Nichts ist ein stärkerer Realitätscheck als eine echte Bedrohung. So in etwa könnte man all die Absichtsbekundungen und Sofortmaßnahmen zusammenfassen, die nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine in Deutschland ausgesprochen wurden oder anlaufen. In den letzten drei Tagen wurden mehr heilige Kühe geschlachtet, als alle vernunftgeleiteten Debatten es in den vergangenen 15 Jahren vermocht haben. Es ist, als sei Deutschland nicht nur aus einem Traum erwacht, sondern gewissermaßen aus dem Bett gefallen und unsanft gelandet. Die Erkenntnis beim Aufwachen fasste Heeresinspekteur Alfons Mais so zusammen: „Wir stehen blank da.“ Was für die zusammengeschnurrte Bundeswehr gilt, ist für viele Bereiche ebenfalls die treffende Diagnose. Denn auch in der Energieversorgung, im Bildungswesen und mit unserer Währung sieht es nicht besser aus. Wir leisten uns politische Spiegelfechtereien und in unseren höchsten Parlamenten finden Genderdebatten statt. Wir retten das Klima in hundert Jahren vor einem Temperaturanstieg von 2° und frieren in unseren Wohnungen wegen Gasmangel. Wir bauen einen Wohlfahrtsstaat für die halbe Welt mitsamt Rechtsanspruch auf, während unsere Arbeitnehmer kaum noch wissen, wie sie das Benzin bezahlen sollen, das sie für die Fahrt zur Arbeit brauchen. Der zu bestallende Parlamentspoet sollte weniger dichten, als Tragödien verfassen können.

Unser Land hat erheblich Schlagseite, doch so streng ich das Brückenpersonal der MS Deutschland auch bewertet habe (hier und hier), so klar ist auch, dass es nicht die Özdemirs, Roths, Faesers oder Baerbocks waren, die uns in diese Lage gebracht haben. Sie sind nur die Konkursverwalter einer Entwicklung, die sie politisch beklatscht und befeuert, aber nicht verantwortet haben. Nun an der Macht gedachte man sich am Werk des Kuchenbäckers in der Sandkiste zu laben. Man hat an diesen Kuchen geglaubt und stellt plötzlich fest, dass Gebäck aus Sand nicht schmeckt – ganz gleich wie bunt und divers die Backförmchen sind.

All das ist das Ergebnis des Versagens von Konservatismus und Liberalismus, die es nicht vermocht haben, das Land davon abzuhalten, einen Weg einzuschlagen, der nach Wolkenkuckucksheim führt.

Es war einmal ein Haus

Sieht man mal von konkreten politischen Parteien ab, gibt es in jeder gesunden Gesellschaft wie in einem Haus zwei sich ergänzende aber grundsätzlich verschiedene Aufgaben. Die einen halten den Laden am Laufen, streichen die Wände, reparieren die Klospülung, behalten die Kosten im Blick und sorgen dafür, dass das Schloss der Haustür intakt ist und die Wildschweine nicht auf den antiken Chintzsesseln Platz nehmen. Nennen wir diese Partei das konservative, bewahrende Element. Die anderen möchten umgestalten, dort eine Wand einreißen, die Möbel umstellen, den Chintz gegen biologisch abbaubare Jutesäcke tauschen und die Wände mit Mandalas bemalen. Das ist das chaotische, aber auch kreative Element. In einer intakten Gesellschaft braucht es beides und sollte sich herausstellen, dass der Chintz nicht zu retten, die Wand morsch und die Wände hässlich sind, täte es sicher gut, sie zu erneuern, zu verändern und auszutauschen. Doch bedarf es dazu stets des Beweises, dass der Zustand des Hauses nach der Änderung besser ist als vorher.

Diesen Nachweis zu verlangen, hat die konservative Repräsentanz in unserem Land schon vor langer Zeit vollständig aufgegeben. Man hat es zugelassen, dass Veränderungen angestoßen wurden, deren positive Schlussbilanzen mehr als fragwürdig sind. Das Ergebnis sind Sprünge ins Nichts bei der Landesverteidigung, der Energiewende, der Klimapolitik, der Bildung, der Migrationspolitik und vielen anderen Feldern. Nirgends wurde der Nachweis erbracht oder auch nur verlangt, dass die angestrebten Veränderungen tatsächlich eine Verbesserung der Lage oder zumindest keine Verschlechterung als Ergebnis haben werden. Man hat Plänen zugestimmt, weil sie utopisch und Pfaden, weil sie schwer zu gehen sind. Je dicker die tragenden Wände, desto kräftiger schlugen die Köpfe dagegen, je größer die gesellschaftlichen Widerstände, desto größer und ehrenvoller die Aufgabe, sie zu überwinden, je jünger die Propheten der Klimarevolution, umso mehr Weisheit maß man ihren Worten bei. In einer Gesellschaft von schwer Erziehbaren kommen irgendwann Kinder an die Macht, selbst wenn sie dann längst erwachsen sind.

