Die „Große Furcht“ im Frankreich des Jahres 1789 fiel in eine Zwischenzeit, ein politisches Vakuum. Der „dritte Stand“ hatte sich erhoben und die Nationalversammlung gebildet. Die Bastille war bereits erstürmt, der König aber noch an der Macht. Wohin die Reise ging, war noch nicht abzusehen. Die Stimmung heute ist eine ähnliche und auch die Rollen aller Protagonisten sind besetzt. Da wäre zum einen eine dysfunktionale Regierung, deren Handeln sich auf mehr oder weniger sinnvolle Reaktionen auf große und kleine Katastrophen beschränkt – Ludwig XVI handelte kaum anders. Dann ein ausgemachter Feind, dem man den Willen zur Vernichtung des Landes unterstellt (AfD) und selbst die Rolle des verpönten Adels, der auf Kosten von Leben und Gesundheit der Bevölkerung die Reichtümer des Landes verprasst, ist vergeben: Es sei der „Kapitalismus“ ganz allgemein und aktuell die Automobilindustrie im Besonderen, deren Vertreter man gern geteert und gefedert durch die Gassen treiben würde ­– Banker und Hedge-Fund-Manager sind da ja auch schon durchgekommen.

Vor welchen Bedrohungen glaubt der Staat und seine Regierung eigentlich, die Bürger beschützen zu müssen? Die, für deren Abwendung er das Gewaltmonopol erhalten hat, oder die, für die er versucht, immer tiefer in unser Privatleben einzudringen? Man kann heute zwar ohne weiteres auf der Straße überfallen, erstochen oder vergewaltigt werden, wer jedoch in der falschen Partei ist, wessen Energieverbrauch zu hoch, wessen Haus nicht gedämmt ist oder wenn jemand eine Wohnung nicht vermietet hat, hört der Spaß auf! Dann klopft der Staat an und lehrt uns Mores. Und die Medien betätigen sich als Wasserträger dieser Agenda aus Banalitäten, deren Ursachen in persönlicher Charakterschwäche gesucht werden, anstatt in von außen induzierten Bedingungen. Ein Buch, dass man dem Leser nicht zumuten zu können glaubt, lässt man einfach aus der Bestsellerliste verschwinden, während der anhaltende Sturm auf unsere Sozialsysteme und die daraus resultierenden Folgen kaum Beachtung finden. Auch unser desolates Währungssystem ist vollständig aus dem Fokus gerückt. Dabei gäbe es auch hier Berichtens- und Erklärenswertes. Ich wüsste zum Beispiel gern, warum die EZB portugiesische Staatsanleihen aus den Jahren 1940-1943 aufkauft, die eine Fälligkeit im Jahr 2199 haben (vor kurzem stand angeblich sogar noch die Fälligkeit 9999 in der Liste) und wie das zu der Aussage passt, dem Euro ginge es Gold. Wie tief in den Keller musste man in Portugal wohl tauchen, um diese wertlosen und vergilbten Staatspapiere zu finden und wie passt das zu den Erfolgsmeldungen, Lissabon wäre längst wieder aus dem Krisenmodus heraus? Ein Vergleich mit den bald nach Ausgabe weltlosen Assignaten, die zu Zeiten der französischen Revolution unter Zwang an die Stelle von echten Werten wie Gold, Schmuck oder Immobilienbesitz traten, darf hier zumindest anklingen. Doch bleiben wir bei den Medien und deren Beitrag zur politischen Agenda.

