Namenswitze verbieten sich im Journalismus genauso wie derbe Bemerkungen über fachfremde und damit irrelevante Äußerlichkeiten. „Wie der/die/das schon aussieht“ geht gar nicht und ist genauso unstatthaft wie „wenn ein Politiker schon ‚Lügen‘ heißt, was soll man da erwarten“. Nein, sowas lassen wir schön bleiben, selbst wenn bereits das Zitat in der Überschrift des Interviews der WELT mit Olaf Lies, dem Energieminister Niedersachsens, tatsächlich eine Lüge ist. Er behauptete doch allen Ernstes, wir „würden mit Atomkraft keine Kilowattstunde mehr erzeugen“, wenn wir die verbliebenen drei Kraftwerke länger am Netz ließen.
Nun bräuchte ein stattlicher deutscher Druckwasserreaktor noch im Herunterfahren kaum länger als einen Wimpernschlag für diese kleine Energiemenge am jungen Neujahrsmorgen 2023 und würde den Minister leicht der Lüge überführen, aber wir wollen mal nicht kleinlich sein und lassen den Spruch als Metapher durchgehen, selbst wenn auch diese nicht stimmt. Könnte uns doch angesichts des vom Wirtschaftsminister Habeck ausgerufenen Gasnotstands bald buchstäblich jeder Hamster im Laufrad mit Fahrraddynamo eine Hilfe sein. Für die deutsche Kernkraft ist der Zug wohl tatsächlich abgefahren, und zwar ausschließlich deshalb, weil die Politik alle Gelegenheiten hat verstreichen lassen, in Anbetracht der Krise auf der Angebotsseite noch die Reißleine zu ziehen. Im Februar vielleicht oder im März, wäre es noch gegangen. Mit langem Nachdenken und Zögern vielleicht auch noch im April oder Mai. Wenn sich aber selbst Ende Juni noch kein politischer Wille artikuliert hat, ist es tatsächlich zu spät, denn übermorgen wird schon Dezember sein und am 31. desselben war’s das dann. Dank der an Dummheit grenzenden Denkfaulheit von Politikern wie Merkel, Scholz, Baerbock, Habeck und Lies.
Frieren oder Wirtschaftseinbruch
Frieren oder Wirtschaftseinbruch, Herr Minister, welches Schweind’l hätten’s denn gern? So fragt die WELT. Und Lies, der beides nicht will und doch beides nicht verhindern kann, erklärt erst mal, dass die Gaskraftwerke vom Netz genommen werden und die Industrie auf Sparflamme gesetzt wird.
„Wir motivieren die Industriebetriebe mit einem Ausschreibungsmodell dazu, auf die Nutzung von Gas möglichst zu verzichten. Und wir werden die Bürger dazu animieren, auch im Winter deutlich weniger Gas zu verbrauchen.“
Das ist, als würde man einem Bergsteiger in 8.000 Meter Höhe empfehlen, flacher zu atmen. Wie dieser Verzicht im Privaten funktionieren soll, sagt der Minister auch: „Optimal gewartete Heizungsanlagen“ brauchen 15-20 Prozent weniger Gas. Wieviele der installierten Anlagen dieses Potenzial überhaupt noch haben und wieviele Haushalte sich eine Verschwendung von 15-20 Prozent bisher leisten konnten, weiß der Minister zwar nicht, sieht aber „erhebliches Sparpotenzial“. Die Anlagen „rechtzeitig auf Vordermann“ bringen, das muss jetzt sein. Ist doch ganz einfach!
Eigentlich eine Ohrfeige an die Branche der Heizungsmonteure und Schornsteinfeger, die diese Ordungsmäßigkeit jährlich attestieren müssen und auch ins Gesicht der Hausbesitzer, die durch übertriebene Dämmungsmaßnahmen oder neue, teure Technik den seit Jahren steigenden Heizkosten zu entgehen versuchen und nun auch noch den CO2-Heiz-Fußabdruck ihrer Mieter finanzieren müssen. Soll man also sämtliche – sagen wir zehn Jahre alten – Anlagen rausreißen und durch neue ersetzen? Mit welchem Geld? Mit welchen Anlagen? Welche Monteure sollen das erledigen und in welcher Zeit? Wann hat Lies eigentlich zuletzt mit einem Heizungsbauer in Braunschweig oder Hauseigentümer in Buxtehude gesprochen? In vier Monaten beginnt die Heizsaison und Lies denkt jetzt darüber nach, Energiespar-Experten loszuschicken und Förderprogramme aufzulegen! Hier, in Deutschland, wo die Handwerker selten sind wie Einhörner, älter als die Lehrer und die Handwerkslehre scheuende Gen-Z am liebsten GenderologiX beim NDR werden möchte oder auf Straßen klebt und „das Ende ist nahe“ ruft!