Die infantile Gesellschaft, die Alexander Kissler einst in seinem Buch beschrieb, ist das Ergebnis des gescheiterten Konservativismus und das „hochbegabte“ Kind von einst, das man gewähren ließ, als es mit Wachsmalstiften die Tapete verzierte, „gestaltet“ heute die Realität, ohne zu wissen, wie sie eigentlich funktioniert. Das chaotische und utopische Element so einzuhegen, dass nur seine schöpferische Komponente zur Geltung kommt, hat der Konservatismus in den 16 Merkeljahren nicht vermocht. Vielmehr erhielten alle Projekte des gesellschaftlichen Totalumbaus das Plazet der vormals konservativen Kräfte, ganz gleich wie es bei Lichte betrachtet um die Realisierbarkeit der Vorhaben bestellt war.

Pseudowissenschaftlich umklingelt wurden die Projekte zum Anriss und anschließendem Neubau der Gesellschaft von allerlei Lobby-Organisationen, denen man zuletzt mehr oder weniger die praktische Politik überlassen hatte. Die „Deutsche Umwelthilfe“ erledigte den Dieselmotor und verhinderte LNG-Terminals, beim NABU bekam man die nötigen Gutachten zur Windkraft in Wald und Flur, die Kinder von F4F beschleunigten den Kohleausstieg, beim Ausstieg aus der Kernenergie hat die „konservative“ Regierungschefin sogar selbst Hand angelegt. Niemand machte sich Gedanken über das wahrscheinliche Ergebnis, das oft zitierte Merkel’sche „vom Ende her denken“ ist folglich ein schlechter Witz. Niemand dachte vom Ende her, aber alle haben sich darauf verlassen, dass das schon irgendwer durchgerechnet hätte.

Höchstens als leichte Bremse fungierten die Konservativen, wenn sie nicht wie im Fall der Abschaffung der Wehrpflicht und dem Atomausstieg selbst die Wachsmalstifte in die Hand nahmen. Unterdessen verrottete die Basis des „Hauses“, weil niemand mehr da war, der sich fragte, wer und wozu die Straßen gebaut und instandgehalten hatte, auf die die Kinder von „Essen retten“ sich klebten. Mindestens zehn Jahre Sodawirtschaft auf Kosten der Substanz, denn alles war ja einfach so da. Die Brücken, die Straßen, die Schienen, die Kanalisation…die Müllabfuhr funktionierte noch, die Smartphones ließen sich laden und Wasser kam aus der Wand, aber die Menschen hatten irgendwie vergessen, woher das alles kam und dass es keinesfalls selbstverständlich funktioniert.

Der leichte Weg führt bergab

Der Krieg gegen die Ukraine war ein Realitätsschock für unser in Utopien gefangenes Land. Die beste Lagebeschreibung dafür kommt vom viel zitierten Gottfried Benn: „Erkenne die Lage. Rechne mit deinen Defekten. Gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen.“ Keines unserer idealistischen Großthemen der letzten Dekaden hält diesem Licht der Realität stand, egal ob es sich um unsere Strom- und Gasversorgung, die Migrationspolitik, unsere Landesverteidigung oder den Umgang mit religiösen und politischen Realitäten handelt. Und es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass nun ein SPD-Kanzler massive Investitionen in die Landesverteidigung ankündigt und ein grüner Wirtschaftsminister die Laufzeitverlängerung den kümmerlichen Reste der deutschen Atomkraftwerke in Betracht ziehen muss. Doch wie üblich, wenn in Deutschland das Pendel umschwingt, schießt es über das Ziel hinaus, und es ist ausgerechnet die „Grüne Jugend“, der das auffällt. Denn so löblich die 100 Milliarden Euro auch sind, die Scholz nun ad hoc in die Landesverteidigung pumpen möchte, so richtig wäre es doch gewesen, sich die Zustimmung dafür vom Parlament zu holen, statt auf ominöse „Sondermittel“ zurückzugreifen.

