Gemeinsame Erklärungen haben in Deutschland Hochkonjunktur und haben stets einen vergleichbaren Zweck. Sie wenden sich gegen staatliches Handeln oder Nichthandeln, Regierungsprogramme, Beschlüsse oder Nichtbeschlüsse, kurz: sie schlagen Alarm. Und noch etwas haben sie gemein, nämlich eine weitest gehende Ignoranz von Seiten der kritisierten oder wachzurüttelnden Regierung. Denn schon wieder haben sich besorgte Bürger zusammengetan, um ein Papier zu unterzeichnen, in dem es vor Warnungen und Wachrütteleien nur so wimmelt. 154 Wirtschaftsprofessoren und Ökonomen warnen davor, dass das Eurosystem immer weiter in eine Haftungsunion umgewandelt wird und malen in fünf klar umrissenen Wenn-dann-Szenarien auf, wohin die Pläne von Macron, Juncker und der EZB führen werden.

Scholz als Keynesianianer

Der Zeitpunkt ist gut gewählt, denn im Bundestag wird derzeit der Haushalt 2018 debattiert und wohl auch bald beschlossen. Finanzminister Olaf Scholz klopfte sich in der Debatte am 18.5. kräftig auf die eigene Schulter und meinte, er habe im keynesianistischen Sinne alles richtig gemacht, womit er nebenbei bemerkt der allererste Finanzminister wäre, dem das im Geiste des Keynesianismus gelingt. Denn noch nirgends auf der Welt haben die Strohfeuer des Keynesianismus zu gesundem oder nachhaltigem wirtschaftlichen Erfolg geführt. Staaten entdecken die Theorien von John Maynard Keynes nämlich immer dann, wenn besinnungsloses Geldausgeben und Schuldenmachen begründet werden soll. Die Notenpresse (Ein überkommenes Wort in Zeiten der Bargeldabschaffung, gewiss, jedoch als Bild brauchbar.) wird angeworfen, Löhne und Preise steigen, die Wettbewerbsfähigkeit hingegen kein Bisschen. Um den zweiten Teil der Keynes-Gleichung kümmert man sich schon weniger gern. Das Einfangen der Mittel in Zeiten, in denen die Wirtschaft wieder brummt, erweist sich indes als sehr viel schwieriger bis unmöglich. Die Wirtschaft lernt sehr schnell, mit dem staatlichen Geldsegen umzugehen, was umso leichter fällt, je näher man dem Staat und damit der Druckerpresse ist. Die gigantischen Blasen an den Finanzmärkten, deren Phantasilliarden sich längst von jeder realwirtschaftlichen Basis abgekoppelt hatten und haben, sind ein Symptom dieser staatlich alimentierten Geldwerdung.

Das Strohfeuer der Neuzeit brennt in den Öfen der EZB und des ESM und soll über eine Bankenunion und einen europäischen Währungsfond in die Welt getragen werden. Allein die Anleihenaufkäufe des ESM summieren sich derzeit auf schwindelerregende 2,5 Billionen Euro. Geld, mit dem die Liquidität maroder Gläubigerbanken sichergestellt und Staaten widerrechtlich finanziert werden. Der Gegenwert dieser „Assets“ entspricht häufig kaum dem von Bonbonpapier oder Waschzetteln. Woher ich das weiß? Nun, der ESM kauft nur die „Wertpapiere“, die sonst keiner haben will, weil sie risikobehaftet oder dediziert wertlos sind und wie Blei in den Büchern der Banken oder als Mäusefutter in den Kellern der Staaten liegen. Vom Lagern in Frankfurter Kellern werden die leider nicht besser. Was die Wirtschaftsprofessoren fordern, wird denn auch immer dringender.

„Es gilt, Strukturreformen voranzubringen, statt neue Kreditlinien und Anreize für wirtschaftliches Fehlverhalten zu schaffen. Die Privilegierung der Staatsanleihen in der Risikovorsorge der Banken ist abzuschaffen. Die Eurozone braucht ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten und ein geordnetes Austrittsverfahren. Die Kapitalmarktunion sollte vollendet werden – auch weil internationale Kapitalbewegungen asymmetrische Schocks kompensieren. Bei der EZB sollten Haftung und Stimmrechte miteinander verbunden werden. Die Target-Salden sind regelmäßig zu begleichen. Die Ankäufe von Staatsanleihen sollten ein schnelles Ende finden.“

Hinter jedem Satz steckt eine konkrete Sorge oder die Kritik an aktueller Euro-Politik. Das wirtschaftliche Fehlverhalten bezieht sich auf die Angewohnheit der EZB, Marktrisiken pauschal abzufedern, wodurch es zu extremen Verzerrungen und zur Vergemeinschaftung von Risiken kommt. Das fehlende Insolvenzrecht für Euro-Staaten macht das ganze Eurosystem erpressbar, wie wir gerade mit Blick über die Alpen erfahren durften. Die Forderung der sich soeben konstituierenden italienischen Regierung an die EZB, Schulden in Höhe von 250 Milliarden Euro zu streichen (was etwa 10% der Staatsverschuldung Italiens entspricht), hat den Euro schon mal in den Keller rauschen lassen. Sollte diese Idee Schule machen, würde es zwangsläufig zum Bruch des Vertragsverhältnisses von Gläubiger- und Schuldnerstaaten kommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Steuerzahler in den Niederlanden, Österreichs, Luxemburgs und Deutschlands auf Dauer die Streichung von Schulden in Italien, Griechenland oder sonstwo einfach so hinnehmen werden. Nicht mal der durchschnittliche deutsche Sparkassenkunde würde die Erklärung schlucken, dass die Schulden ja nicht bei deutschen Banken, sondern nur bei der EZB gestrichen werden. Die Bundesbank ist schließlich Teil des EZB-Systems, und zwar der größte.