In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt

Die Art und Weise, in der heute insbesondere unsere sogenannten „Leitmedien“ häufig berichten oder Berichte auch einfach unterlassen, möchte ich anhand eines Beispiels aus „Die Zeit“ bzw. dem Online-Ableger „Zeit-Online“ verdeutlichen. Zunächst zum Fall selbst, der weitgehend unstrittig ist: Im November 2015 hielt es ein Abgeordneter der AfD in Baden-Württemberg für eine gute Idee, sein Facebook-Profilbild mit einer Fotomontage zu versehen, welche die Hauptangeklagten des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses zeigt. Nur waren in dem Foto die Köpfe von Göring, Ribbentrop & Co. ausgetauscht gegen die von Merkel, Gauck und einigen anderen Politikern. Was ich mindestens für eine ziemliche Geschmacklosigkeit halte, wurde als Beleidigung aufgefasst und führte zu hektischer staatsanwaltschaftlicher Betriebsamkeit – soweit, so logisch und korrekt. Es geht mir auch nicht um die juristische Bewertung der Vorgänge, sondern um die daraus resultierende Berichterstattung.

ZON, 22.3.2017

Am 22. März 2017 brachte „Die Zeit“ eine AFP-Meldung zum Thema mit folgendem Wortlaut: „Karlsruhe (AFP) Der Freiburger AfD-Politiker Dubravko Mandic hat mit der Montage eines Fotos aus dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess heutige Bundespolitiker beleidigt. Die Gesichter von Nazi-Politikern mit Aufnahmen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie von Grünen- und SPD-Politikern zu überkleben, erfülle „den Tatbestand der Beleidigung“ und sei nicht vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, entschied das Landgericht Karlsruhe in einer am Mittwoch bekannt gewordenen Entscheidung. (Az: 2 QS 53/16)“

Die Badischen Zeitung macht gleich ein Urteil daraus…

Der juristische Laie, der als Leser der „Zeit“ sicher die Mehrheit stellt, liest: „erfüllt Tatbestand“ und „Entscheidung“ und schließt daraus auf ein ergangenes Urteil, was das angegebene Aktenzeichen noch unterstreichen soll. Einen Tag später berichtete auch die „Badische Zeitung“ aus derselben Quelle – und zwar wortwörtlich. Bis auf einen kleinen Unterschied: Am Ende der Meldung stand zusätzlich der Satz: „Zugleich entschied das Gericht, dass die Durchsuchung der Wohnung des Freiburger Rechtsanwalts und AfD-Politikers im Oktober rechtswidrig war.“ 

So sieht die Suche mit Google aus

Dieser kleine Unterschied ist auch einigen Lesern aufgefallen, weshalb sie sich an „Die Zeit“ mit der Frage wandten, wie das wohl zu erklären sei. Keine Antwort. Auch nicht auf mehrmalige Nachfrage. Allerdings war den verantwortlichen ZON-Redakteuren nicht ganz Wohl bei dem Gedanken, ihre eigenmächtige Kürzung des Artikels könne noch von anderen entdeckt werden. Ihn zu ergänzen kam nicht in Frage, denn das käme einem Schuldeingeständnis gleich. Ihn zu löschen auch nicht, denn der Eintrag bei Google bliebe erhalten und ein Blick in archiv.org könnte ihn wieder ans Licht zerren.

…nur die Zeit kann den eigenen Artikel nicht finden.

Man entschied sich stattdessen dafür, den Artikel auf der eigenen Seite unauffindbar zu machen, indem man ihn aus der Indexierung für die Volltextsuche herausnahm. Die Suche nach „Mandic“ bringt fünf Treffer auf ZON – der genannte Artikel ist nicht mehr dabei. Nur Google mochte sich dieser kleinen „Korrektur“ nicht anschließen, weshalb der Artikel dort immer noch an erster Stelle in den Suchergebnissen zu finden ist.

Das mag wie eine Petitesse aussehen, ist es aber nicht. Zumal dann, wenn man weiter gräbt und der Spur des Aktenzeichens nachgeht. Das Land Baden-Württemberg bietet eine Online-Datenbank für Ermittlungsverfahren, Beschlüsse und Urteile an, in der man auch nach Aktenzeichen suchen kann. Treffer zu 2 QS 53/16: keine. Es stellte sich schließlich heraus, dass die Justizbehörden den Vorgang – aus welchen Gründen auch immer – nicht in die Datenbank eingepflegt hatten. Das Aktenzeichen jedoch gibt es tatsächlich! Und zwar auf einem Beschluss des Landgerichtes Karlsruhe vom 15.3.2017, welcher die Rechtswidrigkeit der Hausdurchsuchung bei Dubravko Mandic feststellte – und nur dieses stellt der Beschluss fest!