Teil 1 des Benn’schen Zitat scheint momentan dank der putin’schen Ohrfeige erfüllt. Die Lage ist erkannt und sie ist nicht gut. Unseren Defekten begegnen wir jedoch am besten, indem wie die verordnungsgesteuerte Durchregiererei beenden und unsere auf den Hund gekommene Gewaltenteilung wieder instand setzen. Wenn wir es dann noch schaffen, Politik wie Erwachsene zu betreiben und auch die Bürger wie Erwachsene zu behandeln, haben wir eine gute Chance, einen allzu harten Aufschlag in der Realität zu vermeiden. Noch! Im Moment sind unsere Bestände zwar noch dürftig, aber Parolen wie die, das Brandenburger Tor oder das Schweriner Schloss in den Farben der Ukraine anzustrahlen, werden bereits als peinlich und überflüssig erkannt. Der Anfang ist also gemacht. Jetzt gilt es, die Wachsmalstifte wegzulegen, die Deutsche Umwelthilfe, „Essen Retten“ und Luisa Neubauer ins Kinderzimmer bzw. zum Shopping zu schicken und das Haus aufzuräumen.

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11 Kommentare

  1. Jetzt wach geworden? Hohoho. Das große Wachwerden steht noch an. Der Lastenausgleich steht bevor und wird kommen. Die Inflation ist aktuell nur ein Vorspiel. Nun kommt vermutlich das, was Vertreter der Austrians School schon seit Jahrzehnten befürchten. Nun ja, die erste Weltwirtschaftskrise war auch eine Folge des Zentralbankgeldes. Immer diese Reime der Geschichte.

  2. Mir ist ein inhaltlicher Fehler unterlaufen. Die Gas/Ölvorkommen der Ukraine stehen sie einen Platz unterhalb des Irak, nicht einen Platz darüber.

    Wie gesagt, lies den längeren Text bevor Du ihn löschst, und leite den Inhalt mal an die Leute von der Achse weiter, sofern Du ihn interessant findest (was Du wirst).

  3. He Roger,

    jaja, Du magst mich nicht, ich weiß. Du kannst mich auch ruhig löschen. Aber sag Deinen Leuten von der Achse mal, dass in der Ukraine einige Jahre vor den Aufständen Schiefergas gefunden wurde, und das Land wohl mehr Öl und Gas hat, als der Irak. Es gibt drei Fundstellen. Eine ist im Westen, eine ist ein Stück westlich der Krim, und eine ist genau da wo die Russkis ihre nun unabhängigen „Republiken“ ausgerufen haben. Zwei von drei dieser Quellen sind also Gebiete, die die Russen sich unter den Nagel reißen wollen.

    Quelle für die Gasvorkommen hier: https://shalegas.in.ua/en/shale-gas-resources-in-ukraine/

    Ich zitiere:

    > Scientific Research Institute “Naukanaftogas” of Naftogas of Ukraine estimated total technically recoverable shale gas reserves in Ukraine equal to 22 trillion cubic meters, including 4.3 trillion cubic meters in eastern region, 3.4 trillion cubic meters in western region and 4.3 trillion cubic meters in southern region.

    Bezüglich des Abgleichs von Russenaktivität zu Öl/Gasvorkommen vergleichst Du am besten eine Karte auf der die Position der Republiken und der russischen Kampfgruppen eingezeichnet sind mit dem Kartenmaterial meiner Quelle. Die ganzen Gründe, mit denen die Sache gerechtfertigt wurden, sind nur geheuchelt und vorgeschoben. Das ist ein Krieg um Öl und Gas, bei dem Russland als europas größter und einziger Petrostaat einen möglichen Konkurrenten ausschaltet, und dabei nach dem selben Spielplan vorgeht, den man einige Jahre vorher in Georgien sehen konnte.

    Achso, außerdem wollte ich noch erwähnen, dass der ukrainische Präsidentenshlomo sich positiv auf meinen Antisemitismus ausgewirkt hat. Er macht seine Sache schon recht gut. Wobei ich ihm anlaste, dass er erst zu spät Sturmgewehre wie Süßigkeiten an die Bevölkerung verteilt hat, und davor gegen privaten Waffenbesitz war. Bei mir hätte bereits seit Jahren jeder ein Maschinengewehr, zwei Stinger, und vier LAW auf dem Dachboden, und auch noch nen Mörser, damit das Zeug bereits fertig verteilt ist, sobald mans braucht, und hinter jedem Grashalm ein jemand mit nem Gewehr lauert, wenn der Iwan kommt. Fick die öffentliche Ordnung.

    • Ich habe nichts gegen Dich, lieber Rolf, nicht mal gegen Deine „persona dramatis anonymos“. Es ging immer nur um das, was sich nach Deiner Aussage gerade gebessert hat und nur von dieser Besserung hängt ab, ob Du hier kommentieren kannst.

