„Wer wird die US-Präsidentschaftswahlen gewinnen?“ fragt das ZDF-Politbarometer die Beitragszahler und die Antwort fällt eindeutig aus. 72% gehen davon aus, dass Harris, 23% dass Trump die Nase vorn haben wird. Die Balkengrafik dieses Umfrageergebnisses verbreitet sich rasch und wird schließlich sogar von Elon Musk geteilt, der sie als Beleg dafür nimmt, wie staatlich gelenkte Propaganda wirkt. Besonders an der Umfrage des ZDF selbst wird viel Kritik geübt und ich muss nun etwas tun, was nicht allzu oft vorkommt: ich verteidige einen ÖRR-Sender! Denn nicht das Ergebnis der Umfrage ist das Problem. Ich denke nicht, dass das ZDF hier irgendetwas manipuliert hat. Vielmehr muss man die Umfrage als Ergebnis langjähriger deutscher Berichterstattung mit Schlagseite betrachten, wie sie im Falle Donald Trumps nicht einseitig voreingenommen sein könnte.

Das beschränkt sich allerdings nicht nur auf den ÖRR, sondern gilt ganz allgemein. Spiegel, Stern und Co. geizen bekanntlich weder mit Injurien und deftigen Unterstellungen, noch lassen sie eine Gelegenheit zu Hitlervergleichen auf ihren Magazincovern aus. Da wir jedes Gerücht bedient und jeder noch so blödsinnigen Unterstellung nachgerannt, wenn sie Trump nur recht dumm, fett, diabolisch, verräterisch oder als Mastermind dunkler Mächte wirken lässt. Gern alles zusammen, selbst wenn das rein logisch nicht funktioniert. Dabei schreibt man natürlich gern von amerikanischen Leitmedien ab, wo man gerade auch wieder einen Gang höher schaltet. Frei nach dem Motto: Wenn Hitlervergleiche, Stalinvergleiche und Mussolinivergleiche nicht fruchten, müssen wir eben alles auf einmal versuchen!

Drachentöterin des medial-indokrinellen Komplexes

Die 72%ige Erwartung eines Harris-Sieges entsprechen also durchaus der Realität in Deutschland, wo man es seit langem als Zumutung betrachtet, dass US-Präsidenten ganz ohne deutsche Beteiligung gewählt werden. Ich hätte sogar angenommen, dass die Zahl noch etwas größer ausfällt. Andererseits entspricht der Prozentsatz etwa der Covid-Impfquote, was doch irgendwie passend ist. Was die Zahl aber wirklich beleuchtet, ist die einseitige und offensichtlich falsche Berichterstattung deutscher Medien über die Realität des amerikanischen Elektorats. Sieht man von einigen spezifischen deutschen Interessen einmal ab, die man ins Kalkül ziehen kann, müsste sich die Erwartung des Wahlausgangs zumindest grob an der politischen Realität in den USA orientieren. Diesbezüglich sagen die offiziellen und gemittelten Umfragen ein enges Rennen voraus, keinesfalls jedoch ein so eindeutiges wie das, was der ZDF erfragt hat. An der deutschen Legende von Harris als neuer Drachentöterin schreiben aber eben nicht nur öffentlich-rechtliche Sender, sondern der gesamte medial-indokrinelle Komplex. Von SZ über ZEIT bis zu WELT und Spiegel. Sie alle vermuten sich an einer erwarteten Verschwörung des „Orange Man“ zur Abschaffung der Demokratie in Amerika entlang, darunter machen es die Strategen des gefühlten „als ob“ nämlich nicht.

Jeder, der Trump in dessen sinistren Plan unterstützt – und das sind nach neuester Zählung nicht nur die Hälfte der Wähler, sondern auch Grenzschützer, viele Gewerkschaftler, enttäuschte Politiker der Demokraten und nicht zu vergessen Elon Musk – bekommen Rollen in Umsturzplänen zugewiesen, die besser ins Drehbuch für den nächsten Bond passen würden. „Staatsfeind Nummer zwei“ titelt der Spiegel über Musk und insinuiert in Wort und Bild, wer natürlich Staatsfeind Nummer eins sei: Trump. Ein Staatsfeind, der sich gerade für das höchste Amt seines Landes beim Wähler bewirbt und sollte er gewinnen, am 20. Januar 2025 einen öffentlichen Eid auf die Verfassung dieses Landes ablegen wird, das er anschließend – das steht SPIEGELfest – vernichten oder für ein Happy-Meal an die Russen verkaufen wird. Was „Staatsfeinde“ eben so machen in einem Land, in welchem sie dank Gewaltenteilung die Macht gar nicht „ergreifen“ können, um das Land auf den Kopf zu stellen.

Die Erhöhung der medialen Schlagzahl fällt zeitlich zusammen mit einigen für gewisse Kreise recht beunruhigenden Nachrichten aus dem Wahlkampf von Kamala Harris. Dort fährt man im Endspurt und mit sinkenden Zustimmungsraten zwei vermeintlich schwere Geschütze auf, um in wackeligen Kernzielgruppen die Umfragewerte zu verbessern. Und beide erweisen sich als Rohrkrepierer oder feuern in die falsche Richtung. Barak Obama äußert sein Missvergnügen über „the brothers“, also seine schwarzen Brüder, denen es an Reife fehle, eine Frau zu unterstützen. Das kommt nicht besonders gut an bei schwarzen Männern und der Vorsprung in Sachen Gefolgschaft gegenüber den Republikanern ist für diese Zielgruppe seit 2012 und den Jahren von Obamas Präsidentschaft von 80% auf etwa 40% gesunken.

