Wer hat eigentlich einen Koffer in Berlin?Nirgends in Europa ist die Wohneigentumsquote so niedrig wie in Deutschland. Liegt diese im EU-Durchschnitt bei immerhin 70%, dümpelt sie in Deutschland um die 45% herum. Die Mehrheit der Einwohner dieses Landes wohnt also zur Miete. Deutschland ist nicht das Land der Bausparer, vielmehr spart man sich dort das Bauen. Oder muss es sich meist verkneifen, weil wir ein so reiches Land sind. Soweit die Fakten. In hitzigen Debatten um die Wohnungssituation in Berlin, in denen bis in die Bundespolitik hinein schon von Enteignungen und sogar von Beschlagnahmungen die Rede ist, adressieren Linke, Grüne und Demo-Sprechblasen vor allem in Richtung privatrechtlicher Wohnungsgesellschaften (auch „Miet-Haie“ genannt). Ob die Zahlen und die Probleme irgendwie zusammenhängen? Und warum ist die Schwierigkeit, bezahlbaren Wohnraum zu finden, ausgerechnet in Berlin größer als sonst irgendwo in Deutschland? Es gibt offensichtlich zumindest schon mal eine Korrelation, denn die Wohneigentumsquote liegt in Berlin sogar nur bei lausigen 15%, was die Hauptstadt mit großem Abstand zum Schlusslicht unter den Bundesländern macht. In der Hauptstadt wohnen also 85% zur Miete – auch weltweit ist das einsame Spitze. Dröseln wir doch mal Stück für Stück wichtige Kausalitäten der aktuelle Situation auseinander.

Rückblende 1: Vor der Enteignung kam die Entschuldung

Ende der 90er Jahre und zu Beginn des Jahrtausends, in der Dekade der „Heuschrecke“ gelangte bundesweit eine große Anzahl kommunaler Wohnungen in die Hände solventer privater Investoren, oft Hedgefonds wie Blackrock oder Fortress (Goldman-Sachs). Grund war meiner Meinung nach nicht so sehr die Tatsache, dass man – ausgehend von einem allgemein zu erwartenden Bevölkerungsrückgang und dem massiven Wegzug aus den neuen Ländern – den Bestand „gesund schrumpfen“ wollte, sondern vielmehr die Tatsache, dass besonders die kommunalen Wohnungsgesellschaften im Osten (und damit auch in Berlin) gigantische Schuldenberge vor sich her schoben, deren Zinslasten zwar lange gestundet, später aber geradezu erdrückend zu werden drohten.

Ein großer Teil der Schulden waren sogenannte „Altschulden“, also ein aus DDR-Zeiten ins Gesamtdeutsche hinübergetretener buchhalterischer Pferdefuß. Die geplanten Erlöse aus Wohnungsverkäufen an die ehemaligen Mieter lief schlecht, die Leerstände waren wegen der weitergehenden Abwanderungen hoch, die Stundungstermine wurden gesetzlich mehrfach verlängert, um einen Zusammenbruch der Wohnungsgesellschaften im Osten zu verhindern. Letztlich wurde die „paketweise“ Privatisierung an Investoren gestattet und die Erlöse zur dringenden Ablösung der Schulden eingesetzt. Außerdem war um die Jahrtausendwende das Wort „PPP“, also Public Private Partnership, in aller Munde.

Das öffentliche Tafelsilber verkaufen und „billig zurück leasen“ war der feuchte Traum vieler Stadtkämmerer. Eine Win-Win-Situation (ein weiteres Klingelwort aus jener Epoche), was soll da schon schief gehen! Das wurde natürlich vor allem deshalb forciert, weil die Kommunen damals generell heillos verschuldet waren (was sie teilweise auch heute noch sind, nur drücken die Zinsen im Moment nicht mehr) und man für Kredite tatsächlich noch Zinsen zahlen musste, weil die Bundesbank nicht wie heute die EZB jeden Waschzettel als Wertpapier betrachtete und gegen Bares aufkaufte – verrückte Zeiten damals. Oder heute. Je nach Blickwinkel.

