Auf der „90“ entlang des Jordantals nach Norden fahrend, dem See Genezareth entgegen, folge man in der Nähe von Tiberias dem ersten Hinweisschild, das einen nach rechts und damit nach Hamat Gader locken möchte. Dort fast oder schon gänzlich angekommen widerstehe man der Versuchung, in den thermalen und schon von den Römern geschätzten Wassern Abkühlung zu finden und blicke stattdessen nach Norden auf das wie eine Wand aufragende ockergelbe Gestein, durch das sich eine schmale Straße nach oben windet. Die gesparten 100 Schekel Eintritt für das bei den Israelis überaus beliebte Badevergnügen in Hamat Gader stecke man in die Hosentasche, man wird sie später noch brauchen.

Sobald die Serpentinen dank gretaverboten starkem Verbrennungsmotor und Automatikgetriebe überwunden sind, welche von 150 Meter unter bis 250 Meter über dem Meeresspiegel führen, öffnet sich die Hochebene des Golan, in der das Auge nur am fernen Horizont und schemenhaft die noch höheren Berge des Hermon erkennen kann. Fast geradeaus führt die Straße gen Norden, vorbei an Maisfeldern, Obsthainen und Olivenplantagen, je länger man fährt, umso häufiger mischt sich das satte Grün von Reben in die Farbpalette. Wir fahren in eine Gegend, in der erfolgreich die besten Weine angebaut werden: das israelische Hochland des Golan.

Von Katzen und Hunden

Wein und Oliven, diese beiden Kulturkonstanten sowohl hellenistischer als auch jüdischer und christlicher Tradition werden oft im Sinnzusammenhang und gewissermaßen als kulturelle Anker mediterraner Kultur genannt. Wo beides zusammen vorkommt, kann man mit großer Sicherheit auf große Gemeinsamkeiten hoffen, und seien sie auch scheinbar nur oberflächlich kulinarisch. Dabei sind sich Rebe und Olive dem Charakter nach so unähnlich wie Hund und Katze.

Ein Olivenbaum ist so unabhängig und frei wie eine Katze. Er wächst fast wie zum Trotz und zum Beweis seiner Misanthropie an den unmöglichsten Orten. Er bedarf der Hege nicht, nimmt sie aber gern an. Der Mensch ist ihm jedoch prinzipiell gleichgültig. Der Ölbaum genügt sich selbst, trägt Frucht für sich selbst, kümmert sich um sich selbst. Dort, wo sonst kaum ein Halm den israelischen Sommer überlebt, steht er stoisch und trotzt der fehlenden Feuchtigkeit. Natürlich tut er so, als genösse er die Aufmerksamkeit seiner Besitzer, die ihn wässern, bewundern und über seine kleinen, harten Blätter streicheln, aber im Grunde ist es ihm egal. Der Olivenbaum ist die Katze unter den domestizierten Pflanzen. Er braucht den Menschen längst nicht so sehr, wie jener ihn braucht.

Wer das nicht glaubt, wandere durch die Olivenwälder in Zentral-Korfu, wundere sich über die feuchten Augen der Besucher des Olivenhains von Gethsemane oder betrachte ein beliebiges trotziges Exemplar, das verstaubt und misshandelt aber voller Frucht sein Dasein als Straßenbaum auf einer Jerusalemer Dauerbaustelle fristet. Nie verliert die Olive ihren Stolz, egal, wie schlecht man diese Katze behandelt.

Anders die Rebe. Ihre Zauberkraft steht außer Frage. Ebenso die Liebe, die der Mensch ihren Früchten entgegenbringt. Keine andere Pflanze steht in der Gunst des Menschen höher – hier unterscheiden sich zugegebenermaßen Oliven- und Rebenmenschen. Aber auch keine unserer domestizierten Pflanzen macht so viel Arbeit und ist dabei gleichzeitig so abhängig von menschlicher Zuwendung und botanischem Geschick. Verwöhnt man sie zu sehr, verweigert sie die Frucht. Vernachlässigt man sie, verwildert sie und wird zum Raub von Unkraut und Insekt. Der bäuerlichen Ur-Regel, auf dicker Humusschicht am ertragreichsten zu sein, entzieht sie sich durch langweilige Ergebnisse. Stattdessen fordert sie karge Untergründe und ihr Herr liebt sie für diese Eigenart nur um so mehr.

Die Rebe kann nicht für sich selbst sorgen und ist völlig abhängig vom Menschen, der sie so gezüchtet hat. Die Rebe ist der Hund unter den Nutzpflanzen und man kann nie sicher sein, wer hier eigentlich mit wem Gassi geht. Hier auf dem Golan gedeihen beide prächtig. Rebenhunde und Olivenkatzen. Habe ich schon erwähnt, dass ich Hunden und Katzen gleichermaßen zugetan bin?

BDS: besuchen, degustieren, servieren!

So fahren wir nun durch die Hochlande des Golan, als uns ein kleines und unscheinbares Schild mit der Aufschrift „Chateau Golan“ dazu zwingt, die „98“ nach links zu verlassen. Kaum einen Kilometer weiter liegt das Weingut, das zur Verkostung einlädt. Damit fertig erinnern wir uns voller Freude an die 100 Schekel, die wir noch in der Tasche haben, um damit fast eine ganze Flasche Sauvignon Blanc oder Cabernet Sauvignon zu erwerben. Es lohnt sich!

Laut der antisemitischen BDS-Kampagne gehört der Golan zu den sogenannten „besetzten Gebieten“ und Erzeugnisse von dort sind (so wie unterschiedslos alle israelischen Waren) von Boykotten bedroht. Für mich ist der Golan kein besetztes, sondern ein aufgerebtes Gebiet, das ist etwas völlig anderes. Genau zu der Zeit, als ich zum ersten Mal in Israel war, im Jahr 1999, wagten es einige Israelis, im Golan dieses kleine und exklusive Weingut zu gründen, Reben anzupflanzen, diese zu hegen und zu pflegen und damit eine Wette auf eine unsichere Zukunft einzugehen. Eine Wette, auch dann noch hier zu sein und Arbeit, Schweiß und Geld in die kalksteinige Erde fließen zu lassen, wenn in zehn oder noch mehr Jahren hoffentlich die ersten Früchte dieser mühsamen Arbeit auf Flaschen zu ziehen sein würden. Die Wette ist aufgegangen und viele Menschen haben daran Anteil. Die Investoren, die an den Erfolg glaubten, die Winzer, die Erde und Klima zu lesen verstanden, die Erntehelfer, die in der Hitze von August und September die Arbeit bewältigten, der Kellermeister, der seine Geheimnisse nicht preisgibt und auch die Soldaten, die auf dem Besucherparkplatz des Weingutes in der Mittagshitze in ihren offenen Humvees schwatzend und lachend ihre Cola trinken.

Wer Getreide sät, plant für den Sommer. Wer Reben pflanzt, dem liegt langfristig etwas am Land. Ich kann dem Chateau Golan (für dessen beerig-vollmundige Rote und pfirsigduftend-transparente weiße Sauvignons ich trotz dieses überschwänglichen Artikels immer noch den vollen Preis bezahlen muss) nur alles Gute und viele glückliche Kunden wünschen. Ich pfeife auf das alte BDS, es lebe das neue BDS: besuchen, degustieren, servieren!

L’Chaim!

Aus einer Reihe kürzerer und längerer Begebenheiten, wie sie sich tatsächlich und selbst erlebt auf meiner jüngsten Reise nach Israel zutrugen.

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