Es ist schon einige Wochen her, dass Emilia Fester von den Grünen mit ihrer schrillen Antrittsrede im Bundestag in der medialen Wahrnehmung nach oben gespült wurde. Den erwartbaren Shitstorm für ihr peinliches mit Schwindeleien garniertes Aufstampfen scheint sie jedenfalls gut überstanden zu haben, denn vom Coverfoto des gerade erschienenen Spiegel-Biopic blickt sie, als hätte der Fotograf gerufen „…und jetzt mal unerschrocken gucken“. Der Titel des Textes lässt aufhorchen. Da heißt es: „Letztlich opfere ich auch meine eigene Jugend für diesen Job“. Mein Interesse ist jedenfalls – was bei Spiegel-Artikeln selten vorkommt – geweckt. Also schnell VPN via Ukraine anwerfen und einen Blick hinter die Bezahlschranke auf einen ellenlangen Text werfen, an dem Sophie Garbe schon seit mindestens zwei Monaten schreibt. Er beginnt am Tag vor Festers Rede und mit der Kostüm- und Generalprobe im Abgeordnetenbüro. Eine Mitarbeiterin darf als simulierten AfD-Sparringspartner dienen. „Wut üben“ heißt das im Spiegeldeutsch und Wut ist natürlich was Feines. Im Gegensatz zum Hass. Wenn man es – zumal beim Spiegel – medial nur immer auseinanderhaltern könnte.

Der Spiegel-Text ist weit weniger Ikonografisch, als man es aufgrund des Gegenstandes und der Schlagseite des Spiegel erwarten würde. Im Protokollarstil blitzen immer wieder Formulierungen auf, die ein nicht gerade schmeichelhaftes Bild der (Achtung, Superlativ) jüngsten Abgeordnete des Bundestags zeichnen. Wenn es da heißt, „vor ihr stehen ein halber Liter Limonade und ein Kaffee »zum Wachbleiben«“, wird man beim Leser sicher kein Erstaunen darüber erzeugen, dass unsere jüngste Abgeordnete uns den Kaffeegenuss als Heldentat verkaufen möchte. Sie bleibt wach für uns, was offenbar zu den Opfern gehört, die man eben bringen muss, wenn es um die Sache geht.

Weiter geht’s mit der Beschreibung des Ankommens im „politischen Berlin“, also mit „Kennenlernen der Fraktion, Führung durch den Reichstag, Abholen des Abgeordnetenausweises“ und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, hier beschreibt jemand den ersten Tag im Pfadfinderlager, an dem alles noch aufregend und neu ist und man sich schon auf das Rösten der Marshmallows und die Nachtwanderung freut. Das klingt alles wie die Freude über ein gewonnenes Preisausschreiben und nicht wie die der Erstkontakt mit einem politischen Monsterbetrieb, der den Steuerzahler jedes Jahr eine Milliarde Euro kostet. Vielleicht tut man Frau Fester sogar Unrecht, sie so pauschal der Ichbezogenheit zu zeihen. Doch dann zeigt das nächste Bild im Artikel Fester in Jetzt-komme-ich-Pose als Petra Pan mit in die Hüften gestemmten Armen und weiß, der Spiegel wollte die Wirkung der jüngsten Abgeordneten genau so. Politik ist viel zu wichtig, um sie den Erwachsenen zu überlassen, Kinder an die Macht!

Screenshot aus dem Spiegel-Artikel. Emilia Fester in Peter-Pan-Pose

„Sie kramt den neuen Ausweis aus ihrem Portemonnaie hervor und schiebt ihn über den Tisch. Als müsste sie beweisen, dass das stimmt: Fester, Emilia. Geburtstag: 28. April 1998. Abgeordnete im Deutschen Bundestag.“  Auch hier nichts als kindliche Prahlerei, die nicht legitimes Erbe, sondern Beute vorzeigt, die ihr überraschend zugefallen ist.

„Die BBC und die »New York Times« meldeten sich. Im November 2021 war Fester die einzige Abgeordnete, die bei einer Gedenkveranstaltung im Schloss Bellevue sprechen durfte. Sie machte ein Foto mit dem Bundespräsidenten, traf die damals noch amtierende Kanzlerin.“

So frisch im Parlament und schon von der Hierarchie korrumpiert und von der Macht verführt. Sie „darf sprechen“ und hatte eine Audienz bei der Kanzlerin, wie rührend! Merkels Ghettofaust (es war wohl eher ein Coronafäustchen) hebt Fester auf den Olymp zu den anderen Göttern. Endlich wichtig, endlich oben auf. Ihre Jugend will sie als ihr politisches Kapital betrachtet wissen. Doch es ist die Sorte von Kapital, die sich nicht mehren lässt, weil Jugend selbst ohne Zutun unwiederbringlich von Tag zu Tag schmilzt. Wer seine Jugend als Argument in dieses Geschäft wirft, investiert prinzipiell schlecht und war es zu allen Zeiten das Bestreben der Jugend, endlich als Erwachsen und ernsthaft wahrgenommen zu werden, bemüht sich Fester, vor kindlicher Begeisterung zu sprühen.