Der Preis als Information

Es stand jedoch nicht in Stein gemeißelt, dass der Verkauf von Mietwohnungen im großen Stil eines Tages derart schrille moralische Verurteilungen nach sich ziehen könnte. Doch nicht nur die Zeiten haben sich geändert, auch die Zinsen und mit ihnen die Renditen. Die fielen für Rentenbasierte Anlageformen aufgrund der permanenten Euro-Rettung bald ins Bodenlose (also unter Null), was zu einer extremen Aufwertung „echter“ Assets wie Immobilien führte. Dazu kam, dass Deutschland Kapital-Fluchthafen (nicht Flughafen) für Sparer und Anleger aus Euro-Wackelstaaten wie Italien, Griechenland oder Spanien wurde. Hierher bringt man sein Geld in Sicherheit, hier, so hofft man, bröckelt der Euro erst ganz zum Schluss und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass eine dann wiedereingeführte D-Mark sich rascher erholen wird als Lira und Pesete. Deutschland und Berlin (Hauptstadtfaktor) gewinnen an Attraktivität, Berliner Immobilien waren günstig zu haben, es wurde gekauft, was nicht bei drei eine Hypothek im Grundbuch hatte.

Ein Immobiliengeschäft, dass ein Grieche über seine Bank in Berlin tätigt, geht direkt in die Target II Bilanz (derzeit ca. 940 Milliarden Euro). Dort ist folglich ein guter Teil der Wertsteigerung abgebildet, die sich in gestiegenen Immobilienpreise und Mieten in Berlin zeigt. Die momentan hohen Renditen am Mietmarkt in Berlin müssten nun eigentlich – das heißt in einer funktionierenden Marktwirtschaft – Investoren und Bauherren anlocken wie die Fliegen, allerdings erhöht sich in der Baubranche durch die überall durch Nullzins angekurbelte Bautätigkeit auch der Preis fürs Bauen. Bürokratie, Ausschreibungsrichtlinien, Energetische Vorgaben zur Dämmung und eine unflexible Stadtentwicklungsplanung für die Berliner Peripherie hemmen jedoch schnelle Entlastungen. Auch die Idee, Berlin als urbanes Gebiet etwas weiter zu fassen und Frankfurt, Neubrandenburg und Cottbus in die Wohnraumplanung mit einzubeziehen, scheitert schon an der unzureichenden Verkehrsanbindung, deren Verbesserung ja nochmal doppelt so lange in der Planung braucht oder wie BER spätestens bei der Realisierung im Chaos versinkt.

Um die derzeit zu erzielenden höheren Mieten zur Einkommensverbesserung nutzen zu können, kannibalisiert sich der Mietmarkt vorwiegend selbst: Bestandswohnungen werden „Luxus-saniert“, wie es dann heißt. Auf der Strecke bleiben diejenigen, die sich die höheren Mieten dann nicht mehr leisten können und nur schwer Alternativen finden.

Angebot, Nachfrage, Preis

Preise steigen aber nicht nur, weil das Angebot knapper, sondern auch, weil die Nachfrage größer wird. Gäbe es nämlich niemanden, der die hohen Mieten zahlen kann, gäbe es auch solche Wohnungen nicht. Ein Bäcker, der seine Brotpreise über Nacht um 1000% erhöht, kann sich am nächsten Abend nicht über volle Kassen freuen – er bleibt auf seinen Broten sitzen. Als beispielsweise zu Beginn der 90er Jahre ganze Straßenzüge der Leipziger Altstadt saniert wurden, dauerte es oft Jahre, bis die Wohnungen vermietet oder verkauft werden konnten. Erst als durch mehrere wichtige Industrieansiedlungen, etwa durch BMW, Porsche und DHL die Nachfrageseite anzog, waren die Leerstände wie weggefegt. Wollte Leipzig 1995 mit seinem Leerstand am liebsten nach München umziehen, glaubt man angesichts der Preise in Leipzigs Zentrum heute, der Wunsch hätte sich erfüllt.

Wer also 1992 das Risiko einging, eine marode Leipziger Immobilie zu erwerben, sich für die Sanierung verschuldete und dann jahrelang auf die Erstvermietung hoffte, warum sollte derjenige sich dafür schämen, mit der Vermietung seines Objektes heute Gewinne zu machen? Nicht alle Investoren haben die „Hungerjahre“ überlebt.

