Wenn die Energiewende eine Partei wäre, dann natürlich die Grüne. Wäre sie eine Lobbyorganisation, hieße sie „Agora irgendwas“ und als Person würden wir sie einfach Claudia nennen. Claudia Kemfert, Professorin beim DIW und omnipräsentes Wind-und-Solargesicht der Branche. Gelegentlich presst Frau Kemfert ihrer Ideologie einige Zeilen ab, um dem kleinen Bürgerlein „da draußen“ mit einfachen Worten zu sagen, dass man die Energiewende besser Experten wie ihr überlassen möge, damit planvoll Gutes entsteht. Kemfert steht wie niemand sonst in der Claque für einen Sonne-Wind-Maximalismus des „alles und sofort“. Sie glaubt auch, wir hätten jetzt schon Stromspeicher „haufenweise“. Diesmal lesen wir Kemferts Gedanken seltsamerweise nicht offen in Welt, Zeit oder der ARD, sondern hinter der Bezahlschranke im „Freitag“, dem sie ein Interview gab. „Uns wurden Lügen aufgetischt“ titelt es uns entgegen und der Leser reibt sich verwundert die Augen. Lügen? In der Energiewende? Kann das denn möglich sein? Hat Claudia Kemfert im letzten Moment die Seiten gewechselt und hält ab sofort kritische Vorträge bei EIKE? Sehen wir mal nach…

„Der Freitag“ hat Pepe Egger die Aufgabe übertragen, Kemfert zu interviewen, also jemandem, der durchaus andere Maßstäbe an das Gebaren von Aktivisten und Politikern anlegt, wenn deren Ziele nur die richtigen sind – also der Klimarettung dienen. So neulich auch in der Causa Graichen. Eine Schwäche hätten sie da vielleicht, die Grünen, so schreibt er. Das sei doch aber kein Filz! Für Kemfert, die großen Wert auf ihren Expertenstatus zu legen scheint, legt Egger sofort den roten Teppich aus. Er wirft Wattebäuschchen, sie lässt sich zu ihm herab. Der Freitag säuselt:

„Energieökonomie, das ist normalerweise was für Eingeweihte und Spezialisten, es geht da um Sachen wie die Bilanzkreisabrechnung Strom oder die Merit Order des deutschen Kraftwerkparks.“

Anlass des Gesprächs ist vordergründig Kemferts neues Buch „Schockwellen“, welches jedoch keinesfalls eine Generalabrechnung mit der Energiewende ist, sondern ein besserwisserisches „zu wenig, zu zaghaft, zu langsam“, also ein einziges Lamento über „verpasste“ Gelegenheiten, blindlinks in die eine oder andere energetische Sackgasse zu rennen.

Der Freitag: „Frau Kemfert, Sie versuchen, die Irrtümer und Irrwege der deutschen Energiepolitik der letzten Jahrzehnte aufzuarbeiten, also all die Entwicklungen, die zur Gaskrise geführt haben, in der wir immer noch stecken.“

Der Rollenwechsel ist bereits in der Frage vollzogen. Von der Vordenkerin (manche würden sagen: Einpeitscherin) der Energiewende zur Chefermittlerin eines verunfallten Großprojekts, die nun aufzuarbeiten hat, was andere verbockt haben. Dabei passt zwischen Kemfert und die politischen Fehlentscheidungen der letzten Dekade kein Stromablesezettel.

Die Hätte-Kette

Doch in Kemfert steckt eine Rebellin und die will nun raus. Und der Freitag macht den Weg frei: wer hätte denn all das ahnen könne, den Krieg, dass Putin seine Rohstoffe als Waffe einsetzt, dass wir uns in Abhängigkeiten begeben…natürlich Kemfert!

„Wir hätten wissen müssen, dass uns die Abhängigkeit von einem Lieferanten und die Abhängigkeit von fossilen Energiequellen erpressbar macht. Ich persönlich, aber auch viele andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben in Studien und durch öffentliche Stellungnahmen immer wieder gewarnt, dass wir die Nord-Stream-Pipelines bauen – aufgrund von künstlich hoch gerechneten Gasbedarfen, für die es keine Grundlage gab.“

Wir lernen: wenn wir nur gleichzeitig und zügig aus allen fossilen Energieträgern und der Kernenergie ausgestiegen wären, säßen wir jetzt im Energieparadies. Und zwar ganz ohne Abhängigkeiten, denn die Rohstoffe, aus denen Windräder, Solarzellen und Wärmepumpen gebaut werden, bestellen wir bei Wish und Lieferando! Nur leider… die „fossile Lobby“, die in allen Bundesregierungen sitzt, wollte es anders, so Kemfert.

