Heiliger Sankt Florian,
verschon‘ mein Haus,
zünd‘ and‘re an!

Wie eine Generalprobe wirkt der Flüchtlingsstrom, der 2015 Deutschland überrollte, gegen das, was sich an der Grenze von Mexiko zu den USA abspielt. Und das schon seit einigen Jahren. Brisant ist die Situation, weil auf der südlichen Seite des Konflikts Drogenkartelle das Sagen haben und den Preis bestimmen, den die Migranten für ihren Traum vom Glück zu bezahlen haben. Die Situation gleicht also eher jener zwischen EU und Nordafrika, nur dass statt des Mittelmeers lediglich der seichte Rio Grande überwunden werden muss. Bereits die Obama-Administration sah sich gezwungen, Einrichtungen zu schaffen, in denen die zahlreichen Kinder untergebracht werden konnten, die teils unbegleitet kommen, teils ohne Papiere sind und teils aus rechtlichen Gründen nicht wie ihre Eltern in Untersuchungshaft gesteckt werden können.

Denn auch wenn das momentan so gut wie keine Rolle mehr spielt, ist der illegale Grenzübertritt in Richtung USA eine Straftat nach Bundesrecht. Bekanntlich änderte sich das Grenzregime unter Trump dergestalt, dass Asylanträge nicht mehr innerhalb der USA bearbeitet wurden. Die „Stay in Mexico“ Direktive nahm etwas Druck von den grenznahen Orten in Texas oder Arizona und außerdem wurde der angekündigte Ausbau der Grenzsicherungsanlagen in einem Umfang in Angriff genommen, wie er etwa zwischen Mexiko und Guatemala längst existiert.

Schon vor Bidens Amtsantritt wurde bekannt, dass die neue Administration das Grenzregime wieder lockern wolle, was die Attraktivität des illegalen Grenzübertritts wieder anhob. Da Biden die Grenzsicherung ausgerechnet in die Hände von Vizepräsidentin Harris gelegt hat, ist klar, dass nichts unternommen wird, was den Zustrom auch nur bremsen würde. Seit fast zwei Jahren werden grenznahe Orte in Texas wie etwa Uvalde, Marfa, San Antonio, Del Rio oder El Paso von täglich gut tausend oder mehr Migranten förmlich überrannt. Alle Einrichtungen, die sich um die Migranten kümmern, sind längst jenseits ihrer Belastungsgrenze, die Hilferufe nach Washington verhallen ungehört.

Vor einigen Wochen kündigte Ron DeSantis, der Gouverneur von Florida, in einer Rede an, er werde einige der Migranten, die unkontrolliert in seinen Staat strömen, an jene weiterleiten, die diese Politik zu verantworten haben. Denn es gibt Bundesstaaten, die in ihrer eigenen Wahrnehmung moralisch höher stehen als republikanisch regierte Grenzstaaten wie Texas, Arizona oder auch Florida. In den sogenannten „Sanctuary States“, oft im Nordosten der USA gelegen, gilt ein politisch aufgesetztes Ethos, das man am besten mit dem Geist des deutschen „Refugees welcome“ vergleichen kann. Die Moral ist billig, wenn sie tausende Kilometer von der Grenze entfernt ist und wird garniert mit wohlfeilen Vorschlägen und Forderungen an jene Grenzstaaten, deren Bürger die Politik der Biden-Regierung zu erdulden haben. Jetzt seid mal schön solidarisch mit den Illegalen, gebt ihnen Arbeit und Wohnung und freut euch über die Geschenke!

Doch DeSantis machte seine Ankündigung wahr und fragte insgesamt 50 Migranten aus Venezuela und Kolumbien, ob sie sich auf Kosten des Staates Florida nicht nach Martha’s Vineyard auf den Weg machen wollten. Überraschung: sie wollten! Wer würde nicht auf dieser schönen Ferieninsel der Reichen und Schönen leben wollen! Barack Obama hat dort eine Strandvilla im Wert von zwölf Millionen Dollar und jeder Milliardär und Spitzenpolitiker der Demokraten, der etwas auf sich hält, hat dort mindestens einen Zweitwohnsitz. Im Sommer wachsen die 15.000 Einwohner auf dieser Insel mit der mehr als doppelten Fläche von Sylt auf mehr als 200.000 an. Auf dieser Insel kamen die Migranten nun an und erwarteten, mit Teddybären beworfen zu werden.

