Weg isser, der Obama. Den Verkehr in Hannover hat er zwar lahmgelegt, dafür aber die Hannover-Messe eröffnet und sich dann schnell noch von „dear Angela“ verabschiedet.  Außerdem wünschte er sich schnellere Verhandlungsergebnisse in Sachen TTIP. Die hätte er wirklich gern als Topping für seine Amtszeit, als Schokostreusel und Kirsche auf seiner politischen Schlagsahne, etwas Handfestes auf einer lockeren Masse, die zwar schön anzusehen ist, aber zum größten Teil aus Luft besteht und droht, binnen kurzer Zeit in sich zusammen zu fallen – man soll schon iranische Mullahs mit Löffeln gesehen haben! Machen wir also mal genau das, was überall in Deutschland und auch anderswo in Europa gemacht wird, reden wir über TTIP.

Vielleicht erinnern Sie sich an den TV-Spot von Coca-Cola mit Manuel Neuer? Den Spot, bei dem der Zuschauer spätestens nach der zweiten Metamorphose nicht mehr auf Neuer bzw. die Freundin, sondern auf das Getränk starren würde um festzustellen, ob man auf LSD, Koks oder Hustensaft „drauf“ ist. Die totale Verwirrung! Genau in diesem Geisteszustand befindet sich die europäische Öffentlichkeit in Sachen TTIP! Es wird protestiert gegen Chlorhühner, Genfood, Mindeststandards und private Schiedsgerichte. Woher kommt die wachsende europäische Angst vor den Amerikanern, denen man doch Elvis, Smartphone, Demokratie, Leonardo Di Caprio und das Internet verdankt? Soll Europa womöglich erobert und versklavt werden? Das muss man ja zumindest mal in Betracht ziehen! Aber schnell wird klar, dass wir unsere Grenzen viel eher und noch dazu freiwillig denen öffnen, die nicht gleich um die Unterzeichnung von völkerrechtlich bindenden Verträgen bitten. Das kann es also nicht sein. Vielleicht stimmt etwas mit den amerikanischen Verhandlungspartnern nicht, womöglich haben die Lobbyisten der amerikanischen Industrie ihre Lippen zu nah an den Ohren ihrer Politiker, womöglich versucht die amerikanische Seite sogar, für ihre Industrie und ihre Bevölkerung das Bestmögliche aus diesen Verhandlungen herauszuholen? Ein verachtenswerter Charakterzug, der uns progressiven Europäern selbstredend gänzlich fremd ist! Bei „Lobbyarbeit“ denken wir an Putzdienst in der Veranda, bei „Subventionen“ an die Belüftung von U-Bahn-Tunneln. Unser Motto hat die Linke in Hannover perfekt auf den Punkt gebracht: „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“. Wir sind nicht Boeing, sondern Airbus! Wir sind die Guten, die Selbstlosen!

Aber verwirrt sind wir auch. Die Verhandlungen finden auf EU-Ebene in Brüssel statt, Obama wirbt aber in Deutschland für das Abkommen. Seltsam, oder? Dass die glücklichen Bürger der Europäischen Union, die immerhin das größte und am umfassendsten regulierte Freihandelsgebiet der Welt darstellt, ausgerechnet gegen ein Freihandelsabkommen demonstrieren, entbehrt nicht einer gewissen Schizophrenie, vielleicht sind wir aber auch nur selbstlos darum bemüht, die unwissenden Amerikaner vor unserer rücksichtslosen Expansionspolitik zu bewahren, denn heute gehört uns Deutschland, morgen die Türkei und übermorgen womöglich die ganze Welt.

Die Europäer trauen ihren eigenen Unterhändlern nicht

Handelshemmnisse abbauen, das wurde schon in den ganz frühen Versionen der EWG/EG/EU-Verträge großgeschrieben. In der jüngeren Vergangenheit gab es jedoch zahlreiche EU-Regulierungen und Gesetze, die auf dem Papier anfangs sehr schön ausschauten, sich in der Realität jedoch als fiese Bumerangs entpuppten und die erzgescheiten Regulierer in Brüssel und Straßburg als Deppen dastehen ließen. Die Feststellung beispielsweise, dass Kunden bei Bargeldauszahlungen an EC-Automaten im Ausland zu hohe Gebühren zahlen, führte zur Angleichung der Gebühren im Inland – nach oben! Wegen ebenso durchsichtigen Lobby-Einflüsterungen kommt unser Licht nun aus giftigen Quecksilber-Lampen und die Zwangsehe unserer unterschiedlichen Volkswirtschaften durch den Euro könnte für manche Länder langfristig ähnlich toxisch werden. Griechenland ruft zum Beispiel seit Jahren „Gift, mehr Gift!“ Oder „Geld“? Ich weiß es grad nicht so genau. Das Gegenteil von „gut“ ist eben oft „gut gemeint“. Es ist etwas faul, aber nicht im Staate Dänemark oder den USA, sondern in den Vereinigten Staaten von Europa: Die Europäer trauen ihren undemokratischen Europäischen Institutionen nicht mehr von der Tapete bis zur Wand!