Kann Spuren von Marktwirtschaft enthalten

Minister Scholz irrte in seiner Rede am 18.5. übrigens noch an einer weiteren,  entscheidenden Stelle. Es ist leider genau die Stelle, welche den 154 Wirtschaftsprofessoren den Angstschweiß auf die Stirn treibt und sie fordern lässt, Haftung und Stimmrechte vertraglich zu verknüpfen. Scholz behauptete in seiner Rede, durch den Austritt Großbritanniens werde die deutsche Rolle in der EU aufgewertet. Leider ist das Gegenteil der Fall! Standen sich in der EU der 28 die Stimmrechte der Nettozahler und der Nettoschuldner der EU noch gleichstark gegenüber, fehlen uns ab 2019 die Stimmen der Briten auf der Netto-Seite. Um dieses Ungleichgewicht wieder auszugleichen, müssten die Verträge und die Stimmanteile verändert werden, wozu aber niemand bereit ist und Deutschland auf dieser Forderung aus mir unerklärlichen Gründen nicht besteht. Diese Vertragsänderung kann auch kaum zustande kommen, denn wenn die Mehrzahl der am Tisch sitzenden findet, dass die gemeinsame Pizza-Rechnung immer von Deutschland beglichen werden sollte, kann Deutschland jederzeit überstimmt werden.

Mir scheint, wir sind in Europa schon zu weit gegangen auf dem Weg des Etatismus und der Schuldenwirtschaft, wenn so viele Wirtschaftswissenschaftler die Bundesregierung auffordern müssen, sich auf die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückzubesinnen. Im Gegensatz zur Bundesregierung, welche diesen Begriff bei jeder Gelegenheit in Sonntagsreden benutzt, sind 154 Experten offenbar der Meinung, dass wir dorthin erst mal wieder zurückfinden müssen. Denn was wir augenblicklich haben, kann man am ehesten als Staatswirtschaft mit anonymisiertem und zentralisiertem Kommandosystem mit sozialistischem Antlitz bezeichnen, in dem sich nur noch Spuren von Marktwirtschaft finden.

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2 Kommentare

  1. Versuche gerade, eine Brücke zu schlagen, um meine Nachtgedanken (exklusiv!) in der Hoffnung unterzubringen, dass sie anderen von Nutzen sein können. Hmmm, Rehmagen?

    Habe mich, obwohl seit fast 15 Jahren nicht mehr in Deutschland lebend, dennoch jahrelang über die Nachrichten aus D geärgert. und mich immer wieder gewundert, wie man als ein durchschnittliches Etwas, das 10 oder 13 Jahre lang in Deutschland zur Schule gegangen ist, in etwa so dämlich sein kann wie ein Bund Brunnenkresse.

    Was mich allerdings noch stärker gewundert hat (als jemand, der eigentlich überhaupt nichts mehr mit der alten Heimat zu tun hat), das ist, warum es mich überhaupt noch kümmert, ob/wann Deutschland in Schutt und Asche versinkt (könnte mir ja doch schietejal sein).

    Heute Abend, in einem Gespräch mit meinem Freund Graeme, fand ich die Antwort:

    Von Kindheitsbeinen an stellten die Werte der deutschen, westlichen Zivilisation MEINE GEISTIGE WELT dar. Auf „Neudeutsch“ übersetzt: „Vor dem Fausteinsatz kommt Worteinsatz“, „Ein Gesetz für Alle“, „Eigenverantwortung statt Schnorrertum“, „Religion ist Privatsache“, „Geh‘ Deinen Nachbarn nicht auf den Sack!“, „Regeln sind für Alle da!“, uvm.

    Dem Verfall dieser, von mir für selbstverständlich gehaltenen Werte, zuschauen zu müssen ist einfach unerträglich! Besonders dann, wenn diese von einem Teil der verwahrlosten Bevölkerung obendrein auch noch bekämpft werden.

    Wenigstens verstehe ich nun, was für mich wichtig ist. Deutschland? Nein. Die westliche Zivilisation? Absolut!

  2. Was bringt es noch, sich endlos über Sachverhalte/Personen auszutauschen, oder sich aufzuregen, wenn selbst 6 Milionen Menschen, die eine neue Partei namens AfD wählten, komplett ignoriert oder bekämpft werden? Wie steht es um die 160.000 Unterzeichner der E-18? Dito. Kümmert in Berlin & Brüssel garantiert niemanden.

    Nun wieder einmal das endlose Herumgegurke der EU in Sachen EURO. Was soll man dazu eigentlich noch sagen? Ich weiss es nicht.

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