Meine Nachfrage am 28.7.2017 bei Dubravko Mandic bezüglich des Status des Verfahrens ergab folgende überraschende Antwort: „In der Sache selbst gibt es keinen Fortgang. Gegen mich ist weder ein Strafbefehl ergangen, noch wurde Anklage erhoben.“

Wo ZON und die „Badische Zeitung“ also bereits im März einen fallenden Richterhammer gespürt hatten, ist in Wirklichkeit noch nicht einmal eine Anklageschrift zu finden. Zusammengefasst heißt das über den Artikel der Zeit, dass die implizierte Aussage falsch ist und durch Weglassungen glänzt, welche sich ausgerechnet auf das angegebene Aktenzeichen beziehen und dass „Die Zeit“ diesen Artikel im Nachhinein am liebsten unsichtbar machen würde – es wird schon niemand so genau hinschauen. Die „Badische Zeitung“ hingegen machte sich zwar nicht die Mühe, die AFP-Meldung auf ihre Wirkung hin zu optimieren, dafür schreibt sie gleich „Urteil“ darüber, was bedeutet, dass die Redakteure dort genauso ticken wie „Die Zeit“ es ihren Leser unterstellt.

Vorgänge wie dieser sind leider nicht geeignet, Vertrauen in die Medien herzustellen und der „Großen Furcht“ sachlich etwas entgegenzusetzen, weil der Zweck der Berichterstattung nur allzu offensichtlich ist. Es geht nicht um die Fakten, sondern um Stimmungen. Und die deutschen Leitmedien haben sich dazu entschlossen, die Stimmung in eine bestimmte Richtung zu ziehen. Auch anderslautende Fakten können sie davon offensichtlich nicht abbringen.

Staat vs. Privat

Wir erleben gerade die wohl hervorstechendste Parallele zur Hochzeit der französischen Revolution – eine Verstaatlichung und Vergesellschaftung jeder privaten Meinung und Haltung. War „Meinung“ früher etwas zutiefst Privates, soll sie heute im „gesellschaftlichen Konsens“ stehen – und wie der auszusehen hat, legt ein kleiner Kreis auserwählter „Robespierres der Wahrheit“ fest. Durch unkritisches Mitmachen kann jeder leicht selbst in diesen Kreis vorstoßen und dadurch auf die Seite der sicheren und wohlbetreuten Wahrheit wechseln. Initiativen dieser Art werden großzügig gefördert, selbst dann, wenn sie sich bei der Durchsetzung ihrer Ziele höchst undemokratischer Mittel bedienen. Jeder ist aufgefordert, Stellung zu beziehen, sich ständig leidenschaftlich zur Demokratie zu bekennen und auf Verlangen jederzeit die gekennzeichneten Feinde der Demokratie aufzählen zu können und bekämpfen zu wollen.

