„Jamaika“ ist gescheitert, das hatte ich erwartet. Politiker, denen nach vergeigten Wahlen nie die Worte ausgehen, welche sie dem Wähler vor der Wahl angeblich versehentlich vorenthalten hatten – „wir haben unsere Politik nur nicht richtig erklärt“ – genau diese Politiker müssen nun also feststellen, dass all ihr Eifer, all ihre Volten und Kuhhandel, all ihre selbstgeglaubten Gewissheiten an ihresgleichen abprallen, wenn es um echte Überzeugungen und inhaltliche Unvereinbarkeiten geht. Politikerkollegen erweisen sich in der Realität oft als genauso störrisch, wie die Wähler. Es scheint ihn also doch nirgends zu geben, diesen fabelhaften „Nullpunkt der Ablehnung“, den man nur lange genug mit Wortgirlanden, Glaubenssätzen und „Zukunft, Zukunft“-Rufen bombardieren muss, um aus Ablehnung und Zweifel am Ende zwangsläufig Zustimmung und Gewissheit zu machen.

Aber ist das wirklich was Schlechtes? Ist Demokratie wirklich nur die Kunst, stabile Mehrheiten zu bilden, deren Zustandekommen in Form von Koalitionsverträgen für weitere vier Jahre sicherstellt, dass jeder regulative Unsinn, den die Regierung anzettelt, am Ende mit einer vertraglich schon beim Start zusammengezimmerten Mehrheit verabschiedet werden kann? Meine Haltung zum Modell Minderheitsregierung hatte ich ja vor der Wahl schon deutlich gemacht.

Unser Präsident meint jedenfalls, das könne immer noch klappen, mit den Verhandlungen für Jamaika, weshalb er den Verhandlungsführern sinngemäß zuruft, „Wer sich nicht einigt, hat sich nur noch nicht genug angestrengt!“ Ein Mann des Wortes wie sein Amtsvorgänger ist unser Herr Steinmeier jedenfalls nicht, also möchte er zumindest einer des Machtwortes sein. Der nette Onkel aus dem Schloss Bellevue hat also nach wochenlangen und offensichtlich ergebnislosen Verhandlungen nichts Besseres vorzuschlagen, als weitere ergebnislose Verhandlungen zu fordern? „Kinder, jetzt vertragt euch mal, es geht ums Land!“ Die Wehrpflicht mag in Deutschland abgeschafft worden sein – aber eine Koalitionspflicht, die Merkel die Kanzlerschaft sichert, über die macht der Präsident sich offenbar ernsthaft Gedanken.

Auch ohne Jamaika ist mir nicht bange ums Land

Die Polizei fährt immer noch Streife, die Bäcker schließen morgens ihre Läden auf und Steuerbescheide werden den Bürgern auch weiterhin pünktlich zugestellt. Vielleicht ist es ja keine so schlechte Idee, in Deutschland ein paar „belgische Monate“ einzuschieben, um dem grenzenlosen Gestaltungswillen mancher Politiker einfach mal etwas gelebte Normalität entgegenzustellen. Leben in Deutschland, ohne dass eine „handlungsfähige Regierung“ Tag für Tag dafür sorgt, dass die Sonne gut von Ost nach West kommt? Undenkbar? Nein, Denkbar! Es gibt wichtigeres.

Denn das Leben geht weiter, BER wird auch ohne Regierung nicht fertig und wenn das Brüsseler Bangen um die Führungsmacht Deutschland nicht nur daher rührt, dass derzeit in Berlin kein Ansprechpartner zum Überreichen von Rechnungen benannt ist, nun, Macron passt doch ohnehin viel besser in die Rolle eines Maximo Leader, in solchen Dingen hofft er doch nicht ernsthaft auf Merkels Expertise! Leg’ los, Emmanuel, überrasche uns!

Der aktuelle politische Zustand könnte bei der Erdung helfen, auch in Brüssel, auch bei den Brexit-Verhandlungen. Und bevor Sie, lieber Bundespräsident, den Kontrahenten jetzt „Nachsitzen“ verordnen, sollten Sie vielleicht besser darüber nachdenken, ob die Tatsache, dass manche Parteien in Deutschland derart unterschiedlich sind, dass sie unmöglich eine gemeinsame Regierung bilden können, nicht gerade der Beleg dafür ist, dass wir hier doch noch nicht dazu übergegangen sind, eine Einheitsliste der „Nationalen Front“ zu wählen, auf der die Akteure beliebig mischbar und austauschbar sind.

Die Tatsache, dass eine der verhandelnden Parteien gestern den Mut aufbrachte, den „Luther in Worms“ zu geben, anstatt das Erwartete zu tun und das zu sagen, was viele Medien immer noch für eine gute Idee halten: „Jetzt verhandeln wir schon so lange, da muss einfach was rauskommen.“

Nein, muss es nicht.

 

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3 Kommentare

  1. In diesem Zusammenhang noch eine kleine Medienkritik. (Verzeihung, Roger, die wurde nun doch etwas länger… mea culpa!)

    Da die Geschichte mit dem Koalitionsverhandlungen nach deren Beendigung durch FDP so richtig interessant wurde, registrierte ich mich auf „Welt Online“, um meinen Senf dazuzugeben.

