1403081598991Arabische Hilfsbereitschaft lernte ich im Sommer des Jahres 2000 im ägyptischen Museum in Kairo kennen. Der Wachmann nämlich, der ganz in meiner Nähe stand, als ich infolge Salmonellenvergiftung und Dehydration auf der Treppe zum ersten Stockwerk bewusstlos zusammenbrach, behielt mich im Auge. Als ich nach einigen Minuten am Fuß der Treppe langsam wieder zu mir kam, hatte er wohl längst beschlossen, nicht mehr in meine Richtung sehen zu müssen. Ich lebte ja offensichtlich noch und er war nur für die Bewachung der Toten zuständig. Mumien, Kanopen, überall Mumien und Kanopen. Kurz vor meiner Auszeit auf der Treppe hatte ich mir Ramses II. angesehen, für den ich mich aufgrund seiner Omnipräsenz in den Bauten von Luxor und Karnak deutlich mehr interessierte als für den unbedeutenden Tutenchamun, bis zu dessen Ausstellung im ersten Stockwerk ich letztlich nie gekommen bin. Auf der Treppe war Schluss und ich war froh, noch genug Kraft gefunden zu haben, mich wieder aus dem Museum zu schleppen.

Das ägyptische Museum in Kairo ist ein sehr überfüllter Ort. Vollgestopft mit Ausstellungsstücken, viktorianischen Vitrinen und gehetzten Besuchermassen, die nur ein Ziel zu haben scheinen: Gold gucken! So war es auch nicht verwunderlich, dass es um Ramses II. kaum Andrang gab und alle Besucher nur den Weg zu „King Tuti“ suchten, wie die Ägypter den „Devisenbringer Nummer Eins“ im Museum gern nennen. Was ich damals nicht wusste, war, dass mir da unter Ramses‘ Vitrine aus Glas und Holz ein Muslim entgegen schaute. Wobei anzumerken ist, dass Ramses davon auch nichts wusste.

Etwa 1900 Jahre nach seinem Tod wurde er zum Muslim und laut Koran kam das so: Als dem Pharao bei der Verfolgung der Israeliten das Wasser buchstäblich bis zum Hals stand „glaubte“ er plötzlich an den einen Gott der Israeliten und flehte ihn um Rettung an. Vielleicht hat er auch einfach nur das gesagt, was auch mir gelegentlich herausrutscht, wenn ich von etwas total überrascht werde. „Oh! Mein! Gott!“. Laut Sure 10:92 währte das gläubige Leben des Pharaos aber nur noch kurz, denn im Koran ließ Gott ihn sogleich ertrinken. Nur Ramses Körper, den konservierte Gott zur Abschreckung späterer Zweifler schnell noch. Ein Wunder, ist ja klar!

Nun ja, ich habe den Pharao in Kairo getroffen. Er war über 80 Jahre alt, als er starb. Er ging wohl am Stock, hatte Rheuma und Arthritis, Abszesse an den Zähnen, ein Hüftleiden, Herzprobleme und konnte seine Schultern kaum bewegen. Mit anderen Worten, er war nicht gerade in der Verfassung eines Yul Brynner, um Charlton Heston im Streitwagen bis ins Rote Meer nachzujagen wie im Holywood-Schinken „Die 10 Gebote“. Es ist doch eher unwahrscheinlich, dass es ausgerechnet dieser Pharao gewesen sein soll, der den Israeliten nachjagte und dabei laut Koran im Meer ertrank. Das Salz, das man in seiner Mumie fand, ist auch kein Beweis für den Wassertod, sondern logische Folge des „Pökelns“ – der Behandlung mit Natron für die Austrocknung, denn ausnahmslos alle ägyptischen Mumien wurden so behandelt. Ägyptologie, Archäologie und Medizin haben den koranischen Zusammenhang zwischen Ramses II oder dessen Nachfolger mit dem Exodus längst widerlegt. Aber die Prediger dieses „Koran-Wunders“ befassen sich nicht mit Ägyptologie, Archäologie oder Medizin.