Diese Vorstellung von Mitmach-Demokratie führt dazu, dass jeder, der die ausgegebenen Losungen nur ausreichend verinnerlicht hat, sich zugleich als Polizist, Staatsanwalt und Richter über die Meinung anderer berufen fühlt. Im Frankreich der 1790er Jahre gab den Bürgerausweis, den natürlich nur diejenigen erhalten konnte, deren Leben und Einstellung zur Revolution einen ausführlichen Test bestanden hatte. Ehemalige Adlige (der Stand war ja abgeschafft) konnten diesen Ausweis selbstverständlich generell nicht erlangen, was ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben oder der Wirtschaft vollständig unmöglich machte. Diesen Ausweis musste jeder stets bei sich tragen und auf Verlangen vorzeigen. Nicht nur der Gesinnungspolizei, sondern generell jedem, der danach fragte. Man machte somit jeden Bürger zum Gesinnungspolizisten über alle anderen, was die Existenz des Privaten komplett beendete und die allgemeine Denunziation nicht nur förderte, sondern geradezu verpflichtend und zur Regel machte. Es existierte keine Grenze mehr zwischen privater Meinung und staatlicher Sanktion. Der Tatbestand der strafbaren Handlung wurde ersetzt durch die strafbare Haltung. Ehemals strafbare Handlungen wurden somit sakrosankt, wenn sie nur von tugendhaften Bürgern begangen wurden, die die richtige Haltung zur Revolution hatten – ein Schelm, der da an die „gut gemeinten“ Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg denkt. Eine Denunziation, die letztlich nicht zur Verurteilung des Angeklagten führte, blieb im revolutionären Frankreich straffrei, wenn der Denunziant sie nur mit großer Verve und mit revolutionären Absicht vorgebracht hatte. Die Idee, dass der Zweck die Mittel heiligt, wurde während der französischen Revolution erstmals konsequent zum Staatsziel erklärt und es gibt zahlreiche Extremisten (linke wie rechte und religiöse), die dieses Prinzip auch heute noch vertreten. Heute fördert der Staat mit Steuergeldern Initiativen und Aktionen, die kaum anders vorgehen. Und wer fühlte sich nicht berufen, einem anderen ordentlich eine einzuschenken, wenn dieser vorher ausreichend heftig als Nazi bezeichnet wurde?

Das Aktionsbündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ zum Beispiel hat sich dem Kampf gegen falsche Meinungen verschieben. Dabei geht es, anders als der selbstgewählte Name es vermuten lässt, nicht gegen Rassismus an sich, sondern ausschließlich und erklärtermaßen nur gegen die AfD. Dabei ist sehr interessant, wer sich diesem Kampf so alles verschrieben hat und was die Beweggründe dafür sind. Die Initiatoren sind nämlich unter anderem Attac, die Grünen, Jusos, LINKE, interventionistische Linke, die IG-Metall, DGB-Jugend, ver.di und der Zentralrat der Muslime. Einerseits also Gewerkschaften, die per Selbstdefinition eigentlich politisch neutral sind, weshalb sie ja auch scheinbar „gegen Rassismus“ kämpfen, um eine politisch unbequeme Partei zu treffen. Außerdem findet sich das ganze linke Spektrum von SPD (Jusos) bis Linksextremistisch (interventionistische Linke) in der Einheitsfront. Die interventionistische Linke verbirgt ihren Extremismus übrigens nicht, sondern berichtet stolz auf ihrer Webseite darüber, was auch in ihrer Parole zum G20-Gipfel in Hamburg deutlich wird: „Den Gipfel stürmen, die Stadt erobern“. Dazu dann noch der Zentralrat der Muslime, dem selbsternannten Fürsprecher des angeblich verfolgten und zum Opfer gemachten Islam in Deutschland, der zwar keine „Rasse“ ist, Islamophobie aber gern und ausführlich als Rassismus bezeichnet. Im Grunde also ein Aktionsbündnis von Extremisten gegen andere Extremisten, das zu extremen Mitteln greift, um seine Ziele zu erreichen.

Demokratie ist, wenn alle meine Meinung teilen und abweichende Meinungen niedergebrüllt werden. Das glaubt zumindest das Aktionsbündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ und bietet auf seiner Webseite „Aktionskits gegen AfD-Wahlkampfstände“ an. Für 12 Euro (ermäßigt 7 Euro, Solipreis 19 Euro) erhält der betreute Protestierer einen todschicken Turnbeutel folgenden Inhalts:

  • Warnweste für Aktivist*innen mit der Aufschrift „AfD? Rechte Hetze fachgerecht entsorgen!“
  • Blauer Sack, mit dem sich Aktive neben die AfD-Wahlkampfstand stellen, um den Passant*innen aufzufordern den rassistischen Müll (Flyer der AfD) gleich fachgerecht zu entsorgen.
  • Absperrband, um zu verhindern, dass Passant*innen am Tatort Rassismus zu Schaden kommen. Sticker und Aufklärungsflyer zum Verteilen an Vorbeigehende
  • Trillerpfeifen, um Lärm zu machen, wenn die AfD ausfällig wird
  • Beipackzettel, der die Aktion und ihre rechtlichen Rahmenbedingungen beschreibt.