Ein Gasproblem, kein Stromproblem
„Wir haben ein Gasproblem, kein Stromproblem. Und für das Gas, das wir zurzeit zur Verstromung nutzen, haben wir eine Ersatzlösung. Längere Laufzeiten bei den Kohlekraftwerken. Das tut mir zwar weh. Wir haben ja lange genug über den Kohleausstieg verhandelt. Aber es muss nun mal sein, um den Strom zu ersetzen, den wir bisher mit Gaskraftwerken gewinnen.
Die Debatte über die Verlängerung der Atomkraft können wir uns sparen. Wir würden keine Kilowattstunde mehr erzeugen, denn die Kraftwerke würden zwar länger, aber bei verringerter Leistung laufen müssen. Was wir brauchen, ist ein turboschneller Ausbau der Erneuerbaren.“
Nein, eine Ersatzlösung habt ihr nicht! Und zwar deshalb, weil es gerade die schnelle Regelbarkeit der Gaskraftwerke war, die die Volatilität von Sonne und Wind abpuffern half. Das billige russische Gas war die dunkle Seite der Energiewende, die reaktivierten Kohlekraftwerke kann man nicht wie ein Rodeo-Pferd reiten, da sträubt sich die Physik, was die Politik natürlich nur wenig interessiert. Es fällt also künftig eine entscheidende Regelgröße weg, was uns noch ein Stückchen dichter an Netzabschaltungen und einen Blackout bringen dürfte und die Industrie – oder das, was von ihr noch übrig ist – zu einer weiteren Kehrtwende zwingt. Diesmal in Richtung deutsche Außengrenze.
Gestern: raus aus Kohle und Atom, heute: raus aus allem
Zurück ins Jahr 2019. Die älteren werden sich erinnern an die Zeit, als Corona noch eine Biermarke und Putinversteher eine anerkannte politische Qualifikation war. Die energiehungrige Stahlbranche wagte den Aufbruch in die energiegewendete Postmoderne. Ein jeder springt halt so hoch und weit wie er kann, wenn die Politik es gegen jede Realität verlangt – solange die Politik genug Steuergeld bereitstellt. Vorneweg sprang die Salzgitter AG, die ihre drei Hochöfen schrittweise auf „Low CO2 Steelmaking“ umstellen wollte und dafür in die Wasserstoffwirtschaft einzusteigen und aus der Nutzung von Kohle auszusteigen versprachen. Auf der SALCOS-Projektseite drehen sich schon die Windrädchen in der Animation und ein Artikel auf „EURACTIV“ vermeldete begeistert, dass es auf dem Werksgelände sogar schon eine 3D-Animation der geplanten Anlage gäbe. Die Revolution in der Stahlindustrie! CO2-Neutralität zum Greifen nahe!
Die Windräder für den Strom, den die Elektrolyse braucht, stellte die E.ON-Tochter Avacon auf, sieben insgesamt. Doch schaut man sich das Schaubild etwas genauer an und nicht nur auf die drehenden Windmühlen, fällt der süße kleine Tanklaster mit der Aufschrift „Linde“ auf, der jenen Wasserstoff anliefert, den die sieben Windräder gerade nicht durch Elektrolyse erzeugen können, weil die Anlagen zu klein sind oder der Wind gerade nicht weht. So ein Hochofen kennt ja keinen Wetterbericht und will es auch bei Flaute schön warm haben. Der „Grüne Wasserstoff“ soll also vor allem der moralischen Veredlung des fossilen dienen, welcher, wir ahnen es, großtechnisch aus Erdgas gewonnen wird. Der nennt sich dann „Türkiser Wasserstoff“, was uns nicht weiter kümmern muss, denn es gibt auch noch grauen, blauen, gelben oder pinken. In der energiewendegetriebenen Wasserstoffwirtschaft geht es mittlerweile bunt zu wie auf einer LGBTQ-Flagge.
