Von Deutschland nach Israel zu reisen bringt es mit sich, dass man einen Haufen „Gepäck“ dabei hat, von dem man nichts ahnt. Ich meine das Bild, welches durch die voreingenommene Berichterstattung in vielen deutschen Medien in die Hirne meiner Landsleute eintröpfelt. Mal absichtsvoll, mal unbewusst, aber stetig. Man merkt es bereits an den besorgten Blicken und Nachfragen auf die Mitteilung, dass man nach Israel fliegen werde. Selbst wenn man wie ich seit Jahren gegen die latent anklagende und warnende Berichterstattung anschreibt, wundert man sich vor Ort in Israel dann über Dinge, die eigentlich so überhaupt nicht verwunderlich sind.

Das betrifft konkret die angespannte Sicherheitslage aufgrund von Terroranschlägen, etwa mit Autos, die in Gruppen wartender Menschen gelenkt werden oder Steinen, die gezielt auf Autos geworfen werden. Ganz zu schweigen von den Terrorattacken mit Messern. Im Grunde sind sämtliche Meldungen aus Israel, mit denen uns insbesondere öffentlich-rechtliche Sender fluten, Horrormeldungen. Dabei ist das Land ganz anders und auch die Sicherheitslage objektiv viel besser, als es von Deutschland aus erscheint. Ich würde sagen, ohne dass ich dies mit Zahlen belegen kann, dass die Sicherheitslage in Israel sehr mit der in Deutschland zu vergleichen ist, wobei die Angleichung unrühmlicherweise von Deutschland ausgeht, wo die Art und Frequenz gewisser „Einzelfälle“ und deren erratisches Auftreten sehr den Terrorakten gleicht, unter denen Israel zu leiden hat. Lassen wir das an dieser Stelle mal un-analysiert.

Fakt ist auch, dass man dies alles schnell vergisst, wenn man in Israel unterwegs ist und sich mit dem Mietwagen durch den nervenaufreibenden Verkehr zwischen Jerusalem, Tel Aviv und Haifa quetscht. Eigentlich läuft alles wie am Schnürchen, wie man so sagt und eine kleine kostenlose israelische Navigations-App namens „Waze“, die schon in Deutschland sehr hilfreich ist, erwacht in Israel erst richtig zum Leben. Jedes Mal, wenn es zurück in die Wohnung nach Jerusalem ging, schickte uns Waze auf eine andere Route, denn irgendwas klemmt immer auf den überlasteten Straßen. Wer könnte sich da heimeliger fühlen, als stau- und baustellengeplagte deutsche Autofahrer?

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So ist es denn auch nicht ein Gefühl von Unsicherheit oder Bedrohung, welches uns nach einem langen Tag und auf der Rückreise von Haifa nach Jerusalem überkommt, sondern nur bleierne Müdigkeit. Und gegen die hilft bekanntlich außer Schlaf am besten Kaffee. Am Rande von Highway 2 bei Hadera halten wir also kurz an, um in einer Tankstelle mit angeschlossenem Schnellrestaurant Kaffee zu tanken. Und weiter geht die Fahrt, vorbei an den nördlichen Vororten von Netanja, schon fliegt links das Stadion von Netanja an uns vorbei, als der rasche Heimweg stoppt: Stau. Es ist Rushhour.

Das Ende jeder Vorwärtsbewegung sorgt dafür, dass Dinge im unmittelbaren Sichtfeld wieder stärker in den Blick geraten, statt dass die Augen den Horizont nach Futter absuchen. In diesem unmittelbaren Sichtfeld stimmt etwas nicht. Und zwar ganz und gar nicht! Im Film wäre jetzt der perfekte Moment für einen Zeitsprung, ein hastiges Zurückspulen der letzten halben Stunde, bis zurück zu den leeren Kaffeebechern, dem Stühle zurück schieben, dem Verlassen des Restaurants und ich frage mich, wie um alles in der Welt ich es fertig bringen konnte, meinen Rucksack auf dem Stuhl am Fenster stehen zu lassen!

Hastig spulen wir den Film nun wieder vorwärts, überspringen gleich mal die Flüche und meine Fassungslosigkeit und meine Hände, die meinen Kopf stützen müssen. Umdrehen, schnell, jetzt gleich, sofort zurück. Zurück, nur zurück! Wie lange sind wir gefahren? Wo genau hatten wir gehalten? Die Abfahrt, der Ort, wie hieß der doch gleich? Ich habe keinen blassen Schimmer und werde immer blasser. Erst mal müssen wir irgendwo wenden, um dorthin zurückzufahren, wo der Rucksack steht. Aber steht er noch dort? Es ist frustrierend, mit ansehen zu müssen, wie sich auf der Gegenseite ein mindestens genauso langer Stau bildet. Dabei kann man es kaum erwarten, sich dort hinten anstellen zu können.

