Donnerwetter, Union! Das hätte ich euch gar nicht zugetraut: Volker Kauder, Merkels Fraktionswadenbeißer der ersten Stunde, erhielt eine deutliche Klatsche bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden, anders kann man das Ergebnis von 125:112 gegen ihn wohl kaum werten. Dabei sollte seine Wiederwahl wie immer eine Formsache werden, wenn, ja wenn da nicht plötzlich jemand, der auch noch sein Stellvertreter war, den Fehdehandschuh aufgenommen hätte, was die Presse unisono nur belächelte. Allein diese Tatsache zeigt, wie eng verzahnt die Hirne der Journalisten und der politischen Entscheider in Berlin mittlerweile sind, denn das glaubten die Politiker um Merkel und Kauder schließlich auch. Das mit den Gegenkandidaten ist aber so eine Sache, die man in der Union (und anderswo leider auch) nur allzu gern vermeidet, wenn’s sich irgendwie machen lässt. Hans Michelbach (CSU) sprach im „ZDF Spezial“ am 25.9.2018 zwar beruhigend von einem „normalen demokratischen Vorgang“, der jedoch ist seit 1973 nicht mehr ausprobiert worden. Gegenkandidaten für das Amt des Fraktionschefs gab es in der Union seit Jahrzehnten nicht, was ein seltsames Bild auf die demokratische „Normalität“ in einer Bundestagsfraktion wirft – oder aber auf Aufgabe und Zweck eines Fraktionsvorsitzenden, der eben kein demokratisches Amt innehat, sondern ausschließlich Exekutor von Kanzler und oder Parteichef ist.

Das hat aber mit Demokratie nichts zu tun, sondern ist vom Berufsbild eher verwandt mit Berufsberater, Dompteur oder Scharfrichter. Wahlen sind halt immer eine unsichere Sache, weshalb man sie, wo immer es geht, durch Proklamation ersetzt, die man dann Wahl nennt, damit es netter aussieht. Ich erinnere nur an das unwürdige Geschacher um das Amt des Bundespräsidenten, die „Wahl“ Katrin Göring-Eckardts zur Spitzenkandidatin der Grünen oder die „Wahl“ des SPD-Lockführers, die Schulz mit 100% gewann. Geht es in den Wahlen mit plebejischer Beteiligung noch halbwegs demokratisch zu, schwindet mit zunehmendem Abstand vom Wahlvolk die Neigung, es zu Alternativen überhaupt kommen zu lassen. Gerade in der CDU regiert seit 13 Jahren die personifizierte Alternativlosigkeit, die längst das einzig verbliebene politische Programm ist. Abwechslung gibt es allenfalls in den Prinzipien und Grundhaltungen, die stehen in der CDU seit Jahren unter der Wahl der Opportunität.

Alles geht irgendwann zu Ende, sogar die Nacht. (Michel Houellebecq)

Nun kann man einwenden, dass es ja nichts bringe, den Dackel zu treten, der brav an Frauchens Leine läuft. Der arme Hund sei schließlich nichts als ein Befehlsempfänger. Auch gab es bei der Wahl zugegebenermaßen eine Menge Gratismut, da man in einer geheimen Abstimmung gegen die Wünsche der Chefin votierte. Niemand kann jetzt für mangelnden Kaudervergehorsam zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn ich nichts übersehen habe, hat sich außer Brinkhaus selbst noch niemand dazu bekannt, Kauder nicht gewählt zu haben. Es erinnerten sich wohl noch zu viele Parlamentarier an 2016, als 50 CDU’ler mit der Funktion des Volker Kauder in ganz besonderer Weise in Kontakt kamen. Man ist sich auch jetzt noch nicht sicher, ob Kauder wirklich nie wieder beißen kann, oder ob Merkel sich eine nicht minder gefährliche Anschlussverwendung für ihn überlegt.