Die fixe Idee linker Ideologen und Nachwuchspolitkommissare wie Kevin Kühnert, Renditen auf Mietwohnungen seien generell irgendwie unmoralisch, erstickt jede private Investition schon in der Planung. Denn auch das Risiko muss sich im Preis abbilden können. Oder sollte es, zumindest in einer funktionierenden Marktwirtschaft. Das wir die längst nicht mehr haben, zeigt der aktuelle Preis des Geldes, den wir Zins nennen. Im Rot-Rot-Grünen Berlin kommen als Risikofaktor für Investoren die unwägbaren politischen Zustände zu den allgemeinen Marktrisiken obendrauf. Denn in einer Stadt, deren Politiker mit Enteignungen liebäugeln, bewegt sich kein privater Spaten.

Wer hat eigentlich einen Koffer in Berlin?

„Ich hab noch einen Koffer in Berlin / Deswegen muß ich da nächstens wieder hin“ sangen schon Marlene Dietrich und Hildegard Knef. Fragen wir also, was da auf der Nachfrageseite zerrt und nach Berlin drängt, denn die Angebotsseite allein reicht nicht aus als Erklärung der prekären Lage. Da wäre natürlich zunächst die viel beschworene „Hippness“ des dicken „B“, die sich aber weniger an wirtschaftlichen Chancen als an kulturellen und administrativen Dingen festmachen lässt. Cool, aber nicht nachhaltig, ich komme darauf zurück. Aber hipp sind Hamburg oder München auch und wer dort am Elbufer oder dem Viktualienmarkt nichts zum Geldbeutel Passendes findet, der schlägt halt größere Kreise. Das kann höchstens einen kleinen Teil des Drucks erklären, dem der Mietmarkt derzeit in Berlin ausgesetzt ist.

Der Faktor Zuwanderung ist da schon entscheidender. Nicht die individuelle, sondern die Institutionalisierte. Denn dort wo diese kommunal betreut und gefördert wird, treten die Kommunen im Wohnungsmarkt plötzlich auf der Nachfrageseite in Erscheinung. Früher Anbieter von Sozialwohnungen, heute über das BAMF selbst wohnungssuchend am Markt. Je größer die Stadt und je größer die dort vorhandene Community, desto größer auch die Anziehungskraft für Migration aus dem entsprechenden Herkunftsland oder Kulturkreis. Logisch, nachvollziehbar, menschlich – aber leider nicht so gut planbar und durch gesetzlich geregelte Ansprüche der Migranten kann die jeweilige Kommune nicht ablehnen. Man darf wohl annehmen, dass der deutschlandweite Aufwuchs von etwa 2.000.000 Einwohnern innerhalb von vier Jahren auf der Seite der Wohnungssuchenden nicht spurlos am Wohnungsmarkt vorbei gegangen ist.

Der Druck, schnell Abhilfe zu schaffen und die Tatsache, dass man ja nicht in die eigene Tasche greift, um die subventionierten Mieten von nochnichtsolangehierwohnenden Leistungsempfängern zu bezahlen, sorgte nicht nur in Berlin für absurd hohe Preissprünge. Doch auch dort, wo aufs Geld geachtet wird, sind die Neuankömmlinge logischerweise mindestens Mitbewerber auf dieselben billigen Wohnungen, die den Berlinern unter dem Hintern wegsaniert werden.

Wo wohnt der Zoo aus Cheerleadern und Profiteuren?

Während man für den Zuzug infolge der Jahre der offenen Tür noch recht zuverlässige Zahlen ermitteln kann, gibt es für einen weiteren Push-Faktor auf der Nachfrageseite nicht einmal verlässliche Schätzungen. Ich spreche vom Politikbetrieb der primären, sekundären und tertiären Art. In Berlin steppt der Bär, sagt man. Wer Bundespolitik macht, auf die Bundespolitik wirken will oder sich etwas von der Bundespolitik verspricht, muss hier hin! Ganz zu schweigen von „Europa ist die Antwort auf alle Fragen“. Diese Fragen werden nämlich auch in „B“ gestellt. Berlin oder Brüssel ist hier nur Formsache.

