Bei der Lösung von Kriminalfällen – echten wie erdichteten – muss man sich mit den möglichen Motiven der Tat befassen. Journalisten, wenn sie investigativ tätig und Korruption und Vetternwirtschaft auf der Spur sind, gehen prinzipiell genauso vor. Nur müssen letztere ihre Beweise keinem Gericht vorlegen, sondern können sie ihren Lesern durch geschickte Formulierung als Wahrheit verkaufen, egal wie dünn die Faktenlage ist. Treffen bei Leser und Journalist noch dazu dieselben Vorurteile und Erwartungen zusammen, laufen die Schuldzuweisungen wie von selbst. Fassungslosigkeit stellt sich hingegen bei etwas weniger voreingenommenen Lesern und Kollegen ein. Ein Beispiel? Ich bekam im Unterricht dereinst eine „1“ für die „Beantwortung“ einer mündlichen Frage. Den Protest meiner Mitschüler, ich sei doch gar nicht anwesend, bürstete der Lehrer mit der Bemerkung ab, ich hätte die Antwort sowieso gewusst. Das war natürlich eine Frechheit und ein (positives) Vorurteil und hat nebenbei bemerkt die Sympathie meiner Mitschüler mir gegenüber nicht gerade gesteigert.

Positive wie negative Vorurteile gegenüber dem Gegenstand der Berichterstattung erkennt man am Stil der Autoren deutscher Medien sehr schnell. Verräterische Adjektive, kaum verdeckte Beleidigungen und viel Meinungswürze, wo es eigentlich gilt, Bericht zu erstatten. Man achte nur mal darauf, was man in deutschen Medien alles über den Geisteszustand und die „wirklichen“ Absichten des amerikanischen Präsidenten „erfährt“, obwohl der Autor weder Psychiater ist, noch von Trump höchstpersönlich in dessen finstere Pläne eingeweiht wurde. Das eigene Vorurteil ist ein tiefer Brunnen, aus dem man unbegrenzt schöpfen kann.

Der Fall „Hydroxychloroquine“

Er mag das wichtigste politische Amt bekleiden, aber ein Politiker ist er nicht. Er wird auch nie einer werden, selbst wenn er – was recht wahrscheinlich ist – weitere vier Jahre im Weißen Haus sitzen wird. Schaut man sich die täglichen Pressekonferenzen in der Corona-Krise an, erinnert Trumps Agieren eher an den CEO eines Unternehmens. Dieses Terrain ist ihm vertraut und seine simplen Formulierungen, das ständige spekulierende Plappern und Dirigieren, das Eigenlob und Lob für die eigene Mannschaft, die natürlich immer einen „Great Job“ mache, findet man genau so bei vielen Unternehmern wieder.

Elon Musk redet so und Tim Cook auch. Nur fällt das in deren Umfeld nicht weiter auf, weil man diesen Stil „großer Erfolgsmeldungen“ dort erwartet. Für Trump ist alles entweder „bad“ oder großartig, vielversprechend und interessant. So auch ein Forschungsbericht über den Einsatz zweier alter Malariamedikamente bei der Therapie von COVID-19, Hydroxychloroquine und Azithromyci, von dem Trump wohl hörte oder über den ihm berichtet wurde. Man klammert sich ja heute mangels vorzeigbarer Therapien sogar an die Grundlagenforschung. Auf einer Pressekonferenz Ende März endete Trumps Einschätzung der Malaria-Mittel mit den Worten „Vielleicht hilft es, vielleicht auch nicht“.

Die spätere Interpretation einiger, nein fast aller Journalisten, Trump habe die Einnahme von Hydroxychloroquine geradezu empfohlen, teile ich ausdrücklich nicht. Interessantes Detail am Rande: In der Studie ging es um die Kombination beider Medikamente. „Azithromycin added to hydroxychloroquine was significantly more efficient for virus elimination“ heißt es im Abstract. Doch während Hydroxychloroquine in unserem kleinen Kriminalfall noch eine wichtige Rolle spielt, ließ die Presse Azithromycin schnell unter den Tisch fallen, obwohl Trump auch dieses Präparat erwähnte. Was übrigens die Wirksamkeit der Mittel anbelangt, gehen weitere Studien da sehr weit auseinander. Ein geradezu typischer Umstand in der Forschung und deshalb auch nicht verwunderlich. Doch genug von der Forschung, es ist ja Krimi-Zeit!

