Haben wir eigentlich noch eine Kopftuchdebatte? Und wenn nicht, wie mag sie ausgegangen sein? Sind wir uns darüber einig geworden, was dieses Ding denn nun genau ist? Ein Symbol des Patriarchats und der Unterdrückung, ein Zeichen der Emanzipation oder doch einfach ein Stück Stoff?
Letzteres jedenfalls findet die Autorin Isabell Prophet in einem kleinen Artikel, den sie am 20. August 2018 für das kleine Hamelner Blättchen „Dewezet“ (Printausgabe, siehe Scan) schrieb. Und während Frauenrechtlerinnen bei „Terre de Femmes“ dafür eintreten, dass zumindest minderjährigen Mädchen das Tragen dieses „Stücks Stoff“ erspart bleiben möge, sieht Isabell Prophet im Kopftuch den ganz heißen Scheiß in Sachen Mode. 2019, so schreibt sie, werde es der große Trend des Jahres. Mehrere Modemagazine hätten das vorausgesagt.
Nun gibt es bekanntlich einen Unterschied zwischen „das Gleiche“ und „dasselbe“ und das triff auch auf Kopftuchträgerinnen zu. Betrachten wir etwa Tippi Hedren und Maryam Hübsch. Beide trugen bzw. tragen Kopftuch. Hedren in einer Filmszene in „Die Vögel“ (1963), Hübsch bei jeder Gelegenheit (2018). Doch während Hedren im Film wie im realen Leben das Kopftuch absetzen konnte, behält Hübsch das Kopftuch stets an. Unwahrscheinlich, dass wir sie eine Szene später mit offenem Haar und rauchend antreffen werden. Und wenn Isabell Prophet in ihrem Artikel von „früher“ und vom Cabrio fahren in Paris und München schwärmt, wo das Kopftuch noch chic war, vergisst sie zu erwähnen, dass frau es trug, um ihre Frisur vor dem Wind zu schützen, nicht vor den Blicken notgeiler Männer oder um dem religiös übersteigerten Ehrbegriff einer patriarchalen Religion zu genügen. Diese Unterschiede scheinen der Dewezet-Autorin irgendwie entfallen zu sein. Denn – und wann bekommt man schon mal die Gelegenheit, den blitzgescheiten Kiez-Philosophen „Farid Bang“ zu zitieren: „Frauen…sind auch Lebewesen!“ Na sowas!
(K)ein normales Stück Stoff
Das weit verbreitete „Kopftuch-Verstehen“ wurzelt meiner Meinung nach in Konfliktscheu, Fraternisierungsgelüsten und falsch verstandener Toleranz. Das ist durchaus verständlich und hilft, im Alltag Streit zu vermeiden. Man sollte aber immer vom Ergebnis her denken und dann hilft uns die freundliche Geste nicht weiter. Das muslimische Kopftuch ist ein Zeichen von Abgrenzung und Zugehörigkeit. Es kennzeichnet in der patriarchalen Struktur islamischer Gesellschaften sittsames und tugendhaftes, religiös determiniertes Verhalten. Wer von klein auf von Eltern, Onkeln, Tanten und der ganzen Familie hört, dass nur tugendhafte Frauen vor Allah bestehen können und auf die untugendhaften, unverschleierten ganz sicher die Hölle warte, für die ist Verschleierung genau jener Filter, der Erlösung von Verdammnis trennt, welche „Wahl“ bleibt einem Mädchen dann? In die Hölle will ja schließlich niemand!
Aber vielleicht gilt ja auch der Umkehrschluss? Würde die Barriere fallen, die zwischen muslimischen Parallelgesellschaften und der freiheitlichen westlichen Welt besteht, wenn alle Frauen Kopftuch trügen – und sei es auch nur aus modischen Erwägungen? Kein Stück! Denn wenn das Kopftuch als solches nicht mehr genügte, die scharfe Grenze zu kennzeichnen, die das muslimische Patriarchat zwischen Glaube und Unglaube gezogen hat, würde man sich andere Unterscheidungsmerkmale überlegen. Etwa das Kopftuch straffer binden, schwärzer färben, patentgeschützte Muster verwenden oder die Verschleierung bis zur Burka treiben, wie dies in manchen Weltgegenden bereits der Fall ist.
