gaza-itKann man eigentlich den Zeitpunkt bestimmen, ab dem besonders die öffentlich-rechtlichen Medien in ihren Nachrichtensendungen dazu übergegangen sind, die Nachrichten nicht nur vorzulesen, sondern in der An- und Abmoderation noch einen ordentlichen Schuss selbstgemachter Meinungs-Soße für die leichtere Verdauung gleich mit zu verabreichen? Ich kann Tag und Stunde nicht nennen, aber vermutlich gibt es einen zeitlichen Zusammenhang mit der Tatsache, dass die Claus Klebers dieser Nation sich irgendwann hinter ihren Pulten erhoben, stehend moderierten und gern auch mal auf die andere Seite des Tisches gingen und dadurch die letzte Schranke zwischen Nachrichten und Meinungsentertainment verschwand. Der Moderator fühlte sich nun näher dran am Zuschauer, stand fast im Wohnzimmer der GEZ-Teilnehmer und konnte dort leicht und mit großer Eloquenz Lego-Türmchen aus der eigenen Meinung bauen.

Good news from Gaza

Heute-Journal vom 6.10.2016: Für Nachrichten aus dem Gaza-Streifen hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen ja „Nahostexperten“ wie Jürgen Todenhöfer oder Markus Rosch am Start. Und natürlich Nicola Albrecht, die bereits im letzten Jahr eine Dokumentation mit dem Titel „Leben in der Falle – die vielen Gesichter Gazas“ abgeliefert hatte, in der einerseits die Isolation Gazas durch Israel beklagt wird und der Zuschauer andererseits erfährt, wie vierzehnjährige Gaza-Jungs in Sommerlagern der Hamas „Spaß haben“, indem sie viel über „Religion und Militärisches“ lernen. Natürlich sieht da nur Zusammenhänge, wer islamophob ist!

Diesmal befasst sich Nicola Albrecht für das Heute-Journal mit einem IT-Startup in Gaza – denn merke: Information überwindet alle Grenzen. Klebers Anmoderation konnte man gerade noch als gelungen betrachten. Er weist zumindest darauf hin, dass es „Gründe gibt“ für die strengen Kontrollen an den Grenzübergängen nach Israel. Dass es sich um eine Blockade handelt, ist allerdings eine Legende. Es ist zugegebenermaßen etwas umständlich, nach Gaza zu gelangen. Aber sowohl Strom, Wasser, Waren, Daten und wie man immer wieder sieht auch Journalisten kommen dort an und auch wieder von dort weg – nur Waffen und Munition, da sind die Israelis doch mittlerweile irgendwie humorlos geworden. Warum nur, frage ich mich…da verstehe einer diese humorlosen Juden.

Drin bleiben aber groß rauskommen mit Google

Ja, Google investiert nicht nur im High-Tech Standort Israel, auch in den Gaza-Streifen fließt Google-Geld! Ich frage mich, ob das schon jemand Herrn Todenhöfer mitgeteilt hat, der Gaza für ein riesiges Gefängnis hält – wahrscheinlich eben einfach ein Gefängnis mit Banken und IT-Startups. Über eine Million Dollar investierte Google und das Start-Up, über das Nicola Albrecht berichtet. Dort programmiert man nun fleißig Spiele für Smartphones, Kundenkontakte müsse man wegen Israel eben online abwickeln – das muss wohl für ein IT-Unternehmen weltweit einmalig sein…oder vielleicht auch nur die normalste Sache der Welt, wer weiss das schon. Und was geht so ab in der Gaza-IT?

