„Zum Sonderpreis von 69 Euro kann man zum Beispiel beim Anbieter „MyHeritage“ seine Spucke untersuchen lassen. Man erhält zwei Wattestäbchen, die man eingespeichelt ins Labor schickt. Nach ein paar Wochen gibt es online die Ergebnisse. […] Doch was bringt die Erkenntnis, dass man von einer Dynastie von Apothekern oder Axtmörderinnen abstammt?“, so SPON-Kolumnistin Margarete Stokowski in ihrem ArtikelAuf jeden Fall kann sie mit diesem Trend zur „genetischen Astrologie“ nichts anfangen, sie vermutet den Kapitalismus als treibende Kraft hinter dieser Art „Herkunftsromantik“ und natürlich darf auch der Hinweis auf jene finsteren deutschen Zeiten nicht fehlen, als man die Bevölkerung noch in Arier und Vierteljuden teilte.

Aber man darf sich schon fragen, warum Menschen Geld ausgeben, um durch Farbflecke auf einer Karte zu erfahren, dass sie zu 50% Afrikaner und 50% Osteuropäer sind, wie Thomas Gottschalk dies tat – und sich mit einem Scherz aus der Kategorie „Schwedenstahl-Kruppstahl-Diebstahl“, der vor zehn Jahren höchstens eine 5,5 auf der nach oben offenen Harald-Schmidt-Skala bekommen hätte, gleich ins rassistische Abseits zu begeben. Nun, für Gottschalk (und einige andere auch) darf man vermuten, dass die Erkenntnisse des Tests in etwa soviel Bedeutung haben, wie silvesterliches Bleigießen. Beiseite lassen darf man wohl auch die Erfahrungsberichte der Content-Produzenten von Clickbait-Medien wie der Huffington-Post, die in den Ergebnissen, welche in fast allen Fällen einen wunderbunten Genmix aus aller Herren Länder aufzeigen, den wissenschaftlichen Beweis dafür sehen, „…dass Fremdenfeindlichkeit sinnlos ist.“

Stokowski lehnt den ganzen Zinnober ab: „Wer für Menschenrechte und Empathie eine Speichelprobe braucht, bei dem läuft etwas grundlegend falsch. Wenn es nicht maximal fragwürdig erscheint, sich zu soundso viel Prozent auf wissenschaftlich wackelige Art irgendeine Zugehörigkeit zu verpassen und deswegen für die Leute dieser Gruppe jetzt ganz besonders viel Liebe und Verständnis zu haben – oder direkt „durchgemacht“ zu haben, was sie erlebt haben -, was ist denn da los?“

Das soll also das Motiv sein? Die eigene Fremdenfeindlichkeit durch einen wissenschaftlichen Beweis zu „therapieren“? Hat sich jemals ein Kind nicht mehr gefürchtet, weil man ihm nachweisen konnte, dass im Schrank kein Monster versteckt sei? Ich glaube, Stokowski liegt hier meilenweit daneben.

Wer bin ich?

Der tatsächliche Grund, warum Menschen freiwillig massenhaft Gebrauch von derart dubiosen DNA-Screenings machen, liegt womöglich an einer ganz anderen Stelle: Identität und empfundener Verlust derselben. Es geht nicht darum, sich mit Afrikanern solidarisieren zu „dürfen“ oder vom Leben der Vorfahren als Löwenfutter in der Savanne zu träumen, sondern darum, für sich selbst ein zumindest halbwegs unzerstörbares Fundament zu haben, an dem niemand rütteln kann. Die Gene lügen nicht und sind auch nicht den Zeitläuften und Moden unterworfen. Denen kann kein Aktivist mit einer politischen Agenda beikommen, um auch noch diese letzte Quelle der eigenen Identität zu relativieren und für obsolet oder gar schlecht zu erklären. Familie, Nationalität, Sprache, Tradition, kulturelle Identität, Bildung…an all das ist mittlerweile die Axt gelegt, all das wird geschreddert, um als Mulch einer urbanen, größeren, besseren, genderfluiden, neutralen europäischen oder internationalen Identität Platz zu machen. Holz ist Holz, sagen sich die Protagonisten dieser Ideologie. Alle Menschen seien prinzipiell gleich, ein austauschbarer, steriler Mulch, der eher zufällig hier und da die Erde bedeckt. Du bist austauschbar, Europäer, Weltbürger, Soja-Latte-Schlürfer, AirBnB- und Uber-User und dein Amazon-Account kennt jede deiner internationalen Lieferadressen.

Doch während ein gewachsener Baum Schatten wirft, Leben und Struktur hat, liegt der hölzerne Mulch nur gleichmäßig verteilt auf dem Boden herum, behindert das Wachstum jeder Pflanze und bildet einen Untergrund, auf dem es sich nur sehr unsicher gehen lässt. Dafür sieht es überall schön gleich aus. Doch Menschen definieren sich auch über ihre Unterschiede, sie bilden Familien, Gruppen und Nationen und erst danach internationale Gemeinschaften. Nimmt man ihnen das alles weg, um sie zu einem allgemeinen, unterschiedslosen globalisierten Etwas zu verrühren, suchen sie sich die Unterscheidungsmerkmale eben auf der molekularen Ebene – hoffend, dass ihnen wenigstens dies als Verankerung in dieser Welt bleibt. Leider werden sie auch in dieser Hoffnung enttäuscht. Hat Frau Stokowski doch gelesen, dass Mensch und Banane genetisch zu 50% identisch sind. Ich werde daran denken, wenn ich das nächste Mal eine Banane gewaltsam aus ihrer Schale hole – und hoffen, dass die metoo-Bewegung daraus keine 50%ige sexuelle Belästigung konstruieren wird.

Die Indifferenz eines Millennials

Abweichungen vom kosmopolitischen Graubrot kann ein Millennial nur schwer ertragen. Margarete Stokowski gibt sich auch keine Mühe, ihre Verachtung für Menschen zu verbergen, die ihre Vorstellungswelt von hypernationaler Gleichheit in Beliebigkeit nicht teilen. Jene eher „kleinteiligen“ Menschen, die in ihrer Kultur, Herkunft und vielleicht sogar in ihrem Dialekt verhaftet sind, die nicht mithalten können mit den polyglotten Neoeuropäern aus dem Erasmus-Programm, die jeweils einen Koffer in Brüssel, Berlin und Barcelona haben, sind ihr suspekt. Wer sein Töpfchen Seramis in Form von iPad, Cloud und Bahncard50 immer bei sich trägt, vermisst die heimische Erde nicht, die wegdefiniert und für gestrig erklärt wird. Über verunsicherte Menschen, die – ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein – in einer haltlosen Welt nach Halt suchen, und dafür sogar zu solch obskuren Mitteln wie einem DNA-Test greifen, rümpft „Generation Y“ nur das Näschen. Ich stelle diesen Lebensstil nicht in Frage, warum auch, ein jeder lebe nach seiner Fasson. Aber ihn deshalb für maßgeblich und erstrebenswert halten? Eher nicht.

Bleigießen hat die EU ja mittlerweile verboten und deshalb wird der eine oder andere wohl auch weiterhin zum Wattestäbchen greifen, um an Silvester was zum Lachen zu haben oder weil er auf der Suche ist nach Halt in einer Welt, der auch noch die letzten Werte zu entgleiten drohen. Ich für meinen Teil halte es allerdings für sinnvoller, sich von all den Gerechtigkeitsaposteln, Gleichmachern, Nationalitätenabschaffern und Ein-gemeinsames-Europa-Bauern nicht verrückt machen zu lassen, dann braucht man auch keinen DNA-Test, um zu erfahren, woher man kommt. Ein Blick auf Eltern und Großeltern, ein paar Blicke mehr in Bücher, ein offenes Ohr für Musik und ein ebenso offenes Auge für die Welt sollten da genügen. Denn so selbstverständlich und unstrittig es ist, dass ein guter Wein „Terroir“ hat, spielen auch für den Menschen, seinen Charakter und sein Temperament dessen Zugehörigkeit zu Ort, Sprache, Bildung, Eltern, Familie und viele andere Faktoren eine wichtige Rolle. Der Mensch braucht „Erde“, um zu einem starken Baum heranzuwachsen, keinen Rindenmulch vom Welteinheitsgärtner. Die internationale Gleichschaltung und Normierung aller Menschen, die von nicht gerade wenigen Politikern heute herbeigesehnt und angestrebt wird, ist nämlich nicht das Ziel der zivilisatorischen Entwicklung – sie wäre ihr drohendes Ende.

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3 Kommentare

  1. „Hat Frau Stokowski doch gelesen, dass Mensch und Banane genetisch zu 50% identisch sind.“

    Nun ja, das wäre doch zumindest eine plausible Erklärung für die redaktionelle Qualität des SPIEGEL.

  2. Ich bin auf diese Seite ueber Dushan Wegners „Freie Denker“-Linksammlung gestossen. Hier ein Beispiel fuer konkrete Diversitaet (und das ’nur‘ zwischen verschiedenen europaeischen Kulturen) von einem anderen dort aufgefuehrten Blog:

    https://seidwalkwordpresscom.wordpress.com/2018/02/20/ueber-setzen-nach-hamsun/

    Das kennt der in seinen eigenen Augen weltlaeufige und in Wahrheit unfassbar bornierte und beschraenkte „Mulch“ nicht und wird es wohl auch nicht mehr begreifen.

  3. Treffend bemerkt. Den Gründen und Motiven auf den Zahn zu fühlen … das ist die Kunst der Zeit, die dem Rindenmulch widersteht. Mir selbst wäre es kaum in den Sinn gekommen, was da die Menschen bewegt. Ich lebe meinen Gottesglauben, verachte die Masse, glaube nicht an eine Werterrosion in meinem Leben, aber spüre sehr wohl, dass etwas in der Gesellschaft um sich greift, um dann doch unmerklich in den Alltag und die Gefühle einzusickern. ‚Vive la différence‘ – überraschend, was Google da bei dem Motto von Alain de Benoist ausspuckt. Bei einem Text von Dietmar Gottfried auf Telepolis / Heise de bleibe ich hängen. Stets unter Verdacht, doch irgendwie rechts zu sein bleiben seine Ansicht zu de Benost ambivalent. Der kern aber, die Vielfalt zu oben und sich gegen jeden Totalitarismus und Einheitsbrei zu wehren bleibt aber in meinen Augen Menschenpflicht.

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