Archäologische „Beweise“ für Textstellen in der Tora oder der Bibel zu finden ist immer problematisch, weil es stets eine riesige Bandbreite von Interpretationen gibt. Zwar gibt es bei einigen Juden und Christen auch die Neigung, ihre heiligen Schriften wie Geschichtsbücher zu lesen, in letzter Konsequenz steckt aber nur der Islam in einem unlösbaren Dilemma. Der Wortlaut der Suren lässt nach Auffassung der Muslime keine Interpretation zu, es muss alles genau so passiert sein, wie es geschrieben steht. Stünde im Koran, dass von 2000 Jahren der Himmel eingestürzt sei, würde heute jede Glasscherbe ein Gottesbeweis sein. Da nun aber im Koran steht, der Pharao (und gemeint ist Ramses II) sei ertrunken und wurde nicht mumifiziert, fährt man besser nicht nach Kairo und geht besser nicht ins ägyptische Museum, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Und es zeigt sich noch ein Dilemma. Der Koran muss auch alle Erklärungen für alle Zeit vor seiner Verschriftlichung und für alle Zeit danach liefern. Eine Aufgabe, an der er stets scheitert, wenn man den Vorhang für die Erkenntnisse der Wissenschaft, der Geschichtsforschung und der Archäologie auch nur ein wenig öffnet – was man deshalb tunlichst vermeidet.

Wenn man den Beweis einer These antreten will, aber davon ausgeht, dass die These korrekt sein muss, kannst man forschen und schlussfolgern was man will: Am Ende bleibt einem nichts Anderes übrig, als die Realität der These anzupassen. Das tötet leider jede neue Erkenntnis.

Nun könnte man sagen, dass mich das alles gar nichts angeht. Jeder kann schließlich glauben was er will. Das stimmt natürlich, wenn es beim Glauben bleibt. Die Gefahr lauert an anderer Stelle. Die Angewohnheit vieler Muslime, „Wahrheiten“ ex cathedra einfach hinzunehmen, nicht nach Beweisen zu suchen und diese „Wahrheiten“ auch dann noch zu akzeptieren, wenn sie nicht mit den Beobachtungen übereinstimmen, sorgt dafür, dass man historische Fakten nicht suchen muss, sondern auch einfach schnell mal welche erfinden kann. Es besteht qualitativ kein Unterschied zwischen einer Lüge und dem bewussten Leugnen einer Erkenntnis. Ein Beispiel?

Liest man in Jerusalem-Reiseführern, was die Waqf, ein Zweig des jordanischen Ministeriums für Heilige Stätten, die den Tempelberg verwaltet, in den 1920er Jahren über den Tempelberg verbreitete, findet sich dort auch eine Beschreibung der Klagemauer und deren Interpretation als Umfassungsmauer des herodischen Tempels. Legitimation und Bedeutung dieses Ortes wurden nicht angezweifelt. Heute sieht das anders aus. Heute ist an dieser Stelle von der „Al Burak-Mauer“ die Rede und bezeichnet den Ort, an dem Mohammed sein geflügeltes Reittier (im Traum) festgebunden haben soll, bevor er (im Traum) in den Himmel reiste. Und der Jüdische Tempel? Den hätte es dort nie gegeben. Wie kam die Mauer denn dort hin, wer hat sie gebaut? Na, die Juden jedenfalls nicht – die bauen doch keine Mauern, damit der Prophet seine Reittiere daran anbinden kann! Allah wird schon wissen, wer die Mauer gebaut hat. Beweis erbracht, fertig!

Ich habe schon Christen erlebt, die angesichts solch unverschämter Geschichtskritteleien hämisch lachten und wenn ich dann fragte, ob das nicht auch sie beträfe, mit „Nö, wieso?“ antworteten. Liebe Christen, in eurer Bibel drehen sich entscheidende Verse um Jesus und sein Auftreten im jüdischen Tempel. Wie er dort predigte, mit Gegnern diskutierte und randalierte. Kein jüdischer Tempel heißt auch kein Jesus heißt auch kein Christentum. Herzlichen Glückwunsch, ihr habt soeben durch Unaufmerksamkeit eure Religion abgeschafft!