    Politisch kommentieren konnte ich so einiges (einen Tag lang), aber jedesmal, wenn es um Kritik an Frau Merkel ging, passierte KEIN EINZIGER meiner Beiträge die Moderation. Im Kern schrieb ich dasselbe, wie hier gerade in meinem vorherigen Kommentar, nur eben zeitlich verteilt auf mehrere kleine Häppchen. Egal, jegliche Kritik an der Kanzlerin – ganz gleich, ob lang oder kurz – verschwand in einem (Achtung! Wortspiel!) schwarzen Loch.

    Schliesslich wurde es am heutigen Tage geradezu unlustig. Jeder Artikel zum Thema lobte Merkel in den Himmel, und hob hervor, was für tolle Dienste diese Dame doch für das Vaterland geleistet hätte, in all ihren Dienstjahren. Wieder versuchte ich, kommentierend Einfluss zu nehmen, wieder verschwanden alle Beiträge im Nirvana.

    Schliesslich schrieb ich:

    „Ich gebe es für heute auf, gegen dieses uninformierte, hündische, und einschleimende Merkel-Hochschreiben in der WO anzukommentieren. Ich sehe es ein, es ist Zeitverschwendung; die Moderation scheint klare Richtlinien und eine stramme Marschordnung zu haben.
    Immerhin, es gibt ja genügend andere Online-Zeitungen im Land (und Ausland)…“

    Was folgte, war keine Verwarnung, keine 7-Tagessperre, keine Monatssperre, sondern die Löschung des Kontos mit der Begründung: „So etwas wollen wir hier nicht Lesen“.

    Man möchte nun ausrufen:

    „Kein Problem, Welt Online! Euer Blatt, Eure Regeln.
    Aber dann versucht nicht, den Lesern weiszumachen, dass Ihr unabhängigen Journalismus produziert, betreibt, verkauft, und unterstützt. Denn dieses Vorschwindeln von Seriosität, Unabhängigkeit, und Anstand, wird Euch das Wichtigste kosten, was ein Nachrichtenblatt hat, nämlich die Glaubwürdigkeit.“

    Denken wir das einmal etwas weiter. Wenn ich also in Zukunft die SPD kritisieren möchte, dann werden sie in „Die Welt“ alles von mir zu diesem Thema veröffentlichen, aber in „Die Zeit“ würden sie mich für den gleichen Satz Teeren-und-Federn? Im verlotterten Berlin könnte ich im „Tagesspiegel“ (da vom gleichen Kaliber) über die kapitalistischen Unternehmerschweine vom Leder ziehen, wohin gegen der gleiche Text in „Die Welt“ nie das Licht des Tages erblicken würde? Spiegel Online würde mich hingegen wohl hofieren, wenn ich vorschlüge, alle reaktionären, alten Säcke (so wie die von der AfD) in der Elbe zu ersäufen.

    Ist extreme Lagerbildung also die Konsequenz von politscher Berichterstattung? Selbst in einer doch sehr weichgespülten, weitestgehend PC-konformen Gesellschaft, die sich gegen eine bestimmte Wortwahl wehrt, aber – zum Beispiel – mit dem Islam derzeit kein grösseres Problem hat? Oder ist das nur das Resultat von politischer Korrumpierbarkeit?

    Leben wir wirklich in solch irrsinnigen Zeiten, oder bilde ich mir das nur ein?

  2. Das ist eigentlich das erste Mal überhaupt, dass ich Respekt für die FDP habe. Ich hätte vor der Wahl Stein-und-Bein geschworen, dass die FDP alles dafür tut, um wieder an der Regierung beteiligt zu werden. Endlich einmal eine positive Überraschung, das tut richtig gut!

    Merkel hatte die Reaktion der FDP diesesmal sicherlich nicht auf dem Radar. Sie dachte sich wohl, dass die SPD als stärkste Oppositionspartei die AfD „mauert“, und sie somit an dieser Front ihre Ruhe haben wird, während dessen sie den anderen kleinen Parteien nur ein Machtzipfelchen als Köder hinhalten müsste, um damit ihre Kanzlerschaft zu sichern. Sie hat sich völlig verrechnet.

    In Zahlen:

    Die SPD (20,5%) will nicht mehr mit der Kanzlerin eine Regierung bilden.
    Die AfD wollte noch nie mit ihr ins Bett (12,6%).
    Die FDP hat nun auch spontan Kopfweh bekommen (10,7%).

    Summa summarum 43,8% der die entsprechende Wahlbevölkerung vetretenden Parteien weigern sich schlicht und ergreifend, mit Angela Merkel zusammen zu arbeiten. So kann man sie natürlich auch loswerden.

    Bleibt Frau Merkel also nur noch die CSU (unter Seehofer) und die Grünen (die wohl mittlerweile für Alles zu haben sind).

    Viel Vergnügen dann bei den Neuwahlen (falls die SPD nicht doch noch politischen Selbstmord begeht).

    PS: Ich finde es höchst amüsant, dass die „Altparteien“ im Wahlkampf immer nur wie das Kaninchen auf die AfD-Schlange gestarrt haben, und nun so langsam anerkennen müssen, dass SIE SELBST das eigentliche Problem darstellen. Inkompetenz, soweit das Auge blickt.

  3. Jetzt ist die Wahl schon fast zwei Monate her und wir haben nur noch eine geschäftsführende Regierung, aber was ist aktuell anders als in der Zeit davor? Gefühlt nichts – haben die vorher auch nichts gemacht? Scheint so…

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