Die „Brüder“ sind empört, weil man nicht Frauen generell, sondern nur diese eine, Kamala Harris, ablehne. Obamas schulmeisternde Äußerungen helfen Harris also nicht und auch Bill Clinton, der die weiße Vorstadtmittelschicht auf Linie bringen soll, liefert eher Munition für Wahlkampfspots der Republikaner. Clinton: „Wäre der Mörder von Laken Riley ordentlich überprüft worden, wäre sie jetzt noch am Leben.“ Völlig richtig! Nur mit dem Schönheitsfehler, dass Rileys Mörder erst dank des dysfunktionalen Grenzregimes der Biden/Harris-Administration überhaupt illegal ins Land kam. Ein klassisches Eigentor.

Brandmauern unter Druck

Generell geraten die medialen „Brandmauern“ gegenüber Trump spektakulär unter Druck. Und Schuld daran ist die Realität, die sich nicht mehr so leicht wegframen lässt. Etwa die Sache mit dem spontanen Faktencheck, den man bei ABC in der TV-Debatte Trumps Aussage zuteilwerden ließ, die Kriminalität durch Migranten gehe gerade „durch die Decke“. „Tatsächlich“, so der Moderator, „sinkt die Kriminalität“. Nein, tut sie nicht. Denn das FBI korrigierte inzwischen klammheimlich die Kriminalitätsstatistik für 2022, das letzte veröffentliche Jahr in der Statistik. Statt des zunächst vermeldeten Rückgangs um 2,1% steht da nun eine Steigerung von satten 4,5%, was dem wachsenden Gefühl der Unsicherheit auf den Straßen sehr viel eher entspricht als das, was „Faktenchecker“ aus Trumps Aussagen machen. Und es sieht nicht so aus, als würden die Zahlen 2023 besser aussehen.

Das systematische Herunterspielen unschöner Vorgänge und Statistiken – im Aktivisten-Amtsdeutsch oft „Einzelfall“ oder „ein Mann“ genannt – stößt im US-Wahlkampf immer häufiger an seine Grenzen. So etwa im ABC-Interview, als Martha Raddatz über die Kriminalität venezolanischer Banden in Aurora/Colorado J.D. Vance faktenchecken wollte und sagte, es handele sich laut Angaben des Bürgermeisters von Aurora „lediglich um eine Handvoll Appartementkompexe“, in denen kriminelle Banden illegaler Einwanderer die Kontrolle übernommen hätten. Trump hatte – übertreibend, wie es seine Art ist – von einer „überrannten“ Stadt gesprochen. Ein Vergleich, den jeder versteht, auch wenn es in Wirklichkeit nicht die ganze Stadt war. Doch Trump ist die Verwendung solcher Parabeln bei Androhung von Faktenchecks verboten. Man beachte auch die hergestellte Distanz zum Problem. Lediglich eine Handvoll Häuser, nicht die ganze Stadt. Demnächst dann vielleicht: lediglich eine Stadt, nicht der ganze Staat? Lediglich ein Staat, nicht das ganze Land? Kontrollverlust ist nur halb so schlimm, wenn er nicht das Narrativ betrifft. Und um das Narrativ „Trump böse“ zu retten, wird man noch der letzten Übertreibung und der misslungensten Pointe in seinen Reden mittels Faktenchecks das Gewicht eines Gottesbeweises geben.

Dabei sind Faktenchecks im eigentlichen Sinne durchaus die Aufgabe des Journalismus. Und zwar dergestalt, dass Journalisten die Äußerungen von Politikern der Regierung auf Korrektheit abklopfen. Regierungshandeln muss sich Faktenchecks gefallen lassen, nicht Wählermeinung. In der Praxis ist es jedoch umgekehrt. ABC nimmt die Aussage des Bürgermeisters von Aurora für bare Münze und entwertet damit die Berichte betroffener Anwohner in „nur einer Handvoll“ Wohnquartieren. Für diese in der Richtung umgekehrten Faktenchecks finden sich reichlich Beispiele auf beiden Seiten des Atlantiks: „Alles wird immer teurer!“ – „Faktencheck: die Inflationsrate sinkt“. „Ich kann mir meine Wohnung nicht mehr leisten, der Wirtschaft geht es schlecht!“ – „Faktencheck: der Aktienmarkt brummt! Mit deinen Gefühlen kann etwas nicht stimmen.“ „Die Binnenalster in Hamburg ist ein gefährlicher Ort!“ – „Faktencheck: nicht immer und sie haben auch nicht jeden gefragt“. Bilden Sie weitere Beispiele. Doch zurück zur Frage, ob 72% der Deutschen richtig liegen werden mit der Annahme, Harris werde Wahl tatsächlich gewinnen.

Wer ist Kamala?

Natürlich glauben diese 72% ganz sicher zu wissen, wer oder was Trump ist. Und sie dürfen mir vertrauen wenn ich sage, dass dieses mediale Gedächtnis-Implantat über Jahre so bolzenfest in die emotionale Ebene gehämmert wurde, dass daran zu rütteln Zeit- und Energieverschwendung wäre. Aber wer genau diese Kamala Harris ist und warum drei von vier Deutschen sie dem Orange Man vorziehen würden, ist nicht so klar. Ihre mediale Darstellung kapriziert sich hierzulande stets auf die Tatsache, dass sie vor allem „nicht Trump“ sei. Und was wäre offensichtlicher! Nimmt man sich jedoch die Zeit, um zum Beispiel Harris früherer Anwaltskollegin Harmeet Dhillon zuzuhören, die gerade ein zwei Stunden langes Charakterbild der Vizepräsidentin geliefert hat, werden einige von Harris rätselhaften Eigenschaften verständlicher. Eigenschaften, die scheinbar nicht zusammenpassen: Skrupellosigkeit, Konfliktscheu, Faulheit. Und plötzlich werden viele Vorgänge rund um Harris Auftritte, der Umgang mit Angestellten, ihre Unsicherheit bei Fakten und ihr Unwille, sich festzulegen oder ihre früheren Aussagen zu bewerten, verständlich.