Bei der im Geiste durchgeführten Inventur des Rucksackinhalts stürze ich durch immer weitere Stockwerke bis in die tiefsten Keller der Verzweiflung. Pass, Visum, Bargeld, Kreditkarten, Führerschein, Schlüssel, Teleobjektiv…ich sehe mich schon für den Rest meines Urlaubs auf einer Luftmatratze in der deutschen Botschaft herumlungern und auf provisorische Dokumente warten. Wenigstens, so tröste ich mich, hatte ich einen Teil des Bargelds nicht in der Brieftasche, sondern zusammengerollt in dem kleinen Medizintäschchen – bis ich auch durch diese Decke breche und endgültig im untersten Keller angekommen bin: das Medizintäschchen hatte ich am Morgen auch in den Rucksack gepackt!

Aus, aus, das Spiel ist aus! Ich klammere mich an den Gedanken, dass vielleicht ein ehrlicher Finder…doch dann stellt sich mir das mentale „Gepäck“ in den Weg, dass ich eingangs erwähnte. Ganz abgesehen davon, dass Gelegenheit überall auf der Welt Diebe macht, was hat man nicht schon alles über unbeaufsichtigtes Gepäck gehört! Die Durchsagen an jedem Flughafen sind da deutlich und angesichts der israelischen Erfahrung mit Terroranschlägen sehe ich meinen Rucksack entweder auf Nimmerwiedersehen verschwunden oder von einer Schar grimmiger, sonnenbebrillten Bombenspezialisten gezielt zur Detonation gebracht.

Was also tun? Schnell die Kreditkarten sperren lassen und im Fall, dass ich meine Sachen doch wiederbekäme, dumm da stehen? Doch auch diese Entscheidung wird mir abgenommen: meine israelische Sim-Karte hat zwar ordentliches Datenvolumen, aber mit ihr kann ich nicht nach Deutschland telefonieren. Ich könnte meine deutsche Sim-Karte verwenden, doch diese befindet sich natürlich ebenfalls im Rucksack. Mit solchen Gedanken vergehen die Minuten auch, doch strecken sie sich dabei gefühlt zu Stunden.

Tatsächlich dauert es mehr als eine Stunde, den Ort wieder zu finden. Irgendwann erkenne ich endlich das Restaurant und wir halten gleich gegenüber auf dem Standstreifen. Ich renne über die kleine wackelige Fußgängerbrücke, die über den Highway führt und nehme dabei drei Stufen auf einmal. Meine Schritte verlangsame ich erst kurz vor der Tür und halte nach Polizeieinsatzwagen und Sprengstoff-Spürhunden Ausschau, kann aber weder diese noch jene noch meinen Rucksack entdecken, der womöglich geleert und achtlos weggeworfen in einem Gebüsch liegen könnte.

Nur äußerlich ruhig öffne ich die Tür. Der Laden ist nun brechend voll. Mein Blick wandert zu dem Vierertisch hinten am Fenster, an dem drei Gäste sitzen, essen und schwatzen. Der vierte in der Runde ist mein Rucksack. Mein Hut liegt noch so auf ihm, wie ich ihn vor über einer Stunde dort platziert hatte. Ja, auch den hatte ich vergessen, was mir angesichts meiner sonstigen Lage aber weder Gedanke noch Wort wert war.

Zehn Schritte noch, ein kurzes freundliches „Hello“ von mir an die drei am Tisch – das Lächeln fällt mir wieder leicht und es wird erwidert. Die drei schwatzen unterdessen weiter miteinander und würdigen mich keines Blickes mehr, als ich Hut und Rucksack nehme, ein „sorry“ murmele und das Restaurant wieder verlasse. Ich gehe langsam zur Fußgängerbrücke, taste dabei nach Pass und Brieftasche und stelle beruhigt fest, dass alles noch da ist, nichts fehlt. Ich spüre wieder die drückende Hitze des Nachmittags. Bis vor einer Minute noch hatte ich gefroren.