Man ist also „vom Fach“, was ja auch durchaus stimmt, denn in den eigenen Reihen wimmelt es von Extremismus, Extremistischen Ideen und „positiver Diskriminierung“. Und weil man vom Fach ist, darf man sich auch anmaßen zu entscheiden, was „Schaden“ für Passanten bedeutet, wie diese Passanten fachgerecht aufzuklären sind und ermächtigt sich gleich selbst, mit Lärm ausfällig zu werden, wenn die AfD „ausfällig“ wird.

Dieses „Aufstehen“ ist somit nichts anderes als eine Meinungsdiktatur, deren Gedankenbasis etwa so aussieht: „Meine Meinung ist richtiger als deine und weil ich dich als Rassist bezeichne, gehst du aller deiner bürgerlichen Rechte verlustig. Deine Meinungsfreiheit ist wertlos, weil sie mir nichts wert ist. Dein Recht auf Wahlkampf ist nutzlos, weil es mir nichts nützt. Ich bin im Recht, weil ich eine Trillerpfeife habe und lauter bin als du. Weil Passanten generell dummes Stimmvieh sind, das leicht beeinfluss- und verführbarbar ist und dessen Meinung und Haltung nach Belieben gedreht werden kann, wird meine Aktion dazu führen, dass die AfD weniger Stimmen bekommt – wozu soll man sich inhaltlich mit dem politischen Gegner befassen, wenn man ihn stattdessen physisch aus der Öffentlichkeit und der Gemeinschaft herausschneiden kann?“. Da die AfD bislang in 13 Landtage eingezogen ist, wäre es doch eigentlich an der Zeit, auf der Seite der „wahren Demokraten“ über ihr Konzept nachzudenken, dem man im Kampf gegen die AfD folgt. Stattdessen heißt die Devise: „Mehr von dem Gleichen!“

Man sollte erwarten, dass an den Wahlkampfständen von CDU, SPD, Linken und Grünen inhaltlich gegen die AfD gekämpft wird. Stattdessen werden Bündnisse mit „breiter gesellschaftlicher Basis“ nach vorn geschickt, die von sich behaupten, „für die Gesellschaft“ als Ganzes zu sprechen. Die Gesellschaft hat aber keine Stimme und kann auch nicht „mit einer Stimme“ sprechen. Das merkte auch Maximilien de Robespierre, der „le peuple“, das Volk, zum Gott erhoben hatte und in Ermangelung klarer Äußerungen dieses Gottes gleich selbst in dessen Namen zu sprechen glaubte, indem er seine Vorstellung von „Volkes Wille“ als dem „reinen Willen“ durchsetzte, über den das Volk verfügen würde, wenn es nicht durch allerlei schädliche Ideen und falsche Meinungen verführt worden wäre. Er und nur er allein glaubte, diesen anonymen Willen zu kennen, weshalb der Hinweis auf diesen Souverän auch in keiner seiner Reden fehlte. Es war deshalb kein Wunder, dass sich viele einzelne Exemplare dieses „Volkes“, dessen Wille in Robespierres Reden so ausgiebig geheiligt wurde, durchaus persönlich angesprochen fühlen musste und diesen Willen, der ja der des ganzen Volkes sei, durch sehr konkrete Gewalt zum Ausdruck brachte. Dieser „Wille des Volkes“, den jeder Demagoge nach Gusto interpretiert, den es als kleinsten Gemeinsamen Nenner in Wirklichkeit aber nie gegeben hat, führte die Französische Revolution ins Verderben, beschleunigt durch die Anmaßung des rhetorisch begabten Robespierre, der glaubte, diesen Willen zu kennen und ausführen zu müssen.

