Ein halbes Jahr noch, dann braucht man für eine Reise nach London wieder ein Visum – schade, ist aber nun mal so! Die Berichte, die Häme, das süffisante Grinsen, die in deutschen Medien über die stockende Austrittsverhandlungen Großbritanniens und die verhärteten Positionen der EU zu lesen sind, nehmen deshalb aber gerade erst richtig Fahrt auf. Man hofft auf ein Wunder, das Wunder vom Exit vom Brexit und eine britische Regierung, die reumütig zurück in den etatistischen Schoß der EU kriecht. Das wird zwar nicht passieren, aber die Konfliktfelder, die der Spiegel gerade entdeckt, sind schon sehr abenteuerlich – und vor allem sehr weit weg! Anguilla, ein kleines karibisches Überseegebiet der Briten in der Karibik macht den Sturmgeschütz-Kanonieren Sorgen! Trouble in Paradiese! Anguilla könnte abgeschnitten werden von der europäischen Zivilisation, wenn es nicht mehr über den kurzen Seeweg verbunden wäre mit den französischen und holländischen Überseegebieten St. Martin und Sint Maarten, den unmittelbaren europäischen Insel-Nachbarn in der Karibik. Was wäre, wenn der Flughafen auf der Nachbarinsel den Touristen von Anguilla versperrt bliebe? Anders herum könnte man fragen, was aus dem Flughafen würde, wenn er nicht auch Touristen nach Anguilla schaufeln könnte? Haben solche Medaillen nicht immer zwei Seiten und steht tatsächlich in Stein gemeißelt, dass eine EU-Außengrenze für ihre Anrainer prinzipiell ein unüberwindliches bürokratisches Hindernis darstellen muss?

Auch stellt sich die Frage, wer eine solche Isolation will und warum es so kommen sollte, wo doch offensichtlich niemand etwas davon hätte? Kommt hier etwa von Seiten der EU weiteres Erpressungspotenzial ins Spiel? Muss es wirklich so sein, dass es zwischen der EU und ihren Nachbarn in der Welt eine alternativlos „harte Tür“ gibt, von wegen „keine Rosinenpickerei“ und so? Die gern verwendete Metapher vom „Brücken bauen“ scheint gerade in den Brexit-Verhandlungen aus den Hirnen der brüsseler Bürokraten und deutscher Journalisten wie weggeblasen zu sein. Und wer um alles in der Welt mag eigentlich Rosinen?

Von Suriname lernen, wie man Grenzen ignoriert

Schauen wir doch mal knapp tausend Seemeilen südsüdöstlich von Anguilla an einer anderen EU-Außengrenze nach, nämlich einer französischen! Ja, die EU hat in der Tat Außengrenzen in Südamerika: die von Französisch-Guyana zu Brasilien und zu Suriname, letztere verläuft über etwa 300 km entlang des Flusses Maroni. Eine recht lange EU-Außengrenze, die noch dazu eine sehr sehr lockere ist, also im Grunde nicht wirklich existiert. Jedenfalls nicht für die Menschen, die dort auf beiden Seiten des Flusses leben. Es findet problemlos Handel und Austausch statt, man lebt teils innerhalb der EU, teils außerhalb der EU, aber immer ohne die EU. Nun ist Suriname sicher ein Land, dass jede Reise wert ist, aber man muss sich schon fragen, warum zwischen EU-Franzosen in Guyana und Nicht-EU-Surinamern solch ein unkompliziertes Verhältnis möglich sein kann, aber künftig zwischen den Bewohnern des britischen Anguilla und den EU-Holländern und EU-Franzosen der Insel des heiligen Martin zukünftig eine „harte Tür“ errichtet werden muss, wo diese Länder doch auch in Europa direkte Nachbarn auf dem kurzem Seeweg sind? Will da etwa jemand Mauern in den Köpfen errichten, wo bislang kunterbunte Völkerverständigung regiert?

Liebe Unterhändler in Brüssel und liebe Spiegel-Schreiberlinge, findet ihr diese Eskalation und das Herbeiwünschen neuer Brexit-Probleme nicht selbst ein wenig scheinheilig?

PS: Wer mir nicht glaubt, der schaue sich diese Folge der Weltumsegler der „SV Delos“ auf YouTube an, die waren nämlich genau wie die Einwohner vor Ort ganz ohne Schwierigkeiten oder Zollformalitäten an der EU-Außengrenze zwischen Französisch-Guyana und Suriname unterwegs. Informeller Freihandel ohne Handelsabkommen gewissermaßen und beste empirisch-liberale Tradition. Ich hoffe nur, die EU bekommt nicht Wind von den Zuständen dort … es wäre sicher zum Schaden für das Leben der Menschen. Den Briten jedoch könnte ein Hinweis auf die praktische Ausgestaltung europäischer Gesetzestafeln etwas Zucker in den Tee geben.