Ich erwartete noch keinen Aufschrei der Feministinnen in unserem Land, als die verschleierten Programmiererinnen gezeigt wurden. Aber auch zwei Tage nach der Sendung konnte ich keine Empörung im Netz finden über das, was dort in Gaza in Pixel und Bytes gegossen wird. Ein Spiel, in dem der Spieler in einem Restaurant Trennwände errichten muss, damit ein unverheirateter Gast keinen Blick auf die verheirateten Frauen an den Nachbartischen werfen kann. Es versteht sich wohl von selbst, dass alle Pixeldamen an den Tischen korrekt verschleiert waren! Ein Spiel, mit Marktpotenzial in Saudi-Arabien, wie uns der Film erklärte. Ja, das glaube ich auch! Und ich bin mir sicher, dass weder die bienenfleißigen Programmiererinnen und Programmierer in Gaza, noch die potenziellen User in Saudi-Arabien sich darüber im Klaren sind, was für einen Widerspruch sie da in den Händen halten werden. Einerseits ein Smartphone, dass es ermöglicht, mit der ganzen Welt zu kommunizieren, das Denkverbote einreißen kann, Wissen zugänglich macht und in dessen Entwicklung mehr als 500 Jahre menschlicher Erfindungsgeist und Aufklärung stecken. Andererseits ein putziges kleines Spiel, dass Scharia-Konform das Denken von vor 500 Jahren konserviert. Man sollte den Usern in Saudi-Arabien die Smartphones wegnehmen und stattdessen jedem Mann verordnen, selbst Trennwände bei sich zu tragen, die im Bedarfsfall seine ideologisch/religiöse Verbohrtheit vor der Welt verbergen helfen. Ein einfaches Brett vorm Kopf, wahlweise Pinie oder Dattelpalme, täte es auch. Nach der hoffnungsvollen Botschaft aus Gaza, dass Islamismus und Scharia auch vor palästinensischen IT-Startups nicht Halt machen, durfte man auf Klebers Abmoderation gespannt sein.

Hier ist sie: „[Das] mit den Absperrschildern ist eine originelle Herausforderung“. Ja, liebe Frauen, so fühlt es sich an, wenn man eine geklebert bekommt!

Ein saudischer Blogger namens Raif Badawi sitzt aufgrund seiner Meinungsäußerungen, die genau auf diese betonierte Geschlechtertrennung und den alle Freiheit erstickenden Islamischen Wahn zielten, im Gefängnis. Er trat mit seinem Leben für ein Recht ein, das manchem Bundesbürger – auch Herrn Kleber – nur noch dann interessiert, wenn sie es selbst und selbstverständlich politisch korrekt ausüben können: die Redefreiheit. Was Herr Kleber für eine originelle Herausforderung hält, ist der tiefliegende Grund für die Dysfunktionalität der arabischen Staaten. Was mancher hier für putzig und „irgendwie Folklore“ halten mag, ist die in arabisch/islamischen Ländern tief verwurzelte Frauenfeindlichkeit. Und es bleibt Frauenfeindlichkeit, auch wenn sie sich hinter ein paar putzigen Pixeln versteckt.

Der Aufschrei der übrig gebliebenen Feministinnen im Land blieb jedenfalls aus. Nicht einmal die neben Claus Kleber stehende Gundula Gause bemerkte, auf wessen Kosten der Witz gerade gegangen war. Aber vielleicht ist es auch so, dass die Feministinnen im jahrelangen Kampf gegen Müllnichtrausbringer, Mehralsfraueverdiener und Anzüglichewitzemacher ihre Antennen für eine Art der Diskriminierung verloren haben, die zivilisatorisch im Großen und Ganzen als überwunden galt. Doch, Überraschung! Sie ist wieder da! Diesmal als Import, gewissermaßen als Umverpackung der „geschenkten Menschen“ und plötzlich ist man in vielen alltäglichen, scheinbar banalen Situationen bereit, dies als Kollateralschaden an unserer Gesellschaft in Kauf zu nehmen. Wie man sieht, stimmt auch schon mit der Antenne von Claus Kleber etwas nicht.

Vielleicht lassen Sie in Zukunft einfach ihre Meinungssoße weg, Herr Kleber. Besonders, wenn sie so belanglos und relativierend ist. Ich bekomme moralische Blähungen davon.

Nachtrag: Sind Sie verstört? Fragen Sie sich, worüber sich der Autor dieser Zeilen eigentlich so aufregt? Waren diese wenigen seltsamen ZDF-Sendeminuten einen Viertelstundentext voller Vorwürfe und Empörung wert? Liegt es am fehlenden Proporz? Daran, dass das ZDF über israelische Startups, die es zu tausenden gibt und in denen Juden und Araber gemeinsam arbeiten und die deutlich wertvollere Beiträge zum Wohle der Menschheit leisten, als Trennwände in Pixelcafés zu verschieben, so gut wie nie berichtet? Ein wenig, ja. Viel mehr ist es aber die Verharmlosung von Islamismus und Scharia und deren Folgen, die hier in einem kurzen, scheinbar harmlosen Beitrag zum Ausdruck kommt. Und ich vermisse den streitbaren Feminismus, der sich in letzter Zeit kaum in dieser Sache zu Wort meldet. Außer vielleicht Alice Schwarzer, die zu loben mir nicht immer leicht fällt, auf die aber leider niemand mehr zu hören scheint.