Vorwurf Menschenhandel

Was für ein Affront! Die linke Presse und Politiker der Demokraten tobten angesichts dieser Überraschung und machten Front gegen das unwillkommene Überraschungspaket. DeSantis spiele mit Menschenleben! Gavin Newsom, der Gouverneur von Kalifornien sprach gar von Kidnapping. Das muss allerdings das seltsamste Kidnapping aller Zeiten gewesen sein, bei welchem 50 Gekidnappte in Florida lachend ins Flugzeug steigen und freudvoll staunend auf Martha’s Vineyard wieder herauskamen. Die Kameras stets auf lachende Gesichter und zum Victory-Zeichen erhobene Hände gerichtet. „Danke, Governeur DeSantis, dass du uns hierher gebracht hast.“ Das muss das Stockholm-Syndrom sein!

Worin genau die Unmenschlichkeit bestand, 50 Migranten auf eine Insel in Massachusetts, einem Sanctuary State, zu fliegen, erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Die Bewohner protestierten. Man habe weder den Platz noch die Einrichtungen, um so viele Migranten unterzubringen. Ja, es herrsche Wohnungsnot auf Martha’s Vineyard! Dass die Menschen in den provisorischen Unterkünften in El Paso oder Uwalde auch bestenfalls in Hotels landen, von denen auf Martha’s Vineyard gerade so einige leer stehen, kam den empörten Insulanern nicht in den Sinn. Wer weiß denn schon, wie Venezolaner artgerecht gehalten werden! Nein, diese Leute müssen schnell wieder weg! Und so kam es wie es kommen musste: wo Texaner gefälligst ein großes Herz haben sollen, ruft man auf Martha’s Vineyard die Nationalgarde!

Genau 44 Stunden blieben die Migranten auf der Trauminsel. Gerade genug Zeit für die Einwohner, um einige Instagram-Selfies mit ihnen zu machen, sie mit Keksen und Frühstücksflocken zu füttern und zum Abschied herzzerreißende Tränen zu weinen und zu betonen, wie bereichernd der kurze Besuch doch war. Schön, dass sie nicht geblieben sind, dachte man wohl insgeheim. Besuch fängt ja bekanntlich wie Fisch nach drei Tagen an zu stinken. Die Armee übernahm ab da und brachte die 50 Gestrandeten nach Cape Cod, wo sie nun erst mal auf einer Basis der Airforce bleiben müssen. In sicherem Abstand zur Trauminsel, auf der sie zwar nicht willkommen waren, aber einen bleibenden, herzlichen Eindruck machen konnten. Die Venezolaner dürfen unendlich stolz sein, den Einheimischen emotional geholfen zu haben!

Quod licet iovi, non licet bovi

Die mediale Empörung reißt freilich nicht ab. Was erlaube sich DeSantis, diese Leute einfach so durchs Land zu fliegen! Dass die Biden-Regierung seit einem Jahr nichts anderes tut – und zwar gern nachts und ohne, dass die Zielorte informiert oder gar involviert werden – drückt man in den Skat. Quod licet iovi, non licet bovi. Aber ist die Migrantenlandverschickung von Martha’s Vineyard nach Cape Cod nach diesem Maßstab nicht ebenfalls ein Akt der Barbarei, wenn nicht gar im Newsom’schen Sinne Kidnapping? Der warme Putz des „kein Mensch ist illegal“ bröckelt jedenfalls schnell, wenn es zum Schwur vor der eigenen Haustür kommt.

Ausgerechnet CNN zeigt mit dem Finger auf die Wunde der Scheinheiligkeit, wenn es um das Verhältnis der typischen Martha’s Vineyard-Bewohner und Migration geht. Daniela Gerson zitiert dort aus einem Artikel, den sie vor dreizehn Jahren für die NYT geschrieben hatte. Im Text, der den bezeichnenden Namen „Wie Migration Martha’s Vineyard veränderte“ trug, heißt es: „Anstelle der meist weißen College-Studenten, die früher Häuser gestrichen, Betten gemacht und gefeiert haben, kamen in den 1990er Jahren Tausende von Brasilianern an, die bereit waren, härter zu arbeiten und morgens zuverlässig zu erscheinen. Bis 2007 hatte laut Gesundheitsdaten von Massachusetts etwa 1 von 3 auf der Insel geborenen Kindern eine brasilianische Mutter.“

