Der Parteiaustritt des bayrischen SPD-Genossen Professor Dr. Henning Höppe ist ein ziemliches Konvolut und zu den Stichpunkten, in denen er seine zur SPD konträre Haltung darlegt, entspricht häufig genau dem Gegenteil meiner Meinung zum jeweiligen Thema und die ist bekanntlich auch meilenweit von der aktuellen SPD entfernt. Beispiel? Höppe bemängelt, dass die SDP die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt, obwohl dort LGBTQ-Menschen verfolgt würden. Aber es sind ja gerade nicht diese Menschen, die in den Booten sitzen und niemand stellt zudem in Frage, wirklich an Leib und Leben bedrohten Menschen zu helfen. Asyl mit Migration zu vermengen ist unlauter. Macht die SPD zwar auch gern aber für Herrn Höppe leider nicht konsequent genug.
Höppe erklärt weiter, dass seiner Meinung nach Grundsicherungsempfänger von der Coronakrise besonders betroffen seien, was seine Ex-Partei nicht so sieht. Ich sehe vor allem nicht, wieso jemand, der ohnehin von staatlichen Transferleistungen lebt (ob er es nun will oder nicht), von den Lockdownmaßnahmen stärker betroffen sein soll als zum Beispiel jemand, dessen Geschäft durch staatliche Willkür den Bach runter geht. Höppe würde gern Armut durch noch mehr Staatsknete bekämpfen und Corona wäre der ideale Anlass dafür, was selbst der SPD im Allgemeinen zu weit geht.
Ich stimme in Höppes Generalabrechnung mit seiner Partei im Grunde nur in zwei Dingen uneingeschränkt zu: seiner Kritik der Haltung der SPD zum Staatstrojaner, was für Höppe ein Generalverdacht und für mich außerdem der Startschuss zur anlasslosen Totalüberwachung ist. Außerdem sehen wir beide die Abkehr vom juristischen „ne bis in idem“-Prinzip kritisch. Aber das sind Positionen, die ich wohl sogar mit den meisten Linken teile. Und ein Linker ist Professor Höppe, wie er im Buche steht: Agenda 2010 abschaffen, Zero-Covid, Klimarettung…das volle Programm. Kann man natürlich alles wollen, doch wozu dann die SPD verlassen, wo all diese Utopien längst Konsens sind und Dreiviertelkommunisten wie Kühnert und Nullcovidianer wie Lauterbach das große Wort führen?
Und warum nur befasst sich der gallige Letsch nun ausgerechnet mit der Parteiaustrittserklärung eines Professors, der politisch keine großen Räder dreht und als promovierter Chemiker und Hochschullehrer der Gesellschaft ohnehin besseres als sein politisches Engagement in der SPD zu geben hat? Ganz einfach: diese zugeschlagene Tür unterscheidet sich doch sehr von all den anderen Parteiaustritten, von denen ich in jüngster Zeit Kenntnis erhielt.
Den anderen Exilanten ist die SPD nämlich immer zu einengend, zu wenig sozialdemokratisch und dem ultragrünen Zeitgeist zu kritiklos hörig geworden, während Professor Höppe in der SPD ganz gegenteilig den Neoliberalismus auf dem Vormarsch sieht. Ihm ist die Partei offenbar noch nicht rigide, bevormundend und grün genug, der Marsch der Borjans- und Eskentruppe nach Ganzganzlinks, hinein in die Utopie vom „demokratischen Sozialismus“, könnte für seinen Geschmack noch sehr viel schneller gehen. Bei Sätzen wie diesem hier gehen bei mir nämlich alle Etatismuswarnlampen an:
„Der Neoliberalismus ist folgend dem Motto „Jeder ist seines Glückes Schmied“ ein Menschenbild, das dem Menschen die Verantwortung für das eigene Schicksal zuschiebt ― im Guten wie im Schlechten.“
Zugeschoben wird dem Menschen die Verantwortung für sein eigenes Leben also? (Ich betrachte „Schicksal“ hier mal als synonym.) Zugeschoben? Nein, er hat sie, diese Verantwortung, immer schon! Und spätestens wenn er erwachsen ist, sollte jeder Mensch sie verdammt noch mal auch ausüben. Vielleicht braucht er Hilfe, dann kann er diese bei Familie, Freunden, Partnern und auch der Gemeinschaft bekommen und nur zuallerletzt darf hier der Staat – als Ausnahme, nicht als Regel – ins Spiel kommen. Ich finde, der Staat mit all seinen Tentakeln hat sich schon viel zu weit in die Leben seiner Bürger hineingemischt – im Guten wie im Schlechten und ebenfalls im Speziellen. Und sei es in Gestalt von Parteien wie der SPD.
Zum Abschluss gestatte ich mir noch eine mephistophelische Frage: Um den „demokratischen Sozialismus“ zu errichten, von dem Professor Höppe träumt, darf man dem Menschen offenbar nicht die Entscheidungen über sein eigenes Leben überlassen. Das macht ja wohl der Staat viel besser. Doch was man dem einen nicht „zuschieben“ mag, das muss sich der andere eben selbst zuschanzen. Denn irgendwohin muss sich ja, die Verantwortung. Wäre es da nicht äußerst praktisch, wenn der Staat zu diesem Zweck – und nur zum Besten der Bürger, versteht sich – genau wüsste, was seine Lämmlein so treiben? Ich lehne dies ja rigoros ab, aber als Liberaler weiß ich auch, warum. Weil Sie jedoch für den „demokratischen Sozialismus“ eintreten, dessen (zumindest temporäre) Verwirklichung zwangsweise den omnipotenten, allwissenden Staat erfordert, warum haben ausgerechnet Sie dann Probleme mit dem Staatstrojaner, Herr Höppe?
Tja, ist eine gute Frage. Mir scheint der Grundsatz des Herrn Höppes „das Individuum ist für nichts verantwortlich“ auch in seinem Leitbild der „resilienten Gesellschaft“ deutlich zu werden. Genauso wie seine völlige Realitätsferne. Vollversorgter Akademiker halt mit massivem Kollektivismusfetisch.
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