90 Minuten, offene Mikrofone – das waren die Regeln für das Vizepräsidenten-Duell bei CBS, das noch vereinbart wurde, als Kamala Harris den Part auf der Seite der Dems spielen sollte. Inzwischen ist einiges passiert, nicht nur der Rückzug von Joe Biden. In wichtigen Häfen der USA legen Dockarbeiter mit einem Streik gerade den Warentransport lahm, der Hurrikane Helene verwüstete durch Starkregen weite Landstriche von Florida bis Virginia, der Iran feuerte 200 Raketen auf Israel ab, und in 20 von 50 US-Staaten wird schon gewählt.
Nora O’Donnel und Margaret Brennan – Letztere bekannt dafür, dass sie in schönster Täter-Opfer-Umkehr Trump nach dem ersten Attentat auf ihn aufforderte, er solle seine Rhetorik herunterfahren – waren die Moderatoren dieses ersten und wohl einzigen Aufeinandertreffens zwischen Tim Walz, dem Gouverneur von Minnesota, und Senator J. D. Vance aus Ohio. Verglichen mit dem, was ABC bei der Debatte zwischen Harris und Trump ablieferte, konnte man die Gesprächsführung geradezu als fair bezeichnen. Zumindest bis zu dem Moment, als Vance das Mikrofon abgestellt wurde, aber dazu kommen wir noch.
Zunächst zur Aufgabenbeschreibung dieses Abends. Was genau sollten die Kandidaten nach Meinung ihrer Kampagnen vermitteln? Walz selbst war es, der Trump und Vance als „weird“, also „seltsam“, labelte und Kamalas Anhängern finstere Bilder von den fiesen Demokratie-Abschaffungsplänen der Republikaner zeichnete. Was auf Parteitagen und in Werbespots als allzeit verfügbare Injurie funktioniert, hat sich in der Debatte heute jedoch schnell in Luft aufgelöst. Da war nichts Seltsames an Vance und seinen Antworten. Die Aufgabe von J. D. Vance bestand darin, einige der Faktenchecks nachzuholen, für welche die ABC-Moderatoren in der Trump-Harris-Debatte keine Zeit verwenden wollten und vor allem Harris als Teil der aktuellen Regierung auch als Teil der aktuellen Probleme zu benennen. Diese Tatsache vergessen zu machen, versucht Kamala nämlich mit allen Mitteln. Kurz: Vance konnte liefern, Walz nicht.
Walz stimmte aus Sicht der Demokraten Vance viel zu oft zu
Spätestens seit dem legendären TV-Duell zwischen Kennedy und Nixon wissen wir, dass auch scheinbare Oberflächlichkeiten für die Bewertung des Publikums eine Rolle spielen. Wie Kennedy hatte Vance hier den Vorteil seines Alters, denn mit 40 sieht man nun mal fitter und attraktiver aus als mit 60. Und wer auch immer Walz’ Anzug und die Krawatte für diesen Abend ausgesucht hat, ist häufiger auf Beerdigungen als im Fernsehen. Das ganze Ensemble wirkte einfach nur schwarz, was Walz noch blasser aussehen ließ, als er es eh schon war. Wenn schon nicht in Walz’ Team, hätte doch vielleicht seine Frau Gwen einen Blick auf den Tim werfen und sagen können: besser nicht! Doch die aufgekratzte Gwen, die 2020 die Fenster offen ließ, um sich durch den Geruch brennender Autoreifen mit den BLM-Protesten verbunden zu fühlen, die Minneapolis in Schutt und Asche legten, ist wohl zu beschäftigt, „die Seite umzublättern“. Über Geschmack lässt sich nicht streiten, über TV-Tauglichkeit schon.
Zudem agierte Walz in der ganzen Debatte nervös, ja, regelrecht gehetzt und unsicher. Wenn er sich zu Vance wandte und die Kamera sein Profil einfing, wirkte er sogar wie kurz vor der Panikattacke. Auch wirkten Walz’ Antworten oft, als könne er kaum das Ende einer Frage abwarten. Vances Auftreten war vom ersten bis zum letzten Moment souveräner, kontrollierter. Er spielte mit der Kamera (Kopf zu Walz geneigt, kurzer Blick in die Linse) und war sehr viel sparsamer mit Gestik. Walz, der bekannt dafür ist, bei öffentlichen Auftritten wild zu gestikulieren, hatte einige Mühe, sich das im Duell zu verkneifen.