Allein der Bundestag blähte sich in den letzten Legislaturperioden immer weiter auf, das bedingt auch mehr Personal der Abgeordneten, mehr Verwaltungsangestellte, mehr Referenten, mehr Sekretariatsmitarbeiter, mehr Parteipraktikanten, mehr Journalisten, mehr Zweitwohnungen. Allein das Verzeichnis der in der Hauptstadt akkreditierten Lobbygruppen ist dick wie ein Telefonbuch, die Ministerien melden immer neue Unterabteilungen und Aufgabenfelder, die sie zu beackern hätten. Von weniger Personalbedarf war noch nie die Rede, immer nur von mehr Europa. Dazu die Präsenz der Parteien, der Stiftungen (nicht nur die der Parteien, denken Sie nur an die Amadeu-Antonio-Stiftung), die den Ministerien unterstellten staatlichen Organisationen, Institute und Initiativen wie etwa die „Bundeszentrale für politische Bildung“ oder die Jubelorga des Familienministeriums mit dem euphemistischen Namen „Demokratie leben“. Die Zirkusnummern „Energiewende“ und „Klimawandel“ beschäftigen allein so viele Dompteure, Narren, Handleser und Tambourmajore, dass es sicher für die Bevölkerung eines halben Berliner Stadtbezirkes reicht.

Sie alle reichen die bewilligten oder per Gesetz bzw. Verordnung garantierten Gelder weiter an Vereine, Initiativen, Aktionen, Bewegungen, Hashtags und all die anderen Ventilatoren, die nicht immer aber sehr häufig nahe an den Töpfen sitzen. Und diese Töpfe stehen in Berlin. Dem Berlin, in dem man nach harter Ventilatorenarbeit und gelebter Demokratie nachts sein müdes Haupt gern in einer Zweizimmerwohnung im Prenzelberg aufs Kissen drücken möchte. Ich konnte keine Statistik finden, welche diesen Bienenstock ­– der eher ein Wespennest ist, weil er den Honig ja vom Steuerzahler bekommt, statt ihn selbst zu sammeln – auch nur annähernd abbildet. Fleißig sind sie alle, da bin ich mir sicher. Die Bienen beim Sammeln, die Wespen beim Stechen und die Hummeln beim Brummen. Es mag ein Insektensterben geben, aber selbst das würde man in Berlin nur als verstärktes Summen wahrnehmen, weil genau deshalb nur irgendeine neue Interessengruppe eine weitere Fahne in der Hauptstadt aufgestellt hätte.

Sicher wird es für einige der fleißigen Wespen niederen Ranges ebenso schwer sein wie für Studenten oder Rentner, in Berlin eine Wohnung zu finden. Aber die meisten in dieser meiner Meinung nach perversen Verwertungskette dürften keine Schwierigkeiten haben, die aufgerufenen 1.200 Euro Kaltmiete aufzubringen, um es sich im hippen Kiez ihrer Wahl so richtig gemütlich zu machen. Der Hinweis „arbeitet als Referentin für korrektes Gendern bei Ministerin X, keine Kinder“ dürfte bei der Wohnungsbesichtigung Pluspunkte gegenüber „alleinerziehend, Floristin“ geben, auch wenn man darüber lieber nicht spricht. Dass Berlin die einzige Hauptstadt Europas ist, die in Abzug gebracht die Wirtschaftsleistung des jeweiligen Landes verbessern statt verschlechtern würde, spricht eindeutig für meine These. Berlin ist die Stadt der Projekte – und sei es auch nur eines, dass großzügig von „Demokratie Leben“ gefördert wird. Wieviele Primär- bis Tertiärverwerter von Steuergeldern mögen in Berlin wohl insgesamt dafür sorgen, dass die luxus-sanierten Wohnungen nach erfolgreicher Gentrifizierung wieder vermietet werden, wodurch die Mieten hoch bleiben. Und warum finden die alltäglichen Miepreis-Brems-Demos nicht vor Ministerien, Kongresszentren oder dem Sitz des Berliner Senats statt?

Rückblende 2: Erst kommt der Sozialismus, dann der Hausschwamm

Mit Mama oder Oma „in die Stadt“ zu fahren, war für mich als kleiner Steppke das Allergrößte. Die Stadt meiner Kindheit hieß Weißenfels und ich kann mich noch gut an die Gerüche erinnern, die ich mit dem Begriff „Stadt“ verband. Besonders an zwei. Da waren die Küchengerüche aus dem Hotel „Goldener Ring“, dessen plüschig-goldener Vorkriegscharme zwar ziemlich in die (70er) Jahre gekommen war, aber den Alltagslärm der Stadt immer noch zuverlässig und versnobt glattzog. In der Luft lag stets der würzige Duft von „Ragout Fin“ und der machte Hunger. Der andere Geruch eher nicht, denn der war muffig, dumpf und feucht. So roch die Stadt überall dort, wo der Duft des „Ragout Fin“ aus dem „Goldenen Ring“ nicht hinreichte. Später wurde mir klar, dass es der Hausschwamm war, der überall aus den Kellern kroch und die grauen, verwitterten Fassaden abblättern ließ. Die Altstadt von Weißenfels, also das, was der Krieg davon übriggelassen hatte, war ein Drecksloch. Ein Volkseigenes. Den Häusern hat das nicht geholfen, den Menschen auch nicht. Heute sieht es dort deutlich besser aus, die Fassaden sind kaum wiederzuerkennen. Nur die Gerüche fehlen. Zum Glück beide.

