Viertel nach acht endet in Deutschland die Tagesschau, die trotz aller Skandale immer noch meistgesehene Nachrichtensendung im Land. Wie es der Zufall fügte, kam just zu dieser Zeit eine E-Mail mit einem Update zu einem Thema, das gerade die Nachrichten in den USA bestimmt und auch in Deutschland große Aufmerksamkeit erregt. Sofern man Verachtung so nennen kann. Was war geschehen? Streng genommen noch gar nichts, aber der „Trump-Demagoge Carlson“ (watson.de), der „Trump treu ergebene US-Moderator Tucker Carlson“ (t-online.de) meldete sich mit der Nachricht zu Wort, dass er tatsächlich zu dem einen Zweck in Moskau weile, den russischen Präsidenten Putin zu interviewen. In vier Minuten und 28 Sekunden erklärt Tucker Carlson seinen Zuschauern, warum ‚ er in Moskau ist. Das kurze Video wurde auf Twitter bis gestern Abend 82,5 Millionen mal angezeigt.

In Moskau hat es gerade minus 11 Grad, weshalb ich davon ausgehe, dass es nicht die möglichen Konsequenzen seiner Reise sind, vor denen er zittert, oder die freudige Erregung über das gestern dargebotene Ballett, als der „rechtsextreme Moderator beim Bolschoi-Ballett in Moskau gesichtet wurde“ (The Guardian). Ist es nicht herrlich, Tucker zu verprügeln, wenn man doch eigentlich den Donald treffen will? Hach, Journalisten! Kennste einen, kennste alle!

Schon in den kurzen Zitaten wird sichtbar, wohin das Framing hier gehen soll: Trump, rechtsextrem, Demagoge. Kübelweise entleert sich nun der mediale Zorn über Carlson, der es gewagt habe, das Unsagbare zu tun: Journalismus. Im September 2009 sprach Larry King für CNN mit Muammar al-Gaddafi, Barbara Walters interviewte für ABC im Dezember 2011 Bashar al-Assad, und auch wenn Osama bin Ladens Interview mit John Miller für PBS im Mai 1998 noch drei Jahre von 9/11 entfernt war, stand bin Laden doch schon auf der US-Terrorliste. Was damals anders war? Es gab Journalisten, die sich nicht als Aktivisten verstanden und ihre Aufgabe darin sahen, Fragen zu stellen. Auch unbequeme. Auch Unbequemen. Und noch etwas war anders: Die Sender waren der Meinung, ihre Zuschauer könnten die erwartbare Mischung aus Diktatorengeschwätz und Propaganda schon irgendwie richtig einordnen. Ein paar Jahre betreutes Fernsehen später scheint nichts davon mehr zu gelten.

Die NSA las offenbar Tuckers E-Mails

Rückblende. Es ist 2021, Biden ist im ersten Jahr seiner Amtszeit, Tucker Carlson noch Anchorman und Quotenkönig bei Fox News, und Putin ist noch ein halbes Jahr vom offenen Einmarsch in die Ukraine entfernt. Es ist eine Zeit hektischer Diplomatie, Politiker und später auch Trampolinspringerinnen geben sich im Kreml die Klinke in die Hand, und deutsche Küstenpolitiker freuen sich auf das sicher bald fließende Energiewendegas aus Northstream2. Am 7.7.2021 überrascht Tucker Carlson sein Publikum mit der Nachricht, die NSA und damit die Biden-Regierung habe verhindert, dass er ein Interview mit Putin machen werde. Ein Whistleblower hatte enthüllt, dass die NSA offenbar Tuckers E-Mails las und die Informationen über dessen Pläne an die befreundete Presse durchgestochen. Inklusive der Mitteilung, wen genau man da ausspioniert hatte.

Eigentlich ein Affront gegen die Pressefreiheit, aber außer Tucker und seinen Zuschauern regte sich niemand darüber auf. Bei Fox News fand das Interview dann bekanntlich nicht statt. Ende April 2023 feuerte Fox News Carlson. Bis heute gibt es zwar einige Gerüchte über die Gründe, seitens des Senders jedoch keine offizielle Erklärung, und auch Carlson hielt sich bedeckt. Schließlich macht er, was so viele bei ihren Arbeitgebern in Ungnade gefallene Journalisten dieser Tage machen: einfach weiter!

