Ein wichtiges äußeres Merkmal einer Demokratie sind Wahlen, das weiß ja jeder. Allgemein, frei, geheim, fair…so sollen sie sein. In Deutschland kann man davon ausgehen, dass wir unsere Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahl einigermaßen korrekt über die Bühne bekommen. Auch sonst wählen wir ja, was das Zeug hält: IHK, Betriebsräte, Auto des Jahres, Brot des Monats und das neuste Smartphone. Wählen ist toll – wenn man die Wahl hat oder wenn man sich entscheiden kann. Vor der Auslage eines Fisch-Ladens hätte ich aber schon Probleme mit den Kandidaten, weil ich Fisch nicht vertrage. „Wahl als Bürgerpflicht“ würde mir in dem Fall mehr als nur Bauchschmerzen bereiten.
Die Wahlbeteiligung bei der letzten Bremer Bürgerschaftswahl lag etwa bei 50%, die Beteiligung an der letzten Europawahl noch darunter. Unter 50% muss man wissen, werden die Politiker nervös. Vor einigen Jahren fragte ich meinen Bundestagsabgeordneten per Mail, wo denn das Quorum für eine gültige Bundestagswahl läge. Im entsprechenden Wahlgesetz stand dazu nichts. Ich konstruierte also den Fall, dass alle abgegebenen Stimmen (bei eh schon minimaler Beteiligung) ungültig seinen und es nur drei gültige Stimmen* gegeben habe. Gewinnt in diesem Fall wirklich die Partei, die zwei der drei Stimmen erhielte, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag? Würden drei Stimmen theoretisch genügen, um 597 Abgeordnete (Überhangmandate gäbe es ja keine) in den Bundestag zu bringen? Die Antwort lies einige Wochen auf sich warten, war umständlich und verklausuliert, aber: Ja.
Merken Sie etwas? Es klafft eine „Glaubwürdigkeitslücke“ zwischen den Vertretern des Volkes und dem Begriff Volksvertretung. Deshalb die Nervosität bei der generell sinkenden Wahlbeteiligung, deshalb die Entrüstung der Politiker über des Wahlvolkes „Politikmüdigkeit“. Dabei bin ich zum Beispiel überhaupt nicht politikmüde, im Gegenteil! Ich sage überall laut meine Meinung, informiere mich, lese Zeitungen und Blogs, verfolge Pressemitteilungen, Agenturberichte und Foren, ertrage Talkrunden, lese Bücher und quäle mich sogar durch Quellen, die ich mir nur mit Mühe und Übersetzungsprogrammen erschließen kann bzw. die meiner politischen Ausrichtung sehr zuwider laufen. Also stelle ich mir heute die Sonntagsfrage, mal sehen, wo ich ein Kreuzchen machen kann.
Wenn Sonntag Bundestagswahl wäre…
Fangen wir mit dem an, was sich leicht ausschließen lässt. NPD, Nazis, doofdeutsch, kleinlich, engstirnig, geschichtsvergessen, xenophob, antisemitisch – geht gar nicht. AfD, schöner Name, leider tummelt sich bei denen für meine Begriffe auch zu viel nationalistisches Gedöns, noch dazu unreflektiert xenophob und antisemitisch. Ab jetzt wird’s schwerer. FDP…gäbe es heute noch Leute wie Gerhart Baum oder Hildegard Hamm-Brücher in dieser Partei, würde ich überlegen, dort Mitglied zu werden. Nachdem Westerwelle das Parteiauto in Richtung Wand ausgerichtet hat, Rösler das Motto „Kurs halten“ konsequent umsetzte und nach Entgleisungen von braunen Parteigranaten wie Möllemann ist diese Partei nur noch ein Schrotthaufen und Herr Lindner klappert mit den verbeulten Kotflügeln. Tot, also auch nichts für Sonntagsfragen. Die Grünen, die wirkliche Partei der Besserverdiener… Ablasshandel für ökologisches Gewissen, Atomausstieg für Deutschland und Atomkraft für den Iran, Frauenrechte hier und Kopftuch beim Ayatollah. Politischer und ökologischer Opportunismus bis zur Beliebigkeit, Scheingefechte und Zweckbündnisse wohin man schaut…Petra Kelly würde sich angesichts dieser Truppe im Grab umdrehen! Die also auch nicht. Die Linke, ach, die Linke! Es kommt eben nicht darauf an, was Lassalle, Bebel und Marx geschrieben haben, sondern was sich Wagenknecht, Kipping und Bartsch daraus zusammenphantasieren! Jede Wortäußerung ein Pflock in das Vampirherz des Imperialismus, jede Rede ein Parteitag. Politische Hirngespinste zum Gruseln und mit so viel Gewissheit vorgetragen, dass man meinen könnte, man wohne einem Hochamt bei. Politik als Religionsersatz und eine große, blinde Umma mit den „unterdrückten Völkern“ in Nahost, Afrika, Asien, ach was, der ganzen Welt! Und die deutsche Linke geriert sich als deren unfehlbarer Papst – Amen! Unwählbar! SPD/Union kann ich zusammen behandeln, weil sich beide in meiner Wahrnehmung derzeit kaum unterscheiden. So etwas bringen große Koalitionen zwar immer mit sich, aber im aktuellen Fall ist es personalbedingt noch stärker. Es herrscht Arbeitsteilung und die Rollen sind verteilt wie in einem imaginären Stück von Shakespeare: Elisabeth I. Hier einige Rollen und deren Besetzung.