Wer trinkt schon Aquarium-Reiniger?

Kommen wir also zum Tatort nach Arizona, wo Gary Lenius in einem Krankenhaus an den Folgen einer Vergiftung starb, die er sich zuzog, als er eine tödliche Dosis eines Desinfektionsmittels zu sich nahm, dass gewisse Namensähnlichkeiten mit Hydroxychloroquine hatte. Seine Frau Wanda überlebte den Ausbruch medizinischen Unverstands. Trump hatte für den Tatzeitpunkt zwar ein Alibi – er hatte gerade im Weißen Haus zu tun – wird aber der Anstiftung bezichtigt. Vor allem natürlich von Wanda Lenius selbst. Soweit die Fakten.

Ab jetzt müssen wir Indizien sammeln und sie nach Plausibilität ordnen. Die Schlussfolgerungen daraus können natürlich völlig falsch sein und vielleicht ist die einfache Erklärung vieler Journalisten, dass nämlich jedes Wort des US-Präsidenten sofort von seinen dampfnudeldummen Untertanen exekutiert wird, die richtige. Das würde zumindest gut zum latenten Antiamerikanismus vieler deutscher Journalisten passen. Doch hätte es dann nicht deutlich mehr solcher Fälle geben müssen? Hätte zumindest die Redaktion von Fox News nicht geschlossen in den nächstbesten Chemiecocktail hüpfen müssen?

Wer war Gary Lenius?

Die Frage, wie dumm man sein muss, ein Reinigungsmittel bewusst zu trinken, um eine Krankheit zu heilen, die man nicht hat, ist leicht zu beantworten: wahrscheinlich viel dümmer als der 68-jährige Gary Lenius. Der war nämlich bis zu seiner Pensionierung Ingenieur für Maschinenbau bei John Deere und dort in der Entwicklungsabteilung tätig. Ein offenbar gewissenhafter und eher ruhiger Typ, der mehr als nur lesen und schreiben konnte und dem man durchaus zutraut zu bemerken, dass es zwischen „Hydroxychloroquine“ und „Chloroquine Phosphate“ vielleicht mehr als nur leichte sprachliche Unterschiede gibt. Enge Freunde von Gary bezweifelten gegenüber dem Washington Free Beacon die Geschichte, wie Wanda Lenius sie erzählt. „I really can’t see the scenario where Gary would say, ‘Yes, please, I would love to drink some of that Koi fish tank cleaner. […] It just doesn’t make any sense.“

Gary können wir nicht mehr fragen, aber vielleicht erfahren wir mehr über Wanda. Hier ist der Artikel im Washington Free Beacon sehr ausführlich. Wanda und Gery lernten sich im Jahr 2000 bei John Deere kennen, wo beide arbeiteten. Gary war mehr als drei Jahrzehnte leitender Ingenieur dort. Anhand der persönlichen Details, von denen berichtet wird, würde ich Gary als phlegmatischen Stoiker charakterisieren, während Wanda wohl eher aufbrausend und zudem nachtragend war. Wenn sie etwa seine selbstgebauten Modellflugzeuge zerstört, weil Gary zu spät zum Essen kam und dieser dann ungerührt die Modelle repariert, die zu reparieren waren und die anderen klaglos entsorgt.

Ich könnte mir vorstellen, dass seine innere Ruhe in solchen Momenten nicht auf Wanda übersprang. Es gab also Eheprobleme und Wanda beschimpfte Gary laut der Aussage einer Quelle auch oft in der Öffentlichkeit. Auch dass die Polizei bei den Lenius wegen häuslicher Gewalt vorstellig wurde, weil Wanda ihren Mann mit einem Vogelhäuschen(!) verprügelt hatte, spricht für ein aufbrausendes Temperament, dass durch Garys Phlegma nur noch mehr angestachelt wurde. Von Scheidung war die Rede, aber Gary wollte nicht. Der Fall kam vor Gericht, doch Wanda und Gary versöhnten sich wieder.