Ganz allgemein betrachtet, hatte diese Debatte deutlich mehr Tiefgang und auch Klasse als alle Präsidentschaftdebatten seit langer Zeit. Was auch daran lag, dass Walz im Gegensatz zu seiner sonstigen Rolle als „Mamalas“ Wadenbeißer und „emotional support animal“ tatsächlich nett und eloquent wirkte. Man kann ihn durchaus mögen, den Tim, wenn man von manchen politisch weit links angesiedelten Verstiegenheiten seiner Regierung in Minnesota mal absieht. Aber man fragt sich gleichzeitig, warum er trotz dieses Potenzials in Gegenwart seiner Chefin stets 50 Intelligenzpunkte dümmer wirkt, als er eigentlich ist. Womöglich gehört es zu seinen Aufgaben, Harris dadurch klüger aussehen zu lassen, als sie ist. Und nicht nur dafür, inhaltlich weit fitter als Harris zu sein, wird Walz wohl intern Prügel beziehen. Als Sicht der Dems stimmte er Vance viel zu oft zu. Einen Gefallen, den Vance oft erwiderte. Es dürfte den Dems nach dieser Debatte schwerer denn je fallen, die andere Seite als „Gefahr für die Demokratie“ zu karikieren.
Munition zur eigenen medialen Hinrichtung
Die journalistische Königsdisziplin solcher Debatten ist natürlich das Zerpflücken früherer Aussagen der Kandidaten. Beide wurden mit einer solchen Frage konfrontiert. Walz, der offenbar einen Hang dazu hat, alle seine Taten, Aufgaben und Dienstgrade größer erscheinen zu lassen, als sie eigentlich sind, wurde zu seiner Behauptung gefragt, er sei 1989 zur Zeit des Tian’anmen-Massakers in China gewesen – was nicht stimmt, wie unter anderem die New York Times berichtete.
Er antwortet erst gar nicht, dann ausweichend, ja, war geradezu „von der Rolle“ und verlor den Faden. Auf Nachfrage sagte Walz schließlich, er sei zu der Zeit ein Dummkopf (knucklehead) gewesen, was zwar menschlich klingt, aber keinen Erkenntnisprozess offenlegt. Die Lüge über diesen China-Aufenthalt stammt ja nicht aus 1989, sondern aus dem Wahlkampf 2024 und man kann schon die Video-Ads sehen, in denen sich Tim Walz selbst als „Dummkopf“ bezeichnet, gefolgt vom Claim „I’m Donald Trump and I approve this message.“ Man sollte die Munition zur eigenen medialen Hinrichtung eben besser nicht selbst herstellen.
Vance wurde nach seinen Äußerungen über Trump aus früheren Zeiten befragt, er hatte ihn ja sogar mit Hitler verglichen. Die Antwort: eine astreine Vorwärtsverteidigung! Er habe damals den Medien und deren Narrativen vertraut – ein Fehler, den er nicht wiederholen werde: Ihr Medien habt das doch ständig erzählt, und ich, J. D. Vance, habe eine Weile gebraucht, um mir selbst ein Bild zu machen.
Vance fand die richtige Worte, spendete Trost
Um es gleich vorweg zusammenzuzählen: So gut wie alle starken Momente – und es gab viele – gehen als Punkte an Vance. Etwa der, als es um die leidige Frage nach dem Umgang der Politik mit Schulschießereien ging. Walz berichtete, sein 17-jähriger Sohn sei selbst Zeuge einer solchen geworden. Vances Antwort ging nicht reflexhaft in Richtung „2. Verfassungszusatz“, sondern auf eine sehr persönliche Ebene. Er fand die richtige Worte, spendete Trost. Walz bedankte sich sogar dafür und am Ende des Segments hatte man den Eindruck, Vance habe Walz davon überzeugt, die richtige Antwort auf das Problem zu haben. Überhaupt nickte Walz sehr oft zustimmend, wenn Vance sprach. Spätestens hier wurde dem verwunderten Beobachter klar, dass die Rede vom „Ende der Demokratie“ – sollte Trump zurück ins Weiße Haus kommen – nur eines ist: substanzloses Wahlkampfgetöse.