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Ich denke, ich muss die Erleichterung nicht beschreiben, die sich in mir ausbreitete. Mir ist auch klar, dass der eine oder andere Leser sich voller Unverständnis die Hand an den Kopf schlagen wird und mich einen Narren schimpft, der seine Sinne (und nicht nur die) einfach nicht beisammen hatte. „Wie kann man nur! Und alles drin im Rucksack! Wie leichtsinnig!“ Richtig so, die Kritik ist berechtigt und wohlverdient. Der Leichtsinn war groß, doch das Glück war größer. Wenngleich ich zu meiner Entlastung versichern muss, dass mir so etwas noch nie und nirgends passiert ist. Ich vergesse wohl Dinge, aber doch nie alle meine Sachen! Zudem findet der Spott nun sein Ziel wie der Magnet den Kühlschrank, weil jeder, der diese Geschichte kennt, mich beim Verlassen von Restaurants verschmitzt fragt, ob ich auch wirklich alles dabei hätte. Allen voran mein Bruder, der an jenem Julitag im Auto neben mir saß.

Ich will aber auf einen anderen Punkt hinaus. Nicht den Rucksack, sondern den „Sack“ an Vorurteilen und Gerüchten über Israel betreffend. Denn bei allen Szenarien, die ich auf der langen Rückfahrt durch die Staus im Kopf abwog und denen ich Wahrscheinlichkeiten zumaß, kam mir eine Möglichkeit überhaupt nicht in den Sinn. Nämlich, dass die Gäste und Betreiber eines israelischen Restaurants einen vergessenen Rucksack einfach ignorieren könnten. Hatten sie aber. Und damit einem leichtsinnigen deutschen Touristen den Arsch gerettet.

In lockeren Abständen berichte ich an dieser Stelle in Wort und Bild über meine jüngste Reise kreuz und quer durch Israel. Wer Interesse hat, findet hier bereits folgende weitere Geschichten: 

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10 Kommentare

  1. Ist mir 1974 auch so ergangen. Zum 1 mal in israel, keine Ahnung von nichts, hab meine kleine tasche mit Pass Geld Adressen „verloren“ oder wurde sie mir gestohlen?
    Hab sie beim Bus Ticket Schalter stehen lassen.
    Schon im Bus hat der Fahrer mich mit meinen 7 Sachen aussteigen lassen, zurück zur Busstation, viele Tränen und frust,
    nette Menschen welche mir geholfen haben, sie zu finden. Das war mein 1 grosses erlebnis in Israel.
    Es folgten noch viele mehr. Und ich lebe immer noch.
    Es gibt überall auf dieser Welt gutes und schlechtes. In Israel fast nur gutes erlebt, und immer wieder gerne dort.

  2. Auch ich habe so etwas erlebt. Noch nie habe ich meinen Geldbeutel verloren, aber 1979 in Tel Aviv auf der Post liegen lassen. Ich war mittellos. Am nächsten Tag mit Hochspannung dort nachgefragt, ja, er wurde abgegeben. Übrigens wäre der vergessene Rucksack zu der Zeit sofort aufgefallen. Am Flughafen wurde ich drei mal gefragt, ob die Tasche an meinem Bein mir gehört.

  3. Eigentlich sollte es beunruhigend sein, dass niemand auf diesen „verdächtigen Gegenstand“ aufmerksam wurde. Als ich vor über 30 Jahren nach Israel kam, wurde mir von jeder Seite immer wieder klar gemacht ich müsse immer auf solche herrenlosen Gepäckstücke achten und ich habe auch schon miterlebt wie so eines von einem Roboter auf Sprengstoff geprüft wurde und die ganze Gegend abgesperrt war.
    Aber solche Art von Terror ist nicht mehr in Mode. Heute sind es Messerattacken und Autorammereien.

    Heute morgen sass ich im Zug von Beit Shemesh in Richtung Tel Aviv. Mir gegenüber setzte sich ein junger Kerl mit vielen Taschen. Sobald der Zug anfuhr verschwand er und ließ fast all sein Gepäck auf den Bänken mir gegenüber. Erst nach 20 Minuten – am ersten Halt – kehrte er zurück, jedoch anders gekleidet und mit seinem Gebersschal unter dem Arm.
    Er hatte sich auf der Toilette des Zuges schnell umgezogen und war dann in den letzten Wagon gegangen, wo die Frommen zu Gebetszeiten ihre Verse murmeln. Um sein Gepäck im ersten Wagon hatte er sich keine Sorgen gemacht. Warum auch?

  4. Das müssen ja drei echt coole Socken gewesen sein, die sich direkt neben einem herrenlosen Rucksack zum Essen niederlassen. Aber wahrscheinlich wird in diesem Land auch nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird.