Skrupellosigkeit bewies Harris laut Dhillons Schilderung bereits in ihrem ersten Wahlkampf um ein öffentliches Amt, als sie in San Franzisco Staatsanwältin werden wollte. Die Parteien in der Region hatten sich damals schon vor einiger Zeit auf ein Limit für Wahlkampf-Ausgaben für solche kleineren politischen Ämter verständigt. Traditionell unterzeichnen alle Kandidaten eine entsprechende Erklärung – auch Kamala Harris tat dies. Nur überschritt ihr Budget (sie gewann mit nur wenigen Stimmen Vorsprung) am Ende dreifach die vereinbarte Obergrenze. Dank einflussreicher Freunde kam sie damit durch, obwohl sie die Regeln klar gebrochen hatte.

Harris Konfliktscheu konnten wir erst vor wenigen Tagen wieder beobachten, inklusive des unerschütterlichen Willens unserer Medien, jede Schwäche von Harris letztlich zum Nachteil Trumps zu erklären. „Trump hält polarisierende Rede bei New Yorker Spenden-Dinner“ titelte zum Beispiel die WELT. Doch was wie eine erneute Provokation des Gott-sei-bei-uns klingen soll, ist in Wahrheit Programm. Das „Al Smith Dinner“ ist ein fester Bestandteil des New Yorker Gesellschaftskalenders und wird von der katholischen Kirche und Kardinal Timothy Dolan veranstaltet. Es geht um Spenden, was sonst. Eine Charity-Veranstaltung mit speziellen Regeln und Schaulaufen der Prominenz, wie es sie in den USA zu Hunderten gibt. Dieses Dinner ist aufgrund der Lage im Kalender traditionell auch immer eine der letzten Gelegenheiten, wo sich Präsidentschaftskandidaten vor der Wahl zivilisiert und selbstironisierend begegnen. Legendär der Auftritt von Obama, der selbstironisch sagte, einen seiner Vornamen (Barak) habe er von seinem Großvater, den anderen (Hussein) von jemandem, der nicht dachte, dass sein Träger jemals US-Präsident werden wolle.

Trumps laut WELT „polarisierende Rede“ war vor allem eines: unterhaltsam. Und sie hatte einige gute Pointen, wie etwa die, dass Tim Walz, der Sidekick von Kamala Harris, leider nicht anwesend sei, man jedoch sicher sein können, Walz werde später behaupten, er sei wäre es – eine Anspielung auf Walz‘ Lüge, er sei 1989 beim Massaker in Peking auf dem Platz des himmlischen Friedens in China, also irgendwie „dabei“ gewesen.

Dinner, not for one

Harris – konfliktscheu, sie erinnern sich – ließ das Dinner aus. Angesichts ihres monothematischen Wahlkampfes (Abtreibung) konnte sie keinen allzu herzlichen Empfang beim Kardinal erwarten. Stattdessen schickte sie einen recht seltsamen Videogruß, den niemand lustig fand. Gescriptets aus der Konserve statt spontaner humoristischer Rede also. Denn beim Al Smith Dinner sind Gästen für ihre Reden nur Zettel erlaubt, Teleprompter gibt es nicht. Was uns zu einer weiteren Eigenschaft führt, die Weggefährten Harris zuschreiben: ein – nett ausgedrückt – sehr unterentwickelter Arbeitseifer. In ihrer ganzen Zeit als Staatsanwältin, so Harmeet Dhillon, brachte Harris es auf eine sehr überschaubare Anzahl verhandelter Fälle und ganze acht Überstunden. Auch der mildernde Umstand, den amerikanische Plagiatsjäger dem Buch zugestehen, an dem Harris mitgewirkt hat, spricht Bände: „schlampige Arbeitsweise“.

Nun stelle man sich vor, unsere Medien hätten Harris Eigenschaften skrupellos, konfliktscheu und faul mit derselben wortreichen Penetranz unter Hörer, Leser und Zuschauer gebracht wie die zweifellos vorhandenen Charakterschwächen Trumps. Wie wohl die Abfrage des Politbarometers dann ausgefallen wäre? Und wie die Einschätzung zur Eignung für ein Amt, in dem man es zwischen zwölf und Mittag mit zehn Konfliktsituationen zu tun hat, Arbeit rund um die Uhr zu erledigen ist und die verliehene Macht dringend Skrupel braucht, sie auch einzusetzen?

Nochmal zurück zum Al Smith Dinner. Es gab bisher nur einen weiteren Fall, dass ein eingeladener Spitzenkandidat einer der großen Parteien der Einladung nicht gefolgt war – und zwar aus demselben Grund, der auch für Harris ausschlaggebend war: der Demokratische Kandidat Walter Mondale. Wissen Sie noch, wie die Wahl 1984 ausging? Die sich für gut informiert haltenden Deutschen jedenfalls, die alles besser wissen als die Amerikaner, dürften vor 40 Jahren aus allen Wolken gefallen sein.

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9 Kommentare

  1. >Ich müsste mich mords einlesen, um eine Ahnung davon zu bekommen, was man im Krankensystem und bei der Pflege ändern muss.
    Das kann ich Dir beantworten: Man müsste Euthanasiegesetze einführen, die genetische Faktoren wegzüchten, und ne Grenze festsetzen, ab der Leute nur noch eingeschläfert werden, statt sie zu behandeln.

    Ich fühle mich schlecht, weil ich nie dazu komme, Deine immer sehr langen und guten Antworten angemessen zu behandeln, daher will ichs jetzt gar nicht im Detail ausführen, aber ich will zumindest anmerken, dass die Existenz von Wohlfahrtsystemen eine positive Rückkopplung mit sich bringt. Sprich, Krebswachstum. Je mehr davon existiert, desto großer ist der Bedarf, und desto mehr Wachstum ist nötig,um diesen Bedarf zu decken. Und so erreichst Du irgendwann entweder das Maximum des physisch machbaren, oder Du findest eine negative Rückkopplung, die ein Gleichgewicht findet, das kein Minimal- oder Maximalwert ist. Und eine solche negative Rückkopplung ist halt die Sterilisation von Erbkranken und die Aktion T4.