Die Kritik an ihren eher ambivalent wahrgenommenen Instagram-tauglichen Tanzeinlagen wischt Fester mit einer Bemerkung weg, in der die tribalistische Seuche dieser Tage perfekt dargestellt ist: „Wenn ich junge Menschen vertreten soll, dann muss ich auch wie ein junger Mensch klingen dürfen“. Der Bundestag teilt sich aber nicht in Interessenvertretungen für alte Männer, junge Frauen, Bayern, Ostfiesen, Legastheniker und Falschparker auf. Wobei Fester uns sicher unabsichtlich auf ein Dilemma im deutschen Wahlsystem aufmerksam macht. Zwar ist rein formal jeder Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes, doch haben die Inhaber eines Direktmandats zumindest die Vorstellung, von einer halbwegs klar umrissenen Teilmenge des Volkes entsandt worden zu sein. Listenkandidaten wie Fester bewegen sich auf der Suche nach Repräsentanz im luftleeren Raum und klammern sich auf der Suche nach Legitimität an alles mögliche. Sie möchte „den Jungen im Parlament eine Stimme geben“, was zwar als Aussage ein semantischer Steinbruch ist, aber wir wollen mal nicht kleinlich sein, auch wenn die Frage erlaubt sein muss, wer momentan in der Öffentlichkeit lauter schreit als ausgerechnet jene „Jungen“, die jeden zweiten Tag medienwirksam von den Straßen gespachtelt werden müssen oder Leitungen für Öl und Gas sabotieren.

„Und da ist die Sache mit dem Geld. In den ersten Wochen nach der Wahl, wenn das amtliche Endergebnis noch nicht feststeht, erhalten die Abgeordneten keine Diäten. In dieser Zeit müssen sie aber schon regelmäßig Termine in Berlin wahrnehmen. Fahrten, Unterkünfte und Essen zahlen sie zunächst aus eigener Tasche. Die Kosten belaufen sich auf mehrere Tausend Euro – einen Betrag, den die 24-jährige Politikerin nicht zur Verfügung hatte. Sie musste sich viel Geld bei Verwandten leihen, um die ersten Wochen zu überbrücken. »Die Bundestagsverwaltung hat sich offenbar noch nie Gedanken darüber gemacht, was eigentlich passiert, wenn Menschen in den Bundestag einziehen, die nicht so viel Geld haben.«“

Hier wird es albern und der Spiegel weiß es. Vergessen wir für einen Moment, dass ein Abgeordneter im Bundestag – und zwar völlig unabhängig von seiner Qualifikation – monatlich fünfstellig entschädigt wird und Zugriff auf Ressourcen hat, die dem Geschäftsführer eines mittelständigen Unternehmens gut zu Gesicht stünden. Konzentrieren wir uns auf die Kernaussage. Emilia Fester tritt einen neuen Job an und das erste Gehalt wird erst nach Wochen (in der Regel vier) gezahlt? Wann und wo hätte man je von solchen Unverschämtheiten gehört? Ach ja: fast immer und fast überall! Da der „Job“ als höchste Volksvertreterin Festers erster überhaupt ist und sie deshalb nicht wissen kann, dass die Arbeit der Bezahlung üblicherweise sogar vorausgeht, wandelt sie eine Selbstverständlichkeit in ein Problem um, um welches sich die Bundestagsverwaltung endlich mal kümmern sollte. Unsere Jugend hat’s heute ja so schwer! Mehr Petra Pan geht nicht.