Lässt man die Koran-Interpretation aber mal beiseite, glaube ich schon, dass die Pharaonen präislamische muslimische Anführer gewesen sein könnten. Ihre Neigung, in Saus und Braus zu leben und andere Völker dafür bezahlen zu lassen. Ihre Verherrlichung des Todes und die Angewohnheit, sich prächtige Grabmale schaffen zu lassen, hinterließ uns nicht nur die Pyramiden, sondern etwas später auch Arafats Mausoleum. Natürlich könnte man auch andersherum schlussfolgern und annehmen, dass viele muslimische Anführer von heute sich in der Nachfolge der alten Pharaonen sehen. Es kommt auf’s gleiche raus. Außerdem mochte der Pharao die Israeliten nicht und hatte sie deshalb für sein Programm „Vernichtung durch Arbeit“ ausgewählt. Das macht aus dem Pharao einen Bruder im Geiste, den man ungefragt vereinnahmen darf. Hat bei Mohammed Hadsch Hitler ja auch funktioniert, der, glaubt man Mohammed Amin al-Husseini, dem Mufti von Jerusalem, heimlich eine Pilgerreise nach Mekka unternahm und danach seinen Namen geändert habe. Was für `ne feine Gesellschaft, was für ein Bullshit!

Der muslimisch-kreative Umgang mit der Geschichte führt besonders bei den Palästinensern immer wieder zu aberwitzigen Schlussfolgerungen. Wenn etwa Herr Abbas mal von der ruhmreichen 3.000 Jahre, 5.000 Jahre oder gar 14.000 Jahre langen Geschichte der Palästinenser schwafelt oder die griechischen Philister zu deren Vorfahren erklärt. Beweise für die Behauptungen? Er hat’s gesagt, das muss uns genügen. Abbas hat schließlich Autorität und die allein zählt, wenn man ex cathedra spricht. Wer glaubt, die Philister seien die Vorfahren der Palästinenser, glaubt auch das Scheinwerfer Scheine werfen und Zitronenfalter Zitronen falten. Noch in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts hätte einem ein Araber aus Akko, den man als Palästinenser bezeichnete, eine Tracht Prügel verpasst. Heute reicht die Geschichte der Palästinenser angeblich bereits ins Neolithikum zurück. Einfach so, Triumph des Willens.

Nun wissen wir ja, warum Abbas und seine Brüder im Geiste so argumentieren. Wir kennen das aus Kindertagen: Wer als erster in der Sandkiste ist, ist der Bestimmer; der der sagt, was gespielt wird und wer nicht mitspielen darf. Jemand, der in der Gegenwart eine Konfrontation nicht für sich entscheiden kann und dem die Zukunft seines Volkes egal ist, führt – wie Fatah und Hamas – die Auseinandersetzungen auch in der Vergangenheit.

Wenn also mal wieder von „Rückkehrrecht“ für Araber die Rede ist und der Grund für Flucht oder Vertreibung angeblich keine Rolle spielt; wenn das Recht auf Rückkehr nicht an Zeiträume und Bedingungen geknüpft ist, können die Juden dann nicht auch Forderungen an Ägypten stellen? Sie hatten vor dem Exodus Häuser dort und Land, das sie bestellten. Gehört das also nicht immer noch ihnen und muss zurückgegeben werden? Hätte nach dem Tod des Pharaos nicht dessen Adoptivbruder Moses „am Drücker“ sein müssen? Müsste nicht eigentlich Netanjahu heute Pharao von Ägypten sein – oder wenigstens sein Präsident?

Aber Spaß beiseite, wir müssen ja noch Lehren aus der Geschichte ziehen. Die könnten etwa wie folgt lauten: Das Märchen von Rotkäppchen ist kein Beweis dafür, dass Wölfe früher viel größer waren, das Märchen vom ertrunkenen Pharao Ramses II ist kein Beweis für ein angebliches Koran-Wunder und wer in Kairo Obst vom Markt isst, darf sich über vier Wochen heftigsten Durchfall nicht wundern.