Weniger spekulieren, mehr recherchieren

Die Liste der mit Ehrungen und Preisen überhäuften Starjournalisten in den USA, die diesen Weg gehen, ist beeindruckend. Bari Weiss verließ die New York Times, Megyn Kelly Fox News und dann auch MSNBC, Matt Taibbi hielt es beim Rolling Stone nicht mehr aus und Glenn Greenwald, bekannt durch seine Enthüllungen in der Causa Edward Snowden (und damit Retter der Geheimnisse auf Angela „Abhören-unter-Freunden-geht-gar-nicht“ Merkels Handy) nicht mehr bei „The Intercept“. Allesamt Journalisten, die eine sehr klare Auffassung von der Aufgabe ihres Berufes haben: alles wissen wollen, hinter die Dinge blicken, niemandem und schon gar nicht den Mächtigen vertrauen, aber mit jedem reden, selbst wenn es den Mächtigen nicht passt. Also weniger spekulieren, mehr recherchieren. Wie man es nicht macht, können wir bei T-Online zwischen den Zeilen nachlesen:

„Und es wachsen die Spekulationen, dass ausgerechnet der rechte amerikanische Moderator den russischen Präsidenten Wladimir Putin interviewen darf oder es vielleicht sogar schon getan hat. Es wäre nach journalistischen Maßstäben eine extrem fragwürdige Konstellation.“

Haben Sie’s bemerkt, liebe Leser? Russland, obgleich es durch den Ukraine-Krieg gerade medial omnipräsent ist, ist für unsere Journalisten ein Schwarzes Loch. Keine Informationen dringen von dort nach draußen. Stattdessen Spekulationen und Framing der Duftnote Bahnhofsklo: Ausgerechnet der! Darf er oder hat er es womöglich schon getan? Wer weiß das schon, wer will das wissen, was macht das für einen Unterschied? Tucker „extrem fragwürdig“? Ja sicher doch, nach heutigen „journalistischen Maßstäben“. Und Peter Scholl-Latour, Hajo Friedrichs und auch Larry King von CNN rotieren im Grab. Fragwürdig ist, dass Journalisten keine Fragen mehr stellen, sondern immer gleich Antworten dozieren!

Ein Millionenpublikum, das den Platzhirschen abhandenkommt

Ich erspare Ihnen die Varianten der Lügen, Carlson sei fest in der Hand Putins und unterstütze gar dessen Angriffskrieg. Er weigert sich lediglich sehr beharrlich, sein Interesse von den Problemen der USA weg und irgendwelchen Tagesbefehlen folgend den Problemen anderer Länder zuzuwenden. Eine Eigenart, die ich ihm in Bezug auf den Angriff der Hamas auf Israel sogar persönlich übelnehme. Aber das betrifft nie seine Professionalität als Journalist oder seine Fähigkeit, einem Publikum mit ehrlicher, lebendiger Sprache Vertrauen einzuflößen. Er sieht sich nicht als Aktivist oder Anführer der fünften Kolonne einer Ideologie. Er hat keinen Fernseher, er verfolgt die „sozialen Medien“ nicht. Er liest, er redet mit Leuten, geht nach dem Frühstück in Maine angeln und spult auf X und seiner neuen, eigenen Plattform TCN seine Interview- und Kommentarformate ab. Und zwar vor einem Millionenpublikum, wie es sämtliche Kabelprogramme auf ihren sterbenden Plattformen seit Jahren schon nicht mehr haben. Fox News inklusive.

Erin Brunett von CNN sagte gerade in ihrem Hit piece etwas sehr Wahres, auch wenn sie es natürlich anders gemeint hatte.

„Und das ist der Grund, warum er nun nach Moskau gehen kann, ohne Angst haben zu müssen, dort sofort eingesperrt zu werden.“

Sie meinte, als „Putins Mundharmonika“ habe Carlson in Moskau natürlich nichts zu befürchten. Der wahre Grund ist, dass Carlson so ziemlich der Einzige ist, der genug professionelle Distanz bewahrt hat, um zu Putin überhaupt erst einmal vorzudringen und mit ihm zu reden, während alle anderen „embedded journalists“ längst heilige Eide geschworen haben, diesen irren Rasputin mit bloßen Händen zu erwürgen, wenn sie je die Gelegenheit dazu hätten. Noch Fragen, warum „ausgerechnet der“?