Es ist noch nicht zu spät, eine erneute Verengung der Ideen im Europa des Jahres 2017 hin zu einer „allgemeinen Doktrin der korrekten Haltung“ zu verhindern. Die Tatsache, dass unser politisches Spitzenpersonal durch die Bank nicht die Statur eines Robespierre hat und besonders von der Muse der Rhetorik gänzlich ungeküsst ist, lässt hoffen. Denn die Ausschüsse, Komitees und revolutionären Tribunale stehen längst schon wieder bereit, den „göttlichen Willen des Volkes“ zu exekutieren, begleitet von wohlwollenden und gleichgeschalteten Medien, die nur zu bereitwillig die passende Musik zum bestellten Autodafé liefern würden. Man wartet nur auf das Signal, loszuschlagen, um alle von der ausgegebenen Parole abweichenden Meinungen zu vernichten.

„Égalité“, das war anfangs der Kampf für gleiche Rechte, dann der für gleiche Chancen. Égalité“ wurde in der Hochzeit der französischen Revolution jedoch zu einer fixen Idee, die bis heute nicht aus vielen Köpfen herauszubekommen ist: der Kampf könne und müsse in eine absolute, tatsächliche und totale Gleichheit aller münden. Diese ließ sich während der französischen Revolution nur auf der Guillotine verwirklichen, auf der sowohl Ludwig XVI. als auch Robespierre um jeweils einen Kopf kürzer gemacht wurden. Der heutige Kampf um die Gleichheit und Gleichschaltung der Meinungen ließe sich auch nur auf diese Weise gewinnen. Es bleibt zu hoffen, dass die Anwohner des „Platz der Republik“ in Berlin nie die drei gleichmachenden, metallischen Schläge hören müssen, wie sie im Frankreich der Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts allerorts zu vernehmen waren. Es ist schon erstaunlich, dass viele selbsternannte Kämpfer für Gerechtigkeit den Widerspruch in ihren Handlungen nicht erkennen, wenn sie einerseits für ein möglichst buntes Multikulti-Land kämpfen und gleichzeitig an der Durchsetzung einer einzigen, allgemeinen und universell gültigen politischen Monokultur arbeiten.

Die heutige Parole sollte deshalb besser lauten: Liberté, fraternité, diversité – und Meinungsvielfalt gehört dazu.

Teil 1: „X. Thermidor, Ende des Terrors im Namen der Tugend“
finden Sie hier.

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8 Kommentare

  1. Toller Artikel. Aufs heutige Frankreich bezogen würde ich von der Parole: Liberté, fraternité, Portemonnaie ausgehen.

  2. Noch einmal Dankeschön für diesen klugen Artikel. „Lasst uns die Warnungen erneuern,
    und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!“, hat Brecht gesagt, der erst am Ende seines Lebens verstand, welche Gefahr von dem totalitären System ausgeht, das er als Antifaschist meinte unterstützen zu müssen. Biermann war ein später Schüler – und seine konsequente Haltung hat das Ende der DDR mit herbeigeführt, so wie Liu Xiaobo und Liao Yiwu ihren Beitrag zum Ende des Maoismus leisteten. Es gibt diese Hoffnung.

  3. Der Terror der Jakobiner wurde von der englischen Krone finanziert , um die lästige Konkurrenz Frankreichs zu lähmen.
    Der Terror hierzulande …. nu ? von wem wohl ?

    • Die Jakobinerclubs, auf die sich Robespierre stützte, sicher nicht im großen Maße. Für die war alles unrevolutionäre ein Gräuel. Von „Pit bezahlt“ zu werden, also im Namen Englands zu handeln, brachte einen so zuverlässig wie ein Adelspatent aufs Schafott. Diese Vorwürfe waren eher Bestandteil der permanenten Drohung, selbst in die Mühlen der Revolution geraten zu können. „Sendling von Pit“ war das, was heute der Vorwurf ist, „Nazi“ zu sein. Nicht, dass es solche Einflussnahme generell nicht gegeben hätte, die Regel war das aber nicht.

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