Opfer bringen

Dann fällt der Satz, für den Fester im Netz gerade ihren zweiten Shitstorm innerhalb weniger Wochen erlebt. Vermutlich schon wieder ein Fester’scher Superlativ. „Letztendlich opfere ich auch meine eigene Jugend für diesen Job.“ Man fragt sich, was sie eigentlich opfern musste, schließlich kann sie all die liebgewonnenen Verstiegenheiten, die Instagram-Operetten und das grüne Virtue Signalling genauso weitermachen wie vorher. Mit dem Unterschied, dass nun die Bühne größer ist, sich fleißige Assistentinnen, Pressesprecher und Referenten um die Details kümmern und der Spaß auch noch fürstlich bezahlt wird. Nicht mal das Hamburger Theater muss die Schauspielertochter entbehren, schließlich erkennt sie im Ablauf der Plenarsitzungen vertrautes Bühnentreiben: „Plenarsitzungen erinnern mich an Theateraufführungen. Die Abläufe stehen fest. Man weiß, wer was ungefähr sagen wird. Und dann wird alles aufgeführt.“ Vorhang auf, Politik, lästert der Spiegel. Vorhang auf, Fester, möchte ich ergänzen.

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9 Kommentare

  1. In der Abgeordneten „Milla“ Fester wird etwas sichtbar, was gemeinhin nicht richtig gedeutet wird, aber gerade bei den Grünen Abeordneten und ihren Wählern deutlich sichtbar ist: Die Infantilisierung der Gesellschaft. Jugendliche und junge Erwachsene ohne abgeschlossene Ausbildung, ohne Kompetenzen und ohne Erfahrung schlüpfen in die Rolle von Abgeordneten. Und werden von Ihresgleichen gewählt. Oder eben von der Partei als Projektionsfläche für junge, inkompetente Wähler aufgestellt. Denn nur so wird ein Schuh draus: Inkompetenz soll Inkompetenz wählen. Weil sie eine von uns ist. Der Schaden ist relativ gering, denn Milla hat im System Bundestag nichts zu entscheiden. Nur wenige der über 700 Abgeordneten bestimmen, wo es langgeht. Die Mehrzahl sind Projektionsfläche für potentielle Wähler: Gewerkschafter, Polizisten, Juristen, Lehrer, … Und bei den Grünen eben für deren Klientel: Innen hohl und außen aus der Form gegangen. Aber große Klappe.

    • Wir haben ein Schönwetterparlament aus verzogenen Gören, während die Kohle- und Kernkraftwerke heruntergefahren und damit die Gasabhängigkeit zu Russland erhöht wird. Wir haben eine sich momentan in der Inflation widerspiegelnde Wirtschaftskrise und ein deutsches Verständnis von Parlamentarismus, das die Abgeordnetenbüros in den Wahlkreisen zu „So-Da-Immobilien“ relegiert. Und die Krönung von allem ist die ausgabefreudige Supergöre in der EU-Kommission, die nicht mal kandidiert hat, als der Wähler das letzte Mal auf europäischer Ebene abgestimmt hat.

      Es gab mal eine Dokumentation über Kevin Kühnert, die echt sehenswert ist.
      https://www.youtube.com/watch?v=791uEcaTBbg
      Da hat sich der NDR entweder selbst abgeschossen oder im Editierraum wurde aus der dritten Reihe ein verzweifelter Aufschrei an die Außenwelt gesendet. Jedenfalls sieht man zwischen Tür und Angel die volle Banalität der Hinterf*tzigkeit. Auf den super-schleimigen Smalltalk mit Andrea Nahles hinter der Bühne folgt ein inhaltsleeres, aggressives Abservieren auf der Bühne. 90% der Sätze drehen sich darum, wer weg muss und wo platz für Aufsteiger gemacht werden kann. Wer sich in Themen einarbeitet, hat wahrscheinlich verloren. Denn dann fehlt die Zeit für die schleimige Hinterfotzigkeit. Jeder ist Freund und Feind von jedem. Toll. Und Abwählen geht ja auch nicht wirklich, weil wir für den Bundestag das gleiche Wahlsystem haben wie die Russen für ihre Duma (ja, echt!).

    • Spaßfakt: Domestizierte Tiere unterscheiden sich von ihren wildlebenden Artgenossen dadurch, dass sie niemals ihr angeborenes Säuglingsverhalten ablegen. Katzen miauen in freier Wildbahn nur im Säuglingsalter.

      Womöglich ist die Infantilisierung daher schon ein länger währendes Problem, und ist in jeder über reinen Tribalismus hinausgehenden Gesellschaftsform eine Grundvoraussetzung.

      Wobei ich nicht sehe, was es mit Infantilität zu tun haben soll, dass Leute, die zu nichts zu gebrauchen sind, vor Elend und Verarmung in den Staat flüchten. So hat man das Untermenschen-Problem gelöst.