    Nen ähnlichen Mechanismus hast Du auch bei „Sicherheit“, weishalb ich auch für Terror und organisierte Kriminalität bin, weil die Alternative die ewige Dystopie ist, die im Namen von aber-denkt-doch-an-die-Kinder realisiert wird. Je mehr Du davon hast, desto mehr brauchst Du zusätzlich, und es wird niemals genug sein.

    Übrigens, zum Thema Anpassungsfähigkeit von Migranten hab ich neulich was gefunden: https://www.youtube.com/watch?v=-1Mg4nXJ21Y

    Das ist ein angepasster Oberschichts-Migrant, der seine alte Kultur über Bord geworfen hat, um sich in eine Andere zu integrieren. Man achte darauf, wie schlecht er über alles aus Indien redet, und, wie seine Stimme darauf hindeutet, dass er die ganze Zeit kurz vorm Heulen steht. Ich finds interessant, wie selbstverständlich man von Migranten erwartet, diese Entwicklung zu durchlaufen. Ich seh darin eine enorme Grausamkeit, die man nichtmal sieht, weil der eigene Tellerrand schon alleine durch die durchlaufene Sozialisation viel zu eingeschränkt ist.

    Und zum Thema äußere Feinde… Naja, nun sind sie halt da, und die „Gesellschaft“ ist viel zu dysfunktional und kaputtgespielt, um damit noch angemessen umzugehen. Wo man Institutionen braucht, da läuft sowieso schon fundamental was verkehrt, und in Europa hat man halt jede organische Ordnung durch Institutionen ersetzt, und die Überreste der alten Ordnung als Feinde der Neuen ausgemerzt. Daher ists schon gut so, wenn das Ding mal einstürzt, weil die Alternative eh nur noch Dystopie ist. Diese wird nur nicht als solche gesehen, weil der Tellerrand im Weg ist, und so ziemlich jeder in die Stabilität und das Bestehen des Systems investiert ist. Russen und Drittweltler haben zumindest den Vorteil, dass sie zu inkompetent und korrupt sind, um ein anständiges Technogulag zu errichten.

    • Du machst es vollkommen unmöglich, auf die interessanteren Aspekte irgendwelcher deiner Ausführungen einzugehen, wenn du schon mit einem Massenmord (T4) und „Terror und organisierte Kriminalität“ in die Tür schneist. Das zwingt mich jetzt zu schreiben, dass ich das natürlich anders sehe.

      Ich greif dennoch einen Punkt vorher noch raus. Die Worte „Ordnung“ und „Institutionen“ sind für mich fast austauschbar. Auch wenn ich, wie gesagt, mich nicht eingelesen hab, ist das Problem aus meiner Sicht, dass die Pflege zu Marktpreisen nicht finanzierbar ist und der Alleinverdiener nicht mehr die Kaufkraft für Haus, Hof und Oma aufbringt, die er früher spielend aufbrachte. Manche würden auch die Familie als „Institution“ bezeichnen. Wir haben das reorganisiert mit Gemeinschaftseinrichtungen, ambulante Betreuung und finanzieller Entlastung pflegender Angehöriger aus dem Gemeinschaftstopf. Konservative versäumen es, die Übergänge zu durchdenken, mit denen man Marktpreise wieder als Signale für Knappheiten versteht und sein Verhalten entsprechend anpasst. Einfach alle Krankenhäuser und Pflegeheime zu sprengen und mal zu schauen, wer so überlebt, ist jedenfalls kein sanfter Übergang. Jede Veränderung braucht auch Unterstützung.

      Und jetzt muss ich mich noch um deine Blutbadauslassungen kümmern, weil ich sonst wie ein Wahnsinniger dastehe, wenn ich nicht darauf reagiere.

      Wenn du keine Ordinalität einiger deiner wichtigsten Wertschätzung mal axiomatisch festlegst, entziehst du allen Kommunikationspartnern die Möglichkeit, irgendetwas zu begründen. Ich nehme an, dass Gesundheit, Leben, Schönheit und Vergnügen besser sind als Krankheit, Tod, Hässlichkeit und Leid. Und ich nehme an, dass du das auch so siehst (wir lassen Haarspalterei um Geschmäcker und so weg). Ich kann nur etwas begründen, was in Richtung besser geht, wenn ich von dieser groben Einigkeit über die Wertschätzungen ausgehe. Ach, klingt mein Geschwurbel gestochen. Also du verstehst, dass Robert Habeck mit seiner literarischen Kunstintelligenz auf dem Gradientenabstieg ist. Die Gegenbewegung ginge in die richtige Richtung.

      Ich denke, dass du nicht im Alter weggespritzt werden willst. Du willst im Kreis deiner Familie sein. Du schreibst etwas anderes. Das kann der Spaß am Schock sein. Es können teils sexuelle Motive hinter deinem Selbstbild stehen (was in Ordnung ist). Es kann das Ohrenbluten im Moralisierungsgetue sein. Es kann eine Kombination von allem möglichen sein. Es ist aber wahrscheinlich nicht so, dass du ausdrückst, was du tatsächlich willst. Eine „Degeneration“ ließe sich nicht mal definieren, wenn alles bis zu dem Punkt egal wäre, an dem wir jünger und unter größerem Leid an unseren Schwächen sterben.

      Hamed Abdel-Samad schrieb neulich, dass zu seinem Missmut religiöse Kategorien die Politik in Europa bestimmen. Unter seinen Beispielen war „Gut und Böse“.
      https://www.achgut.com/artikel/der_preis_der_freiheit

      Aber dieses Begriffspaar kommt in Deutschland nicht mehr vor. Es gilt als kindisch. Uns wird eingeimpft, von „Schwarzweißmalerei“ abzusehen. Statt um „Gut und Böse“ geht es um „Gut und Rechts“, also um „Gut und Leute, die dem Sprecher nicht nützlich sind“. Eigentlich haben wir eine komplette Erosion der Urteilskraft.