CNN, MSNBC oder New York Times überlassen den Journalismus freien Medien

Nur Nixon konnte nach China gehen, so das Sprichwort. Offenbar trifft das auch auf Tucker und Moskau zu, und die ideologisierte aktivistische Journaille hasst ihn dafür innig. Lieber verzichtet man auf Informationen, als dass man sich das Feindbild versauen lässt. Ob Putin viel Neues und Erhellendes zu berichten hat, wage ich zwar zu bezweifeln. Ebenso aber auch, dass das Publikum seiner Propaganda hilflos ausgeliefert sein könnte, wovor man es unbedingt beschützen müsse. Dass Politiker nicht mit Putin reden wollen, ist das eine, aber Journalisten?

Doch die sind faul geworden und gefallen sich in der Rolle, Mundschenk und Fliegenwedler der Macht zu sein. Die journalistische Arbeit überlassen CNN, MSCBC oder New York Times mehr und mehr den freien Medien, also den Glenn Becks, Joe Rogans, Matt Taibbis, Michael Schellenbergers, Megyn Kellys, Tucker Carlsons und wie sie alle heißen. Ein Trend, den wir hier in Deutschland gern und eifrig adaptieren und angesichts des Versagens unserer öffentlich-rechtlichen Medien auch dringend müssen.

Ich überlasse Freddy Gray vom Spectator das letzte Wort in der Causa Putin-Carlson. Er schreibt:

„Die Weigerung, jemanden [gemeint ist Putin] direkt anzugehen, wird als dessen Unterstützung angesehen. Das ist natürlich idiotisch und macht den Nachrichtenjournalismus immer langweiliger – denn aufgeblasene Moderatoren bestehen darauf, über ihre eigenen Befindlichkeiten zu sprechen und sich selbst in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. 

Carlson neigt dazu, dies nicht zu tun. Er ist äußerst kritisch gegenüber dem außenpolitischen Establishment Washingtons – und gegenüber Russland und dem Iran weitaus weniger kämpferisch als die meisten erfolgreichen Moderatoren des Tagesgeschehens, Parteisoldaten und dubios finanzierte Think-Tank-Experten, die seit Kriegsausbruch die Nachrichten dominieren. Aber das macht ihn nicht, wie viele verzweifelt behaupten, zu einem russischen Aktivposten. Das macht ihn zu einem richtigen Journalisten. Davon gibt es nicht viele.“ 

Zuerst erschienen auf Achgut.com

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3 Kommentare

  1. Hat Tucker Carlson dem Herrn Putin die einzig interessante Frage gestellt, die dort zu stellen wäre, um dann nachzuhaken und auf einer Antwort zu bestehen? Die Frage lautet: Wie Putin diesen Krieg beenden will.
    Eine rein journalistische Frage im besten Sinne, indem da nicht „Angriffskrieg“ gesagt wird.
    Selbstverständlich werden als Antwort die üblichen Phrasen hallen, sofern diese Frage gestellt wurde, weswegen ein wahrer Journalist dann nachhakt und nicht aufgibt, bis herauskommt, ob Putin weiter alles erobern und russifizieren möchte, oder ob er sich ein anderes Kriegsende vorstellen kann.

    Von Tucker Carlson habe ich mal eine feine Bemerkung für Diskussionen auf Englisch gelernt, die er gern anwendete, sofern einer der Frage ausweicht: „You’re dodging the question.“ Das sagte er gern als abschließende Bemerkung, und zwar nach der Aufforderung „answer the question!“, sofern die Frage wieder nicht beantwortet wurde. Immerhin gab er jedem eine zweite Chance 🙂

    – Übrigens sagte Tucker Carlson neulich, es sei „unpatriotic“ von amerikanischen Journalisten, über die Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 zu berichten, weil sie in erster Linie über Amerika zu berichten hätten. Das hat er deutlich auf Ben Shapiro gezielt, der sehr viel über diese Massaker berichtet hatte; eine seltsam isolationistische Bemerkung von Carlson, die aber auch gar nichts mit Journalismus zu tun hat – zumal Carlson jetzt höchstpersönlich nach Russland fuhr, um von dort wohl nicht gerade über Amerika zu berichten.
    Ironischerweise hat Ben Shapiro just in den Wochen, als Carlsons Bemerkung fiel, eine große Reportagenserie über die amerikanische Südgrenze vorbereitet, wo Joe Bidens äußert unpatriotische Regierung alles dafür tut, damit mehr als die bisherigen sieben Millionen Eindringlinge durch die unbewacht Grenze sickern. Sieben Millionen sickerten dort ein, seitdem Biden Präsident ist, und stündlich werden es mehr.
    Wo war Carlson, als Shapiro tagelang auf staubigen Hügeln an dieser Grenze saß?

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