Katja Kipping war elf, als die Mauer fiel. Ob Sie auch mit Mamma oder Oma durch „ihre Stadt“ Dresden gezogen ist und die Gerüche aufgesogen hat? Der gleiche Barock, der gleiche Schwamm, die gleichen Segnungen des Sozialismus, in dem alle zuständig aber niemand verantwortlich war. Kipping heute:

„Wenn eine Linke in die Regierung geht, ob in einem Bundesland oder irgendwann mal im Bund, dann greifen wir das goldene Kalb des Neoliberalismus an: Die Spekulationen mit Wohnraum, mit Boden und mit der Daseinsvorsorge.“ Und weiter: „Wer mit Eigentum nur Rendite schinden will, muss dafür bezahlen. Wer Mieterinnen und Mieter auspresst, der wird in die Schranken verwiesen. Wir gehen ans Eingemachte.“

Wer muss eigentlich „dafür bezahlen“, wenn Eigentum vergammelt und sich selbst überlassen wird? Woher kommen eigentlich die Steuern, die auch die Linke gern mit vollen Händen ausgeben möchte, wenn nicht aus den Renditen fähiger Unternehmen, die dort tätig werden, wo sich Gewinne erzielen lassen? Wer konnte denn aufwendige Sanierungen barocker Bausubstanz finanzieren mit Mieten von 60 Mark der DDR für 70 Quadratmeter im kohlebeheizten Altbau mit Einfachglasfenstern? Kippings Barrikadenrhetorik voller Klassenkampf-Klingelworte will die „Daseinsvorsorge“ von der Rendite befreien und starten möchte sie mit dem Wohnungsmarkt.

Aber es würde nicht bei diesem Feld bleiben, oh nein! Denn zur Daseinsvorsorge gehören auch Essen und Trinken und Kleidung und Bildung, also auch das tägliche „Neue Deutschland“ und die Tagesschau. Für Spekulationen und Profite ist da kein Platz, der Staat regelt alles, ihr müsst euch um nichts kümmern. In der Energiewirtschaft hat der Staat das Ruder längst übernommen, alle Beteiligten arbeiten nach Plänen, gegen die sich die Fünfjahrespläne der DDR wie Knoppers-Pausen ausnehmen. Das Ergebnis dieses Energiesozialismus beschert uns die höchsten Energiepreise der Welt. „Enteignet die Windkraftanlagenbetreiber“ hat aber noch niemand gerufen.

Aber bei den Mieten soll das nun dank staatlicher Eingriffe und Enteignungen ganz anders werden, versprochen! Billig machen wird man es uns, wird die Information namens „Preis“, die uns früher Knappheit oder Wert einer Ware zeigte, durch eine Steuer ersetzen, die man immer noch „Preis“ nennen wird – denn zahlen müssen wir die staatlich garantierte Daseinsvorsorge natürlich schon. Genau wie beim „Strompreis“. Wir wissen nur nicht mehr, was die Dinge wirklich „Wert“ sind, denn die Preise legen andere nach gusto und politischer Wetterlage fest, nicht danach, wie sie sich natürlich und von selbst entwicklen. Am besten macht man das mit einer staatlichen Preiskommission. Hatten wir ja schon. Das geht dann tatsächlich ans „Eingemachte“.

Von Mises brachte es auf den Punkt, dass sozialistische Experimente immer maximal so lange dauern, wie die langlebigsten Güter, die der Revolutionär bei Machtantritt vorfindet. Bei Immobilien, die auf Verschleiß gefahren werden, kann man von unter 100 Jahren ausgehen, weil niemand mehr da ist, der genügend Kapital allokieren (neulinks: zusammenraffen, ausbeuten, abpressen) kann, um kostspielige Instandhaltungen zu finanzieren oder dafür zu garantieren.

