Eine gewisse Schadenfreude klingt in den sozialen Medien durch nach der Meldung, Putin habe 515 von westlichen Firmen geleaste Flugzeuge „gestohlen“ und sich so für die Beschlagnahmung von Yachten und Villen reicher Russen „gerächt“. Der Schaden für die Leasingfirmen betrage etwa neun Milliarden Euro, denn ob die Jets je wieder in die Hände ihrer Besitzer kommen würden, sei ungewiss. Der eine oder andere möchte auch ein antirussisches Framing erkennen, wenn es auf der einen Seite um „beschlagnahmtes“ Vermögen gehe, aber wenn Putin im Grunde dasselbe tue, spräche man gleich von Diebstahl. Zunächst mal zu den Flugzeugen, warum man in diesem Fall tatsächlich von Diebstahl sprechen muss und was Putins Rechtsbruch über die grundlegende Natur dieses Krieges sagt.

Durch das westliche Embargo sind die Zahlungen von Airlines wie Aeroflot an die Leasingfirmen für die Bereitstellung eines großen Teils des fliegenden Materials gleich mehrfach betroffen. Wechselseitige Überflugrechte wurden ausgesetzt, Landeerlaubnisse ebenfalls. Der Aeroflot brach von jetzt auf gleich ein großer Teil ihrer Einnahmen mit internationalen Flügen weg. Durch die Blockade des SWIFT-Systems ist es zudem schwieriger, die fälligen Raten für geleaste Flugzeuge zu zahlen. Stundungen für den Fall, dass die eigene Regierung Amok läuft und Sanktionen provoziert, sind in den Verträgen nämlich nicht vorgesehen. Für die geleasten Flugzeuge gab es nun drei Möglichkeiten. 1) versuchen, die Maschinen vorläufig an den Besitzer zurückzugeben, sie also etwa nach Dublin zu fliegen, wo die weltweit größte Leasingfirma AerCap sitzt. 2) die Maschinen im Land stillzulegen und die Leasingfirmen auffordern, sie abzuholen oder vorläufig inaktiv zu stellen. Diese beiden Varianten hätten die spätere Inkraftsetzung der Geschäfte prinzipiell nicht ausgeschlossen, Russland hätte eine Tür in die Zukunft offengehalten.

Putin ging durch Tür Nummer Drei und entzieht die Maschinen damit indirekt der Zertifizierung durch internationale Luftfahrtbehörden und Hersteller. Da zertifizierte Techniker von Airbus und Boeing und bald auch zertifizierte Ersatzteile in Russland Mangelware sind, wird bei der nächsten Wartung oder Reparatur die Vertrauenskette unterbrochen sein. Denn sobald die erste nicht zertifizierte Schraube eingedreht wird, erlischt die Betriebserlaubnis und die wiederherzustellen dürfte teuer bis unmöglich sein. Keine Versicherung, keine Luftfahrtbehörde, kein Flughafen und kein Passagier außerhalb von Russland wird auch nur eine dieser Maschinen je wieder mit der Kneifzange anfassen. Und sollte Aeroflot oder irgendeine russische Fluglinie jemals wieder irgendwo im Westen landen wollen, würde man zunächst auf Schadenersatz für die gestohlenen Flugzeuge bestehen. Putin weiß das sicher und dass es ihm offensichtlich völlig egal zu sein schein, lässt umso stärker auf ein irrationales und ideologisches Kriegsziel schließen. Er hat die Brücke abgerissen, über die er gerade gegangen ist.

Kommen wir zu den im Westen beschlagnahmten oder von Beschlag bedrohten russischen Vermögenswerten – insbesondere den Superyachten. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu geben, demzufolge jeder Russe, der es zum Oligarchen gebracht hat, mindestens eine dieser Yachten braucht, um nicht als Krüppel zu gelten. Man schätzt, dass mindestens 10 Prozent aller schwimmenden Paläste russische Eigentümer haben – auch wenn die Besitzverhältnisse durch allerlei Holdings und geschäftliche Konstruktionen meist verschleiert werden.