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Nachbemerkung

Koran-Exegese ist natürlich nicht mein Fach. Aber beim stöbern im Internet stieß ich immer wieder auf so genannte „wissenschaftliche Zeichen“ im Koran beziehungsweise auf deren mystisches Gegenstück, die „Koran-Wunder“. Das Netz ist voll davon. Unter anderen auch mit dem angeblichen Wassertod des „Pharaos“, der meist als Ramses II, seltener auch als Setos I oder als ein nachfolgender Ramesside bezeichnet wird und dessen ertrunkene, nicht mumifizierte Leiche alle Nase lang irgendwo zufällig entdeckt wird. Nicht ich war es also, der Ramses II mit diesen Geschichten in Verbindung brachte, sondern islamische Gelehrte und andere „Experten“. Als dieser Artikel letzte Monat in der „Jüdische Rundschau“ veröffentlicht wurde, meldeten sich denn auch erwartungsgemäß jemand, der Beweise für meine Behauptungen forderte. Zunächst muss ich natürlich nachweisen, dass die Geschichte des Pharao tatsächlich so im Koran steht. Das ist nicht schwer.

Sure 2/50: Und denkt daran, dass Wir für euch das Meer teilten und euch retteten, während Wir die Leute des Pharao vor euren Augen ertrinken ließen.

Sure 10/90. Und Wir führten die Kinder Israels durch das Meer; und Pharao mit seinen Heerscharen verfolgte sie widerrechtlich und feindlich, bis er nahe daran war, zu ertrinken, (und) sagte: ”Ich glaube, dass kein Gott da ist außer Dem, an Den die Kinder Israels glauben, und ich gehöre nun zu den Gottergebenen.”

Sure 10/91. Wie? Jetzt? Wo du bisher ungehorsam und einer derer warst, die Unheil stifteten?

Sure 10/92. Nun wollen Wir dich heute dem Leibe nach erretten, auf dass du ein Beweis für diejenigen seist, die nach dir kommen. Und es gibt sicher viele Menschen, die Unseren Zeichen keine Beachtung schenken.

„Jetzt hab ich Dich“ wird der Beweiseforderer sich wohl gedacht haben, den er schrieb „Dort steht aber nirgends, dass es sich bei „Pharao“ um „Ramses II“ gehandelt hat. Wo steht im Koran, dass der besagte Pharao wirklich Ramses II war?“ 

Richtig, es ist stets nur von „Pharao“ die Rede, genau wie übrigens auch im Buch Exodus der Tora oder der Bibel. Und wie gesagt habe nicht ich diese Verbindung hergestellt – sie kam jedoch durch Zufall meiner Geschichte zugute. Verfechter der Theorie, Ramses II würde im Koran angesprochen, führen ins Feld, dass dieser Pharao so lange an der Macht war, dass Amt und Person einfach zu „Pharao“ verschmelzen konnten. Leider stehen in diesem Fall dem „Koran-Wunder“ die tatsächlichen Beweise im ägyptischen Museum entgegen.

Ihr Argument, lieber Beweiseanforderer, fällt aber anderenfalls auch zu Ihren Ungunsten aus, weil kein Pharao jemals den Namen „Pharao“ trug, als welcher der ägyptische Herrscher stets im Koran angesprochen wird. Kannte der Verfasser etwa seinen wirklichen Herrschernamen gar nicht? Aber warum sollte er ihn nicht beim Namen nennen, zumal der eigentliche Verfasser ja angeblich kein sterbliches, menschliches Wesen mit beschränkter Welt- und Wüstensicht war, sondern Allah höchstselbst? Schrieb man in Wirklichkeit vielleicht doch nur eine Geschichte aus der Tora und Bibel ab? Wer weiß…

Wer in Tora, Bibel oder Koran Geschichtsbücher und Handlungsanweisungen sehen will und nicht eine Sammlung von religiösen Texten, die sowohl von ihrer Zeit, Traditionen, dem politischen Umfeld und auch von ihren Verfassern geprägt wurden, hat ein ernstes Problem. Wer durch Koransuren konkrete historische Ereignisse als bewiesen ansieht, bewegt sich auf sehr dünnem Eis. Die meisten Juden und Christen (wenn auch nicht alle) haben dieses Eis längst verlassen und geben sich mit den Atheisten am Rand des Eises „high five“. Vielleicht ist es an der Zeit, dass auch mehr Muslime zu uns rüber kommen und anfangen, entspannter und nachsichtiger auf ihre heiligen Texte zu blicken.

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1 Kommentar

  1. Wenn Mohamedaner entspannter und nachsichtiger auf ihre heiligen Texte blickten, wäre das wie die DDR ohne Mauer……

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