Setzt sich die Meinung durch, Enteignungen der Art, wie sie in Berlin erwogen werden, seien doch gar nicht so schlimm und Sozialismus sei doch etwas ganz anderes, brächte das Deutschland im Freiheitsranking einige Stufen in Richtung Despotismus. Vertragssicherheit, Rechtssicherheit, Investitionsschutz…in beinahe jedem Feld, in dem man Freiheit messen kann, hätte dies negative Bewertungen zur Folge. Damit käme die Welt schon zurecht, keine Frage. Aber wenn das Risiko einer Investition steigt, bewerten dies alle Märkte (außerhalb Deutschlands, versteht sich) mit Risikoaufschlägen. Investitionen in Deutschland gerieten generell unter das Risiko, Enteignungen anheim zu fallen. Es könnte folglich spannend sein, auf den Kurs deutscher Staatsanleihen und den Euro zu blicken (oder zu wetten), wenn der Berliner Senat tatsächlich zum Mittel der Enteignung greift.

Artikel 15 GG: Enteignung ist Demokratie?

„Ach was!“, höre ich da schon die Zwischenrufe. „Das ist doch alles vom Grundgesetz gedeckt!“ Was ist also dran am Hinweis auf Artikel 15 Grundgesetz, den heute alle zitieren, um ihre Kollektivierungsgelüsten ein moralisches Kondom überzurollen. Enteignungen seien doch gar kein Sozialismus, heißt es dann. In Bento, dem Spiegel für künftige Berlin-Abiturienten und Hausbesetzer, wird die Stadtplanerin und Architektin Harnack unter dem Titel „Eine Stadtplanerin erklärt, warum Enteignungen kein Sozialismus sind – sondern Demokratie“ interviewt:

Bento: „Frau Harnack, sind Enteignungen eine gute Idee – oder utopischer Unsinn?“

Harnack: „Ich finde, dass die Diskussion derzeit eine ganz komische Richtung nimmt. Enteignungen sind in Deutschland möglich und es gibt sie bereits regelmäßig. Zum Beispiel, damit Flughäfen und Autobahnen gebaut werden können.“

Gut, dass Juristen keine Häuser bauen und bei Bento keine Journalisten arbeiten! Es ist ja schon schlimm genug, wenn Architekten Recht auslegen. Wenn ein Bauer seinen Acker nicht verkaufen will, weil er eine Autobahn oder einen Flughafen verhindern oder einen besseren Preis beim Verkauf erzielen möchte, ist der Zweck der Enteignung – die immer eine angemessene Entschädigung nach sich zieht – gerade nicht, dass der Staat der Meinung ist, auf dem enteigneten Land Zwiebeln besser produzieren zu können, als es der Bauer selbst könnte. Die neue Nutzung des Landes oder des Eigentums generell ist stets eine wesensandere als die alte. Feld für Straße, Acker für Flughafen, Dorf für Braunkohletagebau. Nicht Feld für Feld, nicht Dorf für Dorf, nicht Wohnung für Mietsenkung.

Man muss hier zudem sehr genau die Interessen des Zwiebelbauern gegen die der zukünftigen Flughafenbenutzer abwägen. Wenn das Gemeinwohl nicht erheblich überwiegt, wird es keine Enteignung geben. Es ist auch noch nie ein Grundstück enteignet worden, um dort eine Minigolf-Anlage zu errichten. Die Gemeinwohlinteressen sind dafür einfach viel zu gering, ganz gleich wie hässlich das Haus ist, das dem Minigolfgenuss im Weg steht oder wieviele Steuereinnahmen sich die Gemeinde von Minigolfturnieren verspricht. Ebenso fraglich ist, ob die prognostizierten niedrigeren Mieten im sozialistischen Havanna an der Spree dem Gemeinwohl dienen oder stattdessen nur die Taschen derjenigen entlasten, die von den geringen Mieten persönlich profitieren. Wenn das so wäre, fordere ich die Enteignung der Spargelbauern und einen staatlich garantierten Spargelpreis von 5 Euro. Der aktuelle Kilopreis von 15 Euro ist mir einfach zu hoch!

Wohnungen zu enteignen, nur um sie dann einem anderen Betreiber zu übergeben, ist wohl kaum die Intention der Autoren des Grundgesetzes gewesen und auch die Spargelbauern und die Spargelfreunde können aufatmen: wenn das Wetter wärmer und das Angebot reichhaltiger wird, sinkt der Preis. Mir ist klar, dass das Wetter den Mieten nicht helfen wird. Aber durch Enteignung der Vermieter entsteht ja auch keine einzige neue Wohnung, während im Gegenzug das Land Berlin durch zu zahlende Entschädigungen seinen Schuldenstand massiv erhöhen würde.