Es geht prinzipiell um Abgrenzung von einer Gesellschaft, die wegen ihrer Offenheit, ihrer Toleranz und religiösen Diversität als Bedrohung der eigenen nichthinterfragbaren religiösen Traditionen empfunden wird. Und je befreiender eine Gesellschaft auf das Individuum wirkt, umso größer ist die Bedrohung für das tradierte Denken tribal-religiöser Strukturen. Setzt sich der Trend der Verharmlosung des Kopftuchs fort, wird es vielleicht gar – was ich jedoch stark bezweifle – zum Modetrend, sähen wir nicht wie aktuell einige Vollidioten, die versuchen, einer Muslima das Kopftuch wegzuziehen, sondern Muslime, die auf der Suche nach „ungläubigen Schlampen“ die modisch bunten Fummel von den Köpfen der Trendsetterinnen zerren. Sehr wahrscheinlich würde sich auch Aiman Mazyek mit geübter Opferpose einschalten, der diese „kulturelle Aneignung“ muslimischer Kultur und Eigenart anprangert. Dieses einfache Gedankenexperiment macht auch deutlich, was das Kopftuch wirklich beitragen kann zu Selbstbestimmung und Integration: Nichts!
Bart gleich Kopftuch?
Isabell Prophet gibt sich einige Mühe, als Beweis der Normalität des Kopftuches Beispiele zu bringen, die nicht so recht passen wollen. Sie findet, die Rauschebärte vieler Männer könnte man schließlich auch mühelos für Taliban-Zubehör halten, das täten die deutschen Frauen aber nicht. Nur kleiden Taliban sich zusätzlich deutlich anders als deutsche Hippster und wenn der Bart beim Essen stört, die Freundin kratzt oder zum Biotop wird, kommt er ab, bevor ein Grüner einen Juchtenkäfer darin entdecken kann und Baustopp verfügt wird. Ein Bart ist keine Einbahnstraße – ein muslimisches Kopftuch, dass aus religiösen Gründen getragen wird, leider schon. Ein Bart wächst auch leicht nach, während dort, wo die durch das Ablegen des Kopftuchs verletzte „Ehre“ der Familie zuschlägt, häufig nichts mehr wächst. Sich aus diesen religiös-familiären Zwängen zu befreien, übersteigt häufig die Kräfte junger muslimischer Frauen und die zu jeder noch so absurden Toleranz fähige Mehrheitsgesellschaft ist ihnen dabei leider nur selten eine Hilfe.
Das Kopftuch also doch verbieten?
Nein. Doch ich mache Einschränkungen. Solange es für die Beweggründe von erwachsenen Menschen noch keinen geeigneten Test gibt, der sicher zeigen könnte, auf wessen Mist eine geäußerte „freie Meinung“ wirklich gewachsen ist oder wie freiwillig und fern von Drohungen und der Ankündigung von Höllenstrafen sie zustande kam, kann man erwachsenen Menschen nicht verbieten, sich aus welchem Grund auch immer ein Stück Stoff um den Kopf zu wickeln. Das „aber“ kommt gleich, denn es gibt eines. Eine Einschränkung muss außerdem für Kinder gelten, auf deren Köpfen dieses Stück Stoff höchstens bei Cabrio-Fahrten oder als Bestandteil eines Rotkäppchen-Kostüms zum Karneval etwas zu suchen hat.
Und jetzt kommt das „aber“: Aber wundert euch nicht, liebe Kopftuchträgerinnen und Kopftuchnieabsetzerinnen! Wundert euch nicht über „Diskriminierung“ und „Benachteiligung“, denn euer Kopftuch sagt „ich bin anders, ich gehöre nicht zu euch“. Wer sich selbst abgrenzt, spürt zwangsläufig Grenzen. Teilhabe und bewusste Abgrenzung sind nicht gleichzeitig zu haben. Isabell Prophet spricht davon, „Barrieren in den Köpfen zu überwinden“, indem man sich an den Anblick des Kopftuches gewöhne. Der Autorin mag das oberflächlich gelingen. Die Frauen, die es aus religiösen Gründen an- und aus keinem säkularen Grund je wieder ablegen wollen, legen es jedoch aus genau diesem Grund an. Für sie kann es keine Fraternisierung zwischen den künftigen Bewohnern des Himmels und der Hölle geben.