Schau mal, wer da verhandelt!

Ladies and Gentlemen, in der blauen Ecke, das Weiße Haus mit dem Handelsbeauftragen der USA, welcher dem Kongress, dem Repräsentantenhaus der gewählten Volksvertreter der USA, Rede und Antwort stehen muss. In der roten Ecke die Handelskommissarin der nicht gewählten Europäischen Kommission, die sich mit dem Handelsministerrat der 28 Mitgliedsstaaten abstimmt, von einem Expertengremium beraten wird und das Europäische Parlament regelmäßig informiert – einem Parlament ohne Macht, in dem nicht wenige abgeschobene Politiker der europäischen Volksparteien gemäß dem Peter-Prinzip als „Frei schwebende Gipfel“ ihre Versorgungslücke füllend der Pensionierung entgegen dämmern. Falls Sie sich nun fragen, welchen der Verhandlungspartner Sie eigentlich mit diesem Mandat betraut haben und ob dieser wohl versteht, welche Auswirkungen das Abkommen auf die Apfelernte im Alten Land, die Wasserversorgung in Hintertupfingen oder den Pestizideinsatz in Andalusien haben wird, haben Sie das europäische Prinzip noch nicht verstanden. Aber Sie haben Angst, weil jeder, den Sie um eine Erklärung bitten, sagt, es sei alles unter Kontrolle.

Was macht man, wenn man an exponierter Stelle in einem Verhandlungsprozess steht, der sich als einige Nummern zu groß erwiesen hat, die Zuschauer einen anstarren und man merkt, dass etwas Warmes und feuchtes die Hosenbeine runterläuft? Genau, man sorgt für Ablenkung! Wenn zum Beispiel von der „mächtigen amerikanischen Agrarlobby“ die Rede ist, entsteht bei mir der Verdacht, die „freundliche europäische Agrarlobby“ hat einen Linguisten mit Imagepflege beauftragt – und diese Imagepflege lässt man sich was kosten! Für irgendwas muss die ganze EU-Kohle ja gut sein.

Das Bauchgefühl der Europäer sagt, dass bei den Verhandlungen etwas nicht stimmt. Die ideologischen Gegner einer engeren Verbindung mit den USA haben es bisher stets gut verstanden, dieses diffuse Gefühl als bedrohlichen Schatten auf die nach oben offenen Chlorhühnchen-Skala zu projizieren. Das Problem ist aber nicht das Abkommen, sondern die Bedeutungsbesoffenheit der Bewohner von „Planet Brüssel“, die bereits glauben über die „Gleichgeschalteten Staaten von Europa“ zu herrschen – selbstredend nur zu unserem Besten!

Die Angst geht um in Deutschland. Angst um unsere „hohen Standards“, die im Vergleich etwa mit amerikanischen Umweltstandards so hoch oft gar nicht sind – fragen Sie mal in Wolfsburg nach. Angst auch, durch dilettantische Verhandlungen über einen Tisch gezogen zu werden, der uns am Ende vielleicht nicht mal mehr gehört. Diese Angst ist nicht neu, wir haben sie alle schon gespürt, als das EPA-Handelsabkommen mit der Ostafrikanischen Gemeinschaft abgeschlossen wurde…nee, kommen Sie! Das war Spaß! Bei EPA gehörte uns der Tisch und die Afrikaner rutschten drüber! Das kann man natürlich nicht vergleichen! Das ist Afrika, da haben wir Verantwortung, die haben dort doch keine Ahnung, wie Wirtschaft wirklich funktioniert. Da müssen wir helfen! Am besten, indem wir unsere Agrarsubventionen zementieren und die Afrikaner auffordern, ihren Agrarsektor wettbewerbsfähiger zu gestalten. Das kann doch nicht so schwer sein, haben wir doch auch geschafft! Und wenn‘s mal klemmt, machen wir die afrikanischen Bauern gerne mit der Lieferung von billigem Hühnerfleisch platt.

EPA ist auf ganzer Linie zum Nachteil Afrikas. So what! Die Afrikaner hätten eben kompetentere Verhandlungspartner schicken müssen. Am besten solche, wie die EU-Kommission sie für TTIP hat.

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