Der Islamische Staat wird heute als etwas wahrgenommen, das mit seiner Brutalität und seinem Geschäftsmodell einmalig in der Geschichte da steht. Dabei gibt es einen historischen Vorläufer, der im Bewusstsein Europas und der USA höchstens noch mit einem sehr geläufigen Begriff präsent ist, dessen Ursprung aber kaum noch bekannt ist, aber nichts mit Hollywood und Burt Lancaster zu tun hat: Die Korsaren.

Im Norden Afrikas hatten sich im 16./17. Jahrhundert einige Islamische Staaten unter dem Dach des Osmanischen Reiches etabliert, deren einzige Geschäftsgrundlage die Seeräuberei und der Sklavenhandel waren. Es handelte sich um die Regentschaften Algier, Tripolis und Tunis und das Sultanat Marokko. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein unternahmen deren schnelle Schiffe Raubfahrten im Mittelmeer, an den Küsten Portugals, Spaniens und Italiens. Ganze Dorfgemeinschaften wurden ausgeplündert und versklavt. Es gab sogar „Unternehmungen“ bis Irland und in den Ärmelkanal hinein. Man schätzt heute, dass etwa 1,5 Millionen Europäer im Zuge dieser Räubereien versklavt wurden, es gibt hingegen keine zuverlässigen Zahlen über die Todesopfer und die Zahl der Gefangenen, für die Lösegeld bezahlt wurde.

Wer Handel treiben wollte im Mittelmeer, musste mit den Korsaren rechnen. Die noch jungen Vereinigten Staaten zahlten Anfang des 19. Jahrhunderts so viel Lösegeld und Schutzgeld an die Korsaren, dass es etwa 10% ihres Staatshaushaltes verschlang – man hatte schlicht nicht die militärischen Ressourcen, sich zur Wehr zu setzen. Genützt haben die Zahlungen indes wenig, denn die Übergriffe wurden nicht eingestellt. Die Begründung der Anführer der Korsarenstaaten für ihr Treiben kommt uns aus heutiger Sicht seltsam vertraut vor. Man habe die Pflicht, Ungläubige zur Tributzahlung zu zwingen, sie zu versklaven oder zu töten, so verlange es der Koran.

Kurz gesagt, zwischen 1620 und 1844 hatten die Mittelmeeranrainerstaaten sowie Großbritannien, die USA und einige andere Länder alle Hände voll zu tun, die muslimischen Piraten in die Knie zu zwingen und sie ihrer Geschäftsgrundlage zu berauben. Die zum Osmanischen Reich gehörenden sogenannten Barbareskenstaaten gingen schließlich bei der französischen Eroberung Algeriens und Tunesiens unter, erst dieser Eroberungskrieg, der die Expansion der Kolonialmacht Frankreich nach Nordafrika darstellte, beendete die Piraterie endgültig. Für die Vereinigten Staaten stellte ihr Mittelmeerabenteuer übrigens den Beginn der so genannten „Kanonenbootpolitik“ dar. Als nämlich im Jahr 1815 ein Geschwader starker Schiffe Algier belagerte und den dortigen Dey (Herrscher) zur Unterzeichnung eines Unterlassungsvertrags nebst Schadensersatz zwang. Damals lernten die USA, dass es besser ist, stets den größeren Knüppel zu haben.

224 Jahre brauchte der „Westen“, um die Bedrohung aus dem Süden endgültig zu zerschlagen. Die einzelnen beteiligten Staaten waren ähnlich zerstritten, wie wir es heute im Kampf gegen den IS beobachten können. Wechselnde Bündnisse, gebrochene Verträge, Schutzgelder, Freikäufe. Die Europäer versuchten, den Handel der Amerikaner zu unterbinden, die Franzosen versuchten selbiges mit den Briten und umgekehrt, Malta, Neapel, Spanien, Venedig, Niederlande, Dänemark, Österreich…jeder verfolgte eigene Interessen im Kampf, einer traute dem anderen nicht.

Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es. Der Mensch mache nicht immer wieder dieselben Fehler, heißt es. Er lerne daraus, sagt man. Hoffen wir also, dass nicht wieder 224 Jahre vergehen müssen, bis der Islamische Staat 2.0 nur noch Geschichte ist und nicht viel mehr als irgend ein Begriff davon zurückbleibt.

Vorheriger ArtikelStellt euch vor es ist Krieg, und keiner weiß, was zu tun ist
Nächster ArtikelDie Angst und der Storch