Souverän meisterte Vance den einzigen Moment, in dem die Moderatorinnen ihm das Mikrofon abstellten, als er gerade eine Aussage von Tim Walz richtigstellen wollte. Der hatte behauptet, den Pfad zur Legalisierung von Einwanderung, dank derer sich nun 20.000 Haitianer legal in der 50.000-Einwohner-Stadt Springfield Ohio aufhalten, gebe es schon seit 1991. Stimmt nicht, den hat die Biden/Harris-Administration erst geschaffen – und die Zuschauer konnten den Einwand auch bei geschlossenem Mikro aus dem Off hören.
Wie zuvor bei Harris versus Trump bestimmte das Los, wer seine Schlussrede als letzter halten dürfe. Walz zog hier wie schon Harris das schlechtere Los, das letzte Wort hatte Vance, und er brachte zum wiederholten Mal die Kernbotschaft der Trump-Kampagne: All die Versprechen, was Harris an „Day one“ tun würde, die vielen Geschenke, die sie machen werde, die Versprechen der Grenzsicherung… all das kommt 1.400 Tage zu spät. Harris ist Teil der aktuelle Regierung und deshalb mitverantwortlich für alle Probleme, deren Behebung sie nun verspricht.
Versprecher, Witz und Meme des Tages
Der Versprecher des Tages: Der geht an (oder auf Kosten von) Tim Walz, der sagte, „I become friends with school shooters“. Wir dürfen davon ausgehen, dass er nicht wirklich die Täter, sondern die Opfer im Sinn hatte. Dass Vance diese Gelegenheit nicht nutzte, um dazwischen zu gehen und Walz aus einem Versprecher einen Strick zu drehen – was Trump sicher getan hätte und was die Dems bei Trump geradezu routinemäßig tun –, ließ ihn professionell und diplomatisch wirken. Er hatte das nicht nötig, und die erwiesene „Gnade“ machte aus dem Versprecher einen Bonuspunkt für Vance.
Der Witrz des Tages kam gleich in Gestalt der ersten Frage von den Moderatorinnen. Ob Walz oder Vance einem Präventivschlag Israels gegen den Iran zustimmen würden. Zu dem Zeitpunkt hatte der Iran Israel bereits mit 200 Raketen angegriffen. Von „präventiv“ kann also keine Rede mehr sein. Beide Kandidaten zeigten in ihrer Einschätzung der Ursachen des Krieges erstaunliche Einigkeit: Es waren die Ereignisse des Terroranschlages vom 7. Oktober. Auch hier war Vance deutlicher als Walz, denn er stellte klar, dass er den Israelis keine Lehren darüber erteilen werde, wie sie ihr Land gegen Terroristen zu verteidigen hätten.
Das Meme des Tages: Natürlich kursierten schon Minuten nach dem Ende dieser Debatte Videoschnipsel, die genüsslich besonders das optische Ungleichgewicht zwischen einem staatsmännischen Vance und dem etwas unbeholfen wirkenden Walz mit weit aufgerissenen Augen aufs Korn nahm. Doch wie ist es eigentlich um die Urteilskraft der Chefs von Vance und Walz bestellt, denn die beiden wurden ja nicht gewählt, sondern ausgewählt.
Trump hat offenbar ein gutes Händchen in dieser Personalentscheidung gehabt, während sich Harris’ Anhänger daran erinnern dürften, dass Kamala nach eigenen Angaben ihre Entscheidung „aus dem Bauch heraus“ getroffen hatte. Wäre Josh Shapiro, der Gouverneur von Pennsylvania, nicht doch besser für den Bauch gewesen? Doch zum Meme: Man sieht Nancy Pelosi, die bekannt ist für ihre erfolgreichen Insidergeschäfte, wenn es um Börsenwerte geht. Sie läuft eilig und telefoniert. Die Bildunterschrift: „Sell Walz, buy Vance“.