      Der Verlust des gemeinsamen Nenners geht mit dem Bemühen fanatisierter Kreise einher, ihre gesamte Wunschliste zum gesellschaftlichen Minimalkonsens zu erklären. Edmund Burke hat das bereits an der französischen Revolution kritisiert. Alles ist Menschenrecht. Alles ist Verfassung. Nichts wird danach priorisiert, inwieweit es ein Flaschenhals für das Überleben der Gemeinschaft und für das Wohlergehen in Freiheit und Wohlstand ist.

      Aber mit der Leugnung jeder gemeinsamen Basis, also das Leben schon mal besser als Sterben ist, verliert man auch die Grundlagen der Rationalität. Und jetzt mach ich mich noch vollends zum Clown. Rette deine Seele et memento mori.

    • >Ordinalität

      Ich habe einige im Prinzip mathematische Ansätze verwendet, um einen Sachverhalt zu beschreiben, und erklärt, weshalb er aus dem Ruder läuft, und wie man dem begegnen kann. Dabei gehe ich vollkommen amoralisch vor, weil das Problem bereits amoralisch ist. Du hast ne Gruppe von Menschen, die Gewalt anwenden, um irgendwas zu erzwingen, das sie gerne hätten, und das was sie gerne hätten funktioniert halt nicht wie gedacht. Das ist eine amoralische Situation. Die ganzen Begründungen und Rechtfertigungen, warum das mit Gewalt durchgesetzte und die Probleme verursachende Ding in Wahrheit total toll und super ist, sind halt Bauernfängerei. Wenn das Problem jemals gelöst werden wird, dann erfordert das, dass die Lösung funktioniert, und nicht, dass sie irgendwie mit der vorgenannten Argumentation/Bauernfängerei kompatibel ist.

      Meine präferrierte Lösungsmöglichkeit ist, dass das Problem nicht existiert, was bedeutet, dass das, was es verursacht und ermöglicht, ebenfalls nicht existiert, auch, wenn der Übergang von einem Zustand in den Anderen schmerzhaft ist, und dadurch gelöst geglaubte Probleme wiederkehren.

      Ich bin halt immer noch der irre Anarcho, und nicht der vernünftige/angepasste Erwachsene.

      >Ich nehme an, dass Gesundheit, Leben, Schönheit und Vergnügen besser sind als Krankheit, Tod, Hässlichkeit und Leid

      Das klingt wie das, womit dereinst die Eugenikgesetze der Nazis begründet wurden. Die meisten Menschen, die im letzten Jahrhundert ermordet worden sind, wurden im Namen hoher Ideale getötet, und nicht von „Kriminellen“, sondern von denen, denen man vertraut, und die man mit den höchsten Ehren bedacht hat, beziehungsweise von deren Beauftragten, von denen man meinte, sie seien hochanständige Leute, und würden Verbrechen verhindern.

      Der Punkt ist, dass ich Politik für etwas halte, das alle Werte zu Unwerten macht, sobald sie sich dieser bedient. Daher kommt meine grundsätzlich amoralische Sichtweise gegenüber allem, was Politik betrifft. Folglich sehe ich meine Lösungen nur als weitere Iteration eines schon lange zuvor bestehenden Grundübels. Daher macht es mich nicht glücklich, dass ich glaube, dass solche Lösungen durchaus früher oder später zur Anwendung kommen werden, aber ich bin auch der Überzeugung, dass sie dann nicht mehr amoralisch klingen werden, sondern mit den wohlklingendsten Namen und Attributen geschmückt präsentiert werden, so wie auch schon alle ihre Vorgänger, und sie dann durchaus als „Gesundheit, Leben, Schönheit und Vergnügen“ daherkommen könnten.

      Abgesehen davon ziehe „gut“ vor, wenn „schlecht“ die Alternative ist.

      >Ich denke, dass du nicht im Alter weggespritzt werden willst

      Stimmt, ich möchte mir selbst gerne den Schädel wegballern, bevor es ekelig wird. Ich halte nichts vom Strohtod, und dem ewigen sich ans Leben klammern, und Gift ist was für Frauen, der Strick für Verbrecher, und fahrende Schwerindustrie für Proleten. Wobei das meine persönliche Sichtweise ist. Mit etwas Glück schaffe ich es dann sogar, meinem Sterben einen Sinn oder Nutzen zu geben, der bei endlosem langsamem Verfall nicht möglich gewesen wäre. „Der alte Sack hat noch ne Lebensversicherung auf mich abgeschlossen, mir gute Ratschläge erteilt, die was bewirkt haben, und mit mir zusammen seine letzte Line Koks gezogen, bevor er zuerst diese Fotze, die mein Leben ruinieren wollte, und dann sich selbst erschossen hat“ klingt für mich positiver als „Er ist nach langem Siechtum friedlich eingeschlafen, endlich hat er es hinter sich (gott sei dank ich habs nicht mehr ausgehalten, und das ganze Erbe ist auch für Pflege und Bettpfannenwechseln draufgegangen, buuhuuhuu, scheiße, und jetzt noch der Stress mit der Beerdigung)“. Wenns wir jetzt von Sterben im Zusammenhang mit Familie reden. Weil fick diesen Scheiß, den die Leute für normal halten. Tod ist Teil des Lebens, und es ist komisch, wenn Leute von Kindstagen an jeden Scheiß in ihrem Leben geordnet haben wollen, und dann den Tod dem Zufall überlassen, zumal dieser Zufall ziemlich ekelig sein kann, und durch langes Hinauszögern angesichts von Demenz&Co eh kaum was gewonnen wird. Dass alt sein die beschissenste Existenz ist, die man nur haben kann, merkst Du schon daran, dass niemand mit alten Säcken tauschen wollen würde, ganz gleich, ob diese nun Geld oder soziales Ansehen oder sonst was haben.

