt aufzuzählen, würde Augstein nie seinen Lieblingsschurken Netanyahu vergessen! Aber die Wahlen in Israel waren frei und geheim wie die in den USA. Dass die Israelis es aber wagten, jemanden zu wählen, der Augstein nicht passt, ist natürlich eine Schande. Welche Gemeinsamkeiten Netanyahu allerdings mit Putin und Erdogan haben soll, ist mir schleierhaft. Ich hätte eine andere Liste, Herr Augstein: Castro, Maduro, Mugabe, Rohani, Zulu, Kim, Erdogan. Alles feine Herren, die sich im Namen eines beliebigen *ismus um eine perpetuierte Revolution in ihren Ländern verdient machen. Im Namen dieser Revolution klammern sie sich an die Macht, negieren die wirtschaftliche und soziale Situation in ihren Ländern und geben dem „Westen“ allgemein oder den USA im Besonderen die Schuld an ihrer Misere. Ob Trump in die Liste Augsteins oder in meine gehört, können wir noch nicht wissen. Netanyahu gehört jedoch weder in die eine noch die andere!

„Trump hat angekündigt, dass sich die USA unter seiner Präsidentschaft aus den Händeln der Welt heraushalten werden. Das wenigstens wäre ein Fortschritt. Die Welt ist durch die Interventionen seiner Vorgänger kein besserer Ort geworden. Im Nahen Osten haben die USA ein Chaos angerichtet. Gegenüber China sind die Grenzen amerikanischer Macht längst sichtbar. Der Spott, mit dem Obama Russland seinerzeit als „Regionalmacht“ bezeichnet hat, könnte bald auf die USA selbst zurückfallen. Globale Ordnung, falls es die jemals gegeben haben sollte, kann dieses Land nicht mehr garantieren.“

Was Augstein hier als „Fortschritt“ bezeichnet, ist das Mantra der deutschen Friedensbewegung seit der Zeit von Vietnamkrieg und Nato-Doppelbeschluss. Aber bohrt man etwas tiefer, wird die Sache komplizierter. Jahrzehnte lang konnte sich Europa sicher fühlen und an die NATO glauben, weil diese doch am Ende größtenteils von den USA unterhalten wurde. Alle wussten, dass im Notfall echte Truppen nicht weit entfernt waren. „Lasst das mal die Amis machen“ war die Devise – wenn man das auch nicht gern laut sagte. Und als Bonus gab’s noch obendrauf die Möglichkeit, Amerika für das an den Pranger zu stellen, was Amerika tat, wenn es sich irgendwo einmischte oder wahlweise dafür zu schelten, das Amerika sich an anderer Stelle nicht genug einmischte. Die Kritiker wussten, dass die Amerikaner Demokraten genug waren, um mit dieser Kritik umzugehen, sei sie nun berechtigt oder nicht. Nun wächst die Angst, die „Friedensdividende“, die man in Europa nach Ende des kalten Krieges genüsslich verspeiste, könnte in Zukunft durch eine fette Rechnung aus den USA ersetzt werden. Europa – und insbesondere Deutschland – schlüpfte seit Jahrzehnten unter die Schutzdecke amerikanischer militärischer Stärke, ohne dass wir uns große Gedanken darüber machten, wer das alles bezahlt.

