Wer in der DDR ohne Studium der Klassik Musik machen wollte, durfte auf Veranstaltungen selbstverständlich nicht einfach so drauflosfiedeln! Alles musste seinen „sozialistischen Gang“ gehen, wie man das nannte. Denn es konnte und durfte nicht sein, dass man einfach von sich aus und ungeprüft musikalische – und womöglich textlich/politische Aussagen durch die Gassen trällerte. Man brauchte eine Einstufung, auch Pappe genannt, die von „verdienten Kunstbeurteilern des Volkes“, einer Kommission, in mehreren Stufen vergeben wurde. Es entbehrt zum Beispiel nicht einer unfreiwilligen Komik, wenn ein befreundeter begabter Soulsänger, der aus Sambia kam, dessen Muttersprache Englisch war und dessen Deutsch in Momenten der Aufregung nur aus Schimpfworten bestand, von solchen „Kommissionen“ gefragt wurde, welche „Deutschen Lieder“ er im Repertoire habe. „Keins? Keine Einstufung!“ – „Fuck!“

An diese Neigung, jede noch so kleine individuelle künstlerische Regung unter staatliche Kontrolle zu bringen musste ich denken, als ich von einer neuen Kompanie in Merkeldeutschland erfuhr, die an die „Hate-News“ und „Fake-Speech“ Front geschickt werden soll. Im Moment besteht diese Kompanie noch aus Freiwilligen, die aber ihre Wimpel so Maasvoll schwenken, dass es mich sehr wundern würde, wenn der Justizminister oder Familienministerin Schwesig sie nicht baldigst an ihr harmonieheimelndes Gutsprecherherz drücken werden. Jungs und Mädels, die Minister werden euch lieben!

Die Reporter-Fabrik

Nie vorher war die veröffentlichte Meinung vielfältiger. Nie vorher war die veröffentlichte Meinung unqualifizierter. Wir möchten den Weg in eine redaktionelle Gesellschaft begleiten durch die Qualifizierung von Nicht-Journalisten und Journalisten. Durch die gezielte Verbreitung von Fake-News hat die Desinformation dramatisch zugenommen. Jede demokratische Gesellschaft braucht eine funktionierende Öffentlichkeit, sonst ist die freie Meinungsbildung nicht mehr gewährleistet.“

Hinter dieser Aussage stehen ausgerechnet Giovanni di Lorenzo („Die Zeit“), Klaus Brinkbäumer („Der Spiegel“), Claus Kleber (ZDF), Wolfgang Krach („Süddeutsche Zeitung“) und andere Meister der verdrehten Schlagzeile und vergessenen Fakten, die nun in die Erziehungsoffensive bei den Amateuren gehen wollen. Unfreiwillig euphemistisch ist in dem Zusammenhang, dass auch Journalisten in der „Fabrik“ lernen sollen, wie man Fake-News erkennt und meidet.

Divide et impera

„Neben der vierten Gewalt hat sich die fünfte Gewalt des Bürgerjournalismus etabliert.“

In diesem Satz steckt ein Universum! Früher gab es Bürger, das war im Zweifelsfall einfach jeder. Dann gab es den „informierten Bürger“, dem man Verständnis attestierte. Der Bürgerjournalist ist nun eine neue Klasse, die zwischen den „Machern“ aus Politik und Medien und den „Bürgern“ etabliert werden soll. Man hebt die „Bürgerjournalisten“ über ihr Umfeld, trennt sie vom „Bürger“, attestiert ihnen ein Klassenmerkmal und verordnet ihr verantwortungsvollen Umgang mit dem, was früher Meinungs- und Pressefreiheit genannt wurde. Das Schöne daran: Sobald der Bürgerjournalist im Sattel sitzt, kann der Bürger wieder die Klappe halten, er ist für Lautsprech einfach nicht qualifiziert genug. Ohne „Einstufung“ geht dann bald gar nichts mehr.

Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie die „möglichen Sponsoren“ (Medien-Stiftungen, Landesmedienanstalten, Medienhäuser, Gründungsförderungen, Einzelpersonen) ihr neues Heer von Hilfs-Journalisten mit Presseausweisen versehen, die zukünftig in Rosarot von den Plätzen der Bundespressekonferenz strahlen und brav wie die Schülerzeitungsreporter „kritische Fragen“ an die Ministerdarsteller in Merkels viertem Kabinett richten. Glattgebürstet und mit dem Erwartungshorizont der Bundesregierung kompatibel.

Was auf dem Lehrplan steht, kann man bereits in der Praxis des „gemeinnützigen Recherchezentrums correctiv“ bewundern, das die Reporter-Fabrik in Zukunft organisatorisch leiten wird. Dort schraubt sich nämlich der Relativismus in Titeln wie „Schlampige Hygiene im Krankenhaus führt zu mehr Toten als im Straßenverkehr“ bereits in ungeahnte Höhen und beweist schon mal, dass man selbst unter Profis keine Ahnung haben muss, was „Zusammenhang“ und „Korrelation“ voneinander unterscheidet, solange die evozierte Empörung nur imaginiert ist und ins belanglose tendiert.

Schöne neue Welt des Fabrik-Journalismus!

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7 Kommentare

  1. „Nie vorher war die veröffentlichte Meinung unqualifizierter. Wir möchten den Weg in eine redaktionelle Gesellschaft begleiten durch die Qualifizierung von Nicht-Journalisten und Journalisten.“
    In meinen Ohren klingt das so, als solle der Beruf des Journalisten „entprofessionalisiert“ werden. Da man schon bei Beiträgen von ausgebildeten und erfahrenen Profis manchmal über die Qualität der Beiträge streiten kann, kommen jetzt die Nicht-Journalisten als bessere oder, nun ja, genauso gute Schreiber und Denker ins Spiel. Warum nicht gleich bei allen Berufen eine Schnell-Ausbildung. Es können auch ja auch viele Leute kochen, Fliesen legen und alte Menschen versorgen.

    • Augstein, der ALTE, brachte es auf den Punkt im Spiegel-Slogan „Sagen was ist“. Und das darf jeder, egal wie qualifiziert er dafür ist. Zum Journalismus gehört ja noch ein wenig mehr, als nur möglichst laut seine Meinung zu sagen. Aber egal wie und wie qualifiziert man ins Medienwasser springt, man muss das Echo ertragen und je weiter man sich an die Strömung heranwagt, umso stärker wird man das spüren. Einige bekommen es mit der Angst, andere schwimmen weiter, manche schwimmen zu weit raus, das gibts auch.

      Aber: Es gibt nur EINE Art der Meinungsfreiheit, nämlich die GANZE. Alles andere regeln im Zweifelsfall Gesetze, Gerichte und Verträge, über eben deren Zustandekommen die Medien kritisch berichten müssten.

      Das Problem der Medien, ihre Devotheit gegenüber der Macht, ihre Kreativität dabei, den Ministerien Projekte einzuflüstern…das ist Teil der Regelschleife aus wegbrechender Reichweite, webrechender Glaubwürdigkeit und wegbrechender Finanzen. Was wir hier beobachten ist kurzfristig nicht der Untergang des Abendlandes, sondern der Untergang der alten Medien – und deren Akteure versuchen sich in Stellung zu bringen, um in der ersten Reihe zu stehen, wenn der Aufkleber „Systemrelevant“ verteilt wird. Am besten geht das, wenn man direkt an ein oder zwei Ministerien angeflanscht ist, und dazu noch Stiftungsgeld fließt.
      Das Schiff der alten Medien sinkt und die Journalisten wissen, wo die Rettungsboote verzurrt sind. Es gibt aber auch welche, die dort nicht einsteigen und weiter versuchen, unseren Kahn am schwimmen zu halten.

  2. Mir fällt gerade ein, dass es den Bürgerjournalisten schon mal gab, und zwar in Gestalt des „Volkskorrespondenten“ für die Zeitung „Unsere Zeit“ (UZ), die Zeit ihres Lebens hintenrum von der SED finanziert wurde.

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