    • >Du machst es vollkommen unmöglich, auf die interessanteren Aspekte irgendwelcher deiner Ausführungen einzugehen, wenn du schon mit einem Massenmord (T4) und „Terror und organisierte Kriminalität“ in die Tür schneist.
      Lass mich mal das vollständige Argument machen:

      Hast Du Sozialstaat, hast Du, was genetische Faktoren angeht, einerseits ein Zuchtprogramm für diejenigen, die vom Sozialstaat aufgefangen werden, weil auf einmal nicht mehr dagegen selektiert wird, und andererseits hast Du damit auch außerhalb der Genetik einen Wegfall der Anreize, Dinge zu vermeiden, wegen denen man einer Auffangung bedarf, wodurch neue und dysfunktionale Lebensstile möglich werden, die sich kulturell verbreiten. Du schaffst auch wirtschaftliche Anreize für diejenigen, die in diesem Sozialstaat Arbeiten, was wiederum auch ab einer bestimmten Größe zu einem politischen Faktor wird, der für Entscheidungsträger Anreize schafft, den Sozialstaat zu vergrößern, die noch darüber hinaus gehen, dass man mit sozialen Leistungen die Wählerstimmen von Leistungsempfängern kaufen lassen. Öffentlicher Dienst ist groß in Parteien.
      Sprich, sobald das Ding da ist, wird es wachsen, und sobald es gewachsen ist, wird es noch schneller wachsen. Und während es wächst, werden gesamtgesellschaftlich Hemmungen abgebaut, die bisher verhindert haben, dass Leute in diesem Netz landen. Es wird auf einmal viel leichter, aus Nichtigkeiten heraus Leuten das Leben zu verbauen, denn der Sozialstaat kümmert sich um diese armen Gestalten, die andernfalls durchdrehen und zu drastischen Schritten fähig sein könnten, die sich gegen die Dinge richten, mit denen ihnen ihr Leben verbaut wurde, was ein enabling-Faktor für wirklich jedes politische „Gestaltungs-„Bedürftnis ist, weshalb auch so gut wie alle politischen Gestaltungs-Bedürftigen von mehr Sozialstaat profitieren. Alles, was eine Rolle bei der Entscheidung spielt, profitiert von mehr Sozialstaat.

      Du hast also etwas, bei dem „mehr“ zu „noch mehr“ führt, und das nennt man in der Steuerungstechnik eine „positive Rückkopplung“. Positiv rückgekoppelten Systemen konvergieren immer entweder zu ihrem Maximal- oder ihrem Minimalwert, abhängig von einem Schwellwert. Leicht drüber wird Maximum, leicht drunter wird nichts. Wir sind drüber, weil der Sozialstaat erstens existiert, und zweitens wächst.

      Wenn Sozialstaat nun ein positiv rückgekoppeltes System ist, und mehr Bedürftige mehr Kosten bedeuten, und man auch das zuvor genannte Krebswachstum für inakzeptabel hält, kann man es mittels einer negativen Rückkopplung steuern. Und zwar so: Du baust irgendwo einen riesengroßen Schredder hin, und da tust Du jedes Jahr eine bestimmte Anzahl Hilfsbedürftige hinein, die dann geschreddert werden. Entsprechen die Gesamtkosten Deinem Budget pro Zeitperiode, bleibt die Zahl der geschredderten gleich, liegen die Kosten höher als Dein Budget, erhöhst Du die Zahl, und kostet es weniger, als Du einnimmst, schredderst Du weniger Leute. Das ganze wird sich dann bei einem stabilen Wert einpendeln, der dem entspricht, wie viel Geld Du bereitstellen willst. Und das beste ist: Du brauchst dafür nichtmal einen großen Planer, der bestimmt, wer geschreddert wird, oder wie viele davon, oder besonders ausgeklügelde Versicherungsbedingungen. Nimm einfach ganz stumpf nen fast beliebigen Faktor über 1.0, mit dem die Zahl der Geschredderten multipliziert wird, wenn Du zu viel zahlst, und nen anderen Faktor unter 1.0, mit dem Du die Zahl multiplizierst, wenn Du zu wenig zahlst, und bestimme per Los, wer im Schredder landet. Das reicht bereits, um das System über die Iterationen hinweg jenseits der Extremwerte zu stabilisieren, und das Krebswachstum zu beenden.

      Du kannst Dir jetzt selbst ausdenken, ob der Schredder sowas wie T4 sein soll, oder ob Du irgendwelche Wege implementierst, die Bedürftigen aus ihrer Bedürftigkeit holen. Doch wie diese aussehen, weißt Du selbst nicht, daher ist der einzige und somit auch beste Weg, den Du selbst kennst, die Aktion T4. Die Moral sagt Dir nun, dass überhaupt keine Lösung besser ist, als diese. Was ja durchaus stimmen mag. Oder auch nicht, wenn der Krebs wächst, bis alles kollabiert, und am Ende mehr Leute dem Schicksal anheimfallen, als Du geschreddert hättest. Vorausgesetzt natürlich, dass menschliches Leben einen Wert an sich darstellt, und die Existenz der Alten auch nicht dazu führt, dass Umstände entstehen, die an anderer Stelle zu einer Zunahme an Abtreibungen führt, die, laut Abtreibungsgegnern ja ebenfalls Menschenleben sind, welche zudem noch mehr Lebenszeit vor sich hätten, als die Alten, was wiederum eine Triage zugunsten der Abtreibungen sinnig erscheinen lässt. Ein richtiges Dilemma also, in dem auch Nichthandeln Menschenleben kostet.

