Erinnert sich eigentlich noch jemand an die „Euro-Krise“, die ja angeblich längst überwunden ist? Erinnert sich auch noch jemand daran, welche Maßnahmen getroffen wurden, um illiquide Länder und Banken und dadurch den Kapitalismus als Ganzes zu retten? Nun, eine Rettung des Kapitalismus war das sicher nicht, denn dazu wäre es nötig gewesen, dass die Pleitebanken untergehen und einige Länder vorerst aus dem Euro ausscheiden. Stattdessen hob man eine neue Bank aus der Taufe, die sich wegen ihrer Verfasstheit den Namen „Bad Bank“ redlich verdient hätte – jedoch den harmlosen Namen ESM, „Europäischer Stabilitätsmechanismus“ erhielt. Die Eurostaaten haben insgesamt 700 Milliarden Euro dort drin stecken. Wie funktioniert der ESM denn nun und wofür genau ist er gut?

Sicher haben sie schon mal eine Spam-Mail mit dem Inhalt „Wolle Geld ohne Schufa? Isse billig, sagen ja!“ erhalten. Das ist der ESM. Der leiht Staaten Geld, die bei den Banken keins mehr bekommen. Das ist zwar wirtschaftlicher Wahnsinn, aber suuper fair und bewegt sich in Punkto Seriosität etwa auf dem Niveau der sogenannten „Ninja-Darlehns“ – no income, no job. Doch wer sich beim ESM Geld leiht, muss wissen, dass die Rückzahlung Vorrang vor allen anderen Verbindlichkeiten hat. ESM zuerst, heißt es bei Rückzahlungen. Andere Gläubiger gucken in die Röhre.

Der Gründungsvertrag dieses „Mechanismus“ ESM, der eigentlich eine Bank ist, stammt aus dem Jahr 2012 und ist im Internet einsehbar. Geführt wird der ESM von einem Gouverneursrat, der aus den Finanzministern besteht. Jede dieser „Meister vom Stuhl“ ernennt ein Mitglied für das Direktorium und einen Stellvertreter. Unser Finanzminister Olaf Scholz ist somit seit seiner Amtseinführung auch Banker – und was für einer! Der ESM hat seinen Sitz in Luxemburg wohl nur „zur Sicherheit“, denn die Regeln, auf die man sich verständigt hat, machen aus dieser Organisation ohnehin ein schwarzes Loch aus Einfluss, Geld und Intransparenz. Kostprobe gefällig?

Artikel 32 (3) „Der ESM, sein Eigentum, seine Mittelausstattung und seine Vermögenswerte genießen unabhängig davon, wo und in wessen Besitz sie sich befinden, Immunität von gerichtlichen Verfahren jeder Art, es sei denn, der ESM verzichtet für ein Gerichtsverfahren oder in den Klauseln eines Vertrags, etwa in der Dokumentation der  Finanzierungsinstrumente, ausdrücklich auf seine Immunität.“ Falls es also irgendwann mal zu nicht ganz sauberen Geschäften kommt, Bestechung oder Vorteilsnahme im Spiel ist oder sonst ein Schmutz ans Licht kommen sollte, genießt das Eigentum des ESM Immunität – es sei denn, man verzichtet ausdrücklich auf Immunität. Wie großzügig!

(4) „Das Eigentum, die Mittelausstattung und die Vermögenswerte des ESM genießen unabhängig davon, wo und in wessen Besitz sie sich befinden, Immunität von Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung und jeder sonstigen Form des Zugriffs durch vollziehende, gerichtliche, administrative oder gesetzgeberische Maßnahmen.“ Hier hat man es tatsächlich geschafft, Eigentum zu definieren! Etwas, das dem Gesetzgeber in Deutschland für seine Bürger bisher noch nicht gelungen ist. Dort ist nur davon die Rede, dass „Eigentum verpflichte“ – wozu, regeln im Bedarfsfall andere Gesetze. Aber schauen sie ruhig mal nach…Immunität ist nirgends dabei!

(6) „Die Geschäftsräume des ESM sind unverletzlich.“ …und haben damit den Status einer Botschaft. Wie einfach das geht! Findige wie windige Geschäftsführer von Firmen, die an der „Schnittstelle“ zwischen Privatwirtschaft und Staatswirtschaft sitzen, mussten für solche polizeifesten Absicherungen noch umständlich Honorarkonsul von Kiribati oder den Versteckmich-Inseln werden.