Die bei der Stahlerzeugung benötigten Mengen an wie auch immer „gefärbtem“ Wasserstoff sind jedoch interessant. EURACTIV wusste zu berichten, dass bei Salzgitter AG pro Stunde und Hochofen 80.000 Kubikmeter Wasserstoffgas erforderlich sind. Das entspräche einer Elektrolyseleistung von 330 MW. Kontinuierlich! Bedenkt man, dass die heute größten On-Shore-Windkraftanalge eine installierte Leistung von lediglich 5-7 MW haben, bräuchte man für alle drei Hochöfen der Salzgitter AG im Endausbau rein rechnerisch nicht sieben, sondern zwischen 140 und 200 Windkraft-Anlagen und natürlich eine ganzjährige 24/7 Starkwindgarantie, von der aber noch nicht klar ist, ob sie wie das 9-Euro-Ticket einfach politisch beschlossen, oder durch Energieministergeschwätz geschaffen werden kann. Das Gegenteil ist offenbar der Fall: im letzten Jahr sank in Deutschland die Energiegewinnung aus Wind trotz Zubaus etwa auf den Stand von 2018. Der Verweis auf den künftigen Import „Grünen Wasserstoffs“ aus den Niederlanden klang auf der SALCOS-Webseite leider auch wenig überzeugend, schließlich sind die Anlagen bei unseren Nachbarn noch nicht mal gebaut und falls sie es eines Tages sind, dann sicher nicht nur zu dem einen Zweck, in Salzgitter drei Hochöfen zu betreiben.
Diese Meldung stammt nun wie gesagt aus 2019 und das Problem, an dem die Politik damals laborierte, hieß Kohleaus- und Gaseinstieg. Die Strompreise brachten die Firmen damals schon um den Schlaf und viele energieintensive Betriebe hatten – in Vertrauen auf die politischen Versprechungen – ihre Prozesse gerade von Strom auf Erdgas umgestellt. Einerseits um der Kostenfalle Stromkosten und und andererseits dem Damoklesschwert der Zwangsabschaltung bei Netzüberlastung als „Abwurflast“ gegen Entschädigung zu entgehen. Doch Entschädigungen schmelzen weder Aluminium noch Stahl, weshalb das SALCOS-Projekt eben die scheinbar richtige Antwort der Salzgitter AG auf die politische Vorgabe „Kohleausstieg“ war.
Wie es wohl heute um das Projekt bestellt ist? Auf der Projektseite mit all den schönen Grafiken, salbungsvollen Worten und beeindruckenden Anglizismen findet sich jedenfalls, ganze drei Jahre später, kaum ein Wort über den Sachstand. Stattdessen wolkige Zeithorizonte und Inbetriebnahme-Ankündigungen für Versuchsanlagen im Westentaschenformat. Die nackten Fakten findet man – wie üblich in der staatsabhängigen Wirtschaft – erst im Kleingedruckten. In diesem Fall im Quartalsbericht 1/2022 wo es heißt: „SALCOS® – Salzgitter Low CO2 Steelmaking: Kurz vor Investitionsentscheidung im Aufsichtsrat“. Die verfügbare Energie der Wasserstoffwirtschaft taugt momentan also für kaum mehr als die Erwärmung von Luft und Gewissen, Eisenerz lässt sich damit nicht in Stahl verwandeln und angesichts des sich gerade drehenden „Windes“ in Sachen Gas wird man bei der Salzgitter AG froh sein, noch keinen Fakten geschaffen zu haben und weiter Stahl aus Eisen und Koks kochen zu können.
Was machen so kurzfristige politische Kehrtwenden wie die heutige und ihre vielen Vorgänger mit der Investitionsbereitschaft der Wirtschaft? Zumindest ist die Frage beantwortet, warum sich in Deutschland ohne vorher reichlich fließende Subventionen kaum noch ein Rad dreht. Der Energieminister Niedersachsens hat sich offenbar daran gewöhnt, denn er spricht davon, dass „wir Deutschen unsere Anreize brauchen“. Für Salzgitter AG dürfte der Anreiz (den Förderbescheid hat Ministerin Svenja Schulze 2020 feierlich übergeben) derzeit kaum ausreichen, metallurgisch von der Klippe zu springen und dabei das Fliegen jenseits der Gesetze der Physik zu lernen.