In einem anderen Verfahren, dass Wanda gegen John Deere wegen ihrer Entlassung anstrengte und verlor, sagte Wandas Psychologin aus, diese leide unter „post-traumatic stress disorder and anger issues due to her experience at the company“. Schon wieder Wut. Wenn auch vielleicht nicht unerklärlich im Nachgang einer Kündigung.

Nach Garys Tod kam Wanda in den Medien zu Wort, um den Vorfall zu erklären. Sie und ihr Mann hätten im TV gesehen, wie Trump Hydroxychloroquine lobte und sich entschlossen, je einen Löffel des Mittels, dass sie für Hydroxychloroquine hielten, in etwas Wasser aufzulösen und zu trinken. Gary hatte für den darauffolgenden Tag einen Arzttermin wegen einer Verletzung, die er sich beim Motottadfahren zugezogen hatte und beide waren in Sorge, er könne sich in der Klinik mit COVID-19 anstecken und sich deshalb entschlossen, das Mittel vorbeugend einzunehmen.

Was Wanda der Presse nicht erzählte, kam u. a. durch Recherchen von Fox News auf Twitter und Facebook ans Licht. Wanda löschte später ihre Accounts, vielleicht um Perlen wie diese verschwinden zu lassen. Einem Freund, dem Wanda zum Geburtstag gratulierte, schrieb sie am 19. Februar: „Your psycho prez is in [t]own, are you going to see him?“ Gemeint war Trump, der an diesem Tag in Phoenix einen Wahlkampfauftritt hatte. Die Spenden Wandas an Hillary Clinton und das Democratic Congressional Campaign Committee (DCCC), welche bei der Federal Election Commission verzeichnet sind, konnte sie jedoch nicht verschwinden lassen. Diesbezügliche Nachfragen beantwortet sie nicht.

Aussagen, Recherchen, Indizien und Vorurteile

Wir wissen, wie Gary starb und woran. Aber warum, wissen wir nicht. Wir können Wanda vertrauen und Trump als den wahren Schuldigen bezeichnen, der „Blut an den Händen habe“ oder deshalb wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in Den Haag angeklagt werden müsse. Vielleicht waren Gary und Wanda wirklich so dumm und leichtgläubig, wie sie dargestellt wurden und auch Focus und Extra3 haben vielleicht recht mit ihrer Vermutung, die Amerikaner würden das medizinische Laienspiel Trumps für bare Münze nehmen. Doch mit der Plausibilität der Aussagen Wandas ist das so eine Sache. Man muss schon an sie glauben und all die Konflikte zwischen Wanda und Gary ausblenden, die es bis zu dessen Tod gab. Ergeben sich daraus Mordmotive? Vielleicht.

Und wie Columbo beim Verlassen des Raumes im Türrahmen stehen bleibt, sich langsam umdreht, den Kopf leicht neigt und mit einer Hand im Nacken die entscheidende Frage stellt, versuche ich das jetzt auch mal:

„Wanda, ich habe da nur noch eine Frage. Sie unterstützen seit langer Zeit die Demokraten und halten Trump für einen Psychopathen (psycho prez). Wenn sie ihm also offensichtlich nicht vertrauen, ja, sogar hassen, warum folgen sie dann dem, was er ihnen im Fernsehen „empfiehlt“ und hat Gary eigentlich je nachgefragt, was der „Vitamincocktail“ enthält, den sie ihm nach Aussage seiner Freunde so oft zubereitet haben?“

Es ist also durchaus denkbar, dass wir es hier eher mit einem Mord als mit einem Unfall wegen zu großen Vertrauens in den Präsidenten zu tun haben. Dass Wanda selbst auch vergiftet wurde, ist vielleicht eher ein Indiz gegen sie, denn sie hat ja überlebt. Womöglich war ihre Dosis deutlich kleiner. „Es“ wie einen Unfall aussehen zu lassen ist zudem der älteste Trick der Welt und Trump dafür verantwortlich zu machen, ein heutzutage geradezu wohlfeiles und naheliegendes Argument, welches überall gern kritiklos geglaubt wird.