Die Managementfirmen sitzen auf den Marshall-Islands oder den BVI’s, die Personalagenturen, die für die Besatzungen sorgen, wieder woanders. Überhaupt ist die ganze Industrie, die sich um diese Art der angenehmen Geldvernichtung gebildet hat, eine recht internationale Angelegenheit. Deutsche, italienische, niederländische, französische und türkische Werften, holländische und amerikanische Versicherungen, britisches oder norwegisches Schiffsregister, Traumziele und Bespaßungseinrichtungen in der Karibik, dem Mittelmeer oder auf den Seychellen…lediglich Russland kommt in dieser Rechnung nur an einer Stelle vor: als Quelle des Geldes. Keine Superyacht läuft jedoch freiwillig russische Häfen an. Keine ist dort registriert. Nicht Murmansk, sondern Monaco ist ihr Ziel. Eine Zeile aus einem Song von Robbi Williams kommt einem unwillkürlich in den Sinn: „It takes half the western world just to keep my ship afloat“, denn genau so ist es – im übertragenen und wörtlichen Sinn.

Gegen Putin oder an ihm vorbei entsteht keiner dieser Oligarchen. Was mit denen geschieht, die das versuchen, hat man im Exempel des Michail Chodorkowski sehen können. Einen bestrafen, hunderte erziehen – auch Putin hat Mao antizipiert. Da aber jeder dieser zu Reichtum gelangten Rohstoff-Viertelfürsten um die Fragilität seiner Lage weiß, haben sie alle nichts Eiligeres zu tun als den zusammengerafften Reichtum außer Landes zu schaffen. Denn dort, in Reichweite Putins, ist das Geld nicht sicher. Und so wuchs die industrielle Basis Russlands trotz üppig sprudelnder Kapitalquellen seit Jahren nur unwesentlich, während das Geld in Schweizer und Zypriotische Banken, Londoner Immobilien oder Fussballclubs und eben in zweite, dritte und vierte Superyachten fließt.

Sieht man mal von den aktivistischen Forderungen einiger Spinner ab, welche die an die Kette gelegten Oligarchendampfer gern enteignen und in Seenotrettungsschiffe umfunktionieren wollen, ist bisher keine Rede davon, die Schiffe wirklich zu enteignen. Wer soll sie auch betreiben und die oft zweistellig Millionen Dollar teuren jährlichen Betriebskosten übernehmen? Ich wette, an diesen Pferdefuß haben die Umverteiler bei SeaWatch oder der EKD nicht gedacht.

Ich fand es extrem kurzsichtig, all die superreichen russischen Flüchtlinge durch die Sanktionen zu zwingen, sich eiligst wieder in die Reichweite Putins zu begeben. Das Kappen der finanziellen Verbindungen nach Moskau hätte genügt und so den Kontrast noch vergrößert, der den Russen für ein Leben innerhalb und außerhalb der Fuchtel ihres Zaren vor Augen steht. Stattdessen liegt nun so gut wie jedes Schiff, dass sich zu einem russischen Eigner zurückverfolgen lässt, an der Kette und alle, die es rechtzeitig aus den Häfen schafften, fahren entweder in Richtung Russland oder verkrümeln sich mit ausgeschaltetem AES-Transponder irgendwo in der „dritten Welt“. Adieu Karibik, adieu Riviera, bienvenue Tristesse! Hart trifft es allerdings die erwähnte Industrie, die sich rund um diese Schiffe gebildet hat und tausende Deckshände, Ingenieure, Köche, Hubschrauberpiloten und Skipper aus aller Welt stehen nun ohne Job da. Die eingeübte Umverteilung des zusammengerafften Vermögens von „Oben“ in Russland nach „Unten“ im Westen hat ihr vorläufiges Ende gefunden.

Doch wie dem auch sei, enteignet wird da gar nichts und sogar dort, wo die gestrandeten Schiffe noch in Trockendocks zur Reparatur liegen, wird sich eine Lösung finden. Auf den an die Kette gelegten Schiffen verbleibt meist eine minimale Rumpfbesatzung, um die Betriebsbereitschaft sicherzustellen, bis neue Verfügungen eintreffen. Und weil die Schiffe Werften und Häfen blockieren, wird das nicht lange dauern. Nein, von Diebstahl kann man hier wahrlich nicht sprechen. Die Desillusionierung ist hier ohnehin die verheerendste Wirkung, denn der Westen ließ sich – sicher ohne dies zu beabsichtigen – für Putins Zwecke instrumentalisieren, indem er die reichen Russen zurückwarf auf ihre russische Heimat, der sie doch nur zu gern – und möglichst mobil – zu entfliehen versuchten. Außerhalb von Putins Griff, so lernt der Oligarch gerade mit Hilfe des Westens, ist für ihn kein Leben möglich. Ich denke, diese unfreiwillige Erkenntnis wird den Krieg eher verlängern als verkürzen.