Auch erschienen auf achgut.com

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4 Kommentare

  1. Die Aufregung über diese „Banalitäten“ ist zu Recht. Man kann es auch so bezeichnen: ´ín unauffälligen Begebenheiten ein Kennzeichen einer komplexen Realität entdecken´

  2. Akademisch gebildet und trotzdem ahnungslos

    Liebe Frau Dr. Albrecht,

    nun haben Sie mühevoll Kunstgeschichte, Anglistik und Komparatisik studiert und hernach noch einen Doktorgrad in letzterem erreicht – alle Achtung hierfür – und schaffen es trotzdem nur bis zum journalistischen Mainstream aller anderen Klonkrieger des Gaza-affinen Israel-Bashing.
    Da hätte es auch eine solide Ausbildung zur Kauffrau im Büromanagement getan.
    Denn was allein schon die „Black-Lives-Matters“ Bewegung mit wenigen Worten hinbekommt, müssen Sie nun aufwändig in Reportagen mundgerecht und harmlos an das ZDF verkaufen:
    Israel (stellvertretend der Jude, nicht erst seit Treitschke) ist an allem schuld.
    Und Sie winken auch noch unhinterfragt den Quatsch durch, der Ihnen von ein paar PC-Freaks vorgesetzt wird.
    https://www.youtube.com/watch?v=M0A2ptfQk0A&feature=youtu.be&t=23m57s

    Was nützt dann Sprachstudium, die vergleichende Literaturwissenschaft und ein entsprechender Abschluss, wenn Sie gebührenfinanziert
    erstens nicht einmal die Landessprache der Region sprechen, über die Sie angeblich fundiert berichten, zweitens ganz offensichtlich Falschmeldungen über Israel verbreiten und drittens auch noch unreflektiert auf den Zug springen, in dem alle brav vor der Kamera ein falsches Bild vom eigenen Leben im „Gefängnis“ Gaza abgeben?
    Denn genauso will sich die Hamas noch schnell vor der anstehenden Wahl präsentieren und es ist offensichtlich, wie sehr nach deren Gusto Beiträge ausgewählt werden.
    Wenn wie heute morgen am 9.10.16 wieder Menschen in Israel von einem Terroristen getötet werden und die Hamas dies als „natürliche Reaktion auf Israels Besatzung“ propagiert, sind Sie nicht weit und zündeln fleissig mit am Hass gegen Israel und Juden im ZDF-Sendegebiet als journalistische Erfüllungsgehilfin. Anstatt dass es Israels Verantwortung sei, dass Gaza isoliert ist und die Menschen dort leiden, ist es vielmehr die Sache der Hamas, unliebsamen Kritikern ins Knie zu schiessen, Jugendliche zum Tunnelbau zu zwingen, UNO-Gelder in Waffen umzuwandeln und Frauen nur dann angebliche Meinungsfreiheit zuzugestehen, wenn die entsprechende Reporterin nur deswegen vor Ort ist, weil sie der Hamas nach dem Munde redet, wie Sie ja bereits bewiesen haben.
    Das sollte Sie doch nach all Ihrer Ausbildung, Lehre, Berufserfahrung mit Ihren 41 Jahren gemerkt haben, oder nicht?
    Denn sollten Sie wirklich über die Verhältnisse in Gaza und anderswo berichten wollen, und über die Korruption, den Terror auch gegen die eigenen Leute, die Intrigen untereinander und die Unterdrückung des eigenen Volkes, dann wären Sie niemals bis in die tollen Start-Ups Gazas vorgedrungen. Es hätte Ihnen einfach niemand erlaubt.
    Und stimmt, dazu brauchen Sie wirklich keine Landessprache, da lang Ihr Englisch.

    Sie haben mein Mitleid.
    Hardy Koch, Hamburg

  3. Herzlichen Dank für Ihre starke Nerven, Herr Letsch, und infolgedessen für diesen Artikel – ich habe es nicht ausgehalten und musste den Kleber-Beitrag abschalten: Allein die Zusammensetzung „Nicola Albrecht“, „Gaza“ und „Claus Kleber“ sagte schon alles.

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