Artikel 35 (1): „Im Interesse des ESM genießen der Vorsitzende des Gouverneursrats, die Mitglieder des Gouverneursrats, die stellvertretenden Mitglieder des Gouverneursrats, die Mitglieder des Direktoriums, die stellvertretenden Mitglieder des Direktoriums sowie der Geschäftsführende Direktor und die anderen Bediensteten des ESM Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen.“ Die Interessen eines Ermittlers, einer Untersuchungskomission oder eines Journalisten enden klirrend an diesem Absatz.

Artikel 36 (1): „Im Rahmen seiner amtlichen Tätigkeiten sind der ESM, seine Vermögenswerte, sein Gewinn, sein Eigentum sowie seine im Rahmen dieses Vertrags zulässigen Operationen und Geschäfte von allen direkten Steuern befreit.“ Angesichts dieser Klausel halte ich es doch für sehr fraglich, dass es jemals so etwas wie eine Finanztransaktionssteuer geben wird, die unsere Politiker immer mal wieder ins Gespräch bringen. Der ESM, eine in der Retorte gezüchtete Politikerbank, zeigt wie’s geht: Steuerfrei ist die neue Steuergerechtigkeit! Und falls jetzt jemand argumentieren sollte, dass der ESM ja schließlich zur fiskalen Rettung von Ländern diene und man ihm für diesen Dienst am Euro nicht noch mit Steuern (nicht mal den Luxemburger Steuersätzen) belasten könne, der erkläre mir doch bitte, warum Krankenschwestern, Feuerwehrleute und sogar Rentner Steuern zahlen müssen.

(4): „Vom ESM eingeführte und für die Ausübung seiner amtlichen Tätigkeiten benötigte Waren sind von allen Einfuhrzöllen und -steuern sowie von allen Einfuhrverboten und -beschränkungen befreit.“ Das bedeutet im Grunde, sollten Koks und Nutten zur amtlichen Tätigkeit gehören…kein Problem!

(5): „Die Bediensteten des ESM unterliegen für die vom ESM gezahlten Gehälter und sonstigen Bezüge nach Maßgabe der vom Gouverneursrat zu beschließenden Vorschriften einer internen Steuer zugunsten des ESM. Vom Tag der Erhebung dieser Steuer an sind diese Gehälter und Bezüge von der nationalen Einkommensteuer befreit.“ Die Arbeit für den ESM ist eine Butterfahrt. Man legt eine interne Steuer fest, deren Verwendung man ebenfalls selbst regelt. Kann ich das auch haben bitte?

Ich fasse zusammen: Der ESM agiert steuerbefreit, konspirativ und außerhalb der europäischen Gesetzgebung – seine „Gouverneure“ müssen sich im Rahmen ihrer Tätigkeit nicht mal an nationale Gesetze halten. Alle handelnden Personen genießen umfangreiche Immunität, werden steuerfrei entlohnt und sind zur Verschwiegenheit bis ins Grab verpflichtet. Sieht man einmal von der Immunität ab, erinnert die Arbeitsweise des ESM somit mehr an die Familie Corleone als an eine Einrichtung der demokratischen EU, von der wir nicht genug bekommen können. Nun kommt aber die Immunität noch obendrauf, was wohl bei genauerem Nachdenken jeden Mafioso, der sich seit vierzig Jahren auf der Flucht vor der Polizei befindet, vor Neid erblassen lassen dürfte.

Vorheriger Artikelttt – trommeln, trollen, tourettesyndrom
Nächster ArtikelDeutschland, der Islam und die Integrationsdebatte

14 Kommentare

  1. Der ESM ist so konzipiert, damit nationale Gerichte keinen Druck ausüben können. Wenn man davon aus geht, das die einzelnen Nationen der Eurozone unterschiedliche Interessen verfolgen und dazu auch nationale Gesetzgebung ein setzen, ist das nur konsequent. Außerdem ist der ESM keine Bank, sein Zweck ist ein politischer, weder soll er Gewinn machen noch Gelder sicher anlegen.

    Die Kritik am ESM geht daher etwas daneben, weil sie die allgemein in den Medien verbreitete Position einer harmonischen nationalen Währungsgemeinschaft als Wahr an nimmt und daher mafiöse Strukturen unterstellt, um diese Harmonie zu untergraben. Dabei zeigen die kritisierten Passagen doch ganz deutlich, das schon die Grundlagen nicht stimmen und die Konstrukteure des ESM das wussten.