So wenige Wähler noch unentschieden, wie noch nie
Walz wirkte menschlicher als bei seinen bisherigen Auftritten, bei denen er stets wie aufgezogen wirkte, kann Vance jedoch in keinem Augenblick der Debatte in Sachen Professionalität und Faktensicherheit das Wasser reichen. Mit Unterstützung der Medien, die voll auf die „Joy“-Narrative und reichlich prominente Unterstützung aus Hollywood setzen, hat Harris eine Angstkampagne gegen Trump/Vance gefahren. Man setzte darauf, dass in all dem Geschrei vom „Ende der Demokratie“ niemand auf die Idee kommt, vor großem Publikum Vance selbst zu fragen, was denn eigentlich dran ist an all den Gerüchten und Orakeln.
Die Zuschauer der Debatte hatten nun Gelegenheit dazu, und wer jetzt noch glaubt, Vance sei ein ultrakonservativer Knochen von Vorvorgestern, der am liebsten alle Frauen zuhause am Herd festketten möchte, dem ist nicht mehr zu helfen. Walz wirkte nicht unsympathisch, aber auch nicht wie jemand, dem man das Land anvertrauen möchte für den Fall, dass er genau jene Rolle ausfüllen müsste, für die das Amt des Vizepräsidenten geschaffen wurde. Vance empfiehlt sich nicht nur aufgrund seines Alters auch für größere Aufgaben. Trump hat ja bereits erklärt, dass er im Falle einer Niederlage 2028 nicht erneut kandidieren werde. Amerika in seinem Sinne wieder groß zu machen, scheint eine Schuhgröße zu sein, in die Vance passt.
Doch die Frage aller Fragen lautet natürlich: Wird sich die Nadel durch die Debatte in die eine oder andere Richtung bewegen? Vermutlich kaum. Bei dieser Wahl sind so wenige Wähler noch unentschieden, wie noch nie. Glaubt man den Umfragen, können sich kaum vier Prozent noch nicht festlegen. Es bleibt weiter knapp in allen Umfragen, und man sollte nicht viel geben auf die Auguren auf beiden Seiten, die die unterschiedlichsten Dinge aus demselben Kaffeesatz lesen wollen.
Das VP-Duell wird das frischeste Aufeinandertreffen der Fraktionen bleiben und eignet sich für Erwiderungen auf die Wahlkampflügen der Harris-Kampagne hervorragend als Steinbruch. Wir werden in den letzten Wochen vor der Wahl wohl zahlreich Schnipsel daraus als Antwort auf Harris‘ Unterstellungen zu sehen bekommen. Immer unter dem Motto: „Lass uns doch mal nachsehen, was Trump und Vance wirklich über Migration, Staatsdefizit, Energieversorgung, Abtreibung, Familie, Zensur und Demokratie denken!“
Zuerst erschienen auf Achgut.com
Gut beobachtet. Vance war natürlich in jedem Punkt die bessere Wahl. Er wirkte souverän, intelligent und telegen. Waltz dagegen wie aufgezogen. Da haben die Kampagneros der Demokraten und ihre Werbeagentur wahrscheinlich den entscheidenden Fehler gemacht – oder ihn Harris durchgehen lassen. Es geht um wenige Prozentpunkte! Schon klar, dass Waltz für die Unentschlossenen den „Republikaner“ spielen sollte. Aber so schlecht? Man sollte über das Getöse Trump gegen Harris, der Teufel gegen Mutter Theresa, aber nicht vergessen, dass die Unterschiede in der realen Politik beider, nicht sehr groß sind. Beide werden den Zugriff auf die Vassallen des Imperiums nicht lockern, beide sehen China als die wahre Bedrohung, der wirtschaftlich und militärisch zu begegnen ist, beide stehen voll hinter Israel, beide werden die amerikanische Industrie schützen. Trump wird mehr gegen die Migration tun und den Konflikt mit Russland und seine Folgen noch schneller auf die Europäer abwälzen und sie mit dem zerschlagenen Porzelan alleine lassen. Das war’s dann aber auch an Unterschieden. Also weder der Teufel noch Mutter Theresa, sondern Reps gegen Dems im Kampf um die Fleischtöpfe und Steuer- (Verschuldungs-) Milliarden.
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