Die dann noch höhere Schuldenlast trügen alle Berliner und durch den Länderfinanzausgleich auch die Münchner (Herzlichen Glückwunsch, Herr Söder). Das Risiko, auf seinem 15 Euro Spargel sitzen zu bleiben, trägt allein der Bayer — ähm, der Bauer! Aber der finanziert ja im Gegensatz zum Bayern auch nicht eine Armee aus Hashtags und Initiativen und das Familienministerium schiebt pro Jahr keine 119 Millionen Euro an die Initiative „Spargel leben“, die dann für Malwettbewerbe und Spargelsuppenrezepte ausgegeben werden müssen. (Was eigentlich ziemlich schade ist.)

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7 Kommentare

  1. Danke für den klaren und sachkundigen Text. Leider ist zu befürchten, dass – so habe ich’s vor 12 Jahren in einem Radio-Feature über Rudolf Bahro für SWR 2 formuliert – der Westen den Untergang des Sozialismus noch vor sich hat. Das Heer der Mitläufer folgt den Propagandatröten linker und grüner Populisten, die dabei immer aberwitzigere Organisationen zum Selbsterhalt aus Steuern erschaffen. Gleichzeitig blüht das Brauchtum der Denunzianten, und das Diffamieren abweichender Meinungen garantiert so manches Erwerbsleben im Kollektiv der Weltenretter.
    Mich ermutigt, dass Sie und ich zumindest darauf hinweisen können, was wir im „real existierenden Sozialismus“ erlebt haben, und welche Altlasten er gerade im Wohnungsbau hinterließ. Ein DDR-Spruch aus den 80ern: „Du hast keine Chance. Nutze sie.“

  2. Herr Letsch, großartiger Artikel. Für die Überschrift „Erst kommt der Sozialismus, dann der Hausschwamm“ schlage ich Sie für den Literaturnobelpreis vor. Überhaupt bin ich der Meinung, für einige der Kühnertyoungster hätte man einen Teil des Leipziger Ostens erhalten müssen, um ihnen dort eine DDR-Zwangsrealisierung angedeihen zu lassen.

    • Dieser Satz hat sich bei mir auch sofort „eingeprägt“, zumal ich ihn ja live und in Farbe erlebt habe.

  3. Lieber Roger,
    gebe dir vollumfänglich Recht.
    Und ich bleibe bei meiner These:
    Es war ein Fehler, die Bundeshauptstadt nach Berlin zu verlegen. Je größer eine Stadt wird, desto chaotischer wird sie und desto mehr Chaoten zieht sie an. Und Chaoten ziehen weitere Chaoten an, weil die sich erst miteinander so richtig wohl fühlen.
    Und ich gebe eins zu bedenken: Jedes mal wenn Berlin die Hauptstadt von Deutschland war, nahm der Selbstvernichtungsdrang und der Drang, andere mit in den Abgrund zu reißen, dramatisch zu.
    Sorry, liebe Berliner – nicht persönlich nehmen; nur eine kleine Randnotiz aus der Geschichte.

  4. Sehr gut analysiert mit Ursachen und Auswirkungen und zudem brillant geschrieben. Roger Letsch, 1. Kandidat für den erstmals zu vergebenden „Henryk M. Broder Preis für politische Blogger“.

  5. Wäre ich Lehrer oder neudeutsch „Lehrender“, würde ich eine glatte Eins vergeben. Besser kann man die Situation nicht beschreiben. Heute hat sich Manfred Haferburg auf der „Achse“ schon ähnlich geäußert, womit wir Ossis wieder unter uns wären. Meinen Dank für den Beitrag.
    Ich bin der festen Überzeugung, dass der fortschreitende Marxismus in der B(olschewistischen) RD mit rechtsstaatlichen oder parlamentarischen Mitteln nicht mehr aufzuhalten sein wird, man begutachte die Wahlergebnisse 2017. Nur der massive Widerstand der Bürger auf der Straße, bis hin zu Steuerboykott und Generalstreik können da noch Abhilfe schaffen. Das Land liegt moralisch und ökonomisch am Boden. Und wohl nur aus Ruinen (1918/1989) kann wieder Neues erstehen.

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