Der Freitag: „Wie war das möglich?“

„Uns wurden Lügen aufgetischt, ganz einfach. Die Realität wurde verweigert, Erkenntnisse unter den Tisch gekehrt. Ich habe mein Buch geschrieben, um die Verantwortlichen für diese Entwicklung zu benennen: Also diejenigen, die sich für fossile Abhängigkeiten eingesetzt haben, weil sie daran verdient haben, und diejenigen, die zugleich die Energiewende ausgebremst haben, obwohl sie uns von fossilen Energiequellen unabhängig gemacht hätte. Es sind mehrere, aufeinander folgende Regierungen, die dafür verantwortlich sind. Es ist die Industrie, also bestimmte Unternehmen, die uns sehenden Auges in diese Misere geführt haben. All diese Verantwortlichen haben sich bis heute nicht entschuldigt. Die Bevölkerung zahlt jetzt einen gigantisch hohen Preis dafür.“

Moment mal! Wer hat gelogen? Hätten wir die vielen Gaskraftwerke gar nicht gebraucht, mit denen der volatile Solar- und Windstrom geglättet werden muss? Die Beschuldigten reiben sich gerade verblüfft die Augen. Dreht die Schildmaid der Energiewende gerade Ursache und Wirkung um? Sicher, die Beschaffungskosten für Gas, dem nie genannten Zwilling von Solar- und Windstrom, sind durch den Krieg noch weiter gestiegen, was den ohnehin hohen Strompreis befeuert. Kemfert behauptet jedoch, Energie wäre heute viel billiger, wenn wir nur ganz auf „fossile“ verzichten würden. Selbst die Grünen, die der verblendete Wähler in die Exekutive gebracht hat, müssen am Ende der physikalischen Realität einen Spalt breit die Türe öffnen und die Backups ihrer „Erneuerbaren“ teilweise mit Gas zu betreiben – und sei es mit russischem Gas, das heute in Form von LNG zu uns kommt, nachdem es vorher durch genug Hände und Taschen gegangen ist und „gereinigt“ wurde. Warum nur versucht Kemfert gerade, selbst Habeck noch an Eifer zu übertreffen? Doch dann bemerkte ich im Interview diesen kleinen Wortwechsel und es fiel mir wie Schuppen von den Augen:

Freitag: „Hört man jetzt auf Sie?“

Kemfert: „Nein.“

Freitag: „Echt nicht?“

Kemfert: „Im Gegenteil.“

Zu kurz gekommen

Ich verlasse hier den Boden gesicherter Erkenntnis, denn Frau Kemfert spricht es an keiner Stelle laut aus: sie fühlt sich einfach zu kurz gekommen in der Ampelregierung! Jahrelang tingelte sie als Expertin durch sämtliche Mainstream-Medien und ruft „Sektorkopplung“, „virtuelle Kraftwerke“, und „die Energiewende gelingt“ und dann springt für sie nicht mal ein Posten als Staatssekretärin heraus! Sie geht leer aus, obwohl sie mit jedem grünen Parteikader per Du ist. Dabei läuft sie sich seit mehr als zehn Jahren warm für Regierungsverantwortung und taucht in Schattenkabinetten aller Couleur auf. Erst 2012 bei Norbert Röttgens (CDU) in NRW, dann neben Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) in Hessen. Doch es nützte alles nichts. Immer „Expertin“, nie Ballkönigin! Die politische Flexibilität und das fehlende Parteibuch verschafften ihr noch immer keinen Zugang zum grünen Wirtschaftsministerium. Man hört ihr nicht zu, sucht ihren Rat nicht, den familiären Verbindung in der Agora-Welt hat sie nichts entgegenzusetzen.

Sie redet vom „Shitstorm“, den ihr Buch ausgelöst habe und behauptet, der sei die Rache dafür, dass sie es schrieb. Das klingt seltsam, weil es unterstellt, das Buch enthielte Substanzielles, etwas, das Kritikern oder Herolden der Energiewende bisher entgangen sei. Doch das Buch ist vielleicht selbst nichts anderes als die versuchte (und missglückte) Rache an jenen, die Kemferts Rat schneiden und ihr einen Platz an den (freilich veganen) Fleischtöpfen der Macht verwehren. Dann lieber aussteigen aus dem großen, stotternden Elektrobus namens Ampel und von der Seitenline aus halb resigniert, halb hoffnungsvoll der Energiewende beim Scheitern zusehen.