Vorheriger ArtikelÜbergebt Bayern an Katharina Schulze!
Nächster ArtikelDie „Weltoffenheit“ möchte Zensor der Meinungsfreiheit sein

5 Kommentare

  1. Interessant, dass offenbar, anders als bei den Spanischen Exklaven in Afrika, (noch?) keine Abenteuermigranten diese Grenzen nutzen, um ins Paradies zu gelangen. Jedenfalls ist es gut, dass Deutschland keine Überseegebiete mehr besitzt. Denn ohne Zweifel würden alle, die dort eindringen würden, mit offenen Armen empfangen und per Luftbrücke heim ins Reich geholt.

  2. Thanks Roger. Schadenfreude! Indeed, there is no adequate english translation. First read your article on WO. As a Scot living in Hannover I am fed up having to answer „..und wie stehen Sie zur Brexit?“ But it gets worse when I answer, „absolut dafür!“ Suddenly, interest in the issue dwindles. I can see it coming, hours before the deadline, the German Press will still be showing „crowds“ of people in London demonstrating for the remain campaign. On my recent visits to London these crowds were what I would describe in German as „überschaubar!“ (another German word lacking an equivalent.) Even the slightest Notion that the Brits could suddenly cave in and beg to remain in the EU is just too ridiculous. Good riddance EU I say!

  3. Nach meinem Gefühl ist Deutschland seit der Wiedervereinigung zurückgefallen in die alte preußische Großmannssucht. Die alte BRD hat nie auch nur einen einzigen Schritt getan, ohne ihn mit den vergleichbar großen Ländern I, F und GB abzusprechen.

    Was mir aber besonders weh tut, ist die alte Überheblichkeit. Das Narrativ, dass Briten, Polen und Ungarn alle nur egoistische Rosinenpicker seien, widerspricht in seiner Geisteshaltung diametral jedem Geist der Versöhnung und Zusammenarbeit.

    Freilich haben wir hier bei Lichte betrachte die übliche Projektion der eigenen Schwächen auf den anderen, wie sie auch die Merkelpresse gegenüber Trump betreibt. In Wirklichkeit ist es Deutschland, das zwar am lautesten von europäischen Lösungen spricht, sich dann aber sehr eigenwillig jene herauspickt, welche den Damen und Herren in Berlin genehm sind.

    Insbesondere sind beim EU-Gipfel Ende Juni 2018 die Staaten übereingekommen, eingezäunte Hotspots einzurichten und 90% der Bewerber als nicht asylberechtigt zurückzuweisen. Uneinigkeit bestand nur, ob die Auffanglager in Afrika oder als Transitbereich auf EU-Territorium sein sollten.

    Freilich wurde davon in der deutschen Presse nicht berichtet, und es wurde weiter so getan, als sei professionelle Schleuserei identisch mit Seenotrettung und als gäbe das EU-Recht jedem Dahergelaufenen das Recht, sich erst mal für einige Jahre von uns alimentieren zu lassen – bis sich die Kinder eingelebt haben und eine Abschiebung eine unbillige Härte wäre.

    27 Länder waren sich in der Marschrichtung einig, dass all dies nicht weiter der Fall sein soll. Dennoch erdreistet sich einzig Deutschland, alle anderen als schlechte Europäer zu diffamieren.

  4. Es gibt natürlich ein verständliches Motiv dafür, dass den Briten der Brexit so schwer wie möglich gemacht wird und die heisige Presse so verzweifelt nach jedem kleinen Argument greift, um den hiesigen Lesern einzuhämmern, wie schlimm der Brexit für die Briten werden wird: Ein sich positiv auswirkender Brexit könnte noch mehr Staaten auf die Idee kommen lassen, dass ein Austritt aus der EU-Gouvernance gar nicht schlecht wäre.

  5. Beim Brexit war mir das erste mal aufgefallen, wie hasserfüllt, bösartig, rassistisch und verlogen diese pro-EU-pro-Islam-„Guten“ sind. Ich glaub, die „Lieben“ haben auch seither nichts mehr zu den Inseln verbalisieren können, was nicht auch Hitler himself ins Mikrofon geschrien hätte. Die Guten.

Kommentarfunktion ist geschlossen.