      Mit „Untermenschen“ meine ich das, was auch ursprünglich darunter verstanden wurde, nämlich die Art von Menschen, die aufgrund ihrer Wesensart nicht fähig sind, die steigenden Anforderungen einer technisierten Gesellschaft zu erfüllen. Klassischerweise hat man Untermenschen mit Kommunismus in Verbindung gebracht, weil man dieser Art von Menschen, als permanent abgehängten, verarmten, besitzlosen, Verliererkaste besonders gut Ressentiments einreden kann, um sie gegen diejenigen aufzuwiegeln, die mehr besitzen als sie. Das sind dann die Massen, die zur Revolution die Häuser und Paläste der Erfolgreichen stürmen, um sie auszurauben, zu töten, und ihre Frauen und Kinder zu vergewaltigen.

      Jedenfalls ist diese Verliererkaste, was heutzutage die Existenzberechtigung des Staats darstellt, der sie nährt und verwaltet, und im Staat arbeitet eine weitere Verliererkaste, deren Existenzberechtigung darin besteht, die Untermenschen zu verwalten. Wobei es zwischen diesen beiden Gruppen eine gewisse soziale Mobilität gibt. Beamten sind im echten Leben selten zu mehr als zum Fleischereifachverkäufer zu gebrauchen, wären aber zu gierig, um sich mit diesem Los abzufinden.

      Naja, und um zum Ursprung zurückzukehren, ich sehe in dem von Dir Angesprochenen überflüssige Existenzen die ihre Gier ausleben. Infantilisierung sehe ich hingegen eher in den gut ausgebildeten Schichten, die brav Steuern zahlen und sich auch sonst an die Gesetze halten. Politiker spielen diese Rolle jedoch nur, weil sie nunmal damit beauftragt worden sind, den Leithammel für eine domestizierte/infantilisierte Herde von Stimmvieh zu spielen.

  2. > Screenshot aus dem Spiegel-Artikel.

    Frei nach Lagerfeld: Da hat jemand die Kontrolle ueber seinen Koerper verloren.

  3. Die Frau ist ein Produkt der deutschen Unart, allein über die Landeslisten in den Bundestag zu rutschen und den Kontakt mit Bürgern des Wahlkreises grundsätzlich zu meiden.

    Ob Frau Fester sich in einem WAhlkreis zur Wahl gestellt hat, war nicht zu erfahren; ihre Selbstauskunft im BT-Handbuch hat an der Stelle „Wahlkreis“ einen Strich. Das Grundgesetz hat an sich vorgesehen, dass Angeordneten in Wahlkeisen kandidieren, dann kann man ablesen, was die Wahlberechtigten von dem Kandidaten bzw der Kandidatin halten.

    Frau Fester meidet diese Abstimmung sowie den Kontakt mit Wählern aller Schichten und stellt sich als Vertreterin „der Jugend“ dar, dazu gehört sie als erwachsene Frau natürlich nicht. (Bei der allgemeinen Infantilisierung zählen heutzutage wohl auch 24-Jährige sich dazu.)

    Also: Nichts gelernt, keine Wahl gewonnen, nur im Parteiensystem und auf dem Ticket „junge Frau“ auf der Landesliste als Nr. 3 nominiert, dazu muss man nur die Parteibonzen überzeugen. Hat geklappt. Und nach einem halben Jahr schon anfangen zu jammern, dass sie für die mehr als €12.000 monatlich etwas tun muss. Armes Deutschland, das ist unsere politische Elite.

    • Das war natürlich meiner üblichen Schusseligkeit geschuldet und keineswegs eine Despektierlichkeit meinen nördlichen Nachbarn gegenüber. Aber so ist das eben mit Fehlern, auf die sich Kommentare beziehen – sie müssen im Text bleiben. Und sei es nur zur Belustigung.

  4. Fun Fact: in Sachen GrünInnen-KandidatInnen-Marketing macht man sich Gedanken bis ins letzte Detail und bleibt auch ideologisch stets stramm auf Kurs. Wie bei Franziska „Ska“ Keller verzichtet man bei Emilia „Milla“ Fester auf den ursprünglich lateinischen Namen und setzt „Milla“ als ihren Kurznamen prominent in den Fokus. Nur ist „Milla“ entweder eine Kurzform von „Camilla“ oder eine Variante des slawischen Names „Mila“. Für „Emilia“ müsste es korrekterweise „Mila“ lauten. Da Namen lateinischen Ursprung i.d.R. eine etwas elitäre Aura verströmen, musste dort Abhilfe geschaffen werden. Die Kurzformen der Namen erscheinen nun jung, kess und unprätentiös – ganz im Kontrast zur prätentiösen Aura der monatlichen EU- und Bundes-Diäten.

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