      Apropos: Wen kennst Du, der solche Entscheidungen wirklich so perfekt treffen kann, dass Du bereit wärest, dessen Entscheidungen höchstpersönlich und mit Gewalt durchzusetzen, und welche Politiker kennst Du, die Du für solch einen guten Entscheider hältst? Ich meine, Du willst ja offensichtlich, dass solche Entscheidungen getroffen werden, die dann logischerweise auch mit Gewalt durchgeetzt werden müssen, wenn Du das willst, was dazu führt, dass sie getroffen und durchgesetzt werden müssen. Traust Du Menschen überhaupt zu, sowas zufriedenstellend zu entscheiden, und könnten die Folgen von Fehlentscheidungen nicht weitaus problematischer sein, als was wäre, wenn man der Natur einfach ihren Lauf ließe?

      Meine Agumentation bezüglich Terror, beziehungsweise, dass staatliche „Sicherheit“ ein ebenso endlos wachsendes System ist, wodurch „Sicherheit“ im Endeffekt lediglich ein Programm zum Aufbau totaler Dystopie ist, und Terroristen das kleinere Übel sind, spar ich mir fürs nächste Mal auf.

      • @Rolf Dein Argument ist, dass du Euthanasie, Terror und organisierte Kriminalität hinnehmen würdest, wenn damit das Problem mit der Rückkopplung des wachsenden Sozialstaats gelöst werden würde und du deinen verdienten Schotter verleben könntest, bevor du gebrechlich wirst. So formuliert ist es jedenfalls ein rationales Argument. Wenn du schreibst „bin für Terror und organisierte Kriminalität“ und dich über die deutlich geringere Gewalt, die mit der Steuererhebung einhergeht, beschwerst, klingt das erst mal wie ein logischer Widerspruch. Also weniger Gewalt ist besser als mehr davon und das siehst du wohl auch so. Du magst die Abgabenlast nicht (und das ganze Polit- und Belehrungstheater).

        Das mit der Rückkopplung seh ich anders. Geschichte ist kein Automatismus. Ich seh das eher wie einen Rasen, den man halt mäht. Man kann die Ausgaben zurückkürzen wie Milei das gerade vor unseren Augen tut, wie Netanyahu es getan hat und wie viele andere Politiker es auch getan haben. Ich hege große Hoffnungen auf Elon Musk. Wir übertreiben es auch mit dem Zynismus. Heute krähen alle „die Frösche trocknen den Sumpf nie selbst aus“ und morgen schon verschwinden Thierry Breton, Kevin Kühnert und Ricarda Lang.

        Ich meine auch zumindest Ansätze zu haben, wie man die Kaufkraft wieder erhöht, wie Leute wieder jung Kinder kriegen und wie der gemeinsam finanzierte Teil des Krankensystems kleiner und funktionaler wird. Über letzteres weiß ich aber vergleichbar wenig. Ich denke nur, dass mir mit mehr Informationen auch mehr einfallen würde. Ich gehe jede Wette ein, dass man keine Mord-Lotterie einführen muss (Die Idee hast du vielleicht aus Shirley Jackson’s The Lottery). Da ist auch Speck im System (Pseudo-Kuraufenthalte, Taxifahrten, weil man die niedergelassenen Ärzte ins Ausland treibt usw.).

        Außerdem bin ich nicht allein. Wir sind über 83 Millionen Leute im Land. Ist es nicht Wahnsinn, wie sich Israel mit rund 10 Millionen Einwohnern im Krieg behauptet, während hier die Brücken von selbst einstürzen? Hier gibt es vor allem ein Struktur- und Mentalitätsproblem.

        Wir Europäer haben auch eine Gabe, unser Leben wechselseitig zu verelenden. Die Serie „Stromberg“ (The Office) musste für den amerikanischen Markt komplett umgeschrieben werden, weil die Grundsituation, dass wir hier von unseren Karrieren irgendwann gar nichts mehr erwarten, dort gar nicht verstanden wird. Ich bin es leid, dass die Franzosen sich alles bieten lassen, aber plötzlich Autos abfackeln und die Polizisten massakrieren, wenn sie fünf Minuten länger am Schreibtisch hocken sollen. Ich bin es leid, dass wir alle mit großen Augen und viel Energie als Teenager oder Anfang Zwanzigjährige anfangen zu arbeiten und so ab vierzig raunen, „Hier, noch ’ne Schikane! Hey, nich‘ jammern! Ich hab auch noch 21 Jahre, 43 Wochen und zwei Stunden zur Pension. Siehst du die Narbe da? Damals im „Hanoi“. Ich hab mich von der Konferenz genervt selbst getackert!“

        Hast du die neusten Entbürokratisierungsanstrengungen gesehen? Das ist jetzt alles wieder das papierlose Büro aus den Achtzigern, weil niemand zugibt, dass wir z.B. nicht die Insekten schützen wollen und auch sonst allerhand Vorgaben für nutzlos halten.

        Sachen wie „Gesundheit ist besser als Krankheit“ sind keine „hohen Ideale“. Also da hast du dich verrannt. Es ging mir um die Beschreiung von Kernpräferenzen. Dass die Nazis – und alle anderen Menschen – alles aufbauend auf diesen Verhältnissen begründen, heißt nicht, dass sie falsch gewählt, sondern universell sind. Das war meine Reaktion auf deine Formulierungen „für“ Dinge zu sein, die den Grundinstinkten entgegenlaufen. Wie du ausführst, willst du auch nicht, dass eine Mord-mit-Los-Situation kommt. Du störst dich an den Lügen und den Euphemismen. Das ist keine inhaltliche Ablehnung dessen, was ich geschrieben hab. „Ziehe gut vor, wenn schlecht die Alternative ist.“ Eben.

  2. Hoi,

    da es um Prognosen geht, wollte ich erwähnen, dass es Wettbüros gibt, die Wetten annehmen, wer die Wahl gewinnen wird, und die dazu werden auch Statistiken herausgegeben.