Mode macht, was sie will
Im Grunde ist es aber gleichgültig für unseren Diskurs über Islam, Integration, Kopftuch und Gleichberechtigung, was die Mode daraus machen wird – solange es nur die Mode ist, die da spricht, und nicht vorauseilendes Appeasement und Entgegenkommen eines pervertierten, verzweifelten Feminismus, der zum Mittel des Kopftuchs greift, um die Illusion von Sicherheit im öffentlichen Raum für Mädchen und Frauen aufrecht zu erhalten. Das Kopftuch von Tippi Hedren schützte vor Fahrtwind, das von Sophia Loren war Ausdruck kaum zu zügelnden Temperaments ihrer Filmrolle, für Frau Hübsch ist es mehr – das sagt sie sogar selbst. Es gibt eben einen Unterschied zwischen einer Frau mit Kopftuch und einer Kopftuchfrau. Für die eine ist das Kopftuch Teil ihrer Garderobe, für die andere ist es Teil ihrer Identität. Zu „lernen, was unter dem Kopftuch“ ist, wie es Isabell Prophet anregt, ist eben nicht Teil der Kopftuch-Ideologie. Diese sagt vielmehr: Bis hier und keinen Schritt weiter, Ungläubiger! Was darunter ist, geht dich nichts an, Fremdling! Wie eine Frau das Tuch auf ihrem Kopf definiert, ist deshalb auch nicht gesellschaftlich entscheidend. Entscheidend ist, was ihre Wahl über jene Frauen aussagt, die das Kopftuch nicht tragen.
Sei nicht wie Isabell
Die Gründe, ein Kopftuch zu tragen, können also sehr unterschiedlich sein, es ist deshalb wichtig, sie nicht zu vermischen oder gleichzusetzen. Stets ist die zugemessene Bedeutung zu beachten. Privat mag deshalb jeder machen und tragen, was er oder sie will, aber wer die Kapelle bezahlt, bestimmt die Musik, die gespielt wird. Eine Richterin kann Kopftuch deshalb beim Cabrio fahren tragen, aber nicht im Gerichtssaal, eine Polizistin in ihrer Freizeit, nicht aber im Dienst, eine Lehrerin im Urlaub, nicht jedoch im Unterricht. Keine Richterin, Polizistin oder Lehrerin in diesem Land sollte sich von der Gemeinschaft, die sie beauftragt und bezahlt hat, durch ein ausgrenzendes Symbol eines patriarchalen Systems aus der Vormoderne abgrenzen.
Das Kopftuch zu einer Mode-Erscheinung umzudeuten, wie es Isabell Prophet tut, erinnert mich an die Vorgehensweise der Homöopathie. Diese beruht auf dem Prinzip, etwas Schädliches so lange zu verdünnen, bis es in der „Arznei“ physisch im Trägerstoff nicht mehr vorhanden ist. Das Prinzip von Isabell Prophet beruht darauf, ein Stück Stoff solange zu schütteln, bis seine schädliche Wirkung für die Trägerinnen durch massenhafte Anwendung verdünnt wird. Der Homöopath glaubt, das Wesen des schädlichen Stoffes habe sich irgendwie erhalten, während Isabell Prophet glaubt, das Wesen des Kopftuches könnte durch viel mediales Schütteln verloren gehen. Beides ist Hokuspokus.