Schäuble, der intelligente Hofnarr, Minister für Finanzen, Zynismus, Ironie und Sarkasmus. Macht hat er, der ganze Hof zittert vor seinem Wort und Urteil. Er ist der unscheinbare Strippenzieher, der nicht nach der höchsten Macht strebt, weil er sie bereits de facto innehat. Er darf poltern und schimpfen, nur er darf wirklich alles sagen. Gabriel, Prinz des unterlegenen Hauses, zum Kniefall gezwungen gefällt er sich in seiner Rolle als Monarch in Spe. Er säuft mit den Knechten und schimpft mit den Kutschern aber darf dem Botschafter Dänemarks als zweiter die Hand reichen. Die Königin lässt ihm hier auch gern mal den Vortritt. Ihre Macht liegt anderswo, sie drängt sich nicht nach vorn. Wenn der Prinz an der Spitze der königlichen Truppen reiten darf, ist er zu allem bereit, leider aber auch zu nichts zu gebrauchen. De Maizière, der überforderte, der, mit dem das Publikum Mitleid haben kann, dem es beim Denken zusehen kann und sich fragt, ob er seinen Auftritt übersteht oder ob vorher ein geflügelter Bote an Seilen von der Bühnendecke herabgelassen wird und „Hinaus, du Wicht!“ ruft. Seehofer, der katholische, renitente Vetter aus den Highlands, der sein Land nur widerwillig der Königin unterstellt und dessen in seltsame Karos gewandete Entourage immer wieder mal in Berlin vorbei schaut. Man hat sich ansonsten arrangiert, die Weißwurstgrenze bleibt weitgehend intakt, kleinere Überfälle (Maut, Betreuungsgeld) schlagen die königlichen Gerichte nieder. Die Königin kann ihrem Vetter also immer getrost alles versprechen. Steinmeier, der Barde. Unerträglich langweilige Gesänge über die Ereignisse deren Zeuge er war, kommen aus seinem Mund. Schlechtes Versmaß, schlechtes Timing aber salbungsvolle Stimme. Steinmeier ist das Shakespeare-Kontrastprogramm in der Regierung. Steinmeier stammt eigentlich aus den Asterix-Comics und hing dort immer auf der letzten Seite gefesselt und geknebelt von einem Baum herab, während die Gallier sich Wildschwein und Wein schmecken ließen. Schließlich sie selbst, Königin Angie die Erste. „Wir“ ist ihr Leitwort. Wenn sie es wie so oft benutzt, klingt das nach pluralis majestatis. Wir müssen…, Wir können…, Wir haben…, Wir sind…, Wir schaffen das! Raum und Zeit füllende Worthülsen, austauschbar, interpretierbar, überhörbar. Hintergrundrauschen, eine Bad-Taste-Collection von nicht zusammen passenden Worten und Aussagen die nicht Ja und nicht Nein sind, keine Entscheidungen, keine Lösungen, keine Idee, nur Verwirrung. Nur nachdenken, sich erheben, sich wieder setzen. Die Rolle der Bedeutung bei der Entwicklung der Steigerung. Im Holzfäller-Latein heißt es, Entscheidungen müssen gefällt werden. Die Entscheidungen ranken ihr stattdessen die Beine hoch – fest verwurzelt würde sie es wohl nennen. Mit dieser Einstellung taugt sie leider weder zum Regieren noch zum Gartenbau.
Nun, wer so etwas erleben möchte, findet in jedem städtischen Theater bessere Angebote. Derzeit SPD/CDU/CSU wählen? Undenkbar!
Fazit: Wenn nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, hätte ich irgendetwas Wichtiges vor. Hecke schneiden vielleicht – und ich würde sonst so einiges tun, um mich davor zu drücken.
* Das ist natürlich totaler Käse, weil es mindestens 597 Stimmen der Abgeordneten und noch dreimal so viele der Gegenkandidaten gegeben hätte. Dazu noch die der Referenten, Wahlleiter, Sekretärinnen, Fahrer, Sicherheitsleute, Protokollanten, Köche der Bundestagskantine, Lobbyisten, Hauptstadt-Korrespondenten, Pressesprecher und Medienberater. Es gehen immer mindestens die Leute zur Wahl, deren Einkommen direkt vom Politikbetrieb abhängt. Alle zusammen schafften es aber wahrscheinlich mit Mühe auf 0,5%. Deshalb rundete ich frech auf drei Stimmen ab.
PS: Ich habe die Piraten vergessen! Das ist auch schon alles, was ich noch sage wollte.