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Anmerkung des Autors: auf der rechten Seite sehen Sie NICHT die AfD, auf der linken NICHT Jakob Augstein

Liest man Jakob Augsteins aktuelle Kolumne bei Spiegel Online könnte man anfangs glauben, er gehe den Linken von der Fahne. Doch er macht nur einen auf „Daniel“ und menetekelt den Deutschen was ihnen blüht, wenn sie vom rechten, also dem linken Weg abkommen. Eine Revolution von rechts rolle in Gestalt der AfD auf uns zu!

Nun sammeln sich in der AfD Populisten, enttäuschte Linke, enttäuschte Rechte, Protestierer, Karrieristen, kluge, dumme und Durchschnittsleute. So gesehen unterscheidet sich die AfD in ihrer Zusammensetzung nicht wesentlich von anderen Parteien in Deutschland. Im Gegensatz zu den Regierungsparteien, die zumindest gelegentlich versuchen, sich nicht gegenseitig ans Bein zu pinkeln und den sogenannten Oppositionsparteien, die sich als gefühlte Regierungsparteien aufführen und lieber der APO ans Bein pinkeln, stellt die AfD aber die eine Frage, welche sich weder CDU, SPD, Linke noch Grüne zu stellen wagen: „Wollt ihr uns verarschen?“. Das ist auch schon ihr ganzes Programm, von Revolution keine Spur. Es sollte also eigentlich leicht sein, mit dieser Partei fertig zu werden – man muss nur die eine Frage ehrlich beantworten. Darauf warte wohl nicht nur ich bisher vergeblich.

Mir ist ja schleierhaft, wo Journalisten wie Politiker den Optimismus hernehmen, ein mieses Wahlergebnis wie das bei der Kommunalwahl in Hessen zur „Warnung“ herunterzuspielen. Ähnlich wie der Schwarze Ritter aus „Die Ritter der Kokosnuss“ sprechen sie von Fleischwunden und weigern sich, die Realität zu sehen. Der Realitätsverweigerung unserer politischen Klasse ist der derzeitige Zustand unserer Demokratie zu verdanken. Der Prozess ist schleichend und zum Glück noch nicht ganz abgeschlossen. Wir haben die Zeichen gesehen, aber nicht verstanden. Von einer „Fleischwunde“ sprach schon Gerhard Schröder, als er nach verlorener Wahl im Fernsehstudio verkündete, die SPD sei noch stärkste Kraft. Die FDP fühlte sich auch eher ermahnt als zerlegt, als sie aus dem Bundestag flog. Die CDU und ihre Schwesterpartei SPD müssen dem unwilligen Volk den Kanzlerinnenkurs nur besser und häufiger erklären, dann werden wir ihr schon folgen, nicht Ernstes also! Alles nur Fleischwunden. Die Treffer dieser Gefechte lassen aber auch diejenigen bluten, die das Schwert nicht gezogen haben. Erklären Sie doch zum Beispiel mal den Eltern von Schülern die Unterrichtsausfälle, weil Personal für Deutschkurse für Migranten abgezogen wird. Viel Spaß an der Basis, Herr Augstein!

Aber weil er das Schwert schon mal in der Hand hat, teilt Augstein kräftig aus. Der Kapitalismus, die Neoliberalen, Donald Trump, Frauke Petry, die 400 reichsten Amerikaner…alles blubbert zu einem bunten und weder nach Suppe noch nach Seife schmeckenden Eintopf in Augsteins Ideologiekessel. Alle Zutaten für sich genommen haben einen hohen Informationsgehalt. Rührt man aber alles zusammen, kommt leider nichts Sinnvolles dabei heraus. Was mit dem Ergebnis seiner Kochkunst am Ende passieren soll, lässt Augstein offen. Wieder einmal. Ich wäre ja dafür, die Grütze wegzukippen.

