In einer Beziehung gibt es Dinge, Vorkommnisse, Taten oder Worte, deren Aussprache jedes Stück Porzellan, das vielleicht schon den einen oder anderen Riss hat, zum Zerbersten bringt. Fast unerträglich ist es nach solchen Momenten, dass die Partner in den meisten Fällen nicht einfach ihrer Wege gehen können, weil viele Fäden sie noch lange aneinander fesseln. Das Haus, die Kinder, Freunde, Geld, Schulden. Man sitzt oft noch Monate und Jahre im selben Raum, spricht noch miteinander obwohl man sich längst nichts mehr zu sagen hat und selbst ein harmloses „Guten Morgen“ wird auf verborgene Gemeinheiten abgeklopft. Man misstraut einander, jeder fühlt sich verraten und sich selbst fast vollkommen unschuldig an den Geschehnissen.

Ich rede aber von einer besonderen Ehe, ich rede von Griechenland und dem Euro. Wir wissen heute, die beiden hätten nie heiraten dürfen! Wir wissen auch, dass die Braut Griechenland aus gutem Grund einen tiefen, dichten Schleier trug. Als dieser 2008 fiel, war das Entsetzen groß. Man möge mir den folgenden Vergleich verzeihen, aber das „Ja“, das zur Euro-Hochzeit geführt hatte, war in Wirklichkeit ein „Mein Geld reicht nicht, gib mir deins“. Griechenland war pleite, das hätte man so feststellen müssen. Hat man aber nicht! Das hätte nicht nur viele europäische Banken in den Ruin getrieben, bei denen die griechischen Kredite nicht die einzigen Brände in jener Zeit verursachten, es hätte das komplette griechische Finanzsystem inclusive der Nationalbank hinweggefegt und Griechenland ohne Umweg zurück ins Neolithikum geschleudert. Etwa ein Drittel des Geldes, mit dem „nur“ Banken gerettet wurden, ging an griechische Banken und rettet Griechenland…ein Bisschen, ein Weilchen!
Als Tsipras nach seinem Wahlsieg die verhasste Troika aus dem Land jagte, war in Athen der Jubel groß. Es gingen die anonymen, seelenlosen Bürokraten von Bord, die keine Wurzeln in Griechenland hatten und das Land nicht verstanden, nicht verstehen konnten. Ersetzt wurden sie durch die wiedereingestellten griechischen Bürokraten, die das Land noch teuer zu stehen kommen werden. Man dachte, mit der Troika auch die Probleme los zu sein und zwar nur aus einem Grund: Keine griechische Regierung hat ihrem Land je die Wahrheit über die Ursachen der Krise gesagt, egal wie zerknirscht und einsichtig man sich auch in Brüssel, Paris oder Berlin zeigte, in Athen hielt man stolz die Faust in die Höhe und zeigte mit der anderen Hand auf den Feind: Das System aus Gläubigern, Brüssel, IWF, internationalen Banken usw., wir alle kennen diese Rhetorik nur zu gut und die aktuelle Regierung beherrscht sie perfekt. Die Frage ist nur, wer geht diesem uralten Trick auf den Leim? Unsere gewählten und nicht gewählten Vertreter in Berlin, Paris, Brüssel und anderswo tun dies! Sie tun es auch immer wieder und bei jeder Gelegenheit! Nicht nur in der aktuellen Griechenlandkrise. Wer erinnert sich nicht mit Schaudern an den „lupenreinen Demokraten“ Putin, wie sein Freund Gerhard Schröder ihn nannte, den Massenmörder Gaddafi, der sein Zelt im Garten des Elysee-Palastes in Paris aufschlagen durfte und mit dem der Narziss Berlusconi so gern kuschelte. Oder an den Janusköpfigen Arafat, der in New York vor der UN auf Englisch vom Frieden, daheim in Ramallah auf Arabisch vom Untergang Israels sprechen konnte, ohne dass ihn sofort der Blitz erschlug. So etwas hält doch die EU nicht vom Zahlen ab! Nichts davon!

Ich bin mir sicher, Tsipras dachte wirklich, durch das Referendum eine bessere Verhandlungsposition erlangen zu können. In der griechischen Politik, wo es selten Kompromisse und noch seltener Koalitionen gibt, wo Abweichler schon mal aus der Partei geworfen werden, wo nach der Wahl hunderte lukrative und einflussreiche Posten in der Verwaltung und den Ministerien durch loyale Anhänger der neuen Regierung ersetzt werden…in solch einem Land schafft die Mehrheit traditionell Fakten. Das wird als normal, als demokratisch empfunden, man kennt es nicht anders. Das System setzt sich auf europäischer Ebene aus Sicht der Griechischen Politiker fort. Die starken Interessen setzten sich durch, nationale Egoismen werden bis zur europäische Ebene durchgestochen. Geld dafür kommt aus anonymen Kassen und noch anonymeren Dach- und Überinstitutionen, Fonds, Fazilitäten und weiß der Geier woher noch. Es denken doch nicht nur die Griechen so! Überall in Europa gibt es mittlerweile spezialisierte Agenturen und Institute, deren Aufgabe nur darin besteht, zu kommunalen Projekten und Projekten der freien Wirtschaft die passenden Zitzen an den Brüsseler Milchtöpfen zu finden. Das ist Alltag, jeder saugt so gut und so lange er kann!