  5. Trotzdem: Diese freundlichen Leute, die du getroffen hast, bzw. deren Kumpels und Vorfahren haben den zuvor dort Angesiedelten ihr Land, ihren Besitz, ihr Umfeld gewaltsam geraubt! Und verteidigen diesen Raubzug mit allen Mitteln, Mossad-gelenkt mit Mauern, Panzern, Bomben über Syrien, Besetzungen, Stacheldraht, Wasserabsperrungen………

    • Ich habe lange überlegt, ob ich diesen fehlegeleiteten Kommentar durchgehen lassen oder einfach in das Fach für Spinner und Trolle legen soll. Denn jede einzelne Behauptung, die Herr Friedrichs hier von sich gibt, ist falsch, verlogen, verdreht oder einfach nur Verschwörungsmist und Geschichtsklitterei. Jeder. Verdammte. Punkt! Insbesondere die islamistische und ultralinke Propaganda grinst aus jeder Unterstellung. Es gab keinen Raubzug. Was es gab, war eine jüdische Bevölkerung im gesamten arabischen Raum, die wie in Europa immer mehr unter Druck geriet. Auch in dem Zipfelchen Land, das heute Israel heißt, lebten schon vor 1948 Juden! Jitzchak Rabin, der ermordete Ministerpräsident, wurde beispielsweise 1922 in Jerusalem geboren, während Jassir Arafat, der Erfinder des „Palästinensischen Volkes“ in Kairo, also Ägypten geboren wurde. Um den im britischen Mandatsgebiet „Palästina“ (man verwendete den römischen Begriff) schwelenden Konflikt zwischen Arabern und Juden zu beenden und den vielen Juden, die aus Europa hierher flohen, eine Perspektive zu geben, beschloss die UNO einen Teilungsplan, den die arabische Seite ablehnte. Die Angriffskriege, die Syrien, Jordanien, Libanon und Ägypten daraufhin gegen Israel vom Zaun brachen, verloren diese. Es gibt aber keinen „Krieg mit beschränkter Haftung“ und einen folgenlosen Status Quo, zu dem man zurück kann, wenn man Kriege beginnt und verliert – selbst Deutschland konnte dies letztlich akzeptieren, warum schafft dies die arabische Welt nicht? Ich sag’s Ihnen, Herr Friedrichs. Weil diese von derselben Kraft getrieben werden, die auch in Ihnen zu schlummern scheint: Ignoranz, gepaart mit einem grundlosen Überlegenheitsgefühl und ein auf Verschwörungstheorien und nachgeplapperten Lügen basierender dummer Antisemitismus. All das ist mir zuwider. Ich bin aus Neugier, mit Offenheit und mit großer Freude durch das Land gefahren, habe Juden wie Araber getroffen, mit Soldaten geredet. Aber ich merke nun, dass für Sie eine solche Reise viel dringender nötig wäre, damit sie aus Ihren Verschwörungstheorien raus und hinein in die Realität finden können. Der jüdische Staat Israel und wie er sich entwickelt hat ist ein Segen für die Region und selbst seine Nachbarn, seine ehemaligen Feinde, beginnen das langsam zu begreifen. Wann begreifen Sie das?

  6. Ich habe auch eine unglaubliche Geschichte mit einem vergessenen Gegenstand erlebt.
    Ich wohne in einer deutschen Großstadt. Eines Tages führ ich mit meinem Auto zu einem Zahnarzttermin. Ich bin nicht so der Held beim Zahnarzt und muss mich jedes Mal dazu zwingen hinzugehen.
    Das Auto parkte ich auf einem großen Parkplatz in der Nähe der Zahnarztpraxis.
    Nach der langen Behandlung suchte ich noch in der Praxis meinen Autoschlüssel in der Tasche – aber er war nicht da. Oh je. mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Wo hatte ich nur den Schlüssel gelassen? Verloren, an der Tasche vorbeigesteckt? Ich war ja schon etwas aufgeregt vor dem Termin.
    Ich sah schon im Geiste KEIN Auto mehr auf dem Parplatz stehen und war schier verzweifelt.
    Aber – ein Wunder war geschehen: Niemand hatte das Auto weggenommen und tatsächlich steckte der Autoschlüssel gut sichtbar in der Faherertür.
    Es gibt eben doch noch viele ehrliche Menschen, sogar in deutschen Großstädten.

  7. 😀
    So war’s: Die hatten gesehen, wer da den Rucksack mitsamt Hut vergaß, weswegen sie keine Bedenken hatten, dass der vielleicht nicht wiederkommen könnte, um seine Sprengladung wieder mitzunehmen.

  8. Tolle Geschichte …..dieses Blut-und-Wasser-Schwitzen kommt mir bekannt vor nach ähnlichen Begebenheiten auf meinen Reisen.

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