    Das Problem mit Meinungsumfragen ist doch, dass jeder ne Meinung haben will, einfach, um sich selbst Wichtigkeit vorzugaukeln, und dies auch keine Kosten verursacht, weshalb es keinerlei Qualitätssicherung gibt. Im Prinzip messen solche Umfragen, wie eitel ne Population ist, und diese Information ist so belanglos, dass sie es nichtmal wert ist, manipuliert zu werden. Wird sie aber natürlich dennoch, daher ist das so ne Sache mit negativem Informationswert. Man wird dadurch dümmer, dass man es weiß.

    Wenn man über die Prognose des „weiß nicht“ herauskommen will, ist man beim Glücksspiel angelangt. Und da gibt es durchaus einen Anteil, der kein Zufall ist. Es gibt gute Poker-Spieler, und Leute, die nicht wissen, was Outs sind, und für die es neu ist, dass man 100% gewinnen muss, nachdem man 50% verloren hat, um wieder bei Null zu sein, was wiederum bedeutet, dass ein Münzwurf nicht fair ist, sondern den Spieler bevorzugt, der mehr Reserven hat. Und Reserven baut man auf, indem man Leute von ihren Einsätzen trennt, die nur Mäh und Muh machen. Yada yada, die Schwelle, beim Glücksspiel nicht pleite zu gehen, ist deutlich höher, als was Meinungsumfragen voraussetzen. Glücksspiel bietet Kosten und Anreize, und das System hat einen Selbstreinigungsmechanismus, den Gratis-Umfragen nicht haben. Der Geldstapel von Leuten, die deren Prognosen nicht deutlich zuverlässiger sind, als ein Zufallszahlengenerator, konvergiert gegen Null. Und danach sind sie raus aus dem Spiel, und beeinflussen es nicht weiter.

    Darum: Glücksspiel > Umfragen.

      • Meh, ich will mich damit gar nicht mehr beschäftigen. Ich hab die Debatte zwischen Karmala und Trump gesehen, in der nur der Donald gefaktencheckt wurde, und fand beide Kandidaten ziemlich schwach. „Wie entziehe ich mich deren Einfluss“ ist die einzige Frage, die sich mir stellt.

        Karmala, mit ihrem näselnden Geseiere, die sich eigentlich nur als „die Gute“ aufspielen wollte, die endlich alle Probleme beseitigt, deren Zementierung ihre bisherige Karriere gewesen ist, hat doch nichts anderes anzubieten, als mehr von dem, für dessen Abschaffung sie nun gewählt werden will. Im Namen der Minderheiten, die sie früher als Staatsanwältin hauptberuflich verfolgt und in den Knast gesteckt hat, wahrscheinlich mit dem gleichen süffisant-nasalen Unterton. Und Trump ist auch zum Demagogen auf nem Ego-Trip abgerutscht. Der war früher ein Außenseiter, der die aus dem Ruder laufenden Institutionen zurechtstutzen wollte, dann aber von diesen Institutionen sabotiert wurde, und deshalb letztlich scheiterte. Nun hat er Verbündete innerhalb dieser Institutionen gefunden, die ihm das nächste Mal vielleicht bei der Sicherung seiner Macht behilflich sein können, aber die das garantiert nicht tun werden, damit er die Macht, die diese Leute ausüben, beschneiden oder abschaffen kann. Und was dann noch bleibt, ist Trumps ego, für das er jetzt gewählt werden will.

        Die haben doch beide nichts anzubieten.

  3. Die 72% sind die Erwartungshaltung, nicht die Präferenz der Deutschen. Aber auch bei der liegt Harris vorne.

    Ich kann es den Leuten nicht verübeln. Sie hören nicht nach der Abend noch Nachrichten in Fremdsprachen. Ehrlich gesagt bin ich schon unterinformiert, was die deutschen Probleme angeht. Ich müsste mich mords einlesen, um eine Ahnung davon zu bekommen, was man im Krankensystem und bei der Pflege ändern muss. Mir ist klar, dass die Kirchen und damit die CDU auch so einwanderungsversessen sind, weil die kurzfristig ihren Status und Finanzierung als Krisenkümmerer heben und langfristig schäbig bezahlte Arbeitskräfte rekrutieren wollen. Das dürfte auch der eigentliche Grund für die Wehrpflicht als altes CDU-Steckenpferd gewesen sein. Es ging primär um Billigkräfte für den „sozialen Sektor“. Ich glaub, dass die meisten Deutschen diese Zusammenhänge nicht mal auf dem Schirm haben.

    Aus vielen Gründen ist die schlechte Informationsqualität in Deutschland ein gewaltiges Problem. Ich denke, dass die institutionellen Stellschrauben die wichtigsten sind, über die wir nachdenken müssten, aber wir werden auch bald mit unseren Lebenslügen konfrontiert werden. Das gilt auch für viele Autoren und Kommentatoren, die ich schätze. Wir müssen uns darauf gefasst machen, auch umdenken zu müssen. Es tut mir leid.

    Unser Durchschnittsalter ist dabei eine Herausforderung. Bitte nicht nicht persönlich nehmen! Man kann auch im Alter noch so agil im Kopf sein wie Chaim Noll. Statistisch nimmt unsere Fähigkeit, Dinge noch einmal neu zu erörtern aber ab. Was auch unterschätzt wird – auch bei der Anpassungsfähigkeit von Migranten – ist, dass Kenntnis und Verständnis noch nicht bedeuten, etwas verinnerlicht zu haben und konsistent anwenden zu können.
    https://www.youtube.com/watch?v=MFzDaBzBlL0

    Deshalb sind Verfassungsschwüre auch nicht Anfang und Ende der Integration. Für die Medienmeute wird es schwer, die eingeübte Aggression mit „alles Umstürzler“ und „alles Nazis“ wieder einzufangen. Aber wir müssen. Wir haben auch äußere Feinde, die unsere Selbstzerfleischung zu nutzen wissen.

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