Denn hätte man auf die Claudia gehört und die große Transformation noch härter, noch schneller und noch faktenferner durchgezogen, wäre sie sicher gelungen! Warum also mit Habeck und Co. untergehen, wenn am Horizont schon die nächste Regierung erkennbar wird? Ein grünes Parteibuch könnte schon bald sehr viel weniger wert sein als heute und mit ihr als Staatssekretärin oder gar Energieministerin kann die nächste Energiewende – diesmal natürlich die richtige, die totale – nur gelingen! Ob zum Beispiel der Merz der Kemfert eine solche Dolchstoßlegende abkaufen würde? Viel Glück beim nächsten Mal, Frau Kemfert! Und noch mehr Glück uns allen, wenn sie es eines Tages bis an die Hebel der Macht schaffen sollte…

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6 Kommentare

  1. Frau Kemfert ist den Grünen, wie viele in Deutschland, auf den Leim gegangen. Den Grünen- Politikern, und zwar denen, die an der Macht sind, oder denen, die es noch wollen, ging es nie um den Ersatz fossiler Kraftwerke durch Flatter-Kraftwerke. Der einzige Gegner seit 40 Jahren waren die „Atomkraftwerke“, korrekt sollte man sie als Kernkraftwerke bezeichnen, nuclear power plants in Englisch. Nur darum ging es den Grünen in D, CH und A. In diesen Ländern herrscht eine weitverbreitete, völlig übertriebene, absurde, panische Angst vor Allem, was mit Strahlung zu tun hat. Nirgendwo auf der Welt haben z.B wahrscheinlich auch nur annähernd so viele Patienten Besorgnisse, wenn man schlicht ein Röntgenbild erstellen will ( „Muss das wirklich sein?“ Meine Antwort: „Nein, ich will damit nur Geld verdienen.“ ). Das ist die mentale Grundlage, die jetzt zum Erfolg in D führte.
    Die Energiewende ist nicht gescheitert sondern sie ist erfolgreich beendet: Erstens, KKW sind alle abgeschaltet, zweitens, die irren Subventionen für die Flatter-Kraftwerke fliessen auf Dauer fröhlich weiter. Nur das zählt. Das Klima interessiert die Grünen in D nicht und damit haben sie ironischer Weise sogar völlig recht, denn das Klima bedarf keiner Rettung vor dem bösen CO2. Aber das ist eine anderes Thema.
    Alles nur Schau für die nützlichen Idioten. Frau Kemfert war nützlich. Die Klimakleber auch, etc. Von Anfang an war ein massiver Ausbau der Gaskraftwerke geplant. Mit Putin hat man nicht gerechnet, aber es geht ja auch ohne ihn. Auch das Anwerfen der Kohlekraftwerke ist kein wirkliches Problem. Man sieht keinerlei Proteste und Anklebende vor oder an Kohlekraftwerken. Jetzt sind die Grünen an den Fleischtöpfen und siehe da, es herrscht Korruption wie bei allen anderen. Frau Kemfert tut mir trotzdem nicht Leid. Sie verdient es, abserviert zu werden. Da kommen noch mehr nach.

  2. Während Habeck an die Physik knallt, setzt Kemfert noch einen drauf. Anne Will hat sich auch zu einem möglichst schrillen Abgang entschieden. Keiner soll auf die Idee kommen, dass sie irgendwas einsieht. Es geht ja das Gerücht um, dass sie nur aufhört, um der ewigen Klage ihres plastischen Chirurgen zu entgehen, der sich mittlerweile vor seinem eigenen Gesicht fürchtet.

    Was wird nun aus Kemfert? Ich schlage vor, mit Gertrude Höhler an den Broadway zu gehen. Titel: Die Kanzlerberater. Wenn ich so drüber nachdenke, kämen noch mehr Kandidaten für die Bühne in Frage. Der jüngste Bevölkerungsrückgang von New York wäre vom Tisch.
    https://youtu.be/HB4zlQVRaD0

  3. Dieser Freitags-Fritze hat einfach nicht die richtige Frage gestellt. Erneuerbare Energie – jawoll damit hätten wir die Kurve gegraicht eh gekriegt. Mit grüner nachhaltiger Atomenergie wäre uns das nie passiert! Gelle? Frau Kemfert – nicht umfallen, bitte. Wir brauchen Sie. Eine muss doch schuld sein.

  4. Kemfert sollte über ein fehlendes Parteibuch bei Grünen oder SPD inzwischen froh sein. 1943 kursierte folgender Witz in der Bevölkerung: Wer für die NSDAP 5 Mitglieder wirbt darf selbst austreten. Wer 10 Mitglieder wirbt bekommt außerdem eine Bescheinigung, dass er nie in der Partei war.

    • Der ist gut. Sie meinen, die Ratten verlassen das sinkende Schiff? Das Schiff sinkt, aber ob Ratten wie diese omnipräsente, offenbar nicht allzu helle Dame, von der die Rede ist, das sich wirklich merken? Da habe ich meine Zweifel. Und falls das Schiff sinkt: Es wird wieder ein neues gezimmert. Der Kommunismus schien nach seinem Zusammenbruch in Osteuropa und in der DDR auch tot. Und feiert heute fröhliche Urständ. Vermutlich geben die Genossen inzwischen damit an, eine niedrige Nummer im Parteiausweis zu haben. Ist übel aber Realität.

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