Illegal eingewanderte, billige Arbeitsmigranten waren also willkommen. Gut genug, um im Backyard die Rosen zu schneiden, aber nicht willkommen, wenn sie wie diesmal an die Eingangstür klopfen. Vermutlich hätte man also für diese 50 sehr wohl Beschäftigung gefunden, aber es macht wohl keinen so guten Eindruck, angesichts des Presse-Echos über die freche „Entführung“ durch den Florida-Mann. Es war übrigens die schon länger auf der Insel lebende Gemeinschaft der Brasilianer, die um Hilfe für die 50 Gestrandeten bemüht waren. Einige boten sogar Unterkunft an. Vergeblich, wie wir wissen, denn alle 50 Migranten wurden eilig von der Nationalgarde von der Insel geschafft, bevor es zum Äußersten kommen konnte. Zum Bleiben und staunen, das die vom Sozialismus ausgemergelten Venezolaner wohl von dem halten würden, was die Sommerfrischler auf Martha’s Vineyard für Sozialismus halten.

Eine wundersame Wandlung

An der Grenze zu Mexiko geht das Elend unterdessen unvermindert weiter. 50 Menschen, vor die glänzende Tür jener gekippt, die diese Politik zu verantworten haben, sind nicht einmal ein Tropfen angesichts der Ströme, die sich durch die grenznahen Orte in Kalifornien, Arizona, New Mexico und Texas wälzen. Das Wort „Asyl“ ist alles was es braucht, um durchgewunken oder einfach übersehen zu werden. Von Flüchtlingen ist dann in Washington gern die Rede und dass man für die natürlich alles tun wolle! Aber doch bitte gleich vor Ort, also zum Beispiel in Texas!

Die „Migranten von Martha’s Vineyard“ hätten Broschüren voller Lügen bei sich gehabt, die sie in Florida erhielten. Darin sei von „Vorteilen“ wie Lebensmitteln, Bargeld und Hilfen bei der Wohnungssuche die Rede, die ihnen in Massachusetts zuständen, empört sich The Daily Beast. Die Hilfen gibt es tatsächlich – soviel zu den angeblichen Lügen. Doch stünden die leider nur besonderen Flüchtlingen zu, nicht jedoch Migranten.

Während es der Biden-Regierung also beim illegalen Grenzübertritt noch nützlich erscheint, die Ankömmlinge als Flüchtlinge zu deklarieren, um sie nicht zurückweisen zu müssen, verwandelt ein Flug in 10.000 Meter Höhe nach Martha’s Vineyard die Menschen: Wer es in Texas über die Grenze schafft, ist noch Flüchtling, wer in Martha‘s Vineyard aus dem Flieger steigt, ist nur noch Migrant, der in Texas oder Florida hätte bleiben sollen.

Versagen auf ganzer Linie

Natürlich war das Ganze eine von Ron DeSantis gestellte Falle und es gibt gute Argumente für und gegen sein Vorgehen. Der lahme Versuch jedoch, einen freiwilligen Ausflug auf die Ferieninsel der Reichen und Schönen zum Anschlag auf die Menschenrechte hochzufiedeln, wird nicht glaubhafter, nur weil er mit maximaler Empörung vorgetragen wird. Die Unmenschlichkeit beginnt schon früher, nämlich durch die Pull-Faktoren Nichtstun und offene Grenze, dank derer die Zustände im Süden der USA täglich schlimmer werden.

Zudem bestätigt die Weigerung der Isulaner, diese wenigen Menschen auch nur kurzfristig unterzubringen, dass die Biden-Administration kein Problem mit gestrandeten oder von Schleppern ausgebeuteten Menschen hat, solange diese nur weit genug weg von der Hauptstadt und geliebten Ferienparadiesen wie Aspen und Martha’s Vineyard verrecken. Der Gipfel der Perfidie ist es dann, wenn dieselben Leute zum „Abschied“ dicke Krokodilstränen weinen und sich für die „bereichernden Eindrücke“ durch die Migranten bedanken.

Die Aufmerksamkeit der Biden-Administration ist ebenfalls voller Doppelmoral, denn wenn 50 Venezulaner auf der Insel landet, ruft Biden sein Kabinett zur Dringlichkeitssitzung. Als im Juni diesen Jahres in Texas 50 Menschen in einem Truck der Schlepper elendig erstickten, geschah nichts dergleichen.