Das Lachen bleibt einem aber im Halse stecken, wenn man sich die Verhandlungen der letzten drei Tage ansieht. Griechenland erscheint mittlerweile komplett hilflos. Das bisschen Wirtschaft was man noch hat, liegt am Boden. Die Touristen sind verunsichert, die griechische Regierung muss französische Hilfe bei der Formulierung ihrer Reformpläne in Anspruch nehmen, Deutschland empfielt ein „5-Jahre-Eckestehen“, in Finnland droht die Regierung am Hilfsprogramm für Griechenland zu zerbrechen…es streiten nicht mehr nur die Ehepartner, jetzt geraten auch die Freunde ins Kreuzfeuer, weil sie wechselseitig Partei ergreifen. Wenn ich die nun verlautbarten Ergebnisse der Verhandlungen der Euro-Finanzminister lese, stellt sich bei mir ein unangenehmes ziehen in der Magengegend ein, wenn ich die Summen lese, die den griechischen Finanzbedarf zeigen, wird mir dazu noch schlecht. Was mir aber den Rest gibt ist der lapidare Kommentar, dass diese To-Do-Liste nur Dinge enthielte, die die Griechen „sowieso machen müssen“ – soll heißen, egal ob sie im Euro bleiben oder nicht, egal ob es ein weiteres Hilfsprogramm gibt oder nicht. Ja oder Nein ist mittlerweile scheißegal! Wir sind mit Europa in Merkels Vokabular angekommen: Alles alternativlos. Wenn beide Seiten jede Gelegenheit ergreifen um eine Chance zu verpassen, ist das Ende immer alternativlos!

Wie in einem apokalyptischen Hollywoodfilm sehen wir das Gesundheitssystem in Griechenland zusammenbrechen, Menschen nach Marktschluss im Abfall nach welkem Gemüse suchen, junge Menschen in alle Welt fliehen. Dass wir immer noch in Europa sind, muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen. Die Regierung in Athen und mit ihr die gesamte Politiker-Cosa Nostra dort ist am Ende, das restliche Land ist schon ein Stück weiter. Und während sich die Minister und Abgeordneten streiten, reitet Varufakis, der selbsternannte Rächer der Enterbten, auf seinem Motorrad grinsend und mit aufgestelltem Kragen in den Sonnenuntergang. Er kann ja nach Australien, den Pass hat er ja noch.

Stunde Null verpasst, keine Alliierten in Sicht

Deutschland hat nach den Verbrechen des zweiten Weltkrieges eine so heftige Bauchlandung hingelegt, das man nach jedem Strohhalm griff, der einen vor dem Ertrinken rettete. Insbesondere die amerikanischen und britischen Alliierten waren es, die die Zivilverwaltung wieder zum Laufen brachten und uns zu Anfang vor den schlimmsten Fehlern bewahrten – und ja, auch materielle Hilfe kam. Griechenland liegt zwar nicht in Trümmern, der mentale Kollaps kann aber noch kommen und das Land tief in den Abgrund werfen. Nötig wäre, den nicht so recht fassbaren Nationalismus, den die Griechen gern mit Stolz und Ehre verwechseln, aus dem Kopf zu bekommen, das Scheitern einzugestehen und Hilfe anzunehmen. Natürlich würde das Geld kosten, natürlich sind die Altschulden dann abzuschreiben. Doch leider wird das alles dennoch nichts nützen!

Woher sollten sie denn kommen die Helfer, die Beamten, Richter und Ökonomen, die endlich beim Aufbau eines funktionierenden Finanz-, Kataster- und Verwaltungssystems helfen könnten? Aus Deutschland? Aus den Niederlanden? Finnland oder Lettland gar? Nicht dass es dort nicht ausreichend gute Experten gäbe, rhetorisch sind das aber für Griechenland bereits Feindländer. Erst durch Beschimpfungen der griechischen Regierung, dann durch unbedachtes Antworten. Von wo Tsipras Rettung erhofft, macht sein Dilemma nur noch deutlicher: Frankreich, das Land mit der höchsten Staatsquote in Europa und extremem Zentralismus, half beim Formulieren der Texte. Tsipras will seine Klientel retten, die Beamten, die Staatsdiener, seine Leute, die ihn an die Macht brachten – und in Paris hofft er auf Verständnis dafür. Offenbar kann man Holland leicht in jede gewünschte Richtung drehen. Was Tsipras aber vergisst: Auch wenn Frankreich selbst unter seiner Staatsquote leidet, zählen dazu doch auch Konzerne und große, produzierende Firmen. Kaum zu vergleichen mit der Situation in Griechenland. Es sind nicht die Beamten in den Ministerien, die Angestellten in den Verwaltungen, die Generäle in der Armee oder die Berater der Regierung die dem Staat Einnahmen bringen. Auch wenn man diese braucht und selbst wenn sie gute, effiziente Arbeit leisten, es sind die Firmen, Arbeiter und Angestellten der freien Wirtschaft, im Tourismus und der Landwirtschaft, die das Geld dafür erwirtschaften müssen. Und denen haben die letzten Jahre Beton an die Füße und Blei in die Köpfe gegossen – und die letzten sechs Monate haben ihnen das Genick gebrochen.
Im Blog des britischen Guardian brachte es ein User auf den Punkt: „Hört auf zu reden, helft den Griechen indem ihr griechische Autos, Computer und Haushaltsgeräte kauft – nicht nur Oliven!“ Unnötig zu erwähnen, dass dies guter englischer Humor war.

Mir ist der Humor inzwischen abhandengekommen. Stattdessen kriecht mir langsam die Angst die Beine hinauf.

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