Sei keine Alchemistin oder Närrin. Sei nicht wie Isabell. Sei, wenn Du magst, wie Tippi oder Sofia. Und wenn du es für das Recht jeder Frau hältst, auch wie Shaparak Shajarizadeh zu sein, jedoch deine Familie, deine Community, deine Religion, dein schlechtes Gewissen oder deine Regierung dies nicht erlauben, dann erzähl mir nicht, du trägst das Kopftuch freiwillig und es sei nichts weiter, als ein Stück Stoff, dass man bedenkenlos zum Modetrend 2019 hochfiedeln kann.
wird man bald den Moslem zwingen Schweinefleisch zu essen und Bier saufen ? 😀
Sicher nicht. Das wäre ja auch dämlich.
Bei dem ernsten Thema den (Galgen)Humor nicht zu verlieren und damit den Leser zu animieren, immer weiter zu lesen, ist Ihnen bestens gelungen, ich hab stellenweise Tränen gelacht, z.B. hier:
Nur kleiden Taliban sich zusätzlich deutlich anders als deutsche Hippster und wenn der Bart beim Essen stört, die Freundin kratzt oder zum Biotop wird, kommt er ab, bevor ein Grüner einen Juchtenkäfer darin entdecken kann und Baustopp verfügt wird.
Das ist ungefähr so, als vergleiche man den Menschen, der mit dem Messer einen Mord begeht mit einem Koch, der das Messer benutzt, um ein Filetsteak zu bearbeiten und dümmlich dazu bemerkt, daß ein gut geschliffenes und spitzes Messer für die moderne Küchenarbeit unerläßlich sei. Unter diesem Gesichtspunkt muß ich auch die ganzen Messerstecher aus dem muslimischen Dunstkreis bewerten. Vielleicht haben sie ihre Messer nur dabei, weil irgendwo ein Fitetsteak auf sie wartet. Kulturell betrachtet und mit grüner Großzügigkeit, findet man, neben Handy und Geldbeutel, Haß oder Rachgefühlen, bestimmt auch ein Filetstück menschlichen Fleisches an einem Opfer. Tja, Isabell, wir sind offensichtlich immer noch nicht tolerant genug gegenüber den Intoleranten. Intolerantes Verhalten verbieten, das findest Du schlecht, wie
Joe Kaeser auch, der gerne mit muslimischen Ländern Geschäfte macht und dennoch kein Kopftuch trägt, noch nicht einmal einen Kaftan. Wenn wir alle die Kopftücher gut finden, selbst welche tragen, dann werden die Muslime darüber nachdenken und freiwillig das Kopftuch absetzen, glaubt Isabellchen. Ich bin zwar kein
Prophet wie Isabell, aber ich prognostiziere, das wird in die Hose gehen. Eher werden westliche Frauen gezwungen sich zu verschleiern, denn eine Muslima ihre Verschleierung ablegen darf. Isabell Prophet ist
eine typische Medienvertreterin des heutigen Zeitgeistes: infantil, autistisch, dümmlich bis gemeingefährlich.
Überflüssig!
Erstaunlich wieviel man ueber ein Stueck Stoff philosophieren kann (und vielleicht muss).
Erschreckend die groteske, bis zur totalen Korruption getriebenen Verwirrung westlicher Werte in grossen Teilen der Gesellschaft.
Wieder ein super Artikel ohne Fehl und Tadel. Ich bewundere die Geduld von Roger, sich so ausführlich mit den Eineweltideologen zu beschäftigen. Der Refugeewelcomewahn geht einher mit kognitiver Dissonanz.
Heute im ARD Morgenmagazin ein Beitrag über ein junges afghanisches Mädchen („Mawa“), das Mitte 2017 in einem serbischen Flüchtlingslager unverhüllt und unter Tränen seine Wünsche in das deutsche Mikrofon sprach: zur Schule gehen, ein Zuhause haben mit Küche und so, mit den drei Geschwistern und der verwitweten Mutter zusammen (Vater von Taliban ermordet, so der Bericht).
Das ARD Team „überraschte“ und besuchte sie nun ein Jahr später in ihrer thüringischen Schule und fand sie glücklich beim Lernen vor.
Und sie trug, wie alle Mihigru-Mädchen der Klasse (und alle auf dem Hof Abgefilmten…) Kopftuch.
Unfassbar. So schnell und komplett kann Integration gelingen…
Kommentarfunktion ist geschlossen.