Ja, militärisch haben die USA so einiges an Porzellan zerschlagen. Nirgends wurde dies lauter beklagt, als in der deutschen Linken. Aber Europa ist bis heute nicht in der Lage, seine Interessen angemessen selbst zu schützen. In den Kriegen beispielsweise, die auf den Zerfall Jugoslawiens folgen, mussten wir Amerika zu Hilfe rufen und ausgerechnet eine deutsche Linksgrüne Regierung musste dies tun! Nicht mal vor unserer Haustür können wir Konflikte verhindern! So gesehen hat Trump nicht ganz unrecht, wenn er andeutet, dass Amerika nur Ärger und Undank bekommt, wenn es sich irgendwo einmischt. Ich bin schon sehr gespannt, wie Europa mit den Konflikten in der Ukraine und Georgien oder dem sich anbahnenden Konflikt in Transnistrien umgehen wird. Das Herstellen einer „globalen Ordnung“ hat sich die USA bisher eine Menge kosten lassen. Das könnte einer der Gründe dafür sein, dass weite Teile der USA wirtschaftlich am Boden liegen. Die Wahl Trumps könnte das Ziehen der Reißleine gewesen sein, weil die USA mit der alleinigen Herstellung dieser für uns so bequemen Ordnung langfristig überfordert sind. Nur zur Erinnerung: Schon die letzten beiden US-Präsidenten hatten viele mahnende Worte über die zu geringen europäischen Militärausgaben verschwendet. Nahmen wir das ernst? Nein! In solchen Dingen fühlten wir uns nicht herausgefordert, wir hatten ja die Amerikaner! Europa fühlte sich stattdessen moralisch so überlegen, dass sich in Berlin oder Brüssel niemand auch nur vorstellen konnte, das „vereinte europäische Haus“ könne nicht nur als „strahlendes Vorbild für die Welt“, sondern auch irgendwann als lohnendes Objekt für Plünderungen interessant sein.

Augstein: Faschismus bedeutet Frieden

Wenn Adenauer frotzelte „was schert mich mein Geschwätz von gestern“, konnte er zumindest bei einem großen Teil der Zuhörer davon ausgehen, dass ein großer Teil seines früheren Geschwätzes wirklich nicht mehr erinnert wurde. Die Informationen verschwanden in Sitzungsprotokollen, ARD-Archiven und auf Microfilm und es brauchte schon einiges an Kenntnis um Lage und Benutzung der Archive, um diese „Geschwätz“ bei passender Gelegenheit auf Beständigkeit überprüfen zu können. Und eines Presseausweises bedurfte es auch. Augsteins „Geschwätz von gestern“ ist aber genauso leicht zugänglich, wie meines. Und fasst man Jakob Augsteins Aussage über Trump aus den Kolumnen vom 10.11.2016 und dem 20.10.2016 zusammen, erhält man ein erstaunliches Ergebnis. Im Oktober schrieb er nämlich:

„Gibt es wenigstens einen einzigen Grund, auf einen Sieg von Donald Trump zu hoffen? Ja: den Frieden. Hillary Clinton will im Syrienkrieg die militärische Konfrontation mit Russland riskieren. Das kann Deutschland nicht wollen.“

Da Augstein Trump für einen Faschisten hält, würde dies bedeuten, dass ausgerechnet ein Faschist der Garant für den Frieden sein kann und meine Kinnlade macht sich auf den Weg in Richtung Schreibtisch. Das ist selbst für Augstein eine ziemlich wirre Aussage – oder eine dumme! Ich vermute ja eher, dass Trump sich mit Putin oder Erdogan nicht lange im selben Raum aufhalten können wird, weil die aufgeblasenen Egos der drei eine innige Umarmung kaum zulassen werden und was daraus entstehen kann, will ich mir lieber nicht ausmalen…aber was weiß ich schon! Zumindest der Satzteil mit dem Frieden könnte aber langfristig stimmen. Es könnte aber ein Frieden werden, den Europa selbst schaffen und verteidigen muss. Ausnahmsweise mal. Etwas, dass wir seit über 100 Jahren nicht mehr hinbekommen haben.

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2 Kommentare

  1. Das wirklich Erstaunliche ist, dass diese „Journalisten“ sich tatsächlich für Vertreter eines liberalen, demokratischen Systems halten. Ob es ihre „Kollegen“ in der Ex-DDR, deren Tätigkeit unter dem offiziellen Motto „Unsere Presse – die schärfste Waffe der Partei“ auch so empfanden?

  2. Sehr geehrter Herr Letsch,
    Danke bestens für Ihren Artikel!
    Die (falsche) „Friedenstaube“ hat die Wahl verloren.
    Das Gejammer der „Bekloppten“ ist enorm, aber es verrinnt im Sand.
    MfG,
    Klaus Kaiser

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