Anfang 2016 jedenfalls unterschrieben 50 Abgeordnete der Unionsfraktion einen offenen Brief an die Kanzlerin, in der sie eine Kehrtwende in deren Flüchtlingskurs forderten. Und es war Volker Kauder, der Fraktionschef, der verkündete, dass die „deutliche Mehrheit“ der Unionsfraktion hinter Merkel stehe. Dafür wurde gesorgt. Die Abtrünnigen wurden in persönlichen Gesprächen nach Strich und Faden „gekaudert“. Wer von den 50 kein Direktmandat hatte und auch keine Aussicht, bei der nächsten Wahl eines zu erringen, der durfte sich nach den persönlichen Gesprächen mit dem Fraktionschef im klaren darüber sein, wo am Horizont sein zukünftiger Listenplatz sein könnte – und so kam es dann ja auch. Von den 50 Rebellen sind meines Wissens nur noch einige mit Direktmandat im Bundestag vertreten. Ein starkes Argument für ein verändertes Wahlrecht in unserem Land, wie ich nebenbei bemerkt finde.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. (Hermann Hesse)

Was wird sich denn ändern, mit dem neuen Einpeitscher? Nun, es dürfte schon einen Unterschied machen, wenn die Peitsche ruhen würde. Eine Revolution ist von Ralph Brinkhaus sicher nicht zu erwarten. „Kein Blatt Papier“ passe zwischen ihn und die Kanzlerin, sagte er noch am Wahlabend. Aber er hat seinen Teil getan, der CDU einen Neuanfang ohne Merkel zu ermöglichen. Er ist im Moment der einzige, der seine Rolle in der hoffentlich bald anbrechenden Post-Merkel-Zeit kennt, weil alle anderen sich noch nicht entscheiden können, weit genug von der Kanzlerin abzurücken. Es könnte ja noch jahrelang so weiter gehen und dann wäre es doch blöd, sich zu früh in die Opposition und damit in den Schatten der Kanzlerin begeben zu haben. Die Kanzlerin selbst sieht jedenfalls keine Gründe, irgend etwas zu verändern. Im Gegenteil, sie hängt wie ein Mühlstein am Hals ihrer Partei. Brinkhaus werde sie „wo immer ich das kann…unterstützen“, so Merkel. Was nichts anderes heißt, als dass sie keineswegs immer die Absicht haben wird, zu können.

Angela Merkel ließ heute über ihren Regierungssprecher erklären, dass sie nicht gedenke, die Vertrauensfrage zu stellen, auch wenn ihr de facto mit der Verweigerung ihres Kandidaten die Mehrheit der eigenen Fraktion das Vertrauen bereits entzogen hat. Bei Vertrauensfragen wird im Bundestag für gewöhnlich namentlich abgestimmt und es ist durchaus zweifelhaft, ob die 125 Kaudermörder dann immer noch den Mut aufbrächten, gegen den Stachel zu löcken. Es bleibt also beim Patt und 125 unbekannten Dolchen in Merkels Rücken. Denn wenn das alles ein „demokratischer Vorgang“ wäre, müssten sich die Brinkhaus-Unterstützer jetzt nicht in der Anonymität verstecken. Doch man hat wohl gelernt in der CDU, spätestens seit dem Umgang mit den 50 Abtrünnigen von 2016: jeder, der Merkel offen angreift, landet im Staub – doch genau dafür brauchte sie Kauder.

Helmut Schmidt und Gerd Schröder gingen bekanntlich den anderen, direkteren Weg über das Misstrauensvotum, was beiden – obwohl sie als Verlierer aus dem Amt schieden, im Licht der Geschichte eher genützt als geschadet hat. Angela Merkel hingegen wird in die Geschichte als die Politikerin eingehen, die für Ihre Fehler „Verantwortung übernommen“ hat und gleichzeitig wie Kaugummi an ihrem Amt kleben blieb. Und so wie „kaudern“ als Synonym für politische Züchtigung von Parteifreunden vielleicht einst im Duden zu finden sein wird, ist „merkeln“ der heißeste Kandidat für die Beschreibung eines Jockeys, der sein Pferd bis in den Tod reitet und selbst dann noch nicht absteigen will.