Leider vergisst er nämlich zu bemerken, dass es ausgerechnet die deutsche Wirtschaft ist, die trotz, nicht wegen fehlgeleiteter Politik immer noch für Staatseinnahmen, Jobs und halbwegs funktionierende Sozialsysteme sorgt und auch den Staat ernähen muss, den Herr Augstein gern vergrößern möchte. Nicht von „Vater Staat“ kommt das Geld, dass wir für Bildung, Gesundheit, Verteidigung, Sozialstaat und Entwicklungshilfe ausgeben können. Es kommt aus der Wirtschaft und von den Menschen, die in Industrie, Handwerk, Handel und Landwirtschaft arbeiten. Der Kapitalismus mag krank sein, wie Augstein lapidar feststellt. Aber der Kapitalismus war noch nie wirklich gesund und ich kenne niemanden, der solches behaupten würde. Wir sollten uns also um seine Pflege kümmern, denn „Irgendjemand“ wird das nicht machen. Wenn ich Sie so lese, Herr Augstein, frage ich mich, wo Sie eigentlich beim Schreiben sitzen. Es muss ein besonderer Ort sein, weit außerhalb des Kapitalismus. Ganz so, als wären Sie nicht auch ein Teilchen dieses Systems – ein privilegiertes noch dazu (was ich Ihnen natürlich von Herzen gönne).

Sie zitieren den Paritätischen Wohlfahrtsverband, der in seinem neuen Armutsbericht feststellte, dass „15,4 Prozent der Deutschen unterhalb der Armutsschwelle leben. Das sind mehr als zwölf Millionen Menschen.“ Das ist richtig, und richtig übel ist es auch. Eine Äußerung der Krankheit, ein Symptom. Aber ganz am Ende Ihrer Kolumne schreiben Sie auch „Mit Flüchtlingen hat das alles überhaupt nichts zu tun“. Wenn also, was anzunehmen ist, die 1,5 Millionen Geflohenen noch zu den zwölf Millionen dazu kommen, bedeutet das was? Nichts? Ich glaube es war Franz Joseph Strauß, der einen kausalen Zusammenhang zwischen Dyskalkulie und einer bestimmten politischen Gesinnung zu erkennen glaubte. Ich würde sowas natürlich nie tun!

Die Neoliberalen sind schuld!

„Es waren Politiker und Medien der sogenannten „Mitte“, die dem Neoliberalismus Beifall gespendet haben, während er die westlichen Gesellschaften zersetzte. Jetzt tun sie sich schwer, ihren Irrtum zu erkennen.“ Das nenn‘ ich dreist, Herr Augstein! Aber „Zersetzung“ finde ich kreativ. Mit diesem Begriff wurden schon DDR-Oppositionelle gekennzeichnet, wenn man begrifflich Tatsachen schaffen wollte. Es ist aber nicht der Neoliberalismus, wo auch immer Sie den in Deutschland überhaupt zu sehen glauben, der Deutschland und die EU gerade in die Seife reitet. Nicht der Neoliberalismus rettet Banken und Pleitestaaten um jeden Preis, nicht der Neoliberalismus gefährdet durch besinnungsloses staatliches Geldausgeben oder bedingungslose Migration den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Es mag neu für Sie sein, aber es ist der Liberalismus (der neue und der alte) der sich für einen handlungsfähigen Staat einsetzt. Handlungsfähig und effizient, nicht ein frei schwebender, übergroßer Zeppelin über den Köpfen der Bürger, der alle vier Jahre zum Tanken beim Wähler vorbeischaut und sonst weit weg von der Realität über Berlin und Brüssel seine Runden dreht. Frau Merkel macht keine neoliberale Politik, Frau Merkel macht linke Politik, egal, wem sie sonst auch „applaudieren“ mag. Die Wähler wenden sich von den „etablierten Parteien“ ab, weil sie überall dort nur noch linke Politik bekommen. Keine „Mitte“ mehr zu sehen. Der konservativste Politiker in diesem Land ist derzeit ein Grüner aus dem Ländle, das muss man erst mal im Kopf verschraubt bekommen! Schieben Sie also linkes Versagen nicht ausgerechnet den Neoliberalen in die Schuhe.

Womit füllen wir also die Gerechtigkeitslücke, die Herr Augstein völlig zurecht diagnostiziert? Frau Kipping von der Linken würde sagen „mit Geld“, irgendjemandes Geld. Frau Göring-Eckardt von den Grünen würde sicher was mit „verteilen“ sagen. Frau Merkel würde vielleicht ihre Raute formen und irgendwas sagen, das nach „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ klingt. Ich würde es ja mal mit Realität versuchen. Auch mit der Realität, dass sich die „sogenannten etablierten Parteien“ selbst demontieren können, wenn sie die Realität nicht erkennen. Leider brauchen sie dafür derzeit weder Jakob Augstein, noch die AfD.

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