Doch genau wissen es wir alle nicht und wie gesagt könnte alles auch ganz anders abgelaufen sein. Bezeichnend ist jedoch, dass die berechtigten Zweifel an der Darstellung Wandas es Anfang April in einige US-Medien schafften, in Deutschland aber selbst Ende April viele Medien noch so tun, als ginge Trump mit einem 20 Liter Kanister Chlorbleiche von Haus zu Haus um den Bürgern höchstpersönlich Gift einzuflößen.

Ich möchte einem von Garys Freunden, die im Free Beacon zitiert werden, das letzte Wort erteilen und alle Schlussfolgerungen den Kriminalkommissaren unter meinen Lesern überlassen: „Gary loved Wanda,“ sagte dieser Freund „He trusted her to do the right thing for him, I doubt that he second-guessed when she gave him the chloroquine.“

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7 Kommentare

  1. Ach wie fruchtbar ist der Acker noch, und wie blüht doch die Blume der Denunzination. Einem Volk, dass alles Übel der Welt einst den Juden zutraute soll auf einmal gerecht urteilen? Dummheit und Stolz ist ein so typisch deutsches Holz! Die Journalie die einst Hitler zujubelte, liegt heute der Regierung zu Füssen. Alle Welt mieß, nur Mutti prächtig. So ganz toll wie ein Flughafen der bei Eröffnung veraltet ist und abgerissen gehört. Ablenken von eigner Inkompetenz durch erfinden von Fehlern anderer, ist einfach nur dumm.

  2. „Ob Trump, Orbán oder Johnson, es gibt Politiker denen deutsche Journalisten so ziemlich alles zutrauen.“
    Statt „zutrauen“ kann man auch sagen: „unterstellen“.
    …und Putin nicht zu vergessen!

  3. Dieser Fall ist an mir, ich gebe es zu, vorbei gegangen. Zwar hatte ich davon gehört, dass sich ein Amerikaner durch die Einnahme eines Chlorreinigers vergiftet hätte, hielt ihn aber einfach für einen besonders dummen Menschen. Nicht aus Antiamerikanismus, sondern weil ich glaube jedes Land, jedes Volk hat einen gewissen Bodensatz intellektuell nicht ganz so hell leuchtender Kerzen.
    Nach diesem Bericht stellt sich das Ganze dann doch etwas anders dar und ich stimme der Einschätzung des Autors zu.

    Dass deutsche Journalisten Präsident Trump für diesen Vorfall verantwortlich machen, verwundert eigentlich nicht.
    Zum Einen ist natürlich Donald Trump für alles Schlechte dieser Welt verantwortlich.
    Zum Anderen sind deutsche Journalisten darin geübt, Personen und/oder Gruppen eine Mitschuld an bestimmten Ereignissen zuzuweisen. Ich sage nur, geistige Brandstiftung.
    Und so steht auch nicht zu Erwarten, dass wir in einem Qualitätsmedium eine Korrektur der Berichterstattung finden werden.

    Ob Trump, Orbán oder Johnson, es gibt Politiker denen deutsche Journalisten so ziemlich alles zutrauen.
    Sollte eines Tages ein Meteorit die Erde treffen, würde ich mich an Präsident Trumps Stelle ganz schnell vom Acker machen, ehe die Tagesthemen hier einen Zusammenhang finden.

  4. Vermutlich die gleichen Journalisten lästerten früher über Schadenersatzforderungen mancher Amerikaner gegenüber Tabakproduzenten oder Junkfood-Ketten, die heute den POTUS in Causa „Chlor ist nicht gleich Chlor“ verantwortlich machen wollen. Das mediale Trump-Bashing wird immer grotesker.

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