Ein weiteres Merkmal der Denkfaulheit mancher Politiker ist die Fehleinschätzung der Wirkung der Signale, die sie bei all ihrem Problemlösungsaktionismus aussenden. Da wären die Drohungen und das Gejammer über die bösen Ölkonzerne, die gerade Kasse machten. Wie ist denn die Lage, wenn man sie aus der Sicht von Shell, Esso oder BP betrachtet? Da ist dieses willkommene Argument, Putin treibe die Preise hoch und gleichzeitig die Bekräftigung der Ankündigung der Politik, bald sei Schluss mit Benzin und Diesel. Macht man dann an der Zapfsäule einen Schlussverkauf und gibt satte Rabatte, oder sagt man sich „nimm mit was du kriegen kannst, solange es noch geht“ und dreht an der Schraube, zumal die Politik die Schuld daran so wohlfeil und willkommen dem bösen Putin in die Schuhe schiebt? Investitionen bleiben aus, der perspektivisch schrumpfende Markt wird uninteressant, weil sein Ende durch politische Hybris in Sicht ist. Mit Moralkeulen kann man auch nichts mehr ausrichten, nachdem die Fossile Energie ohnehin unisono für den Untergang der Welt verantwortlich gemacht wird.
Entscheidend wäre, die Energiequellen zu diversifizieren und technologieoffen Investitionen anzulocken. Und zwar vorgestern! Es geht nicht mal darum, dass die Ergebnisse sofort sichtbar werden, wie es Habeck erfolglos versuchte, als er in Katar auf den Knien lag. Die Ankündigung, sichere Rechtsgrundlagen für Investitionen zu schaffen, rechtlich abzusichern und zu erhalten, wäre bereits die halbe Wirkung, auch auf die Preise. Stattdessen sowas hier vom Energieminister des deutschen Gaslandes Niedersachsen:
„Fracking in Sandgesteinsschichten machen wir seit Jahrzehnten, und das bleibt auch erst einmal so. Was wir nicht machen werden, ist Erdgasförderung aus Schiefergestein. Das lehne ich ab.
Es hilft uns aktuell überhaupt nicht, weil es Jahre bräuchte – wir gehen von mindestens fünf bis sechs Jahren aus – bis wir die ersten Kubikmeter fördern könnten. Die Herausforderungen haben wir aber in diesem Winter. Und wenn wir so weit wären, würden wir mit dem Frackinggas das fossile Zeitalter unnötig verlängern. Und die Klimaziele mit Sicherheit nicht erreichen.“
Sandstein ja, Schiefer nein. Warum? Der Minister lehnt es ab, fertig! Von anderswo nehmen wir das Schiefer-Fracking-LNG aber gern, so wie wir auch Strom aus französischen Kernkraftwerken nehmen, solange wir dabei das Fähnlein der überlegenen Moral kräftig flattern lassen können. Und Lies dreht das Argument sogar noch um, weil Investitionen in Schiefergas-Fracking uns JETZT nicht helfen, sondern erst in einigen Jahren, macht man es JETZT nicht und wird es folglich nie tun. Unsere Klimaziele erreichen wir so, aber nicht mit Sicherheit, sondern mit Unsicherheit. Oder wie es vielleicht die „Letzte Generation“ zusammenfassen würde: kein Strom, kein CO2-Problem!
Nichts hat er begriffen, der Olaf Lies. Schon gar nicht, dass auch der „turboschnelle Ausbau der Erneuerbaren“ uns nicht über den nächsten oder überhaupt einen Winter bringen kann. Zunächst deshalb, weil in vier oder sechs Monaten niemand die Wind- und Solaranlagen gebaut haben wird, ganz gleich, mit welchen Potenzfloskeln (aus der überkommenen Zeit der schnellen deutschen Verbrenner-Autos übrigens) dies gefordert wird. Die Monteure sind sowieso damit beschäftigt, die Gasheizungen im Land 20% effizienter zu machen, wie Lies es empfohlen hat und fördern möchte.
Spätestens dann aber, lieber Herr Lies, in einem Winter, wie ihn der gnädige Klimawandel (der Herr möge ihn segnen auf allen Wegen) verhindern möge, bekommen wir das, was Sie nicht sehen wollen: ein Stromproblem auf der Spitze des Gasproblems, bei dem uns die verbliebenen Kernkraftwerke sehr wohl hätten helfen können, wenn Sie und Ihre Partei sich nicht bis zum „Point Of No Return“ geweigert hätten, diese Hilfe in Betracht zu ziehen. Die Besitzer von Gasheizungen fangen dank Gasnotstand „Habeck Gelb“, exponentiell steigender Preise und der Realitätsferne der Politik nämlich bereits an, elektrische Heizlüfter zu kaufen. Da wird für die Netzstabilität gerade der Sicherungssplint aus einer Handgranate gezogen für den Fall, dass das Habeck-Gasometer auf „Rot“ springt. Dann wird die Dusche kürzer, kälter und dunkler und die Pendler müssen sich dank des 9-Euro-Tickets im morgendlichen überfüllten Bus zur Arbeit mit Reibungswärme begnügen.