Dabei wäre es gar nicht schwer gewesen, DeSantis PR-Coup die Spitze zu nehmen und Ex-Präsident Obama hätte der Held der Stunde sein können. Eine Zeltstadt, wie er sie im August 2021 anlässlich seines 60. Geburtstages auf seinem Grundstück errichten ließ, hätte die „lucky fifty“ kurzfristig locker aufnehmen können. Um den Rest hätte sich die brasilianische Community auf der Insel gern gekümmert. Doch Obama zog es vor zu schweigen. Dabei hätten er und seine Freunde sich als gute Menschen erweisen können. Er fühlt sich in der abstrakteren und bequemeren Kategorie Gutmensch wohler.

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5 Kommentare

  1. Seuche Mensch –
    Im Grunde genommen wäre es ein Leichtes die Migration aus Asyl und/oder „kalter“ Landnahme drastisch zu zügeln. Man muss lediglich die Kosten des einhergehenden Verlustes an Wohlstand, Lebensqualität und Ressourcen den Neuankömmlingen (nach dem Verursacherprinzip) auferlegen. Ein Wirtschaftsmathematiker und ein politischer Wille zur Selbstbehauptung würden reichen das derzeitig dominierende, asymmetrische Geschäftsmodell zu zerschlagen. Wer sich auf Jahrzehnte hin verschulden muss, um nur mit etwas Glück an einem Konsumlevel partizipieren zu dürfen welches ihm die Aufnahmegesellschaft zur Verfügung stellt, zeigte einen Grad an Ambition, der ein gedeihliches Zusammenleben auch für die Zukunft verspräche.

  2. Danke Roger. Ich lese viel, aber von diesem Akt linker Heuchelei hatte ich nicht die geringste Ahnung. Und ob Alexander Wendt in einer anderen Liga spielt als Sie ist noch die Frage. Ist nicht als Kompliment zu verstehen sondern als rhetorische Frage, ergo Feststellung. Der Tipp, daß Obama sein Festzelt zur Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung stellen sollte ist schon genial

  3. …da spielen Sie und Alexander Wendt (Publico) in einer eigenen Liga, lieber Herr Letsch, diese detailierten Stimmungs- und Lagebilder… mit den großen Bögen!
    Auf Reitschuster ist zum Artikel “ „Bio-Tonne“: Wütende Proteste gegen Grünen-Chefin “ eine Diskussion entbrannt, ob man die mit Dreck bewerfen darf, die einen mit Dreck bewerfen, und welches Niveau das haben darf. „Vergelten“? Gleiches mit „Gleichem“? Wenn wir uns den „linken“ Spielregeln unterwerfen „wie ich dir, …nicht so mir“ und „dir heute so, morgen ganz anders“. Ja wer bestimmt denn diese Regeln? Wenn man physisch bedroht wird und existenziell bedroht wird gibt es nur eine Antwort, dann nur noch „Auge um Auge…Zahn um Zahn“. Ich war nie im Kindergarten… manche sind da bis heute nicht raus… (…da hätte sich dieser „Erbarmen“-Obama seinen noblen Preis ja durchaus einmal ein klein Stück weit verdienen können…, ja aber der Pull-Effekt…)

    • Vielen Dank für die Blumen! Auch wenn ich sicher nicht an meinen Freund Alexander heranreiche, der spielt eine Liga über mir. Im Übrigen versuche ich, nach dem Motto „Proletarier aller Länder artikuliert euch!“ zu leben und zu schreiben. Wüste Beschimpfungen bringen einen nicht weiter, so verständlich die Emotionen auch sein mögen, die sowas triggern. Man sollte sein limbisches System schon unter Kontrolle haben, um ernst genommen zu werden.

  4. Voellig unwesentlicher Punkt: Ich finde an Gutmensch nichts abstrakt, sondern den Begriff schon immer punktgenau. Das aeussert sich schon in den Reaktionen derer, auf die ich ihn immer wieder seit wenigstens 10 Jahren anwende. Die entgleisten Gesichter sind immer wieder neu, immer wieder frisch. Ganz seltener Fall davon, dass ein Begriff nicht umgedreht werden konnte. Praedikat „wertvoll“!

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