Vorheriger ArtikelStaats-Journalismus auf dem Vormarsch
Nächster ArtikelTanz im Orient-Express

8 Kommentare

  1. Zum 2. Absatz des Artikels, wo es allgemein um Wahlen geht, eine Anmerkung. Freie, geheime Wahlen sind ein Element der modernen Demokratien. Neben anderen wie Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit. Wahlen also frei und geheim, meint, dass du in der Wahlkabine mit dir allein bist. Geheim aber nicht in dem Sinne wie die berüchtigte „Listenwahl“, eine geheime Vorwahl, von der ausser dem engsten Parteizirkel alle ausgeschlossen sind.
    Das heisst im Umkehrschluss, die Demokratien in Deutschland und Europa sind in dem gegenwärtigen Zustand, weil sie sich nicht fortentwickelt haben.
    Das wäre doch mal eine Aufgabe für eine Gruppe kluger Köpfe, heute Think Tank: wie die Listenwahl verändern, dass sie transparenter wird, wie die Qualität der Herrschenden verbessern evtl. durch Ausleseverfahren: allgemeine kognitive Fähigkeiten, Kenntnisse in Geschichte, Finanzwesen, Psychologie, usw., wie die Eigenschaften beschreiben, die Wähler befähigen, zur Wahl zu gehen.

  2. aber eins muss man der Frau Merkel lassen: sie wird als eine weitere Politikerin in die Weltgeschichte eingehen, egal wie, was ja nicht soooooo vielen Frauen vor ihr gelang

  3. Der Vorstand wird geheim gewählt. Das ist im Dezember. Dann wird sie als Parteivorsitzende abgewählt, wenn sich irgendein, und ich meine irgendein, Gegenkandidat aufstellt. Damit bleibt sie weiterhin Kanzler. Es ist aber bei dieser diktaturhaften Kanzlerschaft wichtig, dass die inneren Zirkel sich verwerfen. Nur so gibt es noch eine Chance auf Wiedereinführung der Demokratie.

  4. „…der sein Pferd bis in den Tod reitet und selbst dann noch nicht absteigen will…“
    Derartige Gegebenheiten hatte wir in unserem Land ja schon des öfteren. Erinnert man sich an die Situationen im Frühjahr 45 und den Herbst 89…

    • Du hast 1933 vergessen. Da kam der Führer an die Macht, als die Mitte einbrach, weil diese alle Probleme ignorierte, und nicht mehr handlungsfähig erschien, während die Ränder immer weiter zulegten. Wärs damals nicht Hitler geworden, hätte man sich halt der Sovietunion angeschlossen.

      Der Welt wär viel erspart geblieben, hätte man sich damals nicht nur die Wahl zwischen National-Links und International-Links gehabt. Unsere politische Mitte bricht auch gerade ein, egal, was Angie tut. Gibt sie nicht zu, dass ein Problem existiert, legen die Ränder langsam zu, und gibt sies zu, legen die Ränder schlagartig zu.

  5. „was beiden […] im Licht der Geschichte eher genützt als geschadet hat.“

    Anständige Menschen betrachten ihr Handeln vor einem transzendenten Horizont, ob der nun Jüngstes Gericht oder Weltgeschichte heißt. Narzissten hingegen sind unfähig sich selber in Frage zu stellen und werden alle potentiell kritischen Geister absägen, bevor sie den Mund auftun. Ein Narzisst ist sich selbst der höchste Gott.

  6. „Eine Revolution ist von Ralph Brinkhaus sicher nicht zu erwarten. „Kein Blatt Papier“ passe zwischen ihn und die Kanzlerin, sagte er noch am Wahlabend.“

    Mit dieser köstlichen Äußerung setzt Brinkhaus die Kanzlerin sogar noch zusätzlich herab, da er eine Bewertung vornimmt, die nach gängigen Regeln nicht dem Untergebenen zusteht, sondern der Vorgesetzten.

  7. Ihr ‚merkeln‘ gefällt mir ! Geschichtlich sieht sie sich mit einem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und im Amt
    einer Generalsekretärin bei der UN, als Belohnung für ihre humanistische, globale Migrationspolitik, die sie zusammen mit dem Papst und Herrn Sorros verfolgt. Es wäre mir lieber, sie würden gemeinsam eine Boutique eröffnen……Das zwischen Brinkhaus und Merkel ‚kein Blatt Papier passe‘ ist seinerseits keine schöne Formulierung und mit unappetitlichen Assoziationen verbunden in vielerlei Hinsicht! In der Regel sind die Konservativen ängstlicher und obrigkeitshöriger gegenüber der Führung, als Linke. Ich wünschte jeder aus der Bundestagsfraktion der CDU/CSU hätte nur 1% von Vera Lengsfeld, dann wäre die Welt ein bißchen klüger und gerechter.

Kommentarfunktion ist geschlossen.