    Also was entnehmen wir den zitierten Regelungen, wenn wir zwischen den Zeilen lesen?
    1. Der Euro ist keine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern ein politisches Projekt. Also muss der ESM nicht wie eine Bank wirtschaften, sondern ist Teil einer politisch motiverten Rettungsaktion des Euro.
    2. Rettung kostet Geld, viel Geld. Woher dieses kommt und wie genau die Abhängigkeiten sind, soll aus politischen Gründen verschleiert werden.
    3. Der Euro ist nicht ewig, das Rettungsschirme notwendig wurden, zeigt das bereits auf. Nun wollen mit seiner Rettung beschäftige Bänker nicht dafür haften, wenn er dann doch zerbricht, schon gar nicht vor nationalen Gerichten, wo bei den zu erwartenden hohen Beträgen politische Urteile zu erwarten sind.
    4. Selbstverständlich werden Bänker eingestellt und keine KFZ Mechaniker oder Tischer. Und noch viel selbstverständlicher folgen diese Bänker den politischen Vorgaben der sie einsetzenden politischen Funktionäre der Eurozonenstaaten.

    Geht man nüchtern an die Sache, braucht die EZB bzw. europäische Komission Bänker, die bereit sind für diese die Drecksarbeit zu übernehmen, die strukturell fehlkonzipierte Währungszone zu hohen Kosten zu Lasten der Geberländer möglichst lange stabil zu halten, was vielleicht gelingt, vielleicht nicht.
    Wenn am Ende für die Folgen der fehlerhaften Politik die eingesetzten Bänker persönlich zu haften hätten, möglicherweise noch als Buhmänner genau derjenigen Politiker vorgeführt werden könnten, welche ihnen den Auftrag erteilten, müsste man die Verwaltung des ESM wohl nach Indien auslagern. Und sollte der ESM/Euro scheitern, möchte man die Bänker auch nicht groß in den Medien darüber quatschen hören, in wessen Auftrag man so handelte . . .

    Aber das ist doch alles nichts neues. Die nächste Krise wird wohl etwas heftiger.

      • Vorausgesetzt, es handelt sich um einen Rechtsstaat. Dazu zähle ich Deutschland nur noch eingeschränkt. Der Zerfall des Rechts findet eben nicht nur auf der Straße stadt, sondern auch in den Führungsetagen, dort ist man allerdings im Vorteil, verfügt man doch über mehr Mittel und Bildung, sich entsprechend ab zu sichern.

    • [[ Der ESM ist so konzipiert, damit nationale Gerichte keinen Druck ausüben können. ]]

      Der ESM ist so konzipiert, damit die Südländer ein widerspruchs- und widerstandsloses Zugriffsrecht auf die Finanzreserven der Nordländer haben.

  2. Also eine Mischung aus Mafia, Guantanamo Bay und Politbüro. Das kann ja nur gelingen. Aber die Medien hatten halt mit Tweets und Reichsbürgern alle Hände voll zu tun…

  3. Wie schön, dass sich noch jemand an diese „fiskalische Kernwaffe“ der EU erinnert.

    Ich erinnere mich noch an eine Klausel im ESM, die besagt, dass das Land, das im „Eintrittsfall“ finanziell „nachzuschiessen“ hat, genau 7 Tage Zeit hat, um die Überweisung zu tätigen.

    Das deutsche Parlament hat dieses Finanzfolterwerkzeug damals übrigens in zwei Tagen abgenickt.

    • Ich hab mir das ganze Ding gestern nochmal durchgelesen, da sind noch viel mehr solcher Unverschämtheiten drin. Richtig gut klingt es dann, wenn man im Kopf mit der Stimme von Marlon Brando liest.

        • Ich habe einen Bereich im Stammhirn, der „Regio Das-kann-doch-nicht-wahr-seinium“ heißt. Der hält mich in solchen Fällen wach.

        • Ich beende üblicherweise meine Mitternachtsreflektionen mit einem Übermass an Rotwein (Winter) oder Weisswein (Sommer).

          Bier is‘ auch nicht schlecht.

          Unbesorgtchen hat allerdings auch ihre Reize… ;-P

        • Wenigstens eine Frage stellt sich allerdings dennoch, jedesmal:

          „Warum geht mir dieses inkompetente, unfähige, geistlose Umeinanderregieren in Deutschland immer noch auf den Sack, obwohl ich dort seit langer Zeit nicht mehr lebe?“

          Es ist wahrscheinlich derselbe Virus, genannt „NeedToKnow“.

          Wissensdurst.

    • Stimmt. Und was für Spezialisten wird der ESM wohl rekrutieren? Klar: Banker! Die standen 2012 ganz schön im Feuer. Und so hat man ihnen den Wechsel schmackhaft gemacht, indem man aus dem ESM-Vertrag eine Art „Zeugenschutzprogramm“ für künftig verballerte Milliarden gemacht hat.

Kommentarfunktion ist geschlossen.