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4 Kommentare

  1. Enteignung ist Enteignung, ob nun mit Aussicht auf Wiedererlangen oder nicht. Diese Option liegt wenn dann ja eh voll im Ermessen der Enteigner. Nein, nein, da darf man schon Diebstahl sagen.

    Für mich wird gerade überdeutlich, wie der Westen seit Jahrzehnten in einem stillen Krieg gegen Russland Abhängigkeiten schaffte. Abhängigkeiten von Kommerz und Konsum. Genau diese Abhängigkeiten versucht er nun als finalen Dolchstoß gegen die Russen zu führen. Kein McDonalds mehr wenn ihr nicht brav seid, kein Starbucks und auch keine Superjachten. Beugt euch dem woken Westen. So ungefähr schallt der Ruf nach Russland. Überhaupt wird die westliche Bestrebung, einen globalen Superstaat zu errichten – mit Zwischenstopp ‚Vereinigte Staaten von Europa‘ – in der Sanktionsgeschlossenheit schon recht deutlich. Ein Staat, in dem Feminismus, Minderheitenrechte und Cancel Culture patriarchische Vernunft, nationalen Zusammenhalt und verlässliche Struktur ersetzen. Es lebe der Westen. Da passt das böse Russland mit seinem männlichen Nationalstolz natürlich nicht rein.

    Der Westen als Hort der Freiheit, bei solchen Gedanken muss ich immer schmunzeln. Für mich ist es eher der Hort des Irrsinns. Russland sehe ich als Erlöser, nicht als Unheilsbringer. Und da bin ich ja nicht alleine. In Griechenland sind zum Beispiel 39% meiner Meinung. Je weiter wir zum Zentrum der Unvernunft (Deutschland) vordringen, desto geringer wird dieser Anteil. Ja, wir fühlen uns in unserem Wolkenkuckucksheim bedroht. Luisa Neubauer sieht im Krieg gar einen Angriff des Patriarchats auf den Feminismus. Das sagt doch eigentlich schon alles.

    Jetzt mal Hand aufs Herz: Glaubt hier irgendwer ehrlich, dass die westliche Dekadenz und der westliche Irrsinn von alleine aufhören würde? Ist nicht ein Krieg ein notwendiges Übel, um die Menschheit zu erden? Eine rhetorische Frage, natürlich ist er das. Wir brauchen Auseinandersetzungen wie Wasser und Brot. Ja ich weiß, das ist unbequem und das mag man nicht hören, ist aber so. Die letzten Jahre haben mir deutlich vor Augen geführt, wohin eine Gesellschaft tendiert, wenn es ihr zu gut geht, nämlich in den totalen Verfall.

  2. Vielen Dank für diesen lesenswerten Artikel, Herr Letsch , er bedeutet für mich einen Mehrwert an Wissen. Ich wußte nicht, dass Flugzeuge von den Gesellschaften geleast werden. Auch werde ich niemals ( wie ursprünglich für Mai geplant ) eine Aeroflot-Maschine betreten. Außerdem dachte ich, dass die Oligarchen ihr Leben lang ihren Allerwertesten an der Sonne haben- und jetzt kommen sie reumütig zu Väterchen Frost zurück. Interessant.

  3. Es ist bisweilen höchst erstaunlich, dass jene, welche augenscheinlich die Weltherrschaft anstreben, scheinbar nicht wissen, wie ihr Objekt ihrer Begierde funktioniert. Nach Jahrzehnten der Globalisierung durch mehr oder weniger freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital möchten sie nun ihr Weltgetriebe bei voller Fahrt in den Rückwärtsgang zwingen. Und während die Zähne des Weltgetriebes im Rahmen dieser nicht bestimmungsgemäßen Verwendung mit lautem Brummen aufeinander schlagen, verspüren sie an ihrem Schalthebel der Macht einen gewissen Widerstand. Und während die Zähne der beteiligten Zahnkränze abgetragen werden, verspüren sie an ihrem Schalthebel der Macht eine gewisse Bewegung in die gewünschte Richtung, die sie als Erfolg werten.

    • Und was möchten Sie mit der bandwurmsätzigen und ja auch unglücksmetaphernreichen Meinungshuberei nun gesagt haben-?, der Vorhang fällt, und alle Fragen nach dem Brummen der Zähne offen.

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