      • Achso, im Kontext mit dem Ölgas kann man übrigens auch verstehen, was der Sohn vom schläfrigen Joe im Vorstand dieser ukrainischen Energiefirma zu suchen hatte.

        Wahrscheinlich wollte der Ukrainer direkte Gespräche ins weiße Haus mit dem Nato-Oberboss, der als einziger das notwendige technische KnowHow hat, um das Ölgas abzubauen, ist aber davon ausgegangen, dass seine eigenen Diplomaten für den Antifa-Boomer spionieren, und dieser durchdreht, wenn er damit rechnet verlassen zu werden. Das ist jetzt zwar nur Spekulation, aber der Crackjäger (der Typ ist ja SO ein Mem) wird irgendetwas getan haben, das es dem Ukrainer wert war, das mindestens sechsstelliges Gehalt zu zahlen, welches der Crackjäger verlangte, und außer, dass der US Vizepräsidenten bei ihm ans Telefon geht, wenn er nicht gerade Kinder schnüffelt, hatte der Crackjäger eher keine Qualifikationen im Energiesektor.

  4. Ich bin auch positiv über die Einsichtsfähigkeit unserer Politiker überrascht. Das hatte ich nicht für möglich gehalten. Ich will sie hiermit ausdrücklich loben, auch wenn ich natürlich zynisch bleibe. Die Porzellankiste schaut schon ängstlich rüber.

    Natürlich fehlt es nach wie vor an guter Führung. Wir steigen in einen finsteren Tunnel. Und eine Führung muss den Willen haben, die Menschen auch wieder ans Licht zu führen. Seit dem Subprime-Crash jagt eine Krise die nächste, manche davon greifbarer als andere, aber stets ohne Führung die Anstanden machte, klar zu stellen, dass die Krisen beendet werden. Merkel hat, ganz im Gegenteil, ihr Image auf das Krisenmanagement aufbauen wollen. „Mehr Feind, mehr Ehr“ wurde „mehr Krise, mehr Ehr.“

    Auch Reagan und Thatcher übernahmen wahnsinnig schwierige Krisen. In nur einer Dekade wurde die Mauer umgefegt, die Inflation bezwungen und Großbritannien, eines der ärmsten Ländern Westeuropas, zu einem der reichsten aufgemöbelt. Beide waren herausragende Redner. Wichtiger, viel wichtiger, ist jedoch, dass sie Macher waren. Ich bin die Ankündigungspolitiker mit ihren Engerschnallgürteln und dem Klima-wird-teuer-Ernst leid.

    Ich will ein Licht am Ende des Tunnels. Auch ich sehe dieses Licht noch nicht und ich habe auch Geduld, aber mein Traum ist nicht „Europa“ oder „Klimaneutralität“. Ich will irgendwann Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Es kann doch nicht sein, dass wir auf ewig dazu verdammt sind, uns zu sorgen, in welcher Cryptowährung wir uns einst zur Ruhe setzen können und welches „falsche“ Wort uns als nächstes die Karriere abmurkst.

    Mir ist egal, wer es macht. Es ist mir egal, ob andere Verantwortung in Wirtschaft und Politik übernehmen oder die derzeitigen Kräfte über sich hinauswachsen und reifen. Die Porzellankiste wird unruhig. Ich will nicht zu naiv sein. Dennoch hoffe ich auf die Ukrainer. Jemand muss die Panzer stoppen. Annalena Baerbock wird es nicht können. Die meisten von uns würden es nicht können.

    • Ich möchte noch ein Lob auf Annalena Baerbock drauflegen. Joe Biden hat gesagt, dass Putin mit Panzern Kiew umzingeln könne, aber die Herzen und Seelen des iranischen Volks nie gewinnen werde. Was das mit Frau Baerbock zu tun hat? Sie hat es nicht gesagt.

    • Also, meine These ist ja, dass bei denen jemand angerufen hat, und ihnen sagte, was sie jetzt zu tun haben, und, dass sie weggeputscht werden, falls sie sich anstellen und rumzicken, und die das dann halt gemacht haben.

      Ich glaube übrigens, dass der gesamte Westen in Kultur, Politik, und Hastenichtgesehen wahnsinnig weit von den Assets russischer (und sonstiger) Geheimdienste unterwandert wurde, und als nächstes ein Paar Säuberungen in größerem Stil anstehen. Bisschen McCarthyismus. Wird sicher lustig werden, und nötig ists allemal.
      Naja, ist auch egal, ich bin eh nicht da.

  5. Alles korrekt, nur dass das Versagen des Konservatismus lange vor Merkel begann: die utopischen Projekte der „Währungsunion“ sowie die „Europäische Verfassung“ seien hier genannt.

    *hb

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