Ludwig Börne, Gemälde von Moritz Oppenheim, Öl auf Leinwand (1827) Quelle: Wikipedia

Merkels Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten, bei dem es auch um den Fall Deniz Yücel ging, ist leider auch wieder Anlass, in den sozialen Medien gegen diesen auszukübeln. Yücel sei ein Deutschlandhasser, ein Hetzer, ein linker Spinner, ein Opportunist und er solle doch besser im Knast verrotten – solchem Ansinnen muss ich entschieden widersprechen. Nein, er muss freikommen! Am besten sofort. Ich erkläre, warum.

Ludwig Börne, einer der revolutionstrunkenen und radikalen Intellektuellen des jungen 19. Jahrhunderts, antwortete einst auf die Frage, ob man die Franzosen nicht für Besetzung des Rheinlandes begeistern solle, damit dieses dem Zugriff restauratorischer deutscher Fürsten entzogen sei und der Revolution so ein guter Start verschafft werden könne. Börne sinngemäß: „Nein, ganz Deutschland muss es sein und es muss ganz bleiben. Kein Dorf, kein Haus und nicht einmal einen Pisspott werde er hergeben, diese Revolution müsse eine deutsche und unteilbar sein.“ Aber einige der ärgsten Widersacher und Royalisten, riefen Börnes Gesprächspartner im Scherz, wenigstens die könne man den Franzosen doch getrost überlassen. Börne erwiderte erneut „Nein, auch diese Pisspötte gebe ich nicht her! Deutschland wäre nicht komplett, wenn auch nur ein Pisspott fehlte.“

So möchte ich es nach Börneschem Vorbild auch gern mit Deniz Yücel halten. Er ist einer, dessen Oevre mir nicht schmecken mag, dessen Kritik jedoch auch oft in Wunden bohrt, die leider schon schwärten, bevor er zur Feder griff. Dieser Artikel zeigt deutlich, was ich meine. Inhaltlich nehme ich ihm hierin zwar übel, was er über Deutsche und die deutsche Sprache sagt, weil diese mir sehr angelegen ist. Sein Wortwitz jedoch, sticht: Denn halbe Sachen waren nie deutsche Sachen („totaler Krieg“, „Vollkornbrot“)“. Mit anderen Worten: Yücel mag ein Pisspott sein, aber er ist unser Pisspott und deshalb gehört er nicht in ein türkisches Gefängnis, sondern hinter einen deutschen Schreibtisch, wo er gefälligst Artikel verfassen soll, für die ich ihn mit Zorn und Spott überziehen kann. Solange er in einem türkischen Gefängnis sitzt, ist mir das nicht möglich. Da muss man schon mal konsequent sein und Prioritäten setzen.

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34 Kommentare

  1. Wunderbare Worte von Herrn Börne. Ich musste lachen und bin sehr beeindruckt von dieser Klarheit.
    Das muss ich mir merken.
    Vielen Dank, Herr Letsch. 🙂

  2. Ahhh, ich hätte mir damals im Falle Salman Rushdies eine solche öffentliche Diskussion gewünscht!

    Dieses ewige Wegschauen, Weghören, Weginterpretieren, und physische Wegducken, der westlichen Kultur/Gesellschaft ist nur noch erbärmlich.

  3. Ist doch an sich lustig und für „unseren Landmann“ Yücel ziemlich peinlich, dass ausgerechnet der Staat, den er so hasst, ihn nun aus dem Knast geholt hat…..hihihihihi…gib Küsschen Yücel!

  4. Wie man Herrn Y. Auslassungen auf sozialem Medium entnehmen darf („…bei Freunden…“), scheint er seine Rückkehr nach „Schland“ wegen des auf ihn wartenden Erdogahn-Fanclubs einstweilen ausgesetzt zu haben. „Wir sind’s zufrieden.“ (Schiller, Die Räuber) Einstweilen, man kann nicht alles haben.

  5. Ich glaub, ich bin irgendwie falsch augegleist. Yücel saß doch nicht wegen Journalismus oder einer „Meinung“ im Knast, sondern weil ihm vorgeworfen wird, mit linksextremistischen Terrorgruppen, unter anderem der PKK, zusammengearbeitet zu haben.

    Die Anklage wurde erhoben. Er kam auch nur aus der Untersuchungshaft. Vorhin hieß es, er habe Deutschland verlassen. Es besteht also Fluchtgefahr. Möglich dass er zwischenzeitig trotzdem vorbeischneit, weil der ja so hoch im Kurs unserer Eliten steht, dass seine Auslieferung vielleicht trotz Schuld nicht wirklich droht.

    Jedenfalls versteh ich nicht, was das mit seiner Meinung über Deutschland oder die Türkei zu tun hat.

    • Nein.
      Yücel saß im türkischen Gefängnis, weil er den Sultan Erdogan kritisiert hatte. Jeder in der Türkei, der das tut, wird als Terrorist (PKK usf.) und als Beleidiger des Türkentums verurteilt. Mit Tatsachen hat das nichts zu tun – es sei denn, Sie wollten glauben, dass in türkischen Gerichten IRGENDWAS mit Tatsachen zu tun habe.

      Yücels deutsche Meinung über Deutsche hingegen ist Meinungsfreiheit. Die hier NOCH gilt. Hingegen in der Türkei gilt sie nimmermehr, weswegen dort einer als Terrorist verurteilt wird, bloß weil er die Obrigkeit kritisiert.

      Extra simpel und extra superklar erklärt, damit Sie es verstehen. Aber ob, darin bin ich selbstverständlich pessimistisch, aus gegebenen Anlässen.

  6. OK, er ist „unser Pisspott“. Ich denke, die größere Strafe für Deniz ist es wirklich, in Deutschland ein deutscher Pisspott zu sein, als in der Türkei als Türke im Gefängnis. Allah ist weise und gerecht! Auf Deutschland und seine Pisspötte nen Hallermarsch (ja, verspätet).

  7. Meinungsfreiheit ist nicht relativierbar. Ich fand seine Sarrazin-Äußerungen respektlos. Aber das hat etwas mit fehlender Kinderstube zu tun, die er vielleicht nicht gehabt hat.
    Ansonsten darf es in keinem Regime der Welt sein, dass man wegen seiner geäußerten Meinung in einem Knast sitzen muss. Leider gehören zu diesen toleranten Staaten weder die Türkei noch Deutschland. Darüber sollte man mal nachdenken!

      • …und genau gegen solche verbalen Entgleisungen, die man einem professionellen Journalisten nicht durchgehen lassen darf, kann man nur anschreiben, wenn der Verfasser in Freiheit ist. So weit ich das überblicke, darf Yücel die Türkei aber nicht verlassen und die Anklage steht nach wie vor. Für ein Fazit ist es also noch zu früh.

        • Roger!, was ist mit David Britsch passiert? Der durch die Türkei fuhr, um nach Israel zu gelangen, und der wegen irgendwas eingesperrt worden ist, vor ca. einem halben Jahr.
          Ist er noch im Gefängnis?

        • Mein Cousin ist frei. Zur Präzisierung: Er war nicht gefahren, sondern ist als braver Pilger gelaufen – er war zudem wegen nix eingesperrt worden ( Deshalb 9 Monate Abschiebezentrum und nicht Normalknast) und ist zum Glück Ende Dezember freigekommen .

        • Nachdem ich nur etwas querlas, was Herr Yücel so über die Zeit verteilt von sich gegeben hat, bleibt bei mir keine Unze Respekt für seine Meinung – und wie er sie ausdrückt – übrig. Von mir aus kann er daher seine Meinung gerne genau dort archivieren, wo die Sonne niemals scheint.

          Es MUSS ihm allerdings unbenommen bleiben, seine pubertären Wortunfälle frei äussern zu können.

    • Ich gönne Herrn Y. seine Meinung und deren Äußerung ohne Einschränkung. Es muß aber die Frage erlaubt sein, ob man für einen solchen Deutschenhasser bei der türkischen Regierung antichambrieren muß, wenn ihn sein Doppelpaß bei Eskapaden in seiner Lieblingsheimat vor den dortigen Kadi bringt.

      Aber so wie es scheint, entsteht da eine neue HIAG, pardon Achse Berlin-Ankara. Die Kartoffeln kriegen ihren Krawallschreiberling wieder, der ihnen regelmäßig mit seinem Griffel die Gesichter in den Straßendreck drückt, und der Kalif vom Bosporus erhält Nachschub und Aufrüstung für seine deutschen Leopard Panzer, von denen ihm bei seiner völkerrechtswidrigen Exkursion nach Syrien die dortigen Kurden bereits 30 Stück mit Mann und Maus abgeschossen haben. Soist beiden Seiten gedient.

  8. Ihren Vergleich Yücel und Pisspott finde ich gelungen.
    Die Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. (Aber er muss immer kein Deutscher sein.)

  9. Vielen Dank für Ihre feinfühligen Worte, sie haben mich zum Nachdenken gebracht.

    Von mir aus könnte dieser widerliche Deutschland-Hasser in Erdogans Kerkern verrotten – who cares?
    Doch Sie haben Recht und ich habe festgestellt: er ist es ja gar nicht, auf den ich sauer bin. Es sind seine Leser, denen meine Wut gilt, diese dekadenten deutschen Idioten, die solche Ergüsse lesen und damit sein unseliges Schreiben überhaupt ermöglichen. Und diese Leute leben weiter hier, sie sind es, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Ob dieser Widerling nun in unserem wunderschönen Land lebt oder in der Hölle schmort, ist daher von ‚Sack Reis‘-Bedeutung.

    P.S.
    Wie ich gerade auf Won gelesen habe, ist Ihr Wunsch umgehend in Erfüllung gegangen und der türkische Diktator hat diese deutschhassende Type heute freigelassen. Es schaut so aus, daß Sie, roger, ein Medium sind, welches alle Wünsche wahr werden lassen kann. Dürfte ich Sie deshalb ausgegebenem Anlaß bitten, Merkel sofort in die Hölle zu wünschen, für immer und ewig! Und kommen Sie mir nicht mit irgendwelchen humanitären Floskeln, davon bin ich in diesem Leben ausreichend bedient worden :-).

  10. Ich denke, dass unrechtes Handeln immer unrecht ist. Egal,ob es den ungeliebten Meinungsgegner, oder den Gesinnungsbruder betrifft. Wer sich für Recht und Gerechtigkeit einsetzt, muss wie die berüchtigte Justitia blind vor der Person sein. Darum ist Yücel natürlich freizulassen. Irritierend nehme ich lediglich zur Kenntnis, dass das Schicksal anderer in der Türkei inhaftierter völlig aus dem öffentlichen Interesse fällt, auch wenn dies ebenso unrecht ist.

  11. Hier sind wir geteilter Meinung. Ich halte Herrn Y. für einen türkischen Rassisten, der für Deutschland und Deutsche nichts als Verachtung und Hohn übrig hat, und dem man die deutsche Staatsbürgerschaft wie eine billige Payback Karte aufgedrängt hat. Der ist noch nicht mal in der deutschen Pisspottkategorie. Sein Wegbleiben bedeutet für dieses Land keinen Verlust, im Gegenteil.

    • Ja, das sind wir dann wohl mal. Doch wie man sieht, verschafft mir dieser Text auch Prügel auf der Seite der Yücel-Fans – was ich ehrlich gesagt putzig finde. 😉
      Die Doppelpass-Möglichkeit ist ja ein Angebot, dass sich die Bundesregierung ausgedacht hat. Wie sinnvoll dies ist, sei mal dahin gestellt. Viele Israelis zum Beispiel haben einen zweiten Pass, den sie gewissermaßen im „Fluchtkoffer“ haben, falls es zum Äußersten kommen sollte. Ob Yücel eine seiner Staatsbürgerschaften als Fluchtmöglichkeit ansah, oder es letztlich doch nur um Bequemlichkeit ging (was ich auch nachvollziehen kann), wird er uns vielleicht mal mitteilen. Angebote, die gemacht werden, werden eben genutzt. Für die Doppelpass-Option sollte deshalb die Bundesregierung Rede und Antwort stehen, nicht diejenigen, die diese Option nutzen.
      Letztlich hat sich Yücel auf beiden Seiten Feinde zusammengeschrieben und sehr wahrscheinlich erkannt, dass die Idee, sich „das Beste aus beiden Welten“ zu nehmen, nicht funktioniert. Nicht mit einer Türkei, wie sie heute existiert. Ich bin schon neugierig auf seinen ersten Text, den er schreibt, sobald er wieder in Freiheit ist.

      • Wetten, dass darin was von ähmm Rassisten, nein, hm oder doch?, aber in jedem Fall was von deutschen Rechtsreaktionärdreiviertelnazikonservativen stehen wird, deren Opfer er sei?

  12. „Inhaltlich nehme ich ihm hierin zwar übel, was er über Deutsche und die deutsche Sprache sagt, weil diese mir sehr angelegen ist.“ Ich bin Ihnen sehr dankbar für diesen Satz, denn er macht, ohne dass sein Verfasser es beabsichtigte, deutlich, warum Yücel nach Ansicht nicht weniger Zeitgenossen „doch besser im Knast verrotten“ soll: Denn einen solchen, vor inhaltlichen wie sprachlichen Fehlern strotzenden Satz würde man von ihm nie lesen, denn er beherrscht ohne Integrationsprobleme die deutsche Sprache weitaus besser als alle, denen sie nur „sehr angelegen“ ist. Er ist die personifizierte narzisstische Kränkung ihres Platzanweiserdenkens.
    Übrigens muss das letzte Wort im drittletzten Satz „will“ heißen, nicht „kann“.

    • Wer sich, wie Sie, auf ein derart hohes Podest stellt, sollte schon fehlerfrei schreiben können.
      Weshalb sich Herr Yücel durch gute Beherrschung der deutschen Sprache das Recht erworben haben soll,
      sich auf derart herablassende Weise über das Land und seine autochthone Bevölkerung zu äußern, die ihm offenbar Grund genug war, sie zu seiner Heimat zu machen, erschließt sich mir nicht. Das bedeutet selbstverständlich nicht, die offenbar unbegründete Inhaftierung in der Türkei nicht zu kritisieren.

    • Hi Tommie, interpretiere ich das richtig, dass du dich vorzüglich in den Inhalten von Pisspötten suhlst, wenn nur das Odeur stimmt? (Würde meine Einschätzung über die Vorlieben gothascher Exen bestätigen.) Hast du da bezüglich Geruch und Geschmack bestimmte Präferenzen? Vielleicht ’ne ausgeprägte Phenylketonurie?
      Oder muss ich annehmen, dass dir da jede olfaktorische Perzeption abgeht und nur die Farbe relevant ist? (Hmm, selektive Anosmie? Das könnte dann auf eine neurodegenerative Problematik hinweisen. Nimm das nicht auf die leichte Schulter!)

      Na, egal. Hoffen wir mit Roger Letsch, dass der Pisspott bald wieder in Freiheit stinken kann. Nicht, dass ihm in Erdogans Gästesuite noch ein Schlaganfall den Rest gibt, … oder so …

    • Weder Zorn noch Spott bedürfen der Zustimmung des Adressaten, werter Herr aus Gotha. Ihr Korrekturbegehren ist somit abgelehnt. Es fehlt ihnen die Kompetenz, hier Forderungen zu stellen.

      • Ja, zumal der Gothische selbst so ledern und grau schreibt wie eh und je. Es liegt wohl an der Oberlehrerseele, und daran, dass die immer extremistisch ist. Er kann nirgendwo jemanden ausstehen, auf einne extremistische Art und Weise nicht, aber es sollte trösten, dass er sich selbst noch etwas weniger ausstehen kann.
        Warum nicht: Weil er als Extremist überhaupt nix zustande kriegt. Das wurmt ihn natürlich.
        Und darin hat er Recht.
        Woanders aber nie. Ach.

    • @Thomas ex Gotha: „Denn einen solchen, vor inhaltlichen wie sprachlichen Fehlern strotzenden Satz würde man von ihm nie lesen, denn er beherrscht ohne Integrationsprobleme die deutsche Sprache weitaus besser als alle, denen sie nur “sehr angelegen” ist.“

      Klasse, Herr ex Gotha! Dann kann Yücel Ihnen doch Unterricht geben, wenn er wieder in Deutschland ist.
      Oder beziehen Sie Ihre einzigartige